NSA wie Nachsendeauftrag

Teaser Bild Untertitel
Streetart von Banksy in London

Ich habe die Rolle der Schriftstellerin als hochmoralische Instanz, die sich mit Verve in politische Debatten wirft, zu jedem Ereignis ein Gedicht zubereitet und die Lebenden mahnt, wovor auch immer, bisher nicht in Anspruch genommen. Auch gelänge es mir nie, diesen hohen anklagenden Ton durchzuhalten, den es dafür braucht. Ich müsste da immer im falschen Moment losprusten. Der Bumerang käme irgendwann zurück und ich nicht mehr zum Schreiben. Ich meide öffentliche Parteinahmen, denn ich halte es für eine Errungenschaft, eine Wahlkabine benutzen zu dürfen, um mein Recht auf freie geheime Stimmabgabe in Anspruch zu nehmen. Ich weiß das zu schätzen, denn ich kenne es auch anders. Außerdem habe ich einige ungute Erinnerungen an Einladungen von Politikern zum Gedankenaustausch, die ich angenommen habe. Hinterher hatte ich immer das Gefühl, ich hätte mit XY gestikulierend im Schaufenster eines Ladens gesessen, während vor- und hinterher im Hinterzimmer die wichtigen Dinge verhandelt wurden.

Aber es gibt Situationen, in denen ich das Gefühl habe, wenn ich mich jetzt nicht einmische, werde ich mir das nicht verzeihen können. Eine ergab sich im Frühsommer, als durch die Veröffentlichung der Snowden-Papiere nach und nach das ganze Ausmaß der Überwachung der Bundesrepublik und ihrer Bürgerinnen und Bürger durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA und britische Dienste bekannt wurde. Inzwischen wissen wir, dass auch der BND uns im Netz ausspioniert, obwohl das gar nicht seine Aufgabe ist, aber offenbar gelten all diese Regeln längst nicht mehr. Die Regierung kümmert das wenig.

NSA war bis zum Sommer im Deutschen die Abkürzung für Nachsendeauftrag, die National Security Agency, kurz NSA, hielt sich dezent im Hintergrund. Ihre alte Abhöranlage auf dem Berliner Teufelsberg, mit der nicht das Territorium des Warschauer Paktes belauscht wurde, verfällt, während ihre neue, so las ich vor kurzem nicht ohne Häme, in Utah bislang noch am zu schwachen Stromnetz scheitert. Wahrscheinlich, weil das Geld für die Erneuerung der maroden Infrastruktur dringender für den Ausbau des Geheimdienstes gebraucht wurde. So ist vor fünfundzwanzig Jahren schon einmal ein System gescheitert, aber das nur nebenbei.

Ich bin etwas befindlich, was das Thema Überwachung angeht. Ich kann mich noch gut an die Angst vor lautem Klopfen an der Wohnungstür, Vorladungen zur Klärung eines Sachverhalts, an geöffnete Briefe und die nächtlichen Alpträume von Verhaftungen, Tribunalen, Erpressungen zur Mitarbeit, Hinrichtungen erinnern, auch wenn ich immer glimpflich davongekommen bin. Und ich kenne noch sehr genau die Selbstzensur, die Themen umschiffte, die mir hätten Ärger einbringen können. Seit dem Frühsommer grüßt das Murmeltier mich täglich. Der Wecker hat geklingelt, und alles beginnt von vorn.

Im Juli unterzeichnete ich als eine von sechzig Schriftstellerinnen und Schriftstellern öffentlich einen von Juli Zeh und anderen initiierten offenen Brief an die Bundeskanzlerin bezüglich der Überwachungsaffäre. Es hieß dort: „Wir fordern Sie auf, den Menschen im Land die volle Wahrheit über die Spähangriffe zu sagen, und wir wollen wissen, was die Bundesregierung dagegen zu unternehmen gedenkt. Das Grundgesetz verpflichtet Sie, Schaden von deutschen Bundesbürgern abzuwenden. Frau Bundeskanzlerin, wie sieht Ihre Strategie aus?“ Aus dem offenen Brief wurde eine Petition, die bis heute 72 000 Menschen unterschrieben haben. Das sind, hochgerechnet auf die Bevölkerungszahl der Bundesrepublik, nicht viele. Aber es sind 72 000, die sich vorher überlegt haben, ob sie sich outen als Gegner einer unkontrollierten Macht der Geheimdienste, wenn sie sich doch ganz sicher sein können, dass diese Unterschrift, ob nun öffentlich oder nicht, registriert wird. Denn mit der Handarbeit der Geheimdienste ist es lange vorbei. Da sitzt nicht ein einzelner mit dem Kopfhörer auf dem Dachboden, wie es in einem Essay von Juli Zeh hieß, da sammeln Maschinen Daten über alles und jeden, scheinbar zusammenhanglos, aber in rauen Mengen, die sich, miteinander verknüpft, bei Bedarf zu einem digitalen Ebenbild unserer selbst zusammensetzen lassen. Ab und an bleibt ein bisher Unbescholtener als Beifang im Netz der Geheimdienste hängen, wird ohne Angabe von Gründen in die Mangel genommen, seiner bürgerlichen Rechte beraubt und wenn nichts Wesentliches gegen ihn vorliegt, wieder ins Meer entlassen. Alles, was wir befürchten, ist heute möglich.

