Impressionen vom Wahltag und seinen Folgen aus der Provinz Kandal

Wie bereits 2008, ließ ich mich im Rahmen der am 28. Juli 2013 stattfindenden kambodschanischen Parlamentswahlen von der Nationalen Wahlkommission (National Election Committee-NEC) als unabhängiger Wahlbeobachter registrieren. Die Nationale Wahlkommission akkreditierte nach eigenen Angaben insgesamt 40.142 nationale und 191 internationale Wahlbeobachter. Am 28. Juli waren 9,67 Millionen wahlberechtigte Bürger/innen aufgerufen in den mehr als 19.000 Wahlbüros landesweit ihre Stimme für eine der acht zur Kandidatur stehenden Parteien abzugeben. Deren Repräsentanten/innen ziehen im Verhältnis der jeweils erzielten Ergebnisse in die 123 Sitze umfassende Nationalversammlung ein und wählen die neue Regierung.  


Die Präsenz internationaler Wahlbeobachter war im Vergleich zu den vorherigen Parlamentswahlen gering, da u.a. die EU auf eine Entsendung verzichtet hatte. Im Anschluss an die letzten Wahlen im Jahre 2008 erstellte die offizielle EU-Beobachtermission einen Bericht, dessen Ziel es war, „konkrete Vorschläge zu unterbreiten, um die Rahmenbedingungen in Kambodscha mit internationalen Standards für demokratische Wahlen in Einklang zu bringen.“ Dazu gehörten Empfehlungen zur Sicherung der Unabhängigkeit und Neutralität der Nationalen Wahlkommission, zur Vermeidung von Manipulationen bei der Wählerregistrierung, und zur Sicherstellung einer ausgeglichenen Medienberichterstattung im Vorfeld der Wahlen. Martin Callavan, der die Delegation der EU-Wahlbeobachter leitete, sagte damals, dass der Bericht vom 14. Oktober 2008, „den Abschluss der EU-Mission markiert, die darin enthaltenen Empfehlungen jedoch als Startpunkt für entsprechende Reformen betrachtet werden sollten.“

Da die EU vor den Wahlen jedoch zu dem Schluss kam, dass die kambodschanische Regierung in den vergangenen fünf Jahren keine Anstrengungen unternommen hatte die Empfehlungen umzusetzen, verzichtete sie auf die erneute Entsendung von Wahlbeobachtern.

Diskussionen um manupulierte Wählerlisten

Interessanterweise hatte sich jedoch schon im Vorfeld der Wahlen die Diskussion über die Manipulation der Wählerlisten, die zweifelhafte Rolle der Nationalen Wahlkommission und die Befangenheit der staatlichen Medien in der Öffentlichkeit so stark verselbständigt, dass schon im Wahlkampf erste Anklänge konkreter Kritik sichtbar wurden.

Jugendliche Anhänger der Oppositionspartei führten z.B. in ihren Motorradkorsos regelmäßig Kameras aus Pappmache mit, auf denen die Logos der staatlichen Rundfunksender zu sehen waren. Die Jugendlichen gaben damit auf ironische Weise ihrer ernstgemeinten Kritik Ausdruck, dass das staatliche Fernsehen ihre Präsenz und ihre politischen Forderungen vollständig ignorierte und nichts davon an die Öffentlichkeit brachte.

Grundsätzlich überraschte der einmonatige Wahlkampf die meisten Beobachter durch die Intensität und die Offenheit, mit der die Anhänger der Opposition ihrer Enttäuschung über die von der CPP geführte Regierung Luft machten. Im Gegensatz zu 2008 war in der Hauptstadt keinerlei Angst zu verspüren, sich öffentlich und lautstark zum politischen Wechsel zu bekennen.

