Griechenland: Ein Jahrzehnt Widerstand gegen Reformen fordert seinen Preis

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Athen, 22. Mai 2013

Nach Verhandlungen, die fast sieben Monate in Anspruch nahmen, schloss die Troika ihre Prüfungen in Athen ab. Dadurch wurde der Weg frei, um dem Land eine weitere Tranche der Hilfsmittel auszuzahlen – Mittel, die dringend benötigt werden, um den Finanzbedarf für Mai 2014 (ca. 9 Milliarden Euro) zu decken. Was die Reformen angeht, sind noch viele Wünsche offen – auch solche, auf deren Erfüllung die Troika im Vorfeld des Abkommens besonders gedrängt hatte. Offensichtlich ist jedoch: Griechenlands EU-Partner sind willens, die griechische Regierung bei der Umsetzung zu unterstützen.

Nach Abschluss ihrer Prüfungen erklärten EU-Kommission, EZB und IWF: "Wir als Prüfer und die griechischen Behörden teilen die Einschätzung, dass sich Griechenlands Wirtschaft stabilisiert und nach und nach wieder wachsen wird – entsprechend unserer ursprünglichen Prognosen. Das Preisniveau befindet sich in einem Prozess der Anpassung und die Inflationsrate bewegt sich deutlich unterhalb des Durchschnitts der Eurozone. Haushälterisch werden die Zielmarken voraussichtlich erreicht. Vorläufige Schätzungen legen nahe, dass das Ziel, 2013 den Haushalt auszugleichen, mehr als erreicht wurde. Zwar wird der erwirtschaftete Überschuss dem Haushalt 2014 nur in geringem Maße zugutekommen, dennoch gehen wir davon aus, dass auch für das Haushaltsjahr 2014, die gesteckten Ziele erreicht werden."

Im gesamten Text der zitierten Erklärung finden sich Sätze, die belegen, dass sich ein Großteil der vereinbarten Maßnahmen noch im Umsetzungs- wenn nicht sogar erst im Planungsstadium befinde. Dennoch wird die griechische Regierung nicht müde zu behaupten, "das Unmögliche geschafft" und durch "schmerzliche Reformen" einen Überschuss von 3 Milliarden Euro erzielt zu haben – und dies obgleich das Land seit Beginn der von der Troika geforderten Reformen 25 Prozent seines BIPs eingebüßt hat.

Während der Wahlkampf zu den Europawahlen in die heiße Phase tritt, wird deutlich, dass sich die internationalen Geldgeber von der Spar- und Reformpolitik verabschiedet haben. Angesichts des Einnahmeüberschusses der griechischen Regierung warfen sie alle Zweifel über Bord. Griechische Offizielle bejubeln entsprechend ihren "Sieg", verteilen erneut munter Geld und haben sich von einem erst noch abzuschließenden "Memorandum of Understanding" (MoU) verabschiedet.

Dabei sind eine Reihe entscheidender Fragen nach wie vor ungeklärt:

  • Sind die beiden Seiten sich wirklich darüber einig, was mit den "erforderlichen Reformen" gemeint ist?
  • Achtet die EU heute weniger darauf, dass Haushaltsziele um jeden Preis erreicht werden? Zielt sie stattdessen verstärkt auf Strukturreformen?
  • Hat Griechenland, nach zwei MoUs und hunderten schwierigen Reformen Fortschritte im Sinne einer "guten Regierungsführung" (good governance) gemacht?
  • Ist ein Ende der Kontrollen durch die EU und des Drucks, Reformen umzusetzen, in Sicht?

Im Folgenden will ich versuchen, auf unterschiedliche Aspekte dieser Fragen einzugehen.

Was fordert die EU?

Die Anfänge des dramatischen Haushaltsdefizits Griechenlands reichen zurück bis mindestens 2004, als die EU-Kommission ein Verfahren gegen Griechenland einleitete, da die Haushaltspolitik des Landes außer Kontrolle geraten sei und Ausgaben laufend stiegen – unter anderem bedingt durch die Ausrichtung der Olympischen Spiele. Der griechischen Regierung warf die Kommission vor, ihren Empfehlungen nicht gefolgt zu sein, und forderte, den Stabilitäts- und Wachstumspakt umgehend umzusetzen.

