Musterland Schleswig-Holstein?

Das Erstaufnahmelager in Moria wurde ursprünglich als Abschiebelager gebaut und wirkt wie ein großes Gefängnis. Aus Protest wurden Solidaritätsbotschaften an den Außenwänden hinterlassen (aufgenommen in Moria (Lesbos), Griechenland, August 2015)
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Das Erstaufnahmelager in Moria wurde ursprünglich als Abschiebelager gebaut und wirkt wie ein großes Gefängnis. Aus Protest wurden Solidaritätsbotschaften an den Außenwänden hinterlassen (aufgenommen in Moria (Lesbos), Griechenland, August 2015)

„Integration vom ersten Tag an“ fordert die Landesregierung. Doch sobald die Bundesregierung Finanzhilfen für die Aufnahme von Flüchtlingen anbietet, stimmt Schleswig-Holstein im Bundesrat dagegen.

Die Landesregierung Schleswig-Holsteins wird von einer Drei-Parteien-Koalition getragen: SPD, Grünen und SSW. Der SSW, die Partei der dänischen Minderheit, sichert der Regierung eine Ein-Stimmen-Mehrheit. Dennoch hat sich die Regierung schon weit vorgewagt: Öffnung der Integrationskurse für alle AsylantragstellerInnen, Winterabschiebestopp für abgelehnte Flüchtlinge, Ablehnung der Liste „sicherer Herkunftsstaaten“. Doch bei allem ist und bleibt Schleswig-Holstein „Konsolidierungsland“: Sobald die Bundesregierung eine finanzielle Hilfe für die Aufnahme von Flüchtlingen anbietet, stimmt auch Schleswig-Holstein jedem Kompromiss im Bundesrat zu.

Flüchtlingskonferenz

„Integration vom ersten Tag an“ lautete das Motto einer Flüchtlingskonferenz, zu der Ministerpräsident Torsten Albig im Mai 2015 in die „Halle 400“ in Kiel einlud. Es war ein deutliches Signal: Alle Ministerinnen und Minister sowie die meisten StaatssekretärInnen waren dort, ebenso Landrätinnen und Landräte, BürgermeisterInnen und AmtsvorsteherInnen. Ebenso eingeladen waren Wohlfahrtsverbände, Beratungsstellen, AnbieterInnen von Deutschkursen und viele andere.

Wesentlich war die Botschaft. Hier wurde schon auf Landesebene angekündigt, was viele erst im September mitbekamen. Und hier versprach die Landesregierung, nicht nur die Aufnahme und Unterbringung zusammen mit den Kommunen zu bewältigen. Sie versprach, Musterland zu werden. In der Erstaufnahme sollten Deutschkurse und Orientierungskurse für alle eingerichtet werden. Alle ankommenden Flüchtlinge sollten in einem Profilbogen erfasst werden, um die passende Weiterverteilung in eine Stadt oder ein Dorf, einen Produktionsstandort oder ein Tourismuszentrum individuell zu planen.

Auch zum Asylverfahren gab es Pläne: Die Verweilzeit in der Erstaufnahme, damals schon wegen der stark steigenden Zugangszahlen auf zwei Wochen gesunken, sollte durch den Ausbau auf 25.000 Plätze auf sechs Wochen ausgeweitet werden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sollte dazu gebracht werden, die Neueinstellungen von AnhörerInnen in Schleswig-Holstein zur Neugründung von mindestens vier weiteren Außenstellen zu nutzen. Die Antragstellung und Anhörung sollte in den ersten sechs Wochen nach der Aufnahme und vor der Verteilung in die Kreise stattfinden.

