Mexiko: Umstrittene Wahlen zur Halbzeit

Mehrere Stapel Wahlzettel
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Wahlzettel der Zwischenwahl

Bei den mexikanischen Zwischenwahlen konnte die Regierungskoalition aus PRI und Grüner Partei ihre Mehrheit verteidigen. Doch der Wahlkampf war von Gewalt, Stimmenkauf und Korruption geprägt.

Die PRI (Partei der institutionellen Revolution) hat es noch einmal geschafft. Zwar hat sie die absolute Mehrheit im Kongress verfehlt, aber gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner, den mexikanischen Grünen, kann sie, ohne weitere Zugeständnisse machen zu müssen, weiter regieren. Mit 47 Prozent lag die Wahlbeteiligung sogar höher als bei je einer anderen Zwischenwahl in Mexiko. Und trotzdem war bei diesen Wahlen ganz und gar nicht alles in Ordnung:

Nach den ersten drei Jahren der Amtszeit von Präsident Enrique Peña Nieto fanden am 7. Juni Wahlen auf allen Ebenen des politischen Systems Mexikos statt. Gewählt wurden 500 Kongressabgeordnete sowie die Gouverneur/innen in neun Bundesstaaten. Zudem wurden 643 Landtagsabgeordnete in 16 Bundesstaaten und 809 Bürgermeister/innen und Stadt- und Gemeinderät/innen in 10 Bundesstaaten bestimmt. Mit insgesamt 15.832 Mandaten, die zur Abstimmung standen, war es die umfangreichste Wahl in der Geschichte des Landes.

Die Zwischenwahl entscheidet über die zweite Hälfte der Regierungsperiode Peña Nietos. Seine Regierungspartei, PRI, war zunächst von vielen für ihren Reformwillen und die Schaffung der dafür notwendigen gesetzlichen Grundlagen gelobt worden. Doch schon bald blieben diese Reforminitiativen in ihrer konkreten Umsetzung für die einen hinter ihren Erwartungen zurück, für die anderen sind sie so angelegt, dass sie die enorme Ungleichheit im Land fortschreiben und auf Fortschritt und ökonomisches Wachstum durch radikale und nicht-nachhaltige Ressourcenausbeutung setzen. Vor allem aber wird Peña Nieto seit dem Verschwinden der 43 Studenten von Ayotzinapa, das die enge Verflechtung von Politik und Organisierter Kriminalität am Beispiel der Stadt Iguala deutlich machte, auch international kritisiert.

Die Parteienlandschaft Mexikos

Stärkste Partei Mexikos ist heute die PRI, die seit den ersten Wahlen nach der mexikanischen Revolution von 1929 bis 2000 regiert hat und seit 2012 wieder an der Macht ist. Ihr folgt als zweitstärkste Fraktion die konservative PAN (Partei der Nationalen Aktion), die von 2000 bis 2012 die PRI ablöste. Die linke Oppositionspartei PRD (Partei der demokratischen Revolution) wurde bis 2012 vom zweifachen Präsidentschaftskandidat Manuel López Obrador (AMLO) angeführt, der die PRD jedoch 2013 aufgrund interner Streitigkeiten verließ und zum Vorsitzenden der Bewegung MORENA (Partei der Nationalen Regeneration) wurde. Im Juni 2014 konstituierte sich MORENA als politische Partei und trat dieses Jahr erstmals eigenständig bei den Wahlen an. Sie zählt viele ehemalige Mitglieder der PRD und der linken Arbeiterpartei PT in ihren Reihen. Damit ist die Linke noch stärker gespalten. Der Mitgliederschwund sowie der Rückgang der Wählergunst für die PRD lassen sich auch auf den Fall Ayotzinapa zurückführen. Der inzwischen ehemalige Bürgermeister Igualas, der als der Drahtzieher des Verschwindenlassens der Studenten gilt, sowie der ebenfalls ehemalige Gouverneur Guerreros gehören der PRD an.

Die Grüne Ökologische Partei (PVEM) stellt, wie schon bei den letzten Wahlen, den verlängerten Arm der PRI dar. Ihr Programm ist alles andere als ökologisch und sollte nicht mit grünen Parteien in Deutschland und Europa verwechselt werden. Die PVEM wurde in diesem Wahlkampf wegen unerlaubter Werbemittel mehrfach zu millionenschweren Geldstrafen verurteilt. Alle (Bürger)Initiativen, die versucht haben der Partei daraufhin ihre Registrierung zu entziehen sind schlicht am Wahlinstitut INE abgeprallt.

