Rechtsradikale Einzeltäter

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Das Mahnmal des Bildhauers Friedrich Koller zur Erinnerung an die Opfer des Oktoberfest-Attentats 1980

Das Oktoberfest-Attentat wird nach 34 Jahren neu aufgerollt. Jochen Schimmang über die lange Tradition von Einzeltäter-Thesen in Deutschland.

Vor kurzem ging die Meldung durch die Medien, dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen im sogenannten Oktoberfestattentat vom 26. September 1980 wieder aufgenommen bzw. das Bayrische Landeskriminalamt damit beauftragt hat. Das ist zunächst einfach nur eine gute Nachricht, hat aber einen sehr bitteren Beigeschmack, weil nach über 34 Jahren und einer unglaublichen Kette von Ermittlungsfehlern, Vertuschungen, Nichtbeachtung von Zeugenaussagen und späterer Vernichtung von Beweismitteln keine allzu aussagekräftigten Ergebnisse zu erwarten sind.

Zur Erinnerung: Bei dem Anschlag am Haupteingang des Münchner Oktoberfestes mit einer selbstgebauten Rohrbombe wurden 13 Menschen getötet und über 200 verletzt. Ums Leben kam auch der Bombenleger selbst, Gundolf Köhler, 21 Jahre alt. Man erinnert sich vielleicht auch, dass der damalige bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, Kanzlerkandidat der CDU/CSU im Bundestagswahlkampf 1980, in dem Anschlag sofort einen linksradikalen Terrorakt witterte und der sozialliberalen Bundesregierung, ihrem Innenminister Gerhart Baum an erster Stelle, wieder einmal Verharmlosung linker Gewalt vorwarf.

Die These vom Einzeltäter

Als man diese Version nicht aufrechterhalten konnte, da Köhler Sympathisant der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann gewesen war, schaltete zumindest die bayrische Politik sehr schnell auf die These vom Einzeltäter um, was die Ermittlungen des Landeskriminalamts in die entsprechende Richtung lenkte. Was in den vielen Jahren danach folgte, liest sich wie ein sehr schlechter Politthriller – und ist es auch. Zwar zog sehr bald der Generalbundesanwalt Rebmann die Ermittlungen an sich, durchaus auch wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung, kam aber ein knappes Jahr später auch zu dem Schluss, Köhler sei ein Einzeltäter gewesen. Alle damaligen oder späteren Hinweise darauf, dass Köhler die Bombe offenbar nicht selbst gebaut hatte, dass er kurz vor dem Attentat noch im Streit mit zwei anderen Männern gesehen wurde, dass er fest in einem rechtsextremen Milieu verankert war, wurden negiert. Im Jahr 1984 wurde der Antrag auf Wiederaufnahme der Ermittlungen abgelehnt. Bemühungen aus dem Jahr 2005, zum 25. Jahrestag des Attentats, die in die gleiche Richtung zielten, fanden ebenfalls keine Mehrheit.

Zu diesem Zeitpunkt waren allerdings schon wertvolle Asservate „routinemäßig“ vernichtet worden, etwa die abgerissene Hand, die man am Tatort gefunden hatte und die weder dem Attentäter noch einem der Toten oder Verletzten zuzuordnen war. Oder die 47 Zigarettenkippen verschiedener Marken in den Aschenbechern im Auto des Einzeltäters Köhler.

Dass nach 34 Jahren die Ermittlungen überhaupt wieder aufgenommen werden, grenzt an ein Wunder und hat mit dem zu tun, was man gern unter dem Schlagwort „politische Sensibilisierung“ subsumiert. Nachdem die umfassende Einäugigkeit der Ermittlungen bei den Terrorakten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) immer deutlicher wurde, ist der derzeitige Generalbundesanwalt offenbar geneigt, auch die Umstände und bekannten Fakten des Anschlags von 1980 neu zu bewerten.

Gleiche Fehler im NSU-Prozess

Das wäre löblich, wenn nicht zugleich der Prozess gegen Beate Zschäpe nach dem Muster von 1980 geführt würde. Die offiziell gültige These ist die, dass das Trio Zschäpe – Mundlos – Böhnhardt natürlich hier und da Unterstützer hatte, man von einem umfassenden rechtsterroristischen Netz aber auf gar keinen Fall sprechen, ja nicht einmal daran denken darf. Auch hier wurden ja ermittlungsrelevante Akten in verschiedenen Ämtern „routinemäßig“ geschreddert. Man kann heute bei Rechtsextremisten offiziell nicht mehr von „Spinnern“ sprechen, wie es Franz Josef Strauß noch in Bezug auf die Wehrsportgruppe Hoffmann getan hatte. Man kann auch die reale Gefahr eines Rechtsterrorismus nicht mehr leugnen. Um ein Netz aber handele es sich auf keinen Fall, nur um isoliert voneinander werkelnde Einzelne oder Kleingruppen. Eine nennenswerte Unterstützerszene in der Bevölkerung gebe es selbstverständlich auch nicht. Der Rechtsextremismus findet in Deutschland kein umfassendes Milieu, in dem er sich verankern kann. Das ist – Lichtenhagen, Solingen, Mölln, Hoyerswerda und „national befreite Zonen“ hin oder her – die offizielle Doktrin.

Das ist auch der Unterschied zum Blick auf den Linksterrorismus der 70er Jahre. Damals gab es den „Sympathisantensumpf“ und die „geistigen Brandstifter“, zu denen bekanntlich in vorderster Reihe auch der Namensgeber dieser Stiftung gehörte. Der hatte selbst allerdings einen weit realistischeren Blick auf die Kräfteverhältnisse, als er seine Formel „sechs gegen sechzig Millionen“ prägte.

All das hat nur wenig mit der These zu tun, die deutsche Justiz sei auf dem rechten Auge blind. Sie ist das sicherlich oft gewesen und ist es öfter sicher auch heute noch. Hier geht es aber um eine politische Frage, die bis in die Anfänge der Bundesrepublik und in die Zeit davor zurückreicht. Denn der erste und bekannteste rechtsradikale Einzeltäter, ließe sich überspitzt sagen, war natürlich Adolf Hitler, der ein ganzes unschuldiges Volk in die Irre und ins Verderben geführt hat. Dies sollte nicht als billige Pointe gelesen werden – es war vielmehr die offizielle Lesart des Dritten Reiches nach dem Krieg und gehört durchaus zum Gründungsmythos der Bundesrepublik. „Das haben wir nicht gewollt“ (deutscher Titel einer klassischen amerikanischen zeitgeschichtlichen Studie über meinen Geburtsort), „der Führer war an allem schuld“. Als hätte der Führer nicht die Größenphantasien der Deutschen bedient und befeuert und ihre Kränkungen gelindert; als gäbe es diese Bilder jubelnder Mengen und massenhaft in den Führer verliebter Frauen am Straßenrand nicht, wenn er im offenen Wagen durch die Straßen fuhr.

Das ist achtzig Jahre her? Sicher, aber es liegt nicht hinter uns, weil es niemals „aufgearbeitet“ wurde. Es ist auch nicht „aufzuarbeiten“, schon das Wort hat etwas völlig Schiefes und Verunglücktes angesichts dessen, was damals geschehen ist. Es bleibt also beim Verdikt des Schriftstellers Botho Strauß, der ja gewiss nicht des Linksradikalismus verdächtigt werden kann: „Zur verdammten deutschen Vergangenheit gehört das Unvergängliche dieser Verdammnis.“

Dass die Wiederaufnahme der Ermittlungen zum Oktoberfestattentat zu neuen Erkenntnissen führt, bleibt dennoch aufs Innigste zu wünschen.