Vortrag: Der Weg zur Knechtschaft? Wie Freiheit und gerechte Ordnung zusammenhängen

Wie müsste also ein grüner Gerechtigkeitsbegriff aussehen, wenn man davon ausgeht, dass ein grüner Freiheitsbegriff ein reflexiver sein müsste, der auch das Verhältnis des Individuums zu den Grenzen der Natur und des Planeten berücksichtigt? Ein Vortrag von beim Werkstattgespräch Freiheit grün denken am 17.10.2014.

Welche Freiheit? Vier Freiheitsbegriffe

Beginnen möchte ich mit der Charakterisierung verschiedener Freiheitsbegriffe. Diese Stufung wird aufzeigen, wo wir in unserer Konzeption von Freiheit heute stehen und wo es unter Umständen Bedarf gibt, Freiheit etwas anders zu konzeptualisieren.

Als Urbegriff der Freiheit gilt die sogenannte negative Freiheit. Die klassische liberale Freiheit ist die Abwesenheit von Hindernissen für das Individuum, nach seinem Belieben zu handeln, solange er oder sie nicht dasselbe Recht seiner Mitbürger und -bürgerinnen verletzt. Freiheit ist hier der Raum, der für die Einzelnen übrig bleibt, nachdem die Grenzen der Rechte anderer einmal gezogen wurden. Im Sinne eines Gerechtigkeitsprinzips entspricht diese Vorstellung von Freiheit einem Gesellschaftsvertrag atomisierter Individuen, die aus Gründen der wechselseitigen Sicherheit einen Souverän einsetzen, der darauf achtet, dass die Grenzen eingehalten werden.

Die zweite Kategorie der Freiheit hat mit der Regulierung des Inhalts des „freien“ Willens zu tun. Ich folge darin Axel Honneth, der von ‚reflexiver Freiheit’ spricht. Reflexiv deswegen, weil sich das einzelne Individuum gleichsam selbstbezüglich darüber Gedanken macht und Rechenschaft darüber ablegt, welche Präferenzen er oder sie hat. Im Anschluss stellt sich die Frage, ob die Einzelnen Präferenzen oder Metapräferenzen verfolgen. Ein Beispiel: Ich bin ein Raucher, den es nach einer Zigarette verlangt. Das ist meine Präferenz. Gleichzeitig habe ich aber eine Metapräferenz, die sich regulierend auf diesen Wunsch bezieht und sagt: ich möchte nicht rauchen wollen. In Gestalt der Metapräferenzen (auch: reflexive Präferenzen) finden ethische Prinzipien Eingang in den Freiheitsbegriff. Uns erscheint jetzt nicht mehr jeder Wille allein Kraft seiner Existenz als würdiger Freiheitsgegenstand, die Idee der Freiheit ist mit einem sittlichen Element angereichert. Rousseau vertrat die Auffassung, allein diese Sittlichkeit mache den Menschen zum Herrn seiner selbst. Demnach ist der Antrieb des reinen Begehrens Sklaverei und der Gehorsam gegen das selbst gegebene Gesetz Freiheit.

Mit dem kategorischen Imperativ geht Kant noch einen Schritt weiter: Er spricht von einem Wollen, das verallgemeinerungsfähig sein soll. Es ist letztlich eine Freiheitsvorstellung, die akzeptiert, dass die Freiheit nicht nur eine Reflexion des Einzelnen über sich selbst ist, sondern auch das Gespräch mit anderen. Die Reflexivität bewegt sich, wie Honneth es formuliert, vom Ich zum Wir. Dementsprechend ist Freiheit eine Form der Selbstbestimmung, die sich in Interaktion mit anderen vollzieht und ohne den oder die Anderen nicht denkbar ist.

Marx schließlich integriert in diese Freiheitskonzeption die Begriffe der Arbeit und des Produktionsprozesses. Das hat zur Folge, dass die Freiheit des und der Einzelnen nur durch die Ergänzung des oder der Anderen oder durch ihre Integration in den Prozess der gemeinsamen Produktion von Gesellschaftlichkeit entstehen kann. In Bezug auf Gerechtigkeit bedeutet Freiheit dann, dass sie nur möglich ist durch Bezug auf und Kooperation mit dem und der Anderen. Sie realisiert sich in der gleichberechtigten Teilnahme am gesellschaftlichen Prozess, speziell in Bezug auf Bildung, Beschäftigung und kultureller Teilhabe.

Das Subjekt der Freiheit und die Illusion des ewigen Wachstums

Der liberale Freiheitsbegriff des 18. und 19. Jahrhunderts ging von einem Subjekt aus, das eingebettet ist in einen permanenten Prozess des zunehmenden Wissens zum Zwecke erweiterter Naturbeherrschung, der zunehmenden Kreativität, Produktivität und des materiellen Wachstums der Gesellschaft.

Heute sind wir hingegen in einer Situation, in der der Glaube an die Wohltätigkeit grenzenloser Naturbeherrschung und die Wünschbarkeit ungezügelt fortschreitenden Wachstums historisch überwunden ist. Die Idee, dass das gute Leben an die Bedingungen einer fortschreitenden Verfügbarkeit über die Natur und die  daraus resultierende permanente Steigerung der materiellen Reichtumsproduktion geknüpft ist, hat ihre Schattenseiten enthüllt und ist heute obsolet.

Wie müsste also ein grüner Gerechtigkeitsbegriff aussehen, wenn man davon ausgeht, dass ein grüner Freiheitsbegriff ein reflexiver sein müsste, der auch das Verhältnis des Individuums zu den Grenzen der Natur und des Planeten berücksichtigt?

Ein solcher Gerechtigkeitsbegriff muss a) im Hinblick auf das Ende einer linearen Fortschritts- und Wachstumsmöglichkeit zukünftige Generationen als Teilhabende unseres eigenen Gerechtigkeitsdiskurses berücksichtigen und so Generationengerechtigkeit sicherstellen. Außerdem sollte er b) eine Vorstellung unserer eigenen Interaktion mit der Natur und ihrer Grenzen beinhalten, und dieses Naturverhältnis als Moment reflexiver Freiheit konzeptionalisieren.

Ein kritischer Punkt unserer Debatte ist die Funktion politischer Freiheit als Basis für die Ausübung von Macht. In demokratischen Gesellschaften verwirklicht sich Freiheit, indem kollektiv verbindliche Entscheidungen auf der Grundlage freier Kommunikation und eines fairen, d.h. chancengleichen Wettbewerbs aller artikulationsfähigen gesellschaftlichen Kräfte und Strömungen um die beste Lösung kollektiver Probleme getroffen werden. Das in regelmäßigen zeitlichen Abständen revidierbare Ergebnis dieses in demokratischen Gesellschaften niemals zu Ende gehenden politischen Streits ist daher auch für diejenigen verbindlich, deren Ideen sich nicht durchgesetzt  haben. Das Ausüben von derart legitimierter Macht, auch das Aussprechen von Geboten und Verboten als Ausdruck des demokratisch ermittelten kollektiv verbindlichen Willens, ist daher nicht paternalistisch. Im Gegenteil: Unter der Bedingung demokratischer Verfahren ist es vielmehr ein legitimer Ausdruck und ein Resultat reflexiver Freiheit.