Pflegekräfte aus Osteuropa - Licht ins Dunkel der Schwarzarbeit?

Zur sozialrechtlichen Bewertung der Tätigkeit von Pflegekräften in Privathaushalten im Hinblick auf die Erweiterung der Arbeitnehmer-Freizügigkeit zum 1.5.2011. Ein Überblick. Zum Dossier "Deutschland im Pflegenotstand - Perspektiven und Probleme der Care Migration".

Alte Frau

Von Dr. Anne Körner, Richterin am Bayerischen Landessozialgericht, München


Inhalt


I. Der Status Quo - die illegale Beschäftigung von osteuropäischen Pflegekräften

Der demografische Wandel in Deutschland ist nicht neu und längst bekannt. In den Fokus der Öffentlichkeit gerät in jüngster Zeit vermehrt die damit verbundene Problematik der wachsenden Aufgaben im Pflegebereich [1]. Aufgrund der veränderten Bevölkerungsstruktur wird nach neuesten Modellrechnungen die Anzahl der Pflegebedürftigen in Deutschland von 2,2 Millionen im Jahr 2007 bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent zunehmen [2]. Mit der steigenden Zahl von Pflegefällen wächst auch der Wunsch nach Versorgung und Unterstützung im eigenen Haushalt. Das Engagement von solchen Hilfen ist teuer. Attraktiv erscheint daher die Inanspruchnahme von Pflegekräften aus Ost- und Mitteleuropa. Eine 24-Stunden-Betreuung wird schon ab etwa 1200 Euro im Monat bei freier Kost und Logis angeboten [3]. 

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Im Internet finden sich zahlreiche Portale, die sich auf die Vermittlung von solchen Pflegekräften spezialisiert haben. Selbst die Stiftung Warentest hat sich den Vermittlungsagenturen angenommen und einer Prüfung unterzogen [4]. Sind das Suchen und Finden von geeignetem Personal offenbar problemlos möglich, zeigen sich Schwächen im Umgang mit dem geltendem Arbeits- und Sozialrecht. Sei es bewusst oder in Unkenntnis der Rechtslage: Nach Schätzungen werden etwa 100000 Pflegekräfte in Privathaushalten illegal beschäftigt. Die Schwarzarbeit in der Pflege ist damit zum Gegenstand der politischen Agenda geworden [5].

Nach der Legaldefinition im Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (SchwarzArbG) vom 23.7.2004 (BGBl. I S. 1842) leistet Schwarzarbeit, wer unter anderem Dienst- oder Werkleistungen erbringt oder ausführen lässt und dabei als Arbeitgeber, Unternehmer oder versicherungspflichtiger Selbstständiger seine sich auf Grund der Dienst- oder Werkleistungen ergebenden sozialversicherungsrechtlichen Melde-, Beitrags- oder Aufzeichnungspflichten nicht erfüllt (§ 1 II Nr. 1 Schwarz- ArbG) [6]. Der folgende Beitrag soll einen Überblick verschaffen über die sozialrechtliche Bewertung der Tätigkeit von osteuropäischen Pflegekräften in deutschen Haushalten sowie die Fallstricke des Sozialrechts aufzeigen, die es dabei zu beachten gilt.

II. Die Ausweitung der Arbeitnehmer-Freizügigkeit zum 1.5.2011

Für Personen aus den am 1.5.2004 zur Europäischen Union beigetretenen Ländern Polen, Tschechische Republik, Slowenien, Slowakische Republik, Ungarn, Estland, Lettland und Litauen endet zum 30.4.2011 der von der Bundesrepublik Deutschland bestimmte Aufschub der Arbeitnehmer-Freizügigkeit. Für diese Personen wird es ab dem 1.5.2011 deutlich einfacher, in Deutschland als Arbeitnehmer tätig zu werden. Bislang galt das Erfordernis einer Arbeitsgenehmigung-EU nach § 284 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Diese wurde in der Regel befristet als Arbeitserlaubnis-EU erteilt und war vor der Aufnahme einer Beschäftigung bei der Agentur für Arbeit einzuholen (§ 284 II SGB III).