Von Gewalt geprägter Wahlkampf

Der Wahlkampf 2015 fiel zusammen mit einer der schwersten politischen Krisen Mexikos. Die politische Klasse des Landes hat angesichts der schweren Menschenrechtsverbrechen in Ayotzinapa (die verschwundenen Studenten) sowie der ungeklärten Vorkommnisse in Tlataya, Tanhuato, wo es erheblichen Verdacht auf staatliches Fehlverhalten gibt, und angesichts einer fast vollständigen Straflosigkeit im Land, für einen großen Teil der Gesellschaft ihre Legitimität verloren. Die Stimmung im Land ist von Wut, Unzufriedenheit und Ratlosigkeit geprägt. Auch die Energiereform, die u.a. die private Beteiligung am Erdölriesen PEMEX beinhaltet, und die Energiegewinnung aus fossilen Brennstoffen weiter prioritär behandelt sowie die Bildungsreform haben im letzten Jahr starke Proteste in verschiedenen Regionen des Landes ausgelöst. 

Keine Partei oder politische Figur konnte die Unzufriedenheit der zivilgesellschaftlichen Gruppen kanalisieren und konstruktive Lösungsvorschläge für die Missstände im Land vorbringen. Die Parteien waren vielmehr damit beschäftigt, sich im Wahlkampf gegenseitig zu diskreditieren und Korruptionsskandale des jeweiligen Rivalen publik zu machen. Bereits in den ersten Wochen des Wahlkampfes wurden über 200 Beschwerden beim INE eingereicht. Die Vorwürfe lauten u.a. Beleidigung, unerlaubter Einsatz von Wahlkampfmitteln, Verstoß gegen Finanzierungsgesetze. Wie schon angedeutet, stach hier besonders unrühmlich die Grüne Ökologische Partei heraus. Mit eindeutig widerrechtlichen Mitteln war es ihr Ziel eventuelle Stimmverluste der PRI soweit aufzufangen, dass in einer Koalition die Regierungsmehrheit gewahrt bleibt. Das Fazit einer Analytikerin des CIDE: „Die Grünen erhalten keine Strafe, sondern im Gegenteil, sie gewinnen durch ihre Aktionen an Macht und werden anschließend noch gefeiert. Sie tragen dazu bei, die Rechtsstaatlichkeit weiter zu schwächen und vergrößern den Teufelskreis von Kriminalität und Straflosigkeit, der verhindert, dass sich in Mexiko Rechtsstaatlichkeit und eine Kultur der Achtung konsolidiert.“

Doch auch die anderen Parteien praktizierten Stimmenkauf in großem Maße. Mexikanische Tageszeitungen berichten von Geschenken wie Plasmabildschirmen und Küchengeräten oder dem Bezahlen der Gasrechnungen. Dies stellt keine Neuheit in einem mexikanischen Wahlkampf dar. Neu jedoch war die in diesem Jahr besonders ausufernde Gewalt gegenüber Kandidat/innen und Parteimitgliedern. 20 Politiker/innen sind seit dem offiziellen Beginn des Wahlkampfs im Februar ermordet worden. Ob es sich bei diesen Morden um politische Verbrechen handelt oder ob die Organisierte Kriminalität unliebsame Kandidat/innen aus dem Weg räumte ist nicht bekannt. Mehr als 40 Kandidat/innen standen während der Kampagnen zudem unter dem Schutz der Sicherheitskräfte. Die Tageszeitung La Jornada berichtet von 70 gewaltsamen Angriffen. In vielen Regionen, vor allem in den Bundesstaaten Guerrero und Michoacán ist die Präsenz faktischer Mächte allgegenwärtig. Dies hat dazu geführt, dass einige Politiker/innen von ihrer Kandidatur abgesehen haben.

Verschiedene zivilgesellschaftliche Gruppen haben vor und während der Wahlen ihrer Unzufriedenheit Luft gemacht: Angehörige und Lehrer/innen der verschwundenen Studenten aus Ayotzinapa blockierten gemeinsam mit Anhänger/innen der populären Bewegungen Guerreros (Movimiento Popular de Guerrero) die Straßen und besetzten die lokalen Wahlbehörden. In Oaxaca ging die Lehrergewerkschaft CNTE (Coordinadora Nacional de Trabajadores de la Educación) auf die Straße und rief zu einem Boykott der Wahlen auf. Sie demonstrieren seit letztem Jahr gegen die Bildungsreform und geplante Entlassungen. Die Proteste führten zu einem verstärkten Einsatz von staatlichen Sicherheitskräften in den Regionen, was die Situation zusätzlich aufheizte. Etliche Wahllokale in Oaxaca, Guerrero und Chiapas konnten aufgrund der Proteste gar nicht eingerichtet werden.

