Auf Assad kann man verzichten

Konferenz: Syrien in der Sackgasse
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Podium v.l.n.r. Jubin Goodarzi, Sebastian Sons, Kristian Brakel, Hanin Ghaddar, Oytun Orhan

Auf der internationalen Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung diskutierten Expertinnen und Experten die Rolle der Regionalmächte im Syrienkonflikt. Kaum jemand in der Region hält noch ernsthaft an Baschar al-Assad fest – und trotzdem ist ein Ende nicht in Sicht.

Die Welt hat Syrien verlassen, aber Assads Freunde haben Assad nicht verlassen. So fasst die libanesische Journalistin Hanin Ghaddar zusammen, warum eine Lösung des Syrienkonflikts auch vier Jahre nach seinem Ausbruch nicht in Sicht ist. Die internationale Gemeinschaft bleibt zurückhaltend, sich zu engagieren, während der Iran und die libanesische Hisbollah dafür sorgen, dass sich das Regime Baschar al-Assads an der Macht hält.

Wie eine Lösung des Konflikts auch konkret aussehen könnte, für Jubin Goodarzi, Professor für Internationale Beziehungen an der Webster University in Genf, steht fest: „Das Syrienproblem ist zu einem so komplexen Thema geworden, dass nicht nur die internen Akteure, sondern alle großen Akteure und Mächte eingebunden werden müssen“. Das sagte er auf der internationalen Konferenz „Syrien in der Sackgasse?“, zu der die Heinrich-Böll-Stiftung und Adopt a Revolution Ende Mai 2015 nach Berlin geladen hatten.

In der Region sind das Saudi-Arabien und die Türkei auf Seiten der Rebellen sowie der Iran und die libanesische Hisbollah, die das Regime in Damaskus unterstützen. Teheran halte jedoch gar nicht so rigoros an der Person Baschar al-Assad fest, wie das oft der Eindruck ist, sagt Goodarzi. Zwar seien Iran und Syrien seit 1979 enge Verbündete, doch Teherans Unterstützung für Assad sei kostspielig. „Iran kann nicht weiter Millionen von Dollar in die Kassen Assads fließen lassen, um sein Überleben zu finanzieren.“ Zudem habe die Krise dem Ruf des Iran in der islamischen Welt geschadet. „Ich denke, sie suchen nach einem Ausweg“, meint Goodarzi, „aber sie wollen einen Ersatz.“ Der Iran habe die Macht, Assad zum Rücktritt zu bewegen. Doch dafür müsse eine Alternative her. „Sie wollen nicht, dass Syrien zerfällt.“

Wie ein Kompromiss aussehen könnte, dem der Iran zustimmen würde, erklärt Hanin Ghaddar, Chefredakteurin der libanesischen Nachrichtenwebsite NOW. Man müsse einen Blick auf die Hisbollah werfen, die Irans Interessen in Syrien vertrete.

Die Schiitenmiliz versuche erstens, einen Korridor von der alawitischen Küstenregion in Nordwestsyrien über die libanesische Bekaa-Ebene bis nach Damaskus zu sichern. Zweitens sei Hisbollahs Motivation, sich in Syrien militärisch einzumischen, ideologisch begründet: „Ein wichtiger Teil der islamischen Revolution (in Iran 1979) ist ihre Expansion und dafür setzt sich die Hisbollah in Syrien ein.“ Eine politische Lösung, die den ideologischen Einfluss Teherans und die Kontrolle des besagten Landstreifens sicherstelle, würden die Iraner akzeptieren, ist Ghaddar überzeugt, „alles andere ist nicht verhandelbar.“

Ein neuer Feind für die Hisbollah

Indes beobachtet Ghaddar eine starke Konfessionalisierung des Diskurses. Bezeichnend sei die jüngste Rede von Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. „Zum ersten Mal hat er die Dinge beim Namen genannt“, sagt Ghaddar. Den Kampf in Syrien bezeichnete er in seiner Ansprache am 22. Mai als „existenzielle Schlacht“. Dabei gehe es um einen Kampf der Schiiten gegen die takfiris, wie die Sympathisanten der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) und andere sunnitische Dschihadisten abwertend bezeichnet werden.

Das stelle die Hisbollah allerdings vor ein Problem: Dreißig Jahre lang habe die Schiitenbewegung der Bevölkerung eingetrichtert, dass sie den Widerstand gegen Israel verkörpere. Auf einmal seien nun nicht mehr die Israelis die Gegner, sondern die takfiris. Und anders als in der Vergangenheit blieben Erfolgserlebnisse aus. „Plötzlich sterben mehr Rekruten der Hisbollah als in den gesamten dreißig Jahren im Kampf gegen Israel“, sagt Ghaddar. Hinzu komme eine schwierige finanzielle Situation. Statt an die Hisbollah im Libanon fließe ein Großteil des iranischen Geldes nun in die Militäroperationen in Syrien. In ihrem Heimatland müsse die Hisbollah deshalb soziale Dienste zurückfahren, etwa Zuschüsse für Arztbesuche.

