Interview mit Pavan Sukhdev: Wie sehen die Unternehmen der Zukunft aus?

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Pavan Sukhdev im Rahmen der Buchvorstellung von "Cooperation 2020" in der Stiftung

Pavan Sukhdev ist ehemaliger Top-Manager der Deutschen Bank und Autor des Buches "Corporation 2020 - Warum wir Wirtschaft neu denken müssen". Im Interview mit Marcus Franken, Chefredakteur des Magazins zeo2, betont er, dass die reine Fixierung auf den Profit eine relativ neue Erfindung der Wirtschaft ist. Vorbilder für einen Wandel zum „Guten Unternehmen“ gebe es genug. Aber, warnt der Ex-Banker, wenn die Politik die Rahmenbedingungen nicht ändert und die fatale Wirkung der Werbung nicht ausbremst, wird es nicht genügend Nachahmer geben.

 

Marcus Franken: Don´t be evil – mit diesem Slogan ging Google 2004 an die Börse. Kann eine Aktiengesellschaft gleichzeitig erfolgreich sein und vermeiden, zum ökologischen und sozialen Monster zu werden?

Pavan Sukhdev: Das ist schwierig. Seit knapp hundert Jahren sind Unternehmen ausschließlich darauf getrimmt, das Kapital ihrer Investoren zu vermehren. Wenn man sich als CEO, als Chef, daran hält, dann werden öffentliche Güter wie Umwelt und Soziales unwichtig. Dann liegt der Fokus allein auf Gewinnmaximierung für Aktionäre und Geldgeber.

Für viele Unternehmenslenker ist die Gewinnmaximierung eine Vorgabe im Arbeitsvertrag. Das können privat ganz nette Menschen sein.

Viele Menschen agieren für ihre Firma viel gewissenloser als privat. Auch wenn sie einen Sinn für Fairness haben, setzen sie Interessen ihres Unternehmens rücksichtslos durch. Ein Manager mag eigentlich ein sorgender Typ sein, als Personalchef kürzt er Gehälter und entlässt Mitarbeiter. Zu hause trennt er Glas und Papier, und seine Firma produziert Sondermüll. Ein Firmen-Ich kann das Gegenteil des Privat-Ichs sein. Doch wenn man ständig gegen die innere Überzeugung handeln muss, ist das eine enorme psychische Belastung. Und manchmal implodieren Leute unter diesem psychischen Druck und wenden sich an die Öffentlichkeit.

Whistleblowing ist etwas Neues. Wird der Druck größer?

Vielleicht wird der Druck größer, aber Whistleblowing ist nicht neu. Dass Angestellte öffentlich machen, was ihre Firma anstellt, gibt es schon sehr lange.

Und die Leute mit der geringsten inneren Ethik arbeiten aus Ihrer Sicht in Werbung und Marketing. Danach prostituieren die sich regelrecht. 

Sie sind käuflich und stolz darauf. Investment-Banker – ich war selber einer – haben ja nicht den besten Ruf. Aber wenn man sie nach ihrer persönlichen Ethik fragt, nennen sie hohe Standards und verweisen darauf, dass das Bankgeschäft vom Vertrauen lebt. Nur in der Werbebranche unterwirft man sich vollständig den Kunden, da gilt: „Wir sind hier, um die Kundenwünsche umzusetzen und das zu verkaufen, was die Kunden verkaufen wollen.“ Werber sind stolz darauf, ethische Neutren zu sein. Das gibt es sonst in keiner Profession.

Macht das die Leute nicht krank?

Schon. Und es gibt auch in der Werbung Leute die meinen, dass man das ändern muss. Letztlich liegt es aber in der Verantwortung der Unternehmen, die sich mit ihrer Werbung an die Öffentlichkeit wenden. Werbung muss die Kunden künftig viel mehr für Nachhaltigkeit begeistern und immer mehr den Dialog zwischen Kunden und Unternehmen suchen. Das ist keine Einbahnstraße großer Versprechen mehr. Die Kunden wollen wissen, was hinter einer Firma steckt. Eine der ersten großen Firmen, die ihre Umweltauswirkungen öffentlich gemacht haben, war Puma unter ihrem damaligen Chef Jochen Zeitz. Puma hat damit gute Erfahrungen gemacht.

Sind wir global schon über den Punkt hinaus, wo es nur um Profite geht? Bewegen wir uns Richtung Nachhaltigkeit?

