Kanada vor den Parlamentswahlen 2015

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Nach Aktuellen Umfragen könnte die NDP die Konservativen als stärkste Partei ablösen

Am 19. Oktober wählt Kanada ein neues Parlament. Dann entscheidet sich, ob das Land wirtschaftlichen Problemen entkommt und sich in Umweltfragen neu aufstellt. Ein Abriss der zentralen Streitpunkte.

Angesichts der am 19. Oktober stattfindenden Wahlen, gibt es ein knappes Dreierrennen um die Regierung Kanadas - des zweitgrößten Landes der Welt (gemessen an Fläche) mit der elftgrößten Wirtschaftskraft. Der umstrittene Amtsinhaber, der konservative Premierminister Stephen Harper, liegt Kopf an Kopf mit seinen zwei Herausforderern: Tom Mulcair, dem Vorsitzenden der kanadischen Demokratischen Partei (NDP) und Justin Trudeau, dem Vorsitzenden der Liberalen.

Die Einsätze sind so hoch, weil Kanadas Ruf als "liberale" Demokratie in den beinahe 10 Jahren seit Steven Harpers Amtsantritt gelitten hat. Die Liberalen, die Kanada für 27 der letzten 37 Jahre regierten, haben sich für eine Reglementierung des Waffenbesitzes, bessere öffentliche Dienstleistungen, ein gewisses Bewusstsein für Umweltfragen und stärkere internationale Kooperation eingesetzt. Unter Harper hat ein Rückzug von diesen Werten stattgefunden. Der Großteil seiner Unterstützung kommt dabei aus Alberta, eine der 10 Landesprovinzen und diejenige, in der auch Kanadas Ölsände zu finden sind.

Die Parteien: Umschwung auf Bundesebene?

Inzwischen weht jedoch ein frischer Wind in Alberta, welches in vielerlei  Hinsicht Kanadas konservativste Provinz ist. Die Wahlen im letzten Mai beendeten die beinahe 40 Jahre dauernde konservative Regierung der Provinz: Überraschend entschieden sich die Wähler/innen für die Mitte-Links-Parteivorsitzende der NDP Alberta Rachel Notley, die daraufhin die erste NDP-Mehrheitsregierung der Provinz stellte. Unter anderem schien diese Wahl dem Wunsch der Wähler Ausdruck zu verleihen, die wirtschaftliche Abhängigkeit von den Öleinnahmen zu reduzieren. Dies könnte auch eine Veränderung auf der Bundesebene bewirken.

Diejenigen, die Gefallen an der Vorstellung finden, Harper von seinem Posten zu stoßen, werden zu Tom Mulcair oder Justin Trudeau tendieren. Keine der beiden kleineren Parteien - die Bloc Québécois, angeführt von Gilles Duceppe, oder die Grüne Partei unter Elizabeth May - hat Aussichten auf größere Wahlerfolge. Trotzdem gilt es als so gut wie sicher, dass May - mit ihrer starken Unterstützung, unter anderem aus ihrer Heimat British Columbia - ihren Sitz verteidigen, wenn nicht sogar einen zweiten dazu gewinnen kann.

In Kanadas parlamentarischer Demokratie dient der Premierminister als Minister der Krone (Queen Elizabeth II), als Vorsitzender des Kabinetts und Mitglied des Unterhauses, welches 338 Sitze umfasst, einen für jeden Wahlbezirk des Landes. Die Partei des Premierministers muss 170 der 338 Sitze kontrollieren, um eine Mehrheitsregierung bilden zu können. Im Moment ist noch völlig offen, welche der Parteien die Wahlen gewinnen wird.

Auch ist unsicher, ob die siegreiche Partei überhaupt eine Regierung bilden kann. Traditionellerweise fordert der Generalgouverneur von Kanada (der Vertreter der Queen) die Partei mit den meisten Sitzen auf, zu versuchen, eine Regierung zu bilden. Sollte die NDP oder die Liberale Partei gewinnen, werden sich diese beiden wohl zusammentun, um eine Regierung zu formen. Im anderen Szenario gewinnt vielleicht Stephen Harper der Konservativen, wobei die NDP und die Liberalen sich weigern könnten, eine Regierung mit ihm zu bilden. Sollte das geschehen, wendet sich der Generalgouverneur eventuell an die NDP und die Liberalen, um eine Regierung zu bilden und das „Vertrauen des Unterhauses“ zu suchen. Wir dürfen gespannt bleiben.