Ein Verstoß wird nach § 404 II und III SGB III mit Bußgeldern bis zu 5000 Euro für den ohne entsprechende Erlaubnis tätigen Ausländer und bis zu 500000 Euro für denjenigen, der den Ausländer beschäftigt, geahndet [7]. Neben dem damit verbundenen bürokratischen Aufwand bildeten insbesondere die Anforderungen des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) eine nicht leicht zu überwindende Hürde vor Erhalt einer Arbeitsgenehmigung-EU. Grundsätzlich galt: Es durften deutsche oder gleichgestellte EU-Bürger nicht zur Verfügung stehen und die ausländischen Kräfte durften nicht zu ungünstigeren Bedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer beschäftigt werden (§ 284 III SGB III i. V. m. § 39 II AufenthG). Für Personen aus den am 1.5.2004 zur Europäischen Union beigetretenen Ländern entfällt zum 1.5.2011 das Genehmigungsverfahren durch die Arbeitsverwaltung.

Vorfreude auf legale Zustände ab dem 1.5.2011 ist dennoch nicht angebracht. Auch in Zukunft gilt: Aus einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis folgt grundsätzlich die Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung mit der damit verbundenen Beitragslast. Unverändert attraktiv erscheint deshalb die Suche nach Möglichkeiten, eine Sozialversicherungspflicht in Deutschland zu umgehen.

Nichts anderes gilt für Pflegekräfte aus Rumänien und Bulgarien. Für diese tritt die Arbeitnehmer-Freizügigkeit erst ab dem 1.1.2014 in Kraft. Bis dahin besteht das Erfordernis einer Arbeitserlaubnis-EU zunächst unverändert fort. Schon aus diesem Grund wird nach Alternativen zu einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis in Deutschland gesucht.

III. Die rechtliche Bewertung der Pflegetätigkeit in Privathaushalten

Die Beurteilung der Tätigkeit einer Pflegekraft in einem Privathaushalt hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zunächst ist maßgeblich, auf welcher vertraglichen Grundlage die Pflegekraft engagiert wird. Besteht ein Vertrag mit dem Pflegebedürftigen selbst oder erfolgt die Arbeitsleistung für einen im Ausland sitzenden Pflegedienst? Hat ein solches Unternehmen im Ausland die Pflegekraft nach Deutschland entsendet? Liegt ein Fall der Arbeitnehmerüberlassung vor? Und schließlich stellt sich die „Gretchenfrage“: Besteht eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit?

1. Entsendung durch einen Pflegedienst im Ausland

Eine Möglichkeit, die Sozialversicherungspflicht in Deutschland auszuschließen, ist die Entsendung eines in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bereits Beschäftigten.

a) Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 883/2004

Voraussetzung ist ein gewöhnlich im Herkunftsland tätiger Arbeitgeber, für dessen Rechnung die Arbeitsleistung in Deutschland erfolgt und eine voraussichtliche Höchstdauer der Arbeitsleistung in Deutschland von 24 Monaten. Zudem darf nicht eine andere Person bei ihrer Arbeitsleistung abgelöst werden (Art. 12 I der VO (EG) Nr. 883/2004). Die zuständige Behörde des Staates, in dem das entsendende Unternehmen seinen Sitz hat, bescheinigt eine solche Form der Entsendung. Diese „Entsendebescheinigung“ [8] ist für die deutschen Behörden und Gerichte verbindlich, solange sie nicht von den Behörden des Ausstellungsstaats zurückgezogen oder für ungültig erklärt wird. Das tatsächliche Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 12 I der VO (EG) Nr. 883/2004 darf von deutschen Gerichten nicht überprüft werden [9]. Selbst wenn die Entsendebescheinigung auf einer Manipulation oder Täuschung der ausstellenden Behörde beruht, es gilt eine uneingeschränkte Bindungswirkung [10]. Das Vorliegen einer Entsendebescheinigung steht der Forderung von Sozialversicherungsbeiträgen in Deutschland von vornherein entgegen.

b) Nachteile der "Entsendungslösung"

Die Nachteile liegen auf der Hand: Bei diesem Modell kann es nur um eine vorübergehende Arbeitsleistung in Deutschland gehen. Die Pflegekraft muss in ihrem Herkunftsland bereits abhängig beschäftigt gewesen sein, zumal bei einem Pflegedienst, der seine Leistungen auch „gewöhnlich“ in diesem Land anbietet. Dienstleister, die ausschließlich auf den lukrativen deutschen Markt zielen, können daher keine legale Entsendebescheinigung erhalten. Zudem hat der EU-Verordnungsgeber die Möglichkeit unterbunden, eine Pflegekraft in einem deutschen Haushalt nach 24 Monaten durch die nächste Pflegekraft abzulösen.