Es gibt Unternehmer, die hier voran gehen. Und es gibt Manager, die das gerne möchten. Aber: Lassen Sie uns doch mal die großen Firmen mit ambitionierten Öko-Zielen zusammen rechnen: WalMart mit einem Jahresumsatz von 470 Milliarden Dollar; Puma mit 15 Milliarden, Unilever mit 65, die indische Infosys mit 7 Milliarden und so fort. Selbst wenn wir das großzügig kalkulieren, kommen wir nicht auf mehr als 700 Milliarden Dollar Jahresumsatz. Das ist weniger als ein Prozent des Weltsozialprodukts. Selbst wenn wir deren Zulieferer mit hinein nehmen, bleiben wir global unter fünf Prozent der Wirtschaftsleistung. Wir haben kein Problem mit den Vorbildern. Es gibt zu wenige Nachahmer.

Gewinnmaximierung – ist das nicht das Naturgesetz der Wirtschaft, gegen das sowieso kein Kraut gewachsen ist?

Nein, im Gegenteil. Das ist ein ziemlich junges Phänomen.

So jung, dass man nichts anderes kennt?

Man muss ein wenig zurück schauen. Am Anfang waren Unternehmen nur im Auftrag von Staaten unterwegs. Sie waren auf Zeit gegründete Einheiten mit einem limitierten Auftrag: Straßen und Gebäude zu bauen, Steuern einzutreiben oder auch um Kriege zu führen. Wenn da etwas schief ging, musste der Staat in vollem Umfang haften. Erst ab 1820 in den USA und ab 1850 in England änderte sich das. Unternehmen wurde erlaubt, nur noch mit dem Kapital zu haften, das Investoren ihnen zur Verfügung gestellt hatten – das ist die Geburt der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Und erst ab 1870 wurde es in den USA Firmen erlaubt, sich in allen denkbaren Feldern zu betätigen. Seitdem dürfen Unternehmen alles tun, was sie wollen, wo sie wollen und wie lange sie wollen. Das hat Unternehmen sehr, sehr flexibel und erfolgreich gemacht.

Aber geschäftlicher Erfolg war auch damals schon das einzige Kriterium.

Nein, das war längst nicht so einseitig. Industrielle wie etwa Henry Ford hatten andere Interessen. Ford wollte, dass sich jeder amerikanische Farmer sein berühmtes „Model T“ leisten konnte. Der Wagen sollte so billig werden, dass auch seine eigenen Angestellten den Wagen kaufen konnten. Darum hat er auf Gewinne verzichtet und mit dem Geld ständig neue Fabriken bauen lassen. So hat er die Preise durch Massenfertigung gesenkt, von 850 auf 500 Dollar. Und er hat, nebenbei bemerkt, in seinen Fabriken immer viel Wert auf Recycling gelegt. Auch wenn das den Gewinn geschmälert hat.

Abgesehen vom Recycling, ist das doch bloß eine Strategie, den Umsatz auszuweiten.

Auf seine alten Tage fing Ford an, in anderen Dimensionen zu denken und wurde immer mehr Staatsmann statt Geschäftsmann: Er wollte, dass sein Unternehmen der Gesellschaft und den Menschen dient. Er hat, anstatt Gewinne anzuhäufen, die Löhne seiner Arbeiter immer weiter angehoben, obwohl er am Markt weit billigere Arbeitskräfte finden konnte.

Das klingt immer noch sehr nach Ford-PR.

1920 wurde Ford verklagt, von zwei Brüdern namens Dodge, die zehn Prozent der Anteile an der Ford Motor Company hielten. Diese beiden Minderheitsaktionäre verlangten, dass Henry Ford höhere Dividenden an seine Aktionäre auszahlen sollte. Ford erklärte dem Gericht prompt, dass er das nicht tut und auch in Zukunft nicht tun wollte. Das Gericht hat leider den Dodge-Brüdern Recht gegeben und ein weitreichendes Urteil in „Dodge versus Ford“ gefällt: Der Zweck eines Unternehmens liege allein darin, seine Eigeninteressen zu verfolgen. Ford, dem immerhin mehr als die Hälfte des Unternehmens gehörte, musste seinen Aktionären Dividenden auszahlen.

Und damit beginnt aus Ihrer Sicht...

… die Ära, in der Unternehmen nur noch auf die Maximierung der Gewinne ihrer Kapitalgeber blicken und alles andere unwichtig wird.

Dieser Tunnelblick macht das Konstrukt „Unternehmen“ so erfolgreich?