Das heißt, bereits 2004 forderte die EU von Griechenland strukturelle Anpassungen, um das Haushaltsdefizit und die Verschuldung abzubauen.

Im April 2009 stellte die Kommission zu wiederholten Male fest, die griechische Regierung folge ihren Empfehlungen nur sehr ungenügend. Als sich dann Ende 2009 Griechenlands Haushaltsdefizit schlagartig verdoppelte, forderte die EU Griechenland dazu auf, den Haushalt 2009 durch "dauerhafte Maßnahmen, in erster Linie auf der Ausgabenseite" zu sanieren.

Als sich 2010 die Lage weiter verschärfte, konkretisierte die Kommission diese Forderungen und verlangte: "Dem dramatischen Haushaltsdefizit muss durch eine Reihe von Ausgabenkürzungen entgegengewirkt werden, speziell durch Verringerung der Personalkosten, der sozialen Transferleistungen und durch Personalabbau im Öffentlichen Dienst. Gleichzeitig müssen die Einnahmen erhöht werden und zwar durch eine Steuerreform, höhere Verbrauchssteuern sowie durch eine verbesserte Haushaltsführung."

Die Troika wies die griechischen Behörden auf eine Reihe von bislang ungenutzten Einnahmequellen hin wie beispielsweise eine Grundsteuer. Im September 2011 erklärte der Leiter der EU-Gesandtschaft Matthias Mors, in Griechenland seien "Arbeit zu hoch, Kapital und Immobilien viel zu niedrig besteuert".

Nach und nach gelang es Griechenland in der Folge, die Forderungen der Geldgeber umzusetzen. Der Troika jedoch gingen diese Reformen nicht weit genug. Vor allem beharrte die EU auf grundlegenden strukturellen Reformen, hatte die griechische Regierung doch versucht, diese nur sehr eingeschränkt umzusetzen und Löcher im Haushalt auf anderem Wege kurzfristig zu stopfen. Immer deutlicher wurde so, dass nachhaltige strukturelle Reformen unabdingbar waren.

Griechenland und die Frage der "guten Regierungsführung"

Im Fortschrittsbericht der Troika vom Dezember 2010 heißt es: "Zwar ist die Umsetzung der Programme insgesamt solide, wird jedoch zunehmend schwieriger. Nach einem sehr guten Auftakt, als große Fortschritte bei Konsolidierung des Haushalts und strukturellen Reformen zu verzeichnen waren – speziell in den Bereichen Renten und Arbeitsmarkt – ist der Reformeifer seit dem Sommer merklich erlahmt. Dazu beigetragen hat eine Reihe von Gründen, u.a. die Wahlzyklen, der Widerstand wichtiger Interessengruppen sowie institutionelle Schwächen." Seitdem hat sich wenig getan, und im Fortschrittsbericht vom Juli 2013 finden sich erneut sehr ähnliche Formulierungen.

Es ist wohlbekannt, dass es in der griechischen Gesellschaft starken Widerstand gegen die sogenannten Reformen gibt. Die Arbeitslosigkeit ist dramatisch gestiegen, Armut und Ungleichheit haben sich verschärft, das Bildungs- und Gesundheitssystem sind in der Krise – während gleichzeitig zu wenig gegen Steuerhinterziehung vorgegangen wird und die Verwaltung nach wie vor ineffizient arbeitet. Alles in allem kann zusammengefasst werden: Nur ein Teil der Bevölkerung trägt die Folgen der Krise und die Reformen haben keine Fortschritte gebracht.

Auch griechische Offizielle sprechen mittlerweile vermehrt von "strukturellen Reformen" statt von Sparpolitik, um so die eigene Bevölkerung zu beschwichtigen und ihr zu vermitteln, das Ziel sei in erster Linie eine gute Regierungsführung. Gerade in dieser Hinsicht hat sich die Lage in Griechenland jedoch durch die Reformen eher verschlechtert als verbessert.

Eben das belegt ein Bericht der OECD mit dem Title "Society at a Glance". Er belegt, dass Griechenland vor Beginn der Krise fast 30 Prozent seines Haushalts für soziale Transferleistungen verwendete, die zu einem Großteil auch noch an vergleichsweise wohlhabende Haushalte flossen. Statt hier aber gegenzusteuern, wurden seit 2007/2008 die Sozial- und Gesundheitsleistungen inflationsbereinigt um 18 Prozent zurückgefahren, während sie im gleichen Zeitraum in den OECD-Staaten um durchschnittlich 14 Prozent stiegen.