In der Hauptstadt wurde diskutiert, ob Wahlbeteiligung, Abstinenz oder die Annullierung des Stimmzettels eine Option sei. Etliche Intelektuelle riefen zu einer Annullierung auf, in ihren Augen die adäquateste Möglichkeit, um die Unzufriedenheit mit der gesamten politischen Klasse und dem aktuellen Parteisystem auszudrücken und mehr Demokratie und Transparenz zu fordern. Im Jahr 2009 hatte die Annullierung von ca. 4,8 Prozent zu Wahlreformen geführt.

Die Wahlergebnisse

In Mexiko-Stadt ist besonders MORENA Gewinner dieser Wahl, die hier aus dem nichts 5 von 14 Delegationen für sich gewann, die zuvor in Hand der PRD waren. Somit stehen ihre Chancen auf einen Sieg im Bundesdistrikt bei der Wahl im Jahr 2018 nicht schlecht. Inwieweit MORENA auch in anderen Bundessaaten Wachstumspotential hat, bleibt offen. Die PRD geht bundesweit mit 10 Prozent und MORENA mit 8 Prozent aus den Wahlen hervor. Beide machen bislang keine Anstalten zu kooperieren, sondern werfen sich gegenseitig Wahlbetrug vor.

Die PRI verlor am 7. Juni zwar die Gouverneursposten in Querétaro, Nuevo León und Michoacán, hat aber gemeinsam mit den Grünen, die - trotz oder gerade aufgrund der Gesetzesverstöße - auf 7 Prozent der Wählerstimmen kam und der Partei der PRI-nahen Lehrergewerkschaft Neue Allianz, PANAL, (4 Prozent), nach wie vor eine Mehrheit im Kongress.

Die PAN muss sich mit dem schlechtesten Wahlresultat seit 1991 abfinden, ist allerdings mit 21 Prozent gewonnenen Stimmen nach wie vor die zweitstärkste Partei. Sie entschied in zwei Bundesstaaten die Gouverneurswahlen für sich.

Für Aufsehen sorgte der Erfolg von vier unabhängigen Kandidaten, die nach der Wahlreform im Jahr 2011 erstmals antreten durften. Jaime Rodríguez, el Bronco (der Schroffe), wurde als erster unabhängiger Kandidat zum neuen Gouverneur des reichsten Bundesstaates Mexikos, Nuevo León, gewählt. Auch in anderen Regionen konnten unabhängige Kandidaten Erfolge verzeichnen: Manuel Clouthier als erster Abgeordneter im Landesparlament und Alfonso Martínez als neuer Bürgermeister von Morelia, der Hauptstadt des Bundestaates Michoacán.

Besonders interessant ist der Fall des unabhängigen Kandidaten Pedro Kumamoto, ein 25jähriger, der gerade seinen Universitätsabschluss in der Tasche hat, gewann mit 37 Prozent die Wahl zum Abgeordneten des lokalen Kongresses in Zapopan, einer Gemeinde in Jalisco. Seine Wahlkampagne betrieb er ausschließlich in sozialen Netzwerken, mit wenig Geld. Er möchte im lokalen Kongress besonders Themen der Partizipation und Transparenz einbringen.

Der Erfolg dieser unabhängigen Kandidaten zeigt auf der einen Seite die Hoffnung der Wähler auf eine Politikgestaltung jenseits der traditionellen Parteien. Auf der anderen Seite sind diese Kandidaten im Grunde noch weniger kontrolliert als Parteienvertreter. Sie werden daran gemessen werden müssen, ob es ihnen tatsächlich gelingt Transparenz im politischen Alltag einzuführen.

Für 2018 kann mit mehr unabhängigen Kandidat/innen gerechnet werden. Denn bei diesen Wahlen wurde deutlich, dass für die meisten Bürger/innen keine Partei mehr eine überzeugende Option darstellt. Kaum (noch) jemand geht davon aus mit seiner Stimme etwas an der politischen Situation im Land ändern zu können. Ob sich zur Wahl 2018 Personen heraus kristallisieren, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und mit konstruktiven Programmen gegen die Korruption und die Straflosigkeit vorgehen, die im Land herrschen, bleibt abzuwarten. Der nächste Wahlkampf hat jedenfalls bereits begonnen. Die ersten Kandidat/innen haben bereits ihre Absicht erklärt sich aufstellen zu lassen. Allen voran die Ehefrau des vorherigen Präsidenten Felipe Calderón, Margarita Zavala.