Natürlich gibt es Kontinuitäten zwischen den alten handgemachten und neueren digitalen Erscheinungsformen der Überwachung. Der Soziologe David Lyon hat es kürzlich in dem Buch „Daten, Drohnen, Disziplin“ auf den Punkt gebracht: „Beide werden verwendet, um Lebenschancen, Möglichkeiten, Belohnungen und Vorrechte zuzuteilen.“ Was ja nichts anders heißt, als Macht über Menschen auszuüben.

Besagte Unterschriften der Petition gegen die Spähaffäre wollten wir kurz vor der Wahl der Bundeskanzlerin übergeben. Wir waren dreißig, die mit den Unterschriften im Gepäck vom Bundeskanzlerinnenamt zum Bundespresseamt liefen, denn persönlich wollte Angela Merkel nicht mit uns sprechen, sie schickte ihre stellvertretende Regierungssprecherin vor, die uns mitteilen ließ: „Ausschließlicher Gegenstand des Termins ist die Übergabe der Unterschriften.“

Um es kurz zu machen, der Empfang im Bundespresseamt war unwürdig. Es fing schon damit an, dass die Presse, obwohl angemeldet, draußen bleiben musste. Es war mir neu, dass der Presse das Betreten des Bundespresseamtes untersagt werden kann. „Aus Gründen der Gleichbehandlung“, wie die stellvertretende Regierungssprecherin uns im barschen Ton mitteilte, womit sie wohl meinte, dass andere Besucher auch keine Presse mitbrächten. Wir wurden nur bis ins Foyer gelassen, wo sie wie eine überforderte Erzieherin agierte, die sich einer Gruppe renitenter Kindergartenkinder dadurch zu erwehren versucht, dass sie die Rädelsführerin mit Lob überhäuft, damit die anderen Blagen neidisch und missgünstig werden. Ein peinlicher Moment. Als das nichts nützte, redete sie die Aktion klein, in dem sie, als ihr der Karton mit den Unterschriftenlisten überreicht wurde, in leicht hämischem Ton sagte: „Da hatten wir aber auch schon mehr, und wir haben extra den Rollwagen mit heruntergenommen.“ Sie nahm uns den Karton ab und trug ihn zum Wagen. Das Gespräch war beendet.

Inzwischen ist es hundert Tage her, dass die größte die Bundesrepublik betreffende Spionageaffäre bekannt wurde. Hundert Tage, in denen die Bundesregierung abgewiegelt, beschönigt, vertuscht und die Affäre für beendet erklärte. Und auf eine Anfrage von Bündnis90/Die Grünen von 47 Fragen nur vier beantwortete. Der Rest ist geheim. Wie war das noch mit dem Souverän in der Demokratie, der auch die Geheimdienste kontrolliert, die schließlich in seinem Namen agieren?

Auf unsere Petition haben wir bis heute keine Antwort erhalten. Nur einer von uns, Ilija Trojanow, bekam eine Nachricht, allerdings aus den USA. Er durfte nicht in das Flugzeug steigen, das ihn von Salvador in Brasilien nach Miami bringen sollte. Ohne Begründung wurde ihm die Einreise in die USA trotz gültiger Papiere verwehrt. Ist das nun die etwas autistisch anmutende Form der Zuwendung, die einen von uns stellvertretend statt einer schriftlichen Stellungnahme erreichte? Auch diese Frage hat die Bundesregierung nicht beantwortet.