“Yes, we can too”: Die arabische Jugend fordert politische und wirtschaftliche Teilhabe

"Yes, we can!" Die seit Dezember 2010 bestehenden Unruhen in Tunesien breiteten sich wie bei einem Domino-Effekt auf einen großen Teil der arabischen Welt aus. Foto: Skotch 79, Quelle: commons.wikimedia, Lizenz: CC0 1.0

9. Juni 2011
Nesrine Jamoud
Von Nesrine Jamoud

“ […] we will achieve it (political change) by providing real alternatives and real solutions to find a real alternative for political, economic and social Renaissance (nahda) in Egypt […] And we Youth April 6th movement believe that this will happen only by the move of young people – as they are the real ones who will benefit from the change when it happens, as they exceed 60 % of the Egyptian population. Our youth are the future leaders, and our energy today.” Die arabische Welt hat in den vergangenen Monaten einen massiven sozio-politischen Wandel erlebt, in dem Jugendliche eine tragende Rolle spielen. Mit dem Drang nach politischer Partizipation nahmen tausende junger Frauen und Männer in arabischen Staaten an Massendemonstrationen teil. Die Schlagkraft der Aufstände lag zu einem großen Teil in der Dynamik der jungen Protestierenden begründet.

Die Demonstrationen in Tunis, die im Januar 2011 den Sturz des Polizeistaates von Präsident Zine El Abidine Ben Ali zur Folge hatten, lösten in einem beeindruckenden Dominoeffekt Proteste in der Region aus. Dass der ägyptische Diktator Hosni Mubarak, der dreißig Jahre lang Ägypten regierte, durch eine Volkserhebung gestürzt würde, hätte sich bis Januar niemand träumen lassen. Doch “la vache qui rit” (zu Deutsch: „Die lachende Kuh“), wie Mubarak auf arabischen Internetforen und Blogs aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem Logo einer französischen Käsemarke genannt wird, konnte sich den Forderungen und der Wut der jungen Ägypterinnen und Ägypter nicht entziehen.

Die Jugend macht einen wichtigen Teil der arabischen Zivilgesellschaft aus. Die oben zitierte „Youth April 6th“- Bewegung, ist nur eine vieler Graswurzel-Organisationen junger Menschen in der arabischen Welt, die für Demokratie und Menschenrechte einstehen. Neben Internetmedien wie Blogs, Foren und sozialen Netzwerken, spielt Musik eine wichtige Rolle für die Verbreitung ihrer politischen Forderungen. Die Enttäuschung über die herrschenden politischen Systeme und die eigene soziale Marginalisierung finden darin ihren Ausdruck, so z.B. im Rap des tunesischen Musikers Hamada Ben Aoun, der wegen seiner politischen Songtexte während der Proteste in Tunesien verhaftet wurde. Die zentralen Aspekte der politischen Frustration liegen darin, dass jungen Menschen in den arabischen Staaten kaum Möglichkeiten der politischen Teilhabe offen stehen und dass sie zudem in politischen Systemen aufwachsen, mit denen sie sich nicht identifizieren können. Dies gilt insbesondere in Hinblick auf den religiösen bzw. arabisch-nationalistischen Charakter der Staatsideologien, die aus der frühen post-kolonialen Ära stammen. Vielen jungen Arabern sind die sechziger und siebziger Jahre eines Gamal Abdel Nassers oder Anwar El Sadats fern. Das Abstraktum “Demokratie”, kennen sie nur aus der Literatur und aus den Medien und verbinden es meist mit einem “freien Europa”, das seinen Bürgern ihre Rechte zuspricht.

Die Forderungen und Interessen von Jugendlichen ernstnehmen, das wird zentrale Voraussetzung für politische Stabilität und nachhaltige Entwicklung in Nordafrika sein. Das gilt insbesondere in Anbetracht der derzeitigen politischen Transformationsphase. Die Jugendlichen müssen als potenzielle “peace builders” statt als “peace spoilers” begriffen werden. Der Demokratisierungsprozess in der arabischen Welt wird ohne Beteiligung der jungen Generation nicht erfolgreich sein können. Es bedarf an Glauben und Investitionen in die Fähigkeiten und Potenziale der Jugendlichen.

