Bei Lebensmitteln und Landwirtschaft kann Europa nur verlieren

Demonstration von campact im Juni 2013 gegen TTIP
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TTIP könnte die EU-Standards in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion aushebeln. Doch in Europa wie in den USA regt sich Wiederstand – wie die Demonstration von campact im Juni 2013 in Berlin zeigt

Der transatlantische Handel mit Waren und Dienstleistungen ist bereits weitgehend liberalisiert. Die TTIP-Gespräche sollen darüber hinaus noch vorhandene Einschränkungen wie Normen und Standards für den Lebensmittelhandel zu Verhandlungsthemen machen. In der Folge großer Lebensmittelskandale wie dem Rinderwahn (BSE) und Dioxinrückständen in Eiern, sowie angesichts des zunehmenden Widerstands der Verbraucher/innen gegen den Einsatz von Hormonen, Antibiotika oder gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in der industriellen Agrarproduktion, wurde das Vorsorgeprinzip zunehmend in der EU-Rechtsetzung verankert. Damit besteht zumindest in der EU weitgehend Konsens darüber, dass der Staat - und nicht allein der Markt-, eine Mindestqualität sowie Mindest-Sicherheitsnormen für Lebensmittel garantieren muss.

Die von internationalen Konzernen vorangetriebene Agenda des TTIP will die noch verbliebenen Handelsbeschränkungen liberalisieren, Regulierungen "hinter nationalen Grenzen" abschaffen und einen umfassenden Investitionsschutz durchsetzen. Damit steht diese Agenda im direkten Gegensatz zu zahlreichen Bewegungen der Zivilgesellschaft beiderseits des Atlantiks, die sich jenseits von Landwirtschafts- und Handelssubventionen für die Unterstützung lokaler Erzeuger/innen und gegen eine weitere Konzentration der Marktmacht im Bereich der globalen Lebensmittelketten engagieren.

Mehr und nicht weniger Qualitätskriterien sind in der Lebensmittelproduktion nötig

Im Grunde wären neue globale Qualitätskriterien für Lebensmittel, nachhaltige Landwirtschaft und die Lebensmittelkette zu begrüßen. Das Ziel müsste dabei sein, mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit im Nahrungsmittelsektor zu erreichen. Doch die Verfechter der TTIP-Verhandlungen haben genau das Gegenteil im Sinn: Sie wollen weitere Sektoren und Erzeugnisse unter den Einfluss und die Kontrolle der bereits dominanten Konzerne bringen, was ihnen eine zunehmende Vorrangstellung innerhalb des dominierenden industrialisierten Agrarsystems einbrächte.

Die Folge wäre vor allem eine hohe Anfälligkeit gegenüber den immer stärker schwankenden Input- und Lebensmittelpreisen. Kleine lokale Lebensmittelversorgungsstrukturen sowie dezentrale Verarbeitungs- und Vermarktungswege in den Händen der Bäuerinnen, Bauern und Verbraucher/innen können sich bislang der Kontrolle der grossen Lebensmittelkonzerne entziehen und begrenzen bisher deren Gewinnspannen. Wenn die Verbraucher- und Bauernbewegungen beiderseits des Atlantiks gestärkt werden sollen, kann es nur eine Anhebung der Ansprüche und Standards geben: eine klimafreundliche und nachhaltige Landwirtschaft als die Regel, nicht die Ausnahme; weniger Pestizide und weniger Konzentration in der Lebensmittelkette. Das Agrarmodell der USA ist industriell, das der EU ist es weitaus weniger.

Mehr Transparenz und Teilhabe

Bisher haben die Handelsgespräche nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden. Die Europäische Kommission und die US-Unterhändler behaupten, es werde keine Senkung der Qualitätsstandards in der Landwirtschaft und bei Lebensmitteln geben. Dann könnte man dieses Thema auch aus den Verhandlungen ausschließen. Dies geschieht aber nicht. Denn die Unterhändler verfolgen die Agenda der multinationalen Konzerne: die Marktliberalisierung, Intensivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft.

Allen Argumenten der Verfechter zum Trotz: Es geht auch anders! Die WTO veröffentlicht regelmäßig Verhandlungstexte auf ihrer Website. Während der Verhandlungen über die amerikanische Freihandelszone NAFTA haben die Regierungen in Nord- und Lateinamerika regelmäßig Beiträge veröffentlicht und die Zivilgesellschaft aufgefordert, ihre Standpunkte auf Ministertreffen und Gipfeltreffen der Staatschefs mitzuteilen.

Intransparenz als Tarnung für faule Deals

Diese Intransparenz ist deswegen gefährlich, weil alle Themen – vom Handel und Investitionen bis hin zur Regulierung zum Schutze der Umwelt und Gesundheit – als Gesamtpacket verhandelt werden. Für Vorschriften über die eingeschränkte Verwendung von GVO (gentechnisch veränderte Organismen) könnte es im Gegenzug Reformen für die Rohstoffmärkte geben, für den Marktzugang für Rindfleisch im Gegenzug Initiativen für lokal erzeugte Lebensmittel in Schulkantinen. Will man eine faire Lösung, so müsste jedes dieser strittigen Themen individuell für sich verhandelt und entschieden und nicht Gegenstand eines Kuhhandels werden, um ein Handelsabkommen als "Gesamtpaket" zu bekommen. Die Realität der gegenwärtigen Verhandlungen ist bekanntlich eine andere.