Weitere Umstände machen die Entsendung einer Pflegekraft durch einen ausländischen Pflegedienst für die Beteiligten unattraktiv. Dies folgt in erster Linie aus finanziellen Erwägungen. Es gelten die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes [11]. Danach sind die in deutschen Vorschriften enthaltenen Mindestentgeltsätze einzuhalten. Im Pflegebereich gilt derzeit eine Mindestentlohnung von 8,50 Euro (bzw. 7,50 Euro in ostdeutschen Ländern) je Stunde (§ 2 I und II der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche - Pflegearbeitsbedingungenverordnung, PflegeArbbV, i. V. m. § 2 Nr. 1 Arbeitnehmer-Entsendegesetz). Zudem haben die Pflegekräfte einen Anspruch auf den bezahlten Mindestjahresurlaub von mindestens 24 Werktagen im Jahr (§ 3 I Bundesurlaubsgesetz i. V. m. § 2 Nr. 2 Arbeitnehmer-Entsendegesetz).

Zwar verweist § 2 Nr. 3 Arbeitnehmer-Entsendegesetz grundsätzlich auch auf Regelungen über die Höchstarbeitszeiten, die zwingend Anwendung finden. Das Arbeitszeitgesetz findet jedoch nach § 18 I Nr. 3 Arbeitszeitgesetz keine Anwendung auf Arbeitnehmer, die in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und sie eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen. Für die Beteiligten ergeben sich bei Entsendung der Pflegekraft durch einen Pflegedienst im Ausland zudem praktische Schwierigkeiten bei der Vertragserfüllung. Entscheidend ist, dass der zugrunde liegende Vertrag zwischen dem Pflegebedürftigen und einem Pflegedienst im Ausland geschlossen wird. Allein in diesem Vertragsverhältnis sind alle Arbeitsbedingungen zu regeln. Vertragliche Änderungswünsche, die sich aus dem täglichen Miteinander ergeben, sind von dem Pflegebedürftigen gegenüber einem räumlich entfernten Pflegedienst und in Verhandlung mit in der Regel ihm persönlich nicht bekannten Menschen geltend zu machen. Eine schnelle und unbürokratische Regelung zwischen dem Pflegebedürftigen und der Pflegekraft ist nicht möglich. Auch für die Pflegekraft ist die unmittelbare Gestaltung ihrer Arbeitsbedingungen schwierig. Sie muss sich ebenfalls erst an den Pflegedienst wenden, um eine Änderung der vertraglichen Grundlagen zu erreichen.

2. 24-Stunden-Pflege: Aus der Entsendung wird eine Arbeitnehmerüberlassung

Wie bereits ausgeführt setzt die Entsendung einer Pflegekraft durch einen im Ausland sitzenden Pflegedienst die Erfüllung eines zwischen dem Pflegebedürftigen und dem Pflegedienst geschlossenen Dienstvertrages voraus. Der dienstleistende Unternehmer muss die Dienstleistung in eigener Verantwortung ausführen, das heißt Zeit und Inhalt der Dienstleistung maßgeblich bestimmen. Weisungen durch den Pflegebedürftigen sind grundsätzlich ausgeschlossen. Eine nähere Betrachtung der tatsächlich erbrachten Leistung im Rahmen einer 24-Stunden-Pflege, in denen eine Pflegekraft ununterbrochen, Tag und Nacht im Haushalt des Pflegebedürftigen anwesend ist, ergibt ein anderes Bild: Die 24-Stunden-Pflege ist geprägt von einem Zusammenleben von Pflegebedürftigen und Pflegekraft. Die Pflegekraft ist gleichsam in die Arbeitsabläufe eines fremden Haushalts eingebunden. Die Arbeitsmittel werden nicht vom Pflegedienst, sondern vom Haushalt gestellt. Schon aufgrund der erheblichen räumlichen Distanz wird im alltäglichen Miteinander die Bestimmung der Arbeitsverhältnisse zwischen den Dienstvertragspartnern Pflegebedürftiger und Pflegedienst zur bloßen Theorie. Der Pflegebedürftige bestimmt den Inhalt der Tätigkeit, die Arbeitszeit und erlaubt eine urlaubsbedingte Abwesenheit der Pflegekraft.

