Grüne Wirtschaftspolitik: Niemals strangulierend, immer stimulierend

Um das alte Versprechen vom Wohlstand für alle einzulösen, müssen Wirtschaftswachstum und Naturverbrauch entkoppelt werden. Das geht nur mit einem ökologischen Ordnungsrahmen für die Wirtschaft - und europaweit einheitlichen Standards für die digitale Ökonomie.

Die soziale Marktwirtschaft ist eine deutsche Erfolgsgeschichte. Sie ist nicht nur eine freiheitliche, sondern zugleich auch soziale Ordnung, die uns einen hohen Wohlstand ermöglicht hat. Ihre Grundprinzipien wie die Gewährleistung von Wettbewerb, der Schutz des Eigentums, die Vertragsfreiheit und der soziale Ausgleich tragen auch heute noch. Krisen wie die des Finanzmarkts sind nicht entstanden, weil die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft nicht mehr tragen würden, sondern vielmehr deshalb, weil ihnen nicht ausreichend Geltung verschafft wurde. Dabei denke ich zum Beispiel an das Prinzip der Einheit von Risiko und Haftung.

Das bedeutet allerdings nicht, dass es mit der „Restaurierung“ alter Ordnungsprinzipien und ihrer Durchsetzung gerade auch auf globaler Ebene schon getan wäre. Die Ordnung der offenen Gesellschaft muss auch selbst offen für grundlegende Veränderungen sein. Dies gilt in gesteigertem Maße für die unserer Gegenwart, einer Zeit großer Umbrüche, vielleicht sogar einer Epochenwende. Die ökologischen Grenzen unseres Planeten und die voranschreitende Digitalisierung und Vernetzung von Wirtschaft und Gesellschaft erfordern aus meiner Sicht eine grundlegende Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft.

Der existentiellste Umbruch vollzieht sich derzeit im Verhältnis zu unseren natürlichen Lebensgrundlagen. Wir leben in einer Welt mit sieben Milliarden Menschen. Ihre Zahl wird auf Jahre hinaus steigen, ebenso wie die damit einhergehenden Ansprüche auf sozialen Aufstieg und materiellen Wohlstand. Es ist zu einer Überlebensfrage geworden, dass wir lernen, „Wohlstand für alle“, das große Versprechen der sozialen Marktwirtschaft, mit der Bewahrung natürlicher Lebensgrundlagen zu vereinbaren. Dazu müssen wir das Wirtschaftswachstum vom Naturverbrauch entkoppeln.

Wirtschaftswachstum und Naturverbrauch entkoppeln

Dies ist allerdings nur dann möglich, wenn der ökologische Ordnungsrahmen stimmt. Wir dürfen ein marktwirtschaftliches Instrument wie den Emissionshandel nicht verkommen lassen, sondern müssen ihn scharf stellen und wirksam machen. Sonst leisten wir – wie die Bundesregierung – einer monströsen Fehllenkung Vorschub: Der Klimakiller Braunkohle bleibt erhalten, während sich hocheffiziente Gaskraftwerke finanziell nicht rechnen. Genau darauf sind wir aber angewiesen, wenn das Jahrhundertprojekt der Energiewende gelingen soll.

Gleichzeitig müssen wir schrittweise vorgehen und der Wirtschaft ausreichend Zeit zur Anpassung lassen - niemals strangulierend, immer stimulierend. Nur auf diese Weise kann unsere Wirtschaft erfolgreich sein, und nur mit einer erfolgreichen Wirtschaft werden wir auch international die Strahlkraft entfalten können, die notwendig ist, um andere von unserem Weg der ökologisch-sozialen Marktwirtschaft zu überzeugen.

Die digitale Ökonomie ist von zentraler Bedeutung

Ein weiterer tiefer Umbruch findet derzeit durch die rasant fortschreitende Digitalisierung und Vernetzung aller Lebensbereiche statt. Wir haben es mit einem Bündel von Basisinnovationen zu tun, die so wirkmächtig werden könnten wie Buchdruck und Dampfmaschine zusammen. Es geht um eine Revolution nicht nur der technischen, sondern auch der kommunikativen Abläufe und Strukturen von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Diese führen zu gravierenden Verschiebungen der für uns als soziale Wesen hochrelevanten kulturellen Lebensgrundlagen. Wir müssen daher dringend mit der Entwicklung eines Ordnungsrahmens für die digitale, vernetzte Welt beginnen. Dabei rücken aufgrund der zentralen Bedeutung von Daten für die digitale Ökonomie datenrelevante Fragen ins Zentrum des wirtschaftspolitischen Interesses.

Ein wichtiger Schritt wäre in diesem Zusammenhang die rasche Verabschiedung der europäischen Datenschutz-Grundverordnung. Wenn es gelänge, europaweit hohe, einheitliche Datenschutzstandards zu vereinbaren und durchzusetzen, wären wir einen gewichtigen Schritt weiter. Wir brauchen darüber hinaus ein neues Cybersicherheitsrecht, das Besitzer sensibler Daten und Betreiber kritischer Infrastrukturen zur Einhaltung von Sicherheitsstandards verpflichtet. Dabei muss der Staat nicht nur als Regelungssetzer auftreten, sondern auch selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Wir müssen das Eigentumsrecht digital weiterentwickeln und dürfen die Frage, wem die Daten gehören, die unsere Haushaltsgeräte oder unsere Autos künftig erzeugen, nicht allein dem Vertragsrecht überlassen: Sinnvoll wäre in diesem Zusammenhang die Entwicklung eines digitalen bürgerlichen Rechts. Wir müssen im Rahmen eines digitalen Verbraucherschutzrechts, beispielsweise im Rahmen eines erneuerten Urheberrechts, ein Gleichgewicht zwischen Anbietern und Nutzern digitaler Dienste herstellen.

Schließlich brauchen wir eine Diskussion um die Anpassung des Kartell- und Wettbewerbsrechts an die neuen Gesetze der gerade entstehenden Datenökonomie. Nur so kann unter veränderten Bedingungen Fairness und informationelle Selbstbestimmung gewährleistet werden. Zugleich müssen wir – wie im Falle des ökologischen Ordnungsrahmens – die Entwicklungsmöglichkeiten einer starken, digitalen Wirtschaft im Blick behalten. Nur so kann es gelingen, unsere Werte und Ordnungsprinzipien in die Welt des 21. Jahrhunderts zu tragen, die soziale Marktwirtschaft mit den Grenzen der Belastbarkeit unseres Planeten zu versöhnen und die Chancen der Digitalisierung zu nutzen.

 

Dies ist der zweite Debattenbeitrag zur Konferenz "Baustelle grüne Wirtschaftspolitik: Welche Ordnung muss sein?", die am 26. und 27. Juni in Berlin stattfindet. Alle Beiträge finden Sie in unserem Dossier.