Umgesetzt wurde bis heute, Dezember 2015, wenig davon. In den Erstaufnahmen gibt es „Willkommenkurse“, in denen 30 Unterrichtsstunden Deutsch angeboten werden. Die Verweildauer ist gestiegen, allerdings durch die Überlastung des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten, das hier für die Aufnahme, Unterbringung und Verteilung zuständig ist. Seit einigen Monaten sind Streifenpolizisten dazu abgeordnet, die Weiterverteilung auf die Kreise durchzuführen, Profilbögen oder Konzepte dazu existieren noch nicht. Das Bundesamt nimmt Asylanträge zur Zeit rund 10 Monate nach der Ankunft entgegen, wobei sich hier die Verkehrsverbindungen teils verheerend auswirken: Täglich gibt es Flüchtlinge, die den Termin in Neumünster nicht erreichen können oder nicht ohne Übernachtung wahrnehmen können, die dann auf der Straße, bei der Bahnhofsmission oder spontan auf einer Matratze in einer Kirche erfolgt.

die Webseite www.schleswig-holstein.de/willkommen

Umgesetzt wurden die Pläne, im Innenministerium eine eigene Einsatzgruppe zu gründen, die sich um die Schaffung von Unterkünften bemüht. Hier wachsen die Kapazitäten in der Erstaufnahme seit Wochen um 500 bis 1.000 Plätze pro Woche, auch wenn die anvisierten 25.000 Plätze bis Weihnachten nicht erreicht werden können.

Eine zweite Gruppe wurde in der Staatskanzlei gegründet. Rund ein Dutzend Angestellte, weitgehend ohne Vorkenntnisse in diesem Gebiet, lassen mit großem Engagement ein „Willkommens-Portal“ im Internet wachsen. In sechs Sprachen wird dort über das Leben in Deutschland informiert, ebenso über den Ablauf des Asylverfahrens. Ein Zusatzportal bringt hilfswillige Ehrenamtler mit den überall entstandenen Initiativen zusammen. Für nahezu jede neue Landesunterkunft bildet sich in Windeseile eine Facebook-Gruppe, eine Willkommens-Initiative. Überall im Land gibt es Kleiderkammern, Begegnungs-Cafés oder ehrenamtliche Deutschkurse.

Die Zusage, Antragsteller aus den sechs Staaten des Westbalkan nicht zu separieren, hält die Landesregierung seit November 2015 nicht mehr ein: Sie bleiben fast alle in einer Erstaufnahme, sind von der Verteilung auf die Kreise ausgenommen, und das Landesamt koordiniert im Auftrag der Ausländerbehörden wöchentlich Sammelabschiebungen.

Deutsch lernen

Schon lange setzt sich die Landesregierung dafür ein, dass Antragsteller mit einer Aufenthaltsgestattung, aber auch abgelehnte Flüchtlinge mit einer Duldung das Recht erhalten sollen, am Integrationskurs teilzunehmen. Die Teilnahme als „Selbstzahler“ zu finanzieren lehnt die Landesregierung leider ab: Sie befürchtet, dass die freiwillige Übernahme von Kosten, die nach der gültigen Systematik der Bund zu tragen hätte, zu einem Zurücklehnen und Nichtstun in Berlin führen könnte.

Stattdessen finanziert sie als freiwillige Leistung „STAFF-Kurse“: Das „Startpaket für Flüchtlinge“ umfasst hundert Stunden Deutschunterricht und Orientierungshilfe im neuen Land. Die Landesregierung förderte diese Kurse 2013 mit 50.000 Euro, 2014 mit 190.000 Euro und 2015 mit rund 1,04 Millionen Euro. Der Landesverband der Volkshochschulen bekam und bekommt eine Kofinanzierung der EU und bietet diese Kurse landesweit an. Die Kurse finden zur Zeit (Ende 2015) in 87 Orten statt, angefangen mit Ahrensburg bis nach Wedel (im Einzelnen siehe Landtagsdrucksache 18/3437).

So lobenswert das ist: Viele Flüchtlinge sind vor allem enttäuscht über das schnelle Ende, denn nach 100 Stunden können sie gerade die ersten Sätze fehlerfrei aussprechen und wollen eigentlich mit dem Spracherwerb starten. So bilden sich immer längere