a) Voraussetzungen einer Arbeitnehmerüberlassung

Erfolgen im pflegerischen Alltag aber umfassende Weisungen unmittelbar durch den Pflegebedürftigen gegenüber der Pflegekraft, sind die maßgeblichen Kriterien für eine Arbeitnehmerüberlassung erfüllt. Eine Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die in dessen Betrieb eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen. Im Gegensatz dazu organisiert ein Unternehmer zur Erfüllung seines Dienstvertrages die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienstvertrages eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Unternehmers und sind dessen Erfüllungsgehilfen [12]. Umgekehrt formuliert: Für das Vorliegen eines - echten - Dienstvertrages müssen die Erfüllungsgehilfen hinsichtlich der Ausführung der zu erbringenden Dienstleistungen im wesentlichen frei von Weisungen seitens der Arbeitgeberrepräsentanten des Drittbetriebes sein und ihre Arbeitszeit selbst bestimmen können [13]. Eine solche Annahme erscheint bei Aufnahme der Pflegekraft im Haushalt des Pflegebedürftigen lebensfremd. Hier geben die Umstände des Haushalts und die Wünsche der pflegebedürftigen Person vor, wann und in welcher Form Hilfeleistungen zu erbringen sind. Im Alltag ist die Arbeitsleistung der Pflegekraft an wechselnde Bedürfnisse des Pflegebedürftigen entsprechend seines jeweiligen Gesundheitszustandes und seiner Stimmungslage anzupassen. Dass die Pflegekraft maßgeblich den Weisungen eines im Ausland ansässigen Arbeitgebers unterliegt und bei ihrer Arbeitsleistung dessen betrieblichen Vorgaben unterliegt, ist bei der 24-Stunden-Pflege nicht vorstellbar. Einen Ausweg bietet auch nicht eine entsprechende vertragliche Regelung zwischen dem Pflegebedürftigen und dem ausländischen Pflegedienst. Für die rechtliche Einordnung des Vertrags zwischen dem Dritten und dem Arbeitgeber ist maßgeblich der tatsächliche Inhalt der Vertragserfüllung und nicht die von den Beteiligten gewünschte Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem tatsächlichen Geschäftsinhalt einer Arbeitnehmerüberlassung nicht entspricht [14].

b) Erlaubnispflicht und Rechtsfolgen der Arbeitnehmerüberlassung

Die gewerbsmäßige Überlassung eines Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung ist nach § 1 I 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) erlaubnispflichtig. Dies gilt auch für die Arbeitnehmerüberlassung durch ein ausländisches Unternehmen nach Deutschland [15]. Ein Verleiher mit Sitz in einem neuen EU-Mitgliedstaat kann zwar grundsätzlich eine Erlaubnis erhalten [16]. Von vornherein ausgeschlossen sind nur Verleiher aus Ländern außerhalb der EU nach § 3 II AÜG. Der Verleih von Staatsangehörigen der neuen EU-Mitgliedstaaten, für die die Arbeitnehmerfreizügigkeit noch nicht gilt, ist jedoch nicht zulässig. Ein Neuunionsbürger ist in diesen Fällen wie ein Drittstaatsangehöriger zu behandeln und kann keine Arbeitserlaubnis als Leiharbeitnehmer erhalten (§ 288 SGB III i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 2 Arbeitsgenehmigungsverordnung). Ab dem 1.5.2011 sind immerhin noch Pflegekräfte aus Rumänien und Bulgarien davon betroffen. Der  Pflegebedürftige als Entleiher kann aufgrund einer Ordnungswidrigkeit belangt werden. Es droht ein Bußgeld von bis zu 25 000 Euro, bei Fehlen einer erforderlichen  Arbeitsgenehmigung-EU [17] sogar bis zu 500 000 Euro [18].

