Friedensnobelpreis: Überraschung für Tunesien

Sitz des Nobel-Friedenszentrums in Oslo
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Sitz des Nobel-Friedenszentrums in Oslo

Der Friedensnobelpreis ging an das tunesische Quartett für nationalen Dialog. Die vier Organisationen setzen sich dafür ein, Tunesien in die Richtung einer Demokratie zu führen.

Auch in Tunesien kam die Auswahl des Quartetts als Gewinner des Friedensnobelpreises überraschend. Kaum jemand hatte jetzt mit der Nachricht gerechnet. Zuviel ist in den letzten zwei Jahren passiert. Die große Leistung des Quartetts war Verhandlungen über einen gewaltfreien Rückzug der an-Nahda Partei aus der Regierung.

Mitte 2013 war der Transitionsprozess ausgesetzt. Zwei gewählte Mitglieder  der Verfassungsversammlung waren zuvor ermordet worden. Über 60 linke Abgeordnete hatten sich aus der Versammlung zurückgezogen, die daraufhin nicht mehr zusammentrat. Das politische Klima war von einer Polarisierung zwischen den moderaten Islamisten von an-Nahda und ihren Gegnern in verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Lagern gezeichnet. Kristallisationspunkt der Auseinandersetzung war die Verfassung. Nach der Revolution hatten sich im Februar 2011 alle beteiligten Kräfte auf die Neuformulierung einer Verfassung als Fahrplan für den demokratischen Übergang geeinigt.

Zwei Jahre danach tobte der Kampf weiterhin um die Frage, ob sie einige islamistische Elemente enthalten sollte. Als in Ägypten dann das Militär gegen den gewählten Präsidenten Mohammed Morsi putschte, machte sich in Tunesien Panikstimmung breit. Die Anhänger an-Nahdas und des islamistischen Lagers befürchteten wie die Muslimbrüder Ägyptens in den Untergrund getrieben zu werden und diskutierten bereits mögliche Exilorte, während die an-Nahda Gegner überzeugt waren, dass die Islamisten niemals freiwillig ihre Regierungsverantwortung aufgeben könnten.  Dabei wäre ein direktes Einschreiten des Militärs unwahrscheinlich gewesen. Im Gegensatz zu Ägypten hat in Tunesien das Militär niemals eine politische Rolle gespielt. Es ist klein und außerhalb der großen Städte stationiert. Der Sicherheitssektor wird von Polizei und Geheimpolizei, sowie der dem Innenministerium unterstehenden Nationalgarde kontrolliert und hat seit der Ben Ali Ära eher einen Stasi – Charakter als den einer Militärdiktatur wie in Ägypten. Dennoch wäre eine breite Mobilisierung gegen die von an-Nahda geführte Koalitionsregierung mit Generalstreiks, gewalttätigen Demonstrationen und möglichen Provokativaktionen der seit Ben Ali kaum reformierten Geheimpolizei möglich gewesen. Ebenso hätten gewalttätige Salafisten diese Situation für ihre Destabilisierung nutzen können. 

In dieser Situation ist es weder zu dem befürchteten Gewaltausbruch gekommen, noch zu der Spaltung  in zwei konkurrierende Parlamente und Regierungen. Den Kompromiss zwischen beiden Lagern hat der Gewerkschaftsdachverband, die UGTT gemeinsam mit dem Unternehmerverband, UTICA sowie der Anwaltskammer und der Menschenrechtsliga ausgehandelt. Treibende Kraft war Houcine Abbassi, Generalsekretär der UGTT. Nach endlosen Sitzungen hatte Ali Larayedh, Ministerpräsident der Troika Regierung die Bedingungen des Nationalen Dialogs akzeptiert, der freiwillige Rückzug aus der Regierung nach der Verabschiedung einer neuen Verfassung, die Bildung einer Übergangsregierung für ein Jahr und Neuwahlen.  Der Verhandlungserfolg des Quartetts ist möglich geworden, weil beide Seiten Konsensbereitschaft gezeigt haben. Der tunesischen Bevölkerung war zudem angesichts der regionalen Situation hinaus sehr klar, was bei einem Scheitern auf dem Spiel steht.

2015 hat das Land eine neue gewählte Regierung und ein neues politisches System. Die Antagonisten von 2013, an-Nahda und Nida´ Tunis sind gemeinsam in der Regierung vertreten. Es herrscht Meinungs- und Versammlungsfreiheit, aber die großen Reformprojekte der tunesischen Revolution müssen erst noch angegangen werden. Zu diesen zählen eine neue Wirtschaftspolitik, die das Innere des Landes entwickelt, eine Reform der öffentlichen Verwaltung, die noch wie zu Zeiten Ben Alis funktioniert und vor allem, sicherlich die schwerste Aufgabe, die Reform des Sicherheitssektors, der in seinem jetzigen Zustand nicht in der Lage ist, die jihadistische Bedrohungen abzuwenden und der Bevölkerung öffentliche Sicherheit zu garantieren. 
 

 

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