Als Reaktion auf die schwierige Lage verschärft die Hisbollah ihre Rhetorik, beobachtet Ghaddar. „Nasrallahs Worte waren im Grunde: Wenn ihr uns oder unsere heilige Mission, die existenzielle Schlacht in Syrien, infrage stellt, seid ihr Verräter.“ Drohungen wie diese verschlechterten das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen den Konfessionen im Libanon. „Es gibt ernsthafte Spannungen, die jederzeit explodieren können“, befürchtet Ghaddar. Und auch den Westen stelle der konfessionalisierte Diskurs vor das Problem, dass viele Menschen in der Region das Gefühl hätten, er bezöge Partei für die Schiiten, wenn er den IS bekämpft.

Verstärkt wird das durch die „Iran-First-Policy“ des Westens, der sich an die Hoffnung klammert, dass ein endgültiges Nuklearabkommen  mit dem Iran das Land zu mehr Kompromissbereitschaft bewegt und eine neue Dynamik in den Syrienkonflikt bringt. Ob diese Rechnung allerdings aufgeht? Iran-Experte Goodarzi zweifelt zumindest: „Es ist sehr schwierig zu sagen, wie sich die Lage entwickelt, wenn es zu einem Abkommen kommt.“ Irans neuer Präsident Hassan Rohani und sein Lager könnten bereit sein, das Verhältnis zu den USA zu normalisieren und auch in Syrien Kompromisse einzugehen. Ob sich Rohani in der Führungselite durchsetzen könne, sei aber offen.

„Iranoia“ ist eine Fehlkalkulation

Hinzu kommt, dass eine Annäherung westlicher Staaten an den Iran zu unerwünschten Reaktionen von Seiten Saudi-Arabiens führen könnte, meint Franziska Brantner von der Grünen-Bundestagsfraktion. „Es gibt die Befürchtung, dass Saudi-Arabien sich in die Ecke gedrängt fühlt.“ Sie sei noch nicht überzeugt, dass die „Iran-First-Policy“ im Falle Syriens zu den gewünschten Ergebnissen führe.

Die Befürchtung bestätigt Sebastian Sons von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Saudi-Arabiens Regionalpolitik sei von einer „Iranoia“ geleitet. Das Königreich fühle sich von Iran eingeengt. Dies erkläre, dass für die Führung in Riad die Schwächung des Assad-Regimes und auch der Huthi-Rebellen im Jemen, die sie als Agenten des Iran betrachtet, Priorität habe. Eine „Fehlkalkulation“, meint Sons jedoch: „Der Fehler der Saudis ist, dass sie die falschen Feinde bekämpfen.“ Der jüngste Angriff auf eine schiitische Moschee in Saudi-Arabiens Ostprovinz habe erneut gezeigt, dass die wahre Gefahr für die innere Sicherheit nicht von „iranischen Agenten“ ausgehe, sondern von sunnitischen Dschihadisten. Riad sei „auf einem Auge blind“ und müsse sich stärker auf den Kampf gegen den IS konzentrieren.

Weniger ideologisch und von Feindbildern getrieben sei dagegen die Außenpolitik der Türkei, meint der Politologe Oytun Orhan vom Center for Middle Eastern Strategic Studies (ORSAM) in Ankara. Es sei ein weitverbreitetes Missverständnis, dass die Türkei auf das schnelle Ende des Assad-Regimes dränge. „Die Türkei ist davon überzeugt, dass Assad als Person keine Zukunft hat in Syrien“, sagt Orhan, „das heißt aber nicht, dass es zum vollständigen Zusammenbruch des Regimes kommen sollte.“ Zwar sei dies nicht offizielle Politik der Türkei, doch sei die Führung des Landes davon überzeugt, dass Teile des Regimes aufrechterhalten werden müssten. Eine Situation wie im Irak, als die Amerikaner per Federstrich die staatlichen Institutionen auflösten, wolle Ankara vermeiden.

Dass Ankara sich nur halbherzig am Kampf gegen den IS beteiligt, führt Orhan auf die Einseitigkeit der Strategie gegen die Dschihadisten zurück. „Die Türkei will nicht Teil eines Plans sein, an den sie nicht glaubt“, meint Orhan. Das Land strebe eine inklusive Lösung an, die auch das Assad-Regime einschließe. Dafür müsse auch militärisch Druck gemacht werden, denn nur so lasse sich das Regime in Damaskus von der Notwendigkeit einer politischen Lösung überzeugen.

 

Video-Mitschnitte der Konferenz "Syrien in der Sackgasse? Vier Jahre nach Beginn des Aufstandes – Ansätze und Perspektiven für eine politische Lösung des Konflikts" am 28. Mai 2015



Panel 2: Der Einfluss regionaler Akteure

Alle Videos der Konferenz:

Fotos von der Konferenz und der Buchvorstellung finden Sie auf unserem Flickr-Account.