Die Folgen treffen den Pflegebedürftigen auch hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge: Fehlt eine erforderliche Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung ist der Vertrag zwischen dem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam. Zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer gilt ein Arbeitsverhältnis als zustande gekommen (§ 10 I 1 AÜG). Damit hat der Pflegebedürftige als Arbeitgeber nun doch den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen [19]. Etwas anderes kann nur gelten, wenn die bereits erwähnte Entsendebescheinigung (E 101 bzw. A 1) vorliegt. Aufgrund der ihr zukommenden Bindungswirkung bleibt es bei der bestätigten Beitragsleistung im Herkunftsland. Die Entsendebescheinigung geht der Fiktion von Arbeitsverhältnissen nach dem AÜG vor.

3. Selbstständige Tätigkeit

Die auf den ersten Blick einfachste und von den Beteiligten als die kostengünstigste favorisierte Lösung ist ein Einsatz der Pflegekraft als selbstständig Tätige. Für Selbstständige gilt bereits - auch für die neuen EU-Beitrittsländer - die uneingeschränkte Dienstleistungsfreiheit in Deutschland. An den Start geht ein Selbstständiger mit wenig Vorarbeit: Es genügt die Wohnsitz- und Gewerbeanmeldung sowie eine Steuernummer.

Wer im Heimatland schon als selbstständige Pflegekraft gewöhnlich arbeitet, unterliegt, sofern die Tätigkeit in Deutschland die voraussichtliche Dauer von 24 Monaten nicht überschreitet, auch weiterhin den Rechtsvorschriften der Herkunftslandes nach Art. 12 II der VO (EG) Nr. 883/2004 und kann in Deutschland - auch nachträglich - nicht zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen werden. Geschützt wird die selbstständige  Pflegekraft genauso wie eine abhängig beschäftigte Person durch eine im Heimatland ausgestellte Entsendebescheinigung [20].

Liegt eine solche A 1-Bescheinigung nicht vor, droht die Nachforderung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages, sollte entgegen der Annahme der Beteiligten eine abhängige Beschäftigung der Pflegekraft vorliegen. Die Beiträge werden berechnet ausgehend von den an die Pflegekraft geleisteten Zahlungen als Nettoarbeitsentgelt, das unter Annahme der Lohnsteuerklasse VI zum Bruttoarbeitsentgelt hochgerechnet wird [21]. Die Sozialversicherungsbeiträge können nach § 25 I SGB IV noch bis zu vier Jahre später, bei vorsätzlichem Vorenthalten von Beiträgen sogar noch 30 Jahre lang nachgefordert werden.

IV. Die “Gretchenfrage”: Zur Abgrenzung einer abhängigen Beschäftigung von einer selbständigen Tätigkeit

Kommt es zur grundlegenden Klärung, ist Ansatzpunkt einer jeden Feststellung, ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt, die Vorschrift des §7 I 2 SGB IV. Danach gelten als die maßgeblichen Anhaltspunkte für ein Beschäftigungsverhältnis eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist eine selbstständige Arbeit im Gegensatz dazu gekennzeichnet durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und eine im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit. Entscheidend für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung oder einer selbstständigen Tätigkeit ist, welche Merkmale überwiegen. Es kommt auf das Gesamtbild der Arbeitsleistung an [22]. Dabei ist zunächst auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten geschlossenen Vertragsvereinbarungen abzustellen. Eine im Widerspruch dazu stehende tatsächliche Handhabung geht der formellen Bestimmung vor [23].

1. 24-Stunden-Pflege

Die Prüfung einer 24-Stunden-Pflegetätigkeit kommt schnell zu einem Ergebnis. Die Pflegekraft ist in den Haushalt des Pflegebedürftigen integriert, verwendet die Arbeitsmittel, die ihr dort zur Verfügung gestellt werden, und wird in ihrer Tätigkeit von den aktuellen Bedürfnissen des Pflegebedürftigen bestimmt. Die Pflegekraft wird von  dieser Arbeit in einem Umfang beansprucht, der ihr zeitlich keinerlei Raum für weitere Arbeitseinsätze belässt. Das Vorliegen einer abhängigen und damit in den einzelnen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung versicherungspflichtigen Tätigkeit ist offensichtlich.

