Die Europawahlen – und wie man sie jenseits des Atlantiks sieht

Stimmzettel für die Wahl des  Europäischen Parlaments

Oft ist zu hören, US-Amerikaner interessierten sich allzu wenig für die EU. Das stimmt nur bedingt. Zwar ist das öffentliche Interesse an den Europawahlen tatsächlich gering, jedoch ist das vor dem Hintergrund einer sehr viel breiteren außenpolitischen Apathie zu bewerten. Es gibt kaum Wahlen im Ausland, über die in den USA ausführlich berichtet wird. In den vergangenen zwei Monaten wurde beispielsweise in Afghanistan und im Irak gewählt – beides Länder, in denen sich die USA im vergangenen Jahrzehnt unter hohen Kosten militärisch engagiert haben. Kleinere, politisch interessierte Kreise hatten viel getan, um diese entscheidenden Wahlen in den USA zum Thema zu machen. Der Erfolg fiel jedoch bescheiden aus.[1]

Selbstverständlich haben wir Europäer nur wenig Anlass, uns über das Desinteresse der Amerikaner an den anstehenden Europawahlen zu mokieren, ist doch seit der letzen Wahl 2009 das Interesse bei den EU-Bürgerinnen und Bürger selbst stark zurückgegangen. Wer will da den Amerikanern vorwerfen, sie interessierten sich zu wenig für die Europawahlen?[2]

Gleichwohl sind jene politischen Kreise in Washington, die sich mit Europapolitik beschäftigen, nicht so unbedeutend, wie es aus europäischer Sicht scheinen mag. Zwar sind der institutionelle Zuschnitt der EU, die Wahlen oder Änderungen der Verträge in den politischen Zirkeln der US-Hauptstadt tatsächlich kein Dauerbrenner. Sehr wohl aber werden die EU und ihr Parlament in konkreten politischen Fragen als wichtige Akteure wahrgenommen. Das gilt beispielsweise für das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP), die Folgen der NSA-Affäre und die aktuelle Krise in der Ukraine.

Da sich in Washington das Gespräch stets von einer außenpolitischen Krise zur nächsten bewegt, lässt sich das bescheidene Interesse an der EU als Zeichen der Stabilität begreifen- gemäß dem Motto: "Keine Neuigkeiten sind gute Neuigkeiten." Ein gutes Beispiel hierfür ist der sich abzeichnende Stimmengewinn für nationalistische und rechte Parteien, die in den letzten Wochen die amerikanischen Berichterstattung über die Europawahlen dominiert hat.

Insgesamt ist die Einstellung in den USA zur EU und ihren Institutionen viel widersprüchlicher als oft dargestellt. Ob man das Europaparlament als politischen Partner, als Bremser oder als Gremium wahrnimmt, das nichts als Luftblasen produziert, hängt wesentlich von zwei Umständen ab: Zum einen von der politischen Zugehörigkeit des Betrachters– Demokraten haben in der Regel eine positivere Sicht auf die EU und ihre Institutionen; zum anderen vom spezifischen Thema. Bedenkt man die Zuständigkeiten des Parlaments, überrascht es kaum, dass man das Europaparlament in den USA eher in Sachen Wirtschafts- und Handelspolitik ernst nimmt, als im Bereich der Außenpolitik.

Nun ist jedoch aktuell die Außenpolitik das Thema, das die Diskussion in Washington über die EU dominiert. Als Victoria Nuland, Staatssekretärin im US-Außenministerium, unlängst ein "Fuck the EU" herausrutschte, machte die Meldung über soziale Netzwerke rasch die Runde. Die meisten Politprofis und Publizisten verurteilen die Äußerung öffentlich oder hinter vorgehaltener Hand als kontraproduktiv. Nulands Tirade stieß in den außenpolitischen Kreisen Washingtons aber auch auf Widerhall, da man dort vom geostraegischen Auftreten der EU weitgehend enttäuscht ist. Zwar räumt man ein, Nuland sei mit ihrer Kritik zu weit gegangen. Ihren Missmut über die schwerfällige Außenpolitik der EU teilen in Washington jedoch viele.

Der vielschichtige Prozess, der notwendig ist, um innerhalb der EU einvernehmliche Entscheidungen zu treffen, wird als zu schwerfällig und unentschlossen wahrgenommen. In den letzten Wochen sah man in der EU einen "passiven Beobachter", der "kaum etwas tat, um Russland wegen der Krise in der Ukraine unter Druck zu setzen". Die von der EU angedrohten Sanktionen waren für Senator John McCain "fast ein Witz" (wobei seine Haltung in der Ukraine-Krise nicht unbedingt repräsentativ ist für die Stimmung im Senat).

Kritik an der Außenpolitik der EU beschränkt sich jedoch nicht auf die vermeintlich zu langsame und zögerliche Reaktion auf Putins Invasion der Ukraine. Schon seit Jahren drängen die USA die EU dazu, ihre Organe auszubauen, um für internationale Krisen besser gewappnet zu sein. Zwar war der Vertrag von Lissabon ein Schritt in diese Richtung, dennoch gilt in Washington die Außenpolitik der EU nach wie vor als gespalten und unentschlossen. Die drängende Frage, wie man in Zukunft die Lastenteilung im Bereich der internationalen Sicherheit gerechter verteilen kann, wird dabei nicht nur an Deutschland gestellt. Sie betrifft die EU als Ganzes.

Aufschlussreich ist, dass Obamas erster Staatsbesuch in Brüssel erst im März 2014 stattfand. Die Krise in der Ukraine hat Europa quasi über Nacht wieder auf einen Spitzenplatz auf Obamas außenpolitische Agenda katapultiert. Die Ankündigung Obamas, schon in einigen Wochen wieder nach Brüssel zu kommen, liefert die entsprechende Symbolik.

Die Amerikanerinnen und Amerikaner mögen sich im Großen und Ganzen zwar wenig für die Europawahlen interessieren. Daraus jedoch auf ein allgemeines amerikanisches Desinteresse an der Europäischen Union und ihrem Parlament zu schließen, wäre verkehrt.

Referenzen

[1] Siehe z.B. Chuck Todd, Mark Murray und Carrie Dann über die Wahlen in Afghanistan oder Barbara Slavin über dei Wahlen im Irak.

[2] "…eine Umfragte des Pew Research Center geht davon aus, dass die Wahlbeteiligung weiter fällt. Vor fünf Jahren lag sie bei knapp über 40 Prozent, ein Vierteljahrhundert zuvor waren es noch über 60 Prozent gewesen". Quelle: New York Times.