Wenn Unternehmer den Erfolg um jeden Preis wollen, aggressives Marketing einsetzen und mit den Ängsten der Menschen spielen, Ängste in Wünsche und Wünsche in Nachfrage umwandeln, dann sind sie sehr wahrscheinlich sehr erfolgreich.

Als Unternehmer kann ich aber auch alles verlieren. Der Erfolg ist die Belohnung für den, der etwas riskiert - sagen die Ökonomen jedenfalls immer.

Das ist eine verklärte Perspektive. Die dominierenden Unternehmen heute sind Kapitalgesellschaften. Das sind Unternehmen mit beschränkter Haftung, die haben ein sehr geringes Risiko. Denn die Kapitalgeber haften nur mit dem Geld, das sie der Firma als Kredit oder in Form von Aktien zur Verfügung gestellt haben. Mit diesem Geld kann man aggressives Marketing betreiben und sich das Marktumfeld gestalten. Seit dem zweiten Weltkrieg wurden die Märkte auf Druck der multinationalen Unternehmen massiv dereguliert. Die Firmen können sich heute weltweit da bedienen, wo das Preis-Leistungs-Verhältnis am besten ist: Rohstoffe in Afrika; Verarbeitung in China und Indien, wo die Löhne niedrig sind und Fabriken sogar noch subventioniert werden; Verpackung in Japan und Absatz in Europa, Japan und Nordamerika, wo die Kunden hohe Qualität wünschen und das auch bezahlen können. Ein globales Unternehmen jongliert mit den weltweiten Preisunterschieden. Das ist das Erfolgsmodell unserer Zeit.

Wie wollen Sie das bremsen?

Ein wichtiger Schritt ist es, das Fremdkapital in den Firmen zu kontrollieren. Wenn Konzerne nicht mehr mit eigenem Geld sondern mit geliehenen Geldern expandieren, gehen sie oft extrem hohe Risiken ein, weit über ihren eigenen Firmenwert hinaus. Wenn sie scheitern, bedroht ihr Untergang viele Menschen außerhalb dieser Unternehmen und sie müssen von der Politik gerettet werden. Wir reden hier inzwischen sogar davon, dass Hedge Fonds gerettet werden. Dabei sind das keine vom Aussterben bedrohten Tiere. Das sind Monster! Man muss die Kreditaufnahme von großen Firmen genauso kontrollieren wie das jetzt bei Banken passiert.

Gute Firmen“ sind für Sie Unternehmen wie der Outdoor-Bekleider Patagonia, die Software-Firma Infosys und Natura, ein brasilianischer Kosmetikhersteller. Was ist gut an denen?

Ein Unternehmen kann sich als Heuschrecke aufstellen, die die Erde rücksichtslos abgrast. Oder sein Geschäft als Treuhänder der Natur betreiben. Patagonia will die besten Sportsachen der Welt herstellen, ohne das auf Kosten der Natur zu machen. Firmen wie Infosys schaffen Bildung, ihnen liegt daran, das Humankapital zu verbessern. Andere Unternehmen organisieren sich als Gemeinschaften: Natura Cosmeticos in Brasilien will nachhaltig sein und vertreibt seine Produkte über ein Netzwerk von 1,2 Millionen Hausfrauen, davon profitieren alle. Solche Firmen erwirtschaften nicht nur für sich Gewinn, sondern sind auch ein Gewinn für Umwelt und Gesellschaft. Sie sind doppelt erfolgreich. Das ist für mich die „Corporation 2020“, aus meiner Sicht das Unternehmensmodell der Zukunft.

Die Unternehmen von denen sie reden arbeiten in Marktnischen, in denen die Kunden wegen der Umwelt auch mal mehr für die Produkte zahlen? Ist das übertragbar?

Das kann man sicher nicht als Role-Model auf alle Branchen übertragen. Beispiel Energie: Wir haben weltweit einen massiv steigenden Energiebedarf und wir alle kennen die externen Kosten von Kohle, Öl und Gas. Aber wir unternehmen global nichts dagegen und versagen bisher davor, den Energieverbrauch zu drosseln. Es hilft nichts, BP zu sagen: „Hört damit auf, die Folgen sind fürchterlich.“

Elf der 15 vom Umsatz her größten Unternehmen der Welt sind Öl- und Kohlekonzerne wie BP, Shell, Rosneft. Wenn man mit Klimaschutz ernst macht, sind die zum Aussterben verurteilt, also wehren sie sich gegen jedes bisschen Umweltschutz.