2. Maßgebliche Kriterien

Schwieriger ist die Abgrenzung dagegen in den Fällen, in denen eine Pflegekraft für mehrere Pflegebedürftige, jeweils zu festgelegter Stunde tätig wird. Das Tätigwerden im Auftrag verschiedener Personen genügt für die Annahme einer Selbstständigkeit entgegen des ersten Anscheins nicht. Mehrere abhängige Beschäftigungsverhältnisse können auch nebeneinander bestehen. Hier sind weitere Umstände genauer zu untersuchen: Mit welchen Arbeitsmitteln arbeitet die Pflegekraft? Wer stellt Handschuhe, Desinfektionsmittel und Verbandsmaterial? Ist die Pflegekraft zur höchstpersönlichen Arbeitsleistung verpflichtet oder kann sie sich vertreten lassen? Wie ist die Regelung bei Krankheit und während des Urlaubs der Pflegekraft? Auf welcher Grundlage wird abgerechnet? Von wem erhält die Pflegekraft ihre Vergütung? Auf welche Weise erfolgt eine Abstimmung mit ggf. weiteren Pflegekräften? Hat die Pflegekraft zusätzliche Auftraggeber angeworben und zeigt sie unternehmerischen Geist durch weiteres Akquirieren? Ist die Pflegekraft vielleicht sogar dabei, einen eigenen Pflegedienst zu gründen und Arbeitnehmer einzustellen [24]? Die Feststellung, ob ein abhängiges sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis oder eine selbstständige Tätigkeit gegeben ist, ist letztlich eine Frage des Einzelfalles. An dieser Stelle nur soviel: Die Annahme einer Selbstständigkeit wird eher die Ausnahme als die Regel sein.

V. Ausblick

Die sozialrechtliche Bewertung der Tätigkeit von osteuropäischen Pflegekräften in deutschen Privathaushalten ist höchst komplex und die Fallstricke des deutschen Sozialrechts vielfältig. Wer die Hilfen einer solchen Pflegekraft in Anspruch nehmen möchte, ist gut beraten, sich im Zweifel juristischen Rechtsrat einzuholen. Auf der sicheren Seite und vor Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen geschützt ist, wer sich eine Entsendebescheinigung aus dem Herkunftsland vorlegen lassen kann. Unabhängig davon droht ein Bußgeld bei Beschäftigung eines ohne Erlaubnis überlassenen Leiharbeitnehmers.

Bei der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit einer Pflegekraft ist Vorsicht geboten. In  der Regel werden die Umstände eher für eine abhängige Beschäftigung sprechen. Die Erweiterung der Arbeitnehmer-Freizügigkeit zum 1.5.2011 bringt für Pflegekräfte aus den am 1.5.2004 zur Europäischen Union beigetretenen Ländern Polen, Tschechische Republik, Slowenien, Slowakische Republik, Ungarn, Estland, Lettland und Litauen zwar Erleichterungen.

Das Problem der Schwarzarbeit aber bleibt. Dies gilt umso mehr, wenn der Zustrom von solchen Pflegekräften noch zunehmen wird - bei unverändertem Wunsch nach einer kostengünstigen, von Sozialversicherungsbeiträgen freien Pflegeleistung.


Endnoten:

[1] Vgl. zu den Plänen der Bundesregierung, die bisherige umlagefinanzierte Pflegeversicherung um eine kapitalgedeckte Komponente zu ergänzen: "Gesundheitsminister Dr. Philipp  Rösler plant umfassende Reformen in der Pflege, Dr. Philipp Rösler im Gespräch mit Berthold Hamelmann und Christof Haverkamp, vom 23.10.2010, im Internet unter www.bundesgesundheitsministerium.de und die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Mattheis, Bas, Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, BTDrucks. 17/4362.
[2] Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes Deutschland, Nr. 429 vom 22.11.2010, im Internet unter www.destatis.de.
[3] Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V., Projektbericht "Situation und Bedarfe von Familien mit mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfen (moH), 2009, S. 84
[4] Vermittlungsagenturen im Test, www.test.de/themen/bildung-soziales/test/Pflege-zu-Hause-Vermittlungsag….
[5] Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Lanfermann, Bahr, Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, BTDrucks. 16/2104, S. 1.
[6] Weitere Merkmale der Schwarzarbeit, insbesondere die Verletzung von steuerlichen Pflichten (§ 1 II Nr. 2 SchwarzArbG), sollen an dieser Stelle nicht diskutiert werden.
[7] Bekannt wurde ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen einen Rechtsanwalt, der Pflegekräfte aus Ungarn ohne Arbeitserlaubnis-EU nach Deutschland vermittelt hatte. Wegen  der Beteiligung an der Beschäftigung von Ausländern entgegen § 284 I SGB III wurde gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 36800 Euro verhängt (vgl. Fuchs, Der Einsatz ausländischer Pflegekräfte in der Bundesrepublik Deutschland, Sozialrecht aktuell 2010, 143 [143, Urteil des Amtsgerichts München, 1115 OWi 298 Js 43 552/07).
[8] Seit Inkrafttreten der VO (EG) Nr. 883/2004 am 1. 5. 2010 wird eine A 1-Bescheinigung ausgestellt. Zuvor galt unter Anwendung der VO (EWG) Nr. 1408/71 das Formular E 101. Zu den Voraussetzungen einer Entsendebescheinigung A 1 vgl. auch Schüren/Wilde, Die neue Entsendebescheinigung A 1 und die Voraussetzungen ihrer Erteilung, NZS 2011, 121.
[9] Vgl. EuGH, Urt. v. 26. 1. 2006, "Herbosch Kiere, Rs. C-2/05.
[10] Vgl. zur Bindung der deutschen Organe der Strafrechtspflege bei Straftaten nach §266a StGB BGH, Urt. v. 24. 10. 2006, 1 StR 44/06.
[11] Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz) vom 20.4.2009, BGBl. I 2009, 799.
[12] Vgl. BAG, Urt. v. 13.8.2008, 7 AZR 269/07, Rz. 14 – zitiert nach juris.
[13] Vgl. BSG, Urt. v. 23.6.1982, 7 RAr 98/80, Rz. 20 – zitiert nach juris.
[14] Vgl. BAG, Urt. v. 10. 10. 2007, 7 AZR 487/06, Rz. 35 – zitiert nach juris.
[15] Vgl. BAG, Urt. v. 22. 3. 2000, 7 ABR 34/98.
[16] Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Geschäftsanweisung zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), Stand: November 2010, § 3 3.2 III (veröffentlicht im Internet unter www.arbeitsagentur.de).
[17] Das Erfordernis einer Arbeitsgenehmigung-EU nach § 284 I SGB III entfällt nicht bei einer grenzüberschreitenden gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 7.7.2010, L 1 AL 158/10 ER, Rz. 33 - zitiert nach juris). Die Dienstleistungsfreiheit wird hier durch die Einschränkungen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer überlagert (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, a. a. O., Rz. 36 - zitiert nach juris).
[18] § 16 I Nr. 1, 1 a und 2 i. V. m. § 16 II AÜG.
[19] § 28 e I 1 SGB IV.
[20] Siehe dazu bereits die entsprechenden Ausführungen bei abhängiger Beschäftigung unter III 1.
[21] LSG Rheinland-Pfalz, Urt. vom 29.7.2009, L 6 R 105/09, Rz. 30 ff. - zitiert nach juris, anhängig am BSG unter dem Az: B 12 R 18/09 R.
[22] Vgl. BSG, Urt. v. 28.5.2008, B 12 KR  13/07 R, Rz. 15 - zitiert nach juris.
[23] Vgl. BSG, Urt. v. 24.1.2007, B 12 KR 31/06 R, Rz. 17 - zitiert nach juris.
[24] Zur Abwägung zugunsten einer selbstständigen Pflegekraft vgl. Bayerisches LSG, Urt. v. 24.11.2009, L 5 R 867/08, LSG Nordrhein- Westfalen, Urt. v. 10.6.2009, L 16 R 53/08 und Urt. v. 9.9.2009, L 8 R 200/06, zu Pflegekräften in abhängiger Beschäftigung vgl. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 11.10.2006, L 5 KR 3378/05 und LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 18.6.2008, L 1 RA 257/05.


Hinweis: Dieser Artikel erschien zunächst in Neue Zeitschrift für Sozialrecht (NZS) 10/2011, 370ff.