Lokale Lebensmittelsysteme stehen in den USA und in der EU auf dem Spiel

TTIP könnte beiderseits des Atlantiks zahlreiche Initiativen für die Förderung einer gesünderen und nachhaltigeren Lebensmittelproduktion in Frage stellen. Diese Projekte umfassen die gesamte Versorgungskette vom Hof bis zum Teller und immer öfter auch vom Hof bis in die Schule, ins Krankenhaus oder in andere öffentliche Einrichtungen. Diese Programme erkennen den Wert frischer und gesund produzierter Lebensmittel an, unterstützen direkte Bezugswege zwischen dem Landwirt und dem Verbraucher in der Stadt und fördern nachhaltige Lebensgrundlagen. Fortschritte nach diesem Muster werden im Rahmen neuer Regierungsprogramme sichtbar, etwa in den amerikanischen "Farm to School"-Programmen und vergleichbaren Initiativen in Italien, Dänemark und Österreich, wo die öffentliche Auftragsvergabe Anbieter bevorzugt, die lokal nachhaltig angebaute Lebensmittel liefern. So hat das Los Angeles Food Policy Council zum Beispiel die Beschaffung zu einem Schlüsselfaktor seiner Programme gemacht.

Während des vor kurzem abgeschlossenen GAP-Reformprozesses wurden ausführlich die EU-Schulobst- und Schulmilch -Programme erörtert. Sie wurden nicht mehr wie früher als Verwertung von Überschüssen verhandelt, sondern als Möglichkeit, die öffentliche Gesundheit zu verbessern. Bei der öffentlichen Auftragsvergabe können jetzt auch örtliche, saisonale Erzeuger und die Förderung der öffentlichen Gesundheit sowie Aufklärungsprogramme über gesunde Ernährung berücksichtigt werden.

Genau diese vernünftigen Ansätze werden von der Handelsagenda der Konzerne angegriffen. Denn im Bereich des öffentlichen Lebensmittel-Caterings ist eine Menge Geld zu verdienen.

Keine demokratischen Verhandlungen über eine nachhaltige Lebensmittelproduktion und Landwirtschaft

Leider besteht die Gefahr, dass diese Beispiele einer demokratischen Lebensmittelkultur im TTIP-Prozess keine Zukunft haben. Sowohl die USA als auch die EU haben "lokale Hindernisse für den Handel" kritisiert und Programme für eine "Kohärenz in Regulierungsfragen" vorgeschlagen, die das Vorsorgeprinzip in der EU angreifen und Lebensmittel-, Gesundheits- und Umweltnormen auf beiden Seiten des Atlantiks auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herunterkochen wollen.

Es gibt aber in der Zivilgesellschaft sowohl in Europa als auch in den USA Entwicklungen, die Mut machen. In Deutschland zum Beispiel haben einflussreiche Bürgerbewegungen in Hamburg und in Berlin für ein Referendum gesorgt und damit ihre Regierungen gezwungen, vormals privatisierte Versorgungsbetriebe zurückzukaufen und die Wasserwirtschaft und die Energieinfrastrukturen wieder unter die Verwaltung der öffentlichen Hand zu stellen. Städte wie Amsterdam, Kopenhagen, München und London fördern städtische Landwirtschaft und städtischen Obst- und Gemüseanbau auch mit der Perspektive des Krisenmanagements und einer Politik der sozialen Eingliederung. Connecticut und Maine in den USA haben per Gesetz die Kennzeichnung von GVO vorgeschrieben, Kampagnen für ähnliche Gesetze laufen in 20 US-Bundesstaaten. Dies ist Teil einer neuen Strategie der Zivilgesellschaft, das Recht der Verbraucher auf Informationen über die Inhaltsstoffe in ihren Lebensmitteln durchzusetzen.

Die Elemente einer transatlantischen Agenda der Zivilgesellschaft für fairen Handel und faire Investitionen liegen bereits auf dem Tisch. Dazu gehören: bessere Investitionen in die Entwicklung des ländlichen Raums und in ländliche Infrastrukturen; bessere Investitionen in Bildung und Kompetenzaufbau im Bereich der agro-ökologischen Forschung und in partizipative Lebensmittelsysteme; ländliche Arbeitsplätze durch dezentrale Lebensmittelverarbeitung und Systeme für erneuerbare Energien; Programme gegen Lebensmittel- und Energieverschwendung durch ein besseres Ressourcenmanagement; internationaler Austausch guter Praktiken, um die Menschen in ländlichen Regionen zu halten und die Wertschöpfung vor Ort zu verbessern. Die Handelsagenda sollte sich dieses Programm eines zukunftsfähigen Modells für das 21. Jahrhundert zu eigen machen, anstatt weiterhin auf eine gescheiterte Agenda zu setzen, die die Kontrolle der Konzerne über ein mangelhaftes Lebensmittelsystem fördert.

Zahlreiche Standards und Initiativen im Lebensmittelbereich weisen in die richtige Richtung. Eine TTIP könnte für sie den Garaus bedeuten.