Die wollen sich nicht ändern und die können sich auch nicht ändern. Darum stecken sie alle Macht darein, gegen den Wandel zu lobbyieren. Unternehmen sind wie Arten im Tierreich, die sich entsprechend ihrer Umweltbedingungen entwickeln. Die ökologischen Bedingungen werden von Politik, Preisen und Institutionen bestimmt. Und diese Rahmenbedingungen sind für die fossilen Energien immer noch sehr günstig. Danach richten sich die Ölfirmen und alles was sie unternehmen bleibt Greenwashing. Siehe BP: Die haben mit ein paar Milliarden Dollar den Slogan „Beyond Petroleum“ propagiert und nichts ist passiert. Politik, Preise, Institutionen – alles falsch.

Wie kann Nachhaltigkeit sexy werden?

Stand der Dinge ist doch: Erstens, die alten Institutionen funktionieren nicht im ökologischen Sinne. Die nationalen Regierungen können die Herausforderungen nicht lösen, weil sie von den alten Unternehmen abhängig sind, von deren Wirtschaftswachstum, von hoher Beschäftigung und Steuereinnahmen. Zweitens: Die Macht liegt in den wirtschaftlichen Sektoren. Es macht wenig Sinn, die Energieversorgung allein in Deutschland zu ändern. Oder nur in Indien oder nur in China. Eine internationale Firma verlagert dann ihre Aktivitäten. Das ist wie bei der Wurst: Wenn sie da an einer Seite drücken, wandert das Brät ans andere Ende.

Und wollen Sie die ganze Wurst bekommen? 

Wir brauchen neue politische Formate, eine Art G20 Treffen der wichtigsten Firmenchefs. Bleiben wir bei der Energie: Die CEOs der Firmen, die zusammen 80 oder 90 Prozent Marktanteil haben, und die fünf wichtigsten Regierungschefs der Welt müssen sich an einen Tisch setzen und einen gemeinsamen Pfad für Klimaschutz Richtung 2-Grad-Ziel beschließen. Nur das hätte Aussicht auf Erfolg.

An den UN-Klimaprozess glauben Sie nicht mehr?

Der Rahmen ist zu groß. Sehen Sie das Waldschutzprogramm Redd+ der UN: 2010 gab es auf Bali einen relativ kleinen Kreis von vielleicht 13 Ländern aus zwei Gruppen, von denen die eine Regenwald besitzt und die anderen Klima schützen will. Diese relativ kleine Gruppe war entschlossen und handlungsbereit, das hätte funktioniert – ich habe es selbst erlebt. Aber dann wuchst die Gruppe binnen drei Jahren auf mehr als hundert Staaten an – und an dem Punkt war jeder Schwung weg.

Aber warum sollte etwa China seine Blockade ausgerechnet im kleinen Kreis aufgeben?

China ist extrem abhängig von billiger Kohle, darum gibt es da keine einfache Lösung. Aber es ist der einzige Weg, China und Indien zu massiven Investitionen in Erneuerbare Energien zu bewegen. Nicht nur in die heutigen Formen von Windkraft und Solarstrom. Sondern auch in neue Formen wie heiße unterseeische Quellen, Offshore-Wind und große Solaranlagen in der Wüste. Das könnten dann auch Bereiche sein, in denen sich die großen Öl- und Kohlekonzerne engagieren und sich neue Geschäftsfelder für die Zukunft erschließen. Es ist entscheidend, ihren Widerstand gegen den Wandel zu schwächen.

Auch in ihrem Heimatland Indien wächst gerade die Mittelschicht zu den Konsumenten und Emittenten von morgen heran. Wie kann man das ändern?

Der Konsumismus funktioniert in Indien genauso wie im Westen und wird vor allem in den Städten immer stärker – auf dem Land ist das noch etwas anderes. Die Werbung spielt mit den Ängsten der Menschen, erzeugt Wünsche und macht aus Wünschen Konsumnachfrage. Das wird vor allem von den Multinationalen Konzernen voran getrieben. Im Westen sinken deren Profitraten, weil die Menschen dort weniger kaufen. Darum versuchen sie jetzt, neue Märkte zu erschließen. Es ist an der Zeit, die Werbung zu kontrollieren und einzuschränken.

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* Das vollständige Interview erscheint im Wirtschafts-Sonderteil von zeo2, einer Gemeinschaftsproduktion mit „UnternehmensGrün“.  Ab 10. Dezember am Bahnhofskiosk.

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