Laut Weltbank ist über die Hälfte der Bevölkerung Nordafrikas heute unter 24 Jahre alt. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen hoch. Laut International Labour Organisation gehört die Quote der erwerbslosen bis 24-Jährigen in Nordafrika mit 23,7 Prozent zu den höchsten in der Welt.

Schon vor Jahren warnte die Weltbank in ihrem Bericht “Youth an Undervalued Asset: Towards a New Agenda in the Middle East and North Africa“ vor den Gefahren der hohen Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen in der sogenannten „MENA-Region“ (Middle East and North Africa). Der Bericht betont die Notwendigkeit von Bildung und Investitionen in junge Menschen. Einige Regierungen wie Algerien, Ägypten, Syrien und Marokko implementierten vereinzelte Pilotprojekte zur Arbeitsmarktinklusion von benachteiligten Jugendlichen. Nachhaltige Lösungen werden jedoch nicht gelingen, solange die Hürden beim Zugang zum nationalen Arbeitsmarkt nicht beseitigt sind, wenn Jugendliche trotz hart erarbeiteter (Hochschul-) Ausbildung durch Korruption und Vetternwirtschaft daran gehindert werden, eine adäquate Beschäftigung zu finden.

Die derzeitige sozio-politische Krise bringt die Konsequenzen gescheiterter Arbeitsmarktpolitik und wirtschaftlicher Marginalisierung der jungen Generation in der arabischen Welt an das Tageslicht. Es sind weder Ideologie noch Religion, die die Jugend in der arabischen Welt unter Lebensgefahr auf die Straßen gebracht hat und weiterhin bringen wird, obwohl es bereits unzählige Todesopfer gegeben hat. Es sind vielmehr das Menschenrecht auf Bildung, der Wunsch der Jugend, das eigene Leben in die Hand zu nehmen und die fundamentale Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen Freiheit und Wohlstand.

So beeindruckend die Macht und Wirkung der modernen Kommunikationsmedien bei den Volksaufständen in der arabischen Welt auch ist: Dass der Protest sich innerhalb kürzester Zeit wie ein Lauffeuer in ganz Nordafrika und über die arabische Halbinsel nach Syrien und Jordanien bis nach Bahrain verbreitete, liegt nicht nur an der Reichweite und den Mobilisierungseffekten von Youtube, Twitter und Facebook, sondern vor allem auch an der jahrzehntelang unterdrückten Frustration und konstanter staatlicher Repression und Gewalt. Resignation der arabischen Jugend wurde durch die Jasminrevolution durch eine Hoffnung auf Wandel ersetzt. Auf Plakaten junger Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo war kurz vor dem Sturz Mubaraks “Yes, we can too!” zu lesen. Den Jugendlichen die Möglichkeit zu bieten, ihr Können unter Beweis zu stellen, wird in den kommenden Jahren die größte Herausforderung der arabischen Regierungen sein.

Nesrine Jamoud ist Islamwissenschaftlerin (Freie Universität zu Berlin). Sie studierte in Berlin, Damaskus, Leiden und Rabat und arbeitete als Mercator Kollegiatin für Internationale Aufgaben (2009/2010) für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in Marokko und Nigeria in den Bereichen Konfliktprävention mit Fokus auf Menschliche Sicherheit / Mobilität und sozio- religiöse Konflikte in Nord- und Westafrika. Derzeit schreibt Nesrine eine Promtion zum Thema Radikaler Islam in Nord- und Westafrika, Jugend und modernen Kommunikationstechnologien nach 9/11.


Dossier

Die Bürgerrevolution in der arabischen Welt

Die Massenproteste in Tunis und Kairo haben die alten Regime in Tunesien und Ägypten hinweggefegt. Die Demokratiebewegung in Tunesien und Ägypten hat eine politische Wende herbei geführt, die das Tor zu einer demokratischen Entwicklung in der Region weit aufgestoßen hat. Aus dem Funken ist ein Lauffeuer geworden, in Algerien, Marokko, Jemen, Bahrain, Jordanien und Libyen gehen Bürgerinnen und Bürger auf die Straße und fordern die Machthaber heraus. Die Heinrich-Böll-Stiftung begleitet die aktuellen Entwicklungen mit Analysen, Kommentaren und Interviews:
Dieser Text steht unter einer Creative Commons-Lizenz.