Die Themen: Wirtschaft, Klima, Energie und Pipelines

Es gilt als gesichert, dass Kanada sich in einer wirtschaftlichen Rezession befindet, von den weltwirtschaftlichen Unruhen gebeutelt und gestraft für seinen übermäßigen Verlass auf natürliche Ressourcen. Die Ölpreise sind von etwa 100 US-Dollar je Barrel während der letzten Wahl (vor vier Jahren) auf etwa 40 US-Dollar je Barrel heute gestürzt.  Rohstoffe, darunter Öl, machen rund die Hälfte der kanadischen Exporte aus. Laut den Nachrichten des CBC (25. August), werden drei Viertel der Kanadier die Partei wählen, die das beste Programm hinsichtlich der Wirtschaft und Arbeitsplätze vorzuweisen hat. Aber nur 43 Prozent der Befragten sagen, dass sie die Wirtschaft als sehr gut oder gut einschätzen.

Das Schicksal der kanadischen Wirtschaft ist eng mit den Themen Energie und Pipelines verknüpft. Harper hat nicht nur die Keystone XL-Pipeline in die USA unterstützt, sondern auch eine "Northern Gateway"-Pipeline vorgeschlagen (die Öl aus Teersanden nach British Columbia leiten soll, damit dieses von dort nach Asien verschifft werden kann). Unter den Vorschlägen für neue Pipelines befindet sich auch eine "East line" (zur östlichen Küste) und Kinder Morgans Erweiterung der "Trans Mountain"-Pipeline nach Vancouver.

Trudeau unterstützt Keystone XL, doch Mulcair und May sind beide dagegen, sowohl wegen Gründen des Unweltschutzes als auch wegen der Arbeitsplätze (laut ihren Aussagen würden wegen der Pipeline 40.000 Arbeitsplätze ausgelagert werden).  May ist außerdem gegen die Kinder Morgan-Pipeline, zu der Mulcair sich nicht geäußert hat. 

Zur Reduzierung von Kohlenstoffemissionen vertritt jeder der Kandidaten einen anderen Standpunkt: Die Grünen-Vorsitzende May unterstützt den "Fee and dividend"-Ansatz, eine einkommensneutrale Kohlenstoffsteuer, die in British Columbia bereits erfolgreich umgesetzt wird. Mulcair, der Vorsitzende der NDP, ist für ein Emissionshandelssystem, während Trudeau jeder Provinz selbst die Wahl ihrer Methode überlassen möchte.

Die Kritik: "Krieg gegen die Wissenschaft"

Während Harper auf die Reduktion der Treibhausgasemissionen in Kanada stolz war, wurde er von May und Trudeau in der ersten Kandidatendiskussion nur belächelt, da besagte Reduktion auf die niedrigere wirtschaftliche Aktivität zurückzuführen ist. Tatsächlich hatte Harper Emissionsregulierungen für den Öl- und Gassektor versprochen, diese aber nicht umgesetzt.

Die New York Times ("The Closing of the Canadian Mind", 14. August 2015) wirft Harper außerdem vor, einen "Krieg gegen die Wissenschaft" zu führen, in dem er unter anderem versucht, Forschungszentren in der hohen Arktis die Finanzierung zu versagen und kanadische Umweltforscher zum Stillschweigen verpflichtet. Während Harpers Amtszeit sanken die Erwähnungen der Bundesforschung zum Klimawandel in der kanadischen Presse sogar um 80 Prozent.

Das Urteil der New York Times ist streng: Harper sei ein "schlechter Anführer, egal nach welchen Maßstäben" und "Harper scheint zu denken, es wäre seine Aufgabe, die Demokratie zu verhindern". Doch das Schlimmste an den von Harper regierten Jahren ist, dass all die Heimlichkeiten und Informationskontrollen nicht im Dienste einer größeren Vision für das Land standen.