Am Wahltag selbst begab ich mich in die Provinz Kandal, in der Premierminister Hun Sen seine offizielle Residenz hat und sich auf Listenplatz eins der CPP um ein Mandat in der Nationalversammlung bewarb. Eine Provinz mit Symbolcharakter, in der außerdem 11 Sitze für die Nationalversammlung zu vergeben waren. Die lokalen Behörden unter Führung der Regierungspartei CPP standen daher unter erheblichem Druck, die erwarteten Ergebnisse zu liefern. Die Bevölkerung, so schien es, hatte anderes im Sinn.

Ich besuchte im Laufe des Tages insgesamt sieben Zentren in denen gewählt wurde. Die Stimmung im Umkreis der meisten Wahllokale war sehr angespannt. Die Menschen, die sich dort aufhielten, schienen sich gut informiert zu haben und zeigten sich besorgt über mögliche Manipulationen der Wählerlisten. Nach kambodschanischem Wahlrecht darf man nur dort wählen, wo man behördlich gemeldet ist. Viele Menschen gaben ihrer Sorge Ausdruck, dass nicht legitimierte Wähler über gefälschte Wahldokumente Zugang zu den von der Regierungspartei als kritisch betrachteten Wahllokalen suchen würden. Sie sprachen offen über Berichte die kursierten, dass z.B. ganze Militäreinheiten aus randständigen, bevölkerungsarmen Provinzen, wie Oddur Meanchey oder Preah Vihear, in denen jeweils nur ein Sitz zu vergeben war, in die „wichtigere“ Provinz Siem Reap zum Wählen gebracht würden. Dort stand der Verteidigungsminister der regierenden CPP auf Listenplatz eins seiner Partei zur Wahl in die Nationalversammlung.

Angespannte Lage vor den Wahllokalen 

Viele Menschen gingen nach der Stimmabgabe nicht nach Hause, sondern blieben vor Ort, um nach eigenen Angaben zu helfen, Manipulationen zu verhindern. Als erstes eskalierte die Situation in der Gemeinde Saang Phnom. Dort versammelte sich am Morgen vor dem Wahllokal 1204 eine große Menschenmenge, die dagegen protestierte, dass angeblich mehrere Kleinbusse mit Leuten eingetroffen seien, die nicht in der Kommune registriert sind und dennoch wählen wollten. Polizei rückte an, das Wahllokal wurde geschlossen und ein Bürger aus der Gemeinde festgenommen. 

Im Laufe des Nachmittags kehrten Vertreter der örtlichen Verwaltung und Polizei zum Wahllokal zurück und boten den wartenden Bürgern die Freilassung des Gemeindemitglieds an, wenn diese sich bereitfänden, die von ihnen boykottierten Personen wählen zu lassen. Die wartende Menge lehnte das Angebot ab. Der Festgenommene wurde später nach neun Stunden Haft ohne Stellung einer Strafanzeige aus dem Polizeigewahrsam entlassen.

Auch in anderen Wahllokalen kam es immer wieder zu ähnlichen Spannungen, ohne dass jedoch die Polizei eingriff. Überall war das tiefe Misstrauen der Bürger gegenüber der Durchführung und Organisation der Wahlen spürbar. Nur wenige, die vor Ort blieben, zeigten grundsätzliches Vertrauen in die Korrektheit der Wählerlisten und des Wahlprozesses insgesamt.

Im Gegensatz zu den Wahlen im Jahre 2008 sprachen die Bürger/innen diesmal jedoch offen über ihre Bedenken und zeigten keine Angst sich einzumischen, obwohl sie hierzu keine gesetzliche Autorität hatten und rechtliche Sanktionen fürchten mussten.

Nach Schließung der Wahllokale um 15 Uhr bildeten sich Trauben von Menschen vor den Fenstern der Wahllokale, die sich nicht davon abhalten ließen der Auszählung zu folgen. Auch dies steht im Widerspruch zu den geltenden Wahlregularien, die vorsehen, dass sich um und in den Wahllokalen bei Auszählung nur autorisiertes Personal und Beobachter aufhalten dürfen. Doch die Ordnungshüter konnten oder wollten sie nicht davon abhalten die Stimmauszählung zu verfolgen. Viele der Menschen machten sich Notizen und dokumentieren aufmerksam die Ergebnisse aus ihrem Wahllokal.

