Fluchthilfe ist kein Menschenhandel

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Ein Boot mit Geflüchteten vor der Insel Lampedusa

Nur mit Hilfe von Schleppern kommen Menschen, die Asyl beantragen wollen, noch in die EU – dafür hat das Europäische Grenzregime selber gesorgt. Gleichwohl bestraft es Fluchthelfer immer härter und treibt so viele Menschen in den Tod.

Im Gerichtssaal von Mytilini auf der griechischen Insel Lesbos, 13. Oktober 2014, 9 Uhr. Der Angeklagte: Ahmad, ein minderjähriger Flüchtling aus Aleppo in Syrien. Im Mai dieses Jahres kam er mit 22 Menschen auf einem Boot von der türkischen Küste. Der Vorwurf: Menschenhandel. Fünf Monate hat er im Avlona-Gefängnis für Minderjährige in Athen auf den Prozess gewartet. Prozessbeobachter der Initiative "Welcome to Europe" sehen, wie Ahmad in Handschellen gefesselt ins Gerichtsgebäude geführt wird. Küstenwächter sagen aus: Als sie sich dem Boot näherten, habe Ahmad telefoniert, Papiere zerrissen und ins Wasser geworfen. Dabei müsse es sich um Anweisungen seiner Hintermänner gehandelt haben, mit denen er offensichtlich gerade gesprochen habe. Weitere belastende Indizien gibt es nicht. Ahmad sagt aus, er habe seine Mutter angerufen. Nach 20 Minuten verkündet das Gericht das Urteil: sieben Jahre Haft.

Die Strafen für Schlepperei wurden in den vergangenen Jahren empfindlich erhöht. In den Nachbarländern Europas, im Nahen Osten oder Nordafrika hat die EU für entsprechende Strafrechtsreformen oder Justizpraxen gesorgt, im Innern haben die Mitgliedsstaaten Ähnliches getan. In Griechenland müssen Fluchthelfer mit langen Gefängnisstrafen rechnen: 15 Jahre für die erste Person, zwei weitere Jahre für jede weitere Person. Höchststrafe: 25 Jahre. Von je zehn Jahren Haft müssen in der Regel vier abgesessen werden. Minderjährige werden etwas milder bestraft. In Italien hatten die Postfaschisten 2002 das sogenannte Bossi-Fini-Gesetz durchgesetzt. Seither drohen nicht nur Flüchtlingen Bußgelder von bis zu 5.000 Euro für die illegale Einreise. Jene, die sie nach Italien bringen, können zu hohen Strafen verurteilt werden. Allein seit Mitte Juni 2014 finden sich in italienischen Zeitungen Berichte über die Festnahme von insgesamt 260 Fluchthelfern. Und das betrifft keineswegs nur "Professionelle".

Seenot ist programmiert

Einer der bekanntesten kriminalisierten Helfer ist der tunesische Fischer Abdelbasset Zenzeri. Am 8. August 2007 war eine Gruppe von Fischern um Zenzeri auf ein Schlauchboot mit 44 afrikanischen Flüchtlingen gestoßen. Das Boot trieb bei schwerer See manövrierunfähig in maltesischen Hoheitsgewässern. Zenzeri brachte sie in den nächstgelegenen Hafen auf Sizilien und in Sicherheit. Er wurde angeklagt, sein Boot beschlagnahmt. Zweieinhalb Jahre sollte er ins Gefängnis, wurde nach einem zermürbenden Kampf schließlich freigesprochen. All das sprach sich herum – und hatte Folgen. Die Schlepper reagierten auf die intensivierte staatliche Verfolgung, immer seltener lassen sie Kapitäne mitfahren. Flüchtlinge bekommen heute oft nur noch ein Boot, das sie selbst steuern müssen. Seenot ist so programmiert. Das dürfte einen erheblichen Teil der tödlichen Unglücke der vergangenen Jahre mitverursacht haben.

Die andere, nicht minder tödliche Konsequenz besteht in unterlassener Hilfeleistung durch andere Schiffe aus Angst vor Strafverfolgung. Am 8. Oktober 2013 sank ein Schiff mit syrischen Flüchtlingen südlich von Lampedusa. Die italienische Marine hatte nichts unternommen, um die Flüchtlinge zu retten, weil formal das weiter entfernt liegende Malta zuständig war. Alle Schiffe in der Region waren um Hilfe  gebeten und über die Koordinaten informiert worden. Mehrere Frachtschiffe, darunter auch die "Stadt Bremerhaven", fuhren nahe vorbei, halfen aber nicht. Auch die Küstenwache von Malta bewegte sich erst, als es für jede Hilfe zu spät war. Als sie schließlich am Unglücksort eintraf, waren die Menschen tot.

Ein notgedrungen mafiöses Geschäft

Als im Juni 2000 58 Chinesinnen und Chinesen in einem luftdichten Container zwischen dem belgischen Zeebrügge und dem englischen Dover erstickten, schlug die damalige grüne EU-Abgeordnete Ilka Schröder vor, Schlepper mit EU-Geld zu subventionieren, weil nur so das Asylrecht überhaupt noch in Anspruch genommen werden kann. Sie blieb nicht lange im Amt.

Immer dann, wenn die Medien über ertrunkene Flüchtlinge berichten, ist für die Öffentlichkeit klar, wer an ihrem Tod schuld ist:  "skrupellose Schlepper". Anfang November hat die Bundesregierung die Strategie gegen irreguläre Migration aus Nordafrika erklärt. Schleusung wird in dem Papier neben Terrorismus und Rauschgifthandel unter "kriminelle Aktivitäten" geführt. Schlepper werden der "organisierten Kriminalität" zugerechnet und in einem Atemzug mit Terrorist/innen genannt, wenn es um die Verschärfung von Gesetzen geht. Wer die Beachtung von Menschenrechten an Europas Grenzen fordert, dem wird heute entgegengehalten, dass Migration und Menschenhandel ein und dasselbe sei. Sicher: Unter den Schleppern gibt es viele, die sich wenig für das Leben der Flüchtlinge interessieren, aber umso mehr für deren Geld. Viele betreiben oft ein notgedrungen mafiöses Geschäft: illegalisiert, riskant, organisatorisch aufwändig.

Doch Fluchthilfe ist eben kein Menschenhandel. Es sind nicht die Schlepper, die die Menschen dazu bringen, sich auf den Weg zu machen. Nur mit ihrer Hilfe kommt man als Flüchtling noch in die EU, um dort Asyl beantragen zu können – auf abseitigen Routen, mit falschen oder fremden Papieren. Dort, wo es keine Fluchthelfer/innen gibt, bleiben die Menschen nicht etwa da, wo sie sind. Stattdessen beschaffen sie sich die Boote selbst. Das kann billiger sein, verbessert die Sicherheit der Flüchtlinge aber sicher nicht. Deshalb tragen auch jene, die die Schlepper bekämpfen, zum Sterben der Menschen bei.

 

Dieser Text erschien in Böll.Thema 3/2014: "Niemand flieht ohne Grund".