"Mehr Wildheit in der grünen Erzählung"

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Hans Hütt

Was ist die grüne Erzählung? Diese Frage nach den originären und originellen Geschichten der Grünen, diskutierte die grüne Community am 04. Und 05. April in der Heinrich-Böll-Stiftung. Einer, der sich von Berufswegen tagtäglich mit politischer Sprache beschäftigt, ist Hans Hütt. Im Interview spricht der Autor und Rhetorik-Blogger über die Besonderheiten der politischen Erzählung – und plädiert für mehr Wildheit in der grünen Sprache.

 

Heinrich-Böll-Stiftung: Herr Hütt, was ist eine politische Erzählung und welche Funktion hat sie?

Hans Hütt: Wenn wir den Begriff der politischen Erzählung ernst nehmen, dann müssen wir zunächst über das erzählerische Format sprechen. Reden wir darüber, wo wir herkommen, darüber wo wir hingehen, oder darüber, dass wir auf der Stelle treten? Das heißt: Von wo starten wir, wo wollen wir hin?

An zweiter Stelle steht die bis zu den alten Griechen zurück reichende Frage nach dem Mythos als einem erzählerischen Grundmotiv. Erzählen wir etwas von der Utopie oder beschwören wir eine Dystopie? Und schließlich, das ist die Frage nach dem Format, mit welcher Haltung erzählen wir eine Geschichte? Es gibt den schönen lateinischen Ausdruck “tua res agitur“ – es geht um deine Sache. Dieses Partizipationsversprechen wirft die Frage auf, wie die Adressaten der Erzählung in der Erzählung der Politik selbst vorkommen und sich darin wiederfinden. Ohne diese Fragen zu beantworten, könnte man nur sehr abstrakt über konjunkturelle Vernarrtheit in Narratives sprechen.

Die politische Erzählung zeichnet sich also durch ein Partizipationsversprechen aus. Was unterscheidet sie vom politischen Marketing?

Politisches Marketing, nämlich mit kalkulierbaren Mitteln maximale Resultate zu erzielen, ist die übergeordnete Kategorie, in welcher die neuere Methode des Storytelling eine gewisse Rolle spielt. In welcher Konkurrenz diese Methode zu Großplakaten, TV-Spots und viralen Ideen steht, das ist noch nicht ausgemacht.

Nach meinem Eindruck werden wir spätestens im Wahlkampf 2017 einen erheblichen Anstieg von Investitionen im Bereich des Storytelling sehen. Offenbar gelingt es damit, unterschiedliche Zielgruppen sehr viel genauer anzusprechen und nicht nur das, sondern diese auch zu motivieren, ihre Stimme für diejenige Partei abzugeben, die glaubhaft erzählt. Natürlich kommt es dabei nicht zuletzt auch darauf an, was sie erzählt.

Wann ist eine politische Erzählung gelungen? Wo stößt sie an ihre Grenzen?

Wir haben im letzten Wahlkampf eine Erzählung der Grünen erlebt, die im Vergleich zu den anderen Parteien erstaunlich ehrlich war, man könnte auch noch weitergehen und sagen, erstaunlich unangenehm. Bei der Steuerfrage zum Beispiel hat die Partei Mut zu einer Haltung bewiesen, die dem Wähler nicht so richtig gefiel.

Gleichzeitig wurden die Grünen, nach anfänglich sehr viel höheren Prognosen ihres Stimmenanteils, auf der Zielgeraden von einer Geschichte überrascht, mit der sie nicht gerechnet hatten: eine Geschichte aus den Frühzeiten der Partei, als es um die Frage der Pädosexualität ging.

Man braucht keine Fantasie, um zu erkennen, dass das eine Negativkampagne war, die mit erstaunlicher Kraft die Methode des Storytelling gegen die Grünen gewandt hat. Sie haben sich vergleichsweise tapfer dagegen behauptet, aber die Erzählung der Steuererhöher-Partei mit einem falschen Verständnis für seltsame Kinderfreunde in ihrer Vergangenheit stand im Raum. Aus dieser Falle kamen sie nicht mehr heraus.

Bei der Frage nach den Elementen, die Geschichten erzählen können, komme ich auf den formalen Aspekt zurück, der den Grünen besonders gut zu Gesicht steht: Mit welcher Möglichkeit, sich persönlich zu engagieren, wendet sich die grüne Erzählung an Sympathisanten und Wähler?

Diese Frage kann nicht nur plakativ oder mit dem bloßen Imperativ, „Kommt, beteiligt euch!“, beantwortet werden. Um diesen Aspekt glaubhaft zu machen, müssen Geschichten auch Partizipationsangebote sichtbar machen: Bei der Urwahl von Spitzenkandidaten angefangen, über die programmatische Themensammlung, bis hin zu einer lokalen Agenda, gibt es eine fast endlose Bandbreite an Möglichkeiten, die veranschaulicht werden könnten. Es wäre gut, diesen Aspekt in den Aufbau der grünen Erzählung zu integrieren.

Sie haben bereits den Bundestagswahlkampf 2013 angesprochen. Seitdem ist die öffentliche Wahrnehmung der Grünen stark von dem Bild der „Verbotspartei“ geprägt. Was hat die Partei in ihrer Rhetorik, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Veggie-Day, falsch gemacht und was kann sie für die Zukunft daraus lernen?

Der Veggie-Day war ein Fehlschuss, aber ein kluger. Aus ernährungswissenschaftlicher Perspektive ist der Sinn des Ganzen ja unbestritten. Nur ist das in einer Fleischfresser-Kultur ein gefundenes Fressen für die politische Gegenseite, die sagt: „Ihr wieder, diese Verbotspartei! Ihr macht uns das Leben mies, ihr wisst alles besser!“ Das wäre nicht einmal dadurch zu entkräften gewesen, wenn Renate Künast in einen fetten Burger gebissen hätte, vielleicht sogar noch in einen koscheren – es hätte nichts daran geändert. Das Bild war draußen und nicht mehr einzufangen.

Die Erzählungen, die die Grünen in Umlauf bringen können, das müssen Erzählungen sein, die wie aus einer Art von Garn gestrickt sind, das man immer weiterspinnen kann. Sie dürfen aber der Gegenseite keine Chancen bieten, die Erzählung gegen die Grünen zu drehen. Das heißt, es ist eine Prozedur notwendig, die die Amerikaner in ihrem politischen Prozess als sogenanntes „Vetting“ bezeichnen, bei dem die Kandidaten überprüft werden: Gibt es eine nicht angemeldete Putzfrau aus der Dominikanischen Republik? Gibt es unerklärte Steuern, zweifelhafte Spenden, zweifelhafte Spender?

Auch Erzählungen kann man dieser Prüfung unterziehen, und zwar anders, als es bislang in den kleinen Strategierunden zwischen Wahlkampfführung, Agentur und weiteren Beratern abläuft: Man braucht Erzähler, die mit ihrer eigenen erzählerischen Fantasie vorführen können, wie man eine Story anfängt zu spinnen, sie weiterspinnt und in welche Fallen man möglicherweise tappen könnte.

Kommen wir vom „Wie“ der politischen Erzählung zu deren Inhalt. Was sind die originären und originellen politischen Geschichten, die die Grünen zu erzählen haben?

Wenn man die Anfänge der Grünen vor Augen hat und ihre Vernetzung mit außerparlamentarischen Bewegungen in Kontrast stellt zu der Vielzahl von Kompetenzen, über die sie heute verfügen – von Verteidigung, über Energiepolitik, bis hin zu Verkehrspolitik – dann ist die Expertifizierung der Partei so weit gediehen, dass der Rock’n’Roll, mit dem Joschka Fischer sich selbst einst beschrieb, verloren gegangen ist.

Es stellt sich die Frage, wie die Grünen wieder stärker in eine Tonalität zurück finden, die den Geist ihres Aufbruchs trägt – die von einer politischen Wildheit gekennzeichnet ist und gleichzeitig sympathisch wirkt. Die Partei ist zu sehr im Status Quo der erreichten Erfolge gefangen, als dass diese Wildheit noch zum Ausdruck kommt.

Wenn Sie die jetzigen Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter mit Renate Künast oder Jürgen Trittin vergleichen, dann ist das auch ein Problem der rhetorischen Performanz: Da ist die Sprache glatt geschliffen, schon technokratisch – an einem Punkt angekommen, wo sie nur noch sehr wenig aussagt. Da ist das Ziel hinter dieser Art der Sprache mit Händen zu greifen: Man will nicht mehr greifbar sein. Doch ohne eine gewisse Rauheit und Schutzlosigkeit, die die Grünen wieder in Kampflust und zu den Motiven ihrer Anfänge in der außerparlamentarischen Bewegung zurück bringt, kommt die Partei aus dem Ghetto der erreichten Stimmzahl nicht mehr heraus.

Zum Abschluss: Am 25. Mai stehen die Europawahlen an. Wenn Sie den Grünen zwei Tipps für Ihre Rhetorik im Wahlkampf geben könnten, welche wären dies?

Ich sehe es bei der Europawahl als zwingend an, noch stärker auf Distanz gegenüber der vorherigen schwarz-gelben und von schwarz-rot fortgesetzten Euro-Politik zu gehen. Zweiter Tipp: Der „Contrat Social“, also der Gesellschaftsvertrag, bedarf in Europa einer neuen Begründung – einer neuen, tiefen, anschaulichen Dramatik. Wenn es mit Rebecca Harms und gemeinsam mit den anderen europäischen Grünen gelänge, die Notwendigkeit und die Grundzüge eines neuen europäischen Gesellschaftsvertrags sichtbar zu machen, dann wären die Grünen auf einem guten Weg.