In den Wahllokalen 1082, 1083, 1084 und 1280 in der Gemeinde Takmao, in denen ich die Auszählung verfolgte, lag die oppositionelle CNRP vor der CPP. Nach den ersten inoffiziellen Ergebnissen, gingen ca. 56 Prozent der Stimmen in Kandal an die Opposition, während rund 40 Prozent der Bürger/innen für die Regierungspartei stimmten. Würde dieses Ergebnis bestätigt, erhielte die Opposition sechs der insgesamt elf Mandate, die der Provinz zustehen.

Kurz nachdem die ersten inoffiziellen Ergebnisse bekannt wurden, gab es bereits Berichte aus dem Bezirk Saang über weitere Spannungen. Dorfbewohner fühlten sich bedrängt von staatlichen Stellen, insbesondere durch Bürgermeister und deren Stellvertreter von der regierenden CPP. In einem Dorf der Gemeinde Saang Phnom wurden laut Aussage von Dorfbewohnern örtliche Sicherheitsmilizen ausgesandt, um nach „zehn Individuen zu fahnden“, die im Zusammenhang mit den Protesten vor dem Wahlbüro 1204 stehen sollen.

Ein Vertreter einer kambodschanischen Menschenrechtsorganisation ADHOC fasste die Situation nach den Wahlen in Kandal in einem Interview folgendermaßen zusammen:

„Üblicherweise finden die Einschüchterungen vor den Wahlen statt. Dieses Mal ist es völlig anders als bei früheren Wahlen. Jetzt erfolgen diese Drohungen nach dem Wahltag, denn die örtlichen Behörden sind verärgert, dass die Leute nicht für die CPP gestimmt haben.“   

„In meinem Dorf hat die CPP vor den Wahlen 700 Sarongs verteilt. Als ausgezählt wurde hatten sie nur 300 Stimmen“, beschreibt ein Dorfbewohner seine Ansicht, als er im selben Interview zur den harschen Reaktion der örtlichen Behörden hinsichtlich des Ausgangs der Wahlen befragt wurde.

Der Vertreter von ADHOC bestätigte auch, dass die Fälle von politisch motivierter Einschüchterung, die seiner Organisation seit den Wahlen in Kandal gemeldet wurden, zugenommen haben.

Vorläufige Ergebnisse

Am 12. August verkündete die Nationale Wahlkommission die ersten offiziellen vorläufigen Ergebnisse unter heftiger Kritik aus Kreisen der Opposition. Diese bemängelt, dass die vorläufigen Ergebnisse veröffentlicht wurden, bevor ein unabhängiges Gremium aus Parteien, Zivilgesellschaft und Vereinten Nationen die Möglichkeit hatte, die Wahlmanipulationsvorwürfe zu prüfen. Doch schon die umstrittenen vorläufigen Ergebnisse machen deutlich, wie knapp es in einigen Provinzen zuging. In Kandal z.B. könnte die Opposition einen weiteren Sitz hinzugewinnen (sieben von elf), wenn sie einen Stimmenzuwachs von nur 0,03 Prozent (oder 166 Stimmen) verzeichnen würde.

Die Spannungen in Kandal verdeutlichen exemplarisch wie volatil die Situation nach den Wahlen im gesamten Land bleibt. Letzte Woche brachte die Regierung gepanzerte Mannschaftswagen und Militär nach Phnom Penh. Die Bevölkerung reagierte nervös. In den sozialen Medien kursierten Fotos aus Autos aufgenommen, wie die Mannschaftswagen in die Stadt einfuhren. Viele Menschen begannen sich mit Notrationen einzudecken, die Preise für Reis zogen unmittelbar an.

Zu diesem Zeitpunkt ist es unmöglich zu prognostizieren, wie verantwortungsvoll die Vertreter der Parteien und insbesondere die Regierung mit diesen Spannungen umgehen werden, um eine Eskalation zu vermeiden.