Einem anderen OECD-Bericht, "Government at a Glance", zufolge nahm das Vertrauen, dass die griechischen Regierung bei der eigenen Bevölkerung genießt, in den Jahren zwischen 2007 und 2012 von 38 auf 13 Prozent ab. Und obgleich Griechenland laut diesem Bericht zu den OECD-Ländern mit den wenigsten Beschäftigten im Öffentlichen Dienst gehört (mit unter 8 Prozent der Erwerbstätigen), zielten die meisten der "erforderlichen strukturellen Reformen" darauf ab, Stellen im Öffentlichen Dienst abzubauen.

Wir erleben heute wie einerseits die internationalen Geldgeber weiterhin strukturelle Reformen fordern, während andererseits die griechische Regierung alles versucht, den Begriff "strukturelle Reformen" so auszulegen, dass die leidgeprüfte Bevölkerung beschwichtigt wird und die Europawahlen in ihrem Sinne verlaufen.

Mitte März 2014 beschloss die EU, eine Großzahl der Reformprojekte bis nach den Europawahlen auf Eis zu legen – um so der griechischen Regierung den Rücken zu stärken. Zu diesen Projekten gehören Arbeitsmarktreformen wie die Liberalisierung des Kündigungsrechts, der Stellenabbau im Öffentlichen Dienst, die Abschaffung einiger sinnloser Steuern sowie marktwirtschaftliche Reformen in den Bereichen Lebensmittelverarbeitung, Bauwirtschaft, Tourismus und im Einzelhandel.

Das dritte Hilfspaket

Obgleich Griechenlands Geldgeber diese Probleme verstehen, begrüßen sie dieses Vorgehen nicht ohne Weiteres. Das ist der Grund, warum die Höhe der nächsten Tranche und die Art der Auszahlung immer noch nicht bekannt sind. Anzunehmen ist, dass Griechenland nur einen Teil der zugesagten Mittel in Höhe von 10,1 Milliarden Euro erhalten wird. Im Juni 2014, so wird vermutet, wird die Troika dann nach Athen zurückkehren und den Stand der Reformen erneut prüfen. Erst danach werden wahrscheinlich, je nach Stand der Umsetzung, weitere Tranchen ausgezahlt werden.

Wie es aussieht, wird Griechenland ein drittes Hilfspaket benötigen – und das, obgleich die griechische Regierung ihre Reformerfolge und den Haushaltsüberschuss feiert. Quellen innerhalb der EU zufolge wird das neue "Memorandum of Understanding" voraussichtlich nach Ablauf des aktuellen Memorandums im Herbst in Kraft treten. Es wird ein Volumen von etwa 15 Milliarden Euro haben und Griechenlands Haushaltslücke bis 2016 stopfen. Wenig überraschend ist hier, dass in dem neuen Memorandum stehen wird, dass die von der EU lang erwarteten und von der griechischen Regierung lange verschleppten strukturellen Reformen umfassend und entschieden umgesetzt werden müssen.

Abschließend lässt sich sagen, dass Griechenlands Partner weiterhin auf die Umsetzung eines großen Pakets neoliberaler Maßnahmen bestehen – oder, wie sie es nennen, auf "strukturelle Reformen". Griechenlands überholtes, veraltetes Regierungssystem sträubt sich gegen einen solchen Wandel und versucht, wo es nur kann, Haushaltslöcher durch Umverteilung zu stopfen, und so vorübergehend die geforderten Ziele zu erreichen. Diese Maßnahmen, von denen behauptet wird, es handle sich um Strukturreformen oder um die Konsolidierung des Haushaltes, haben weder mit dem einen, noch mit dem anderen etwas zu tun – und gleichermaßen wenig mit einer guten Regierungsführung. Denn für eine wirklich gute Regierungsführung braucht es zuallererst eine moderne, gut organisierte Verwaltung, eine Verwaltung, welche die Bürgerinnen und Bürger in den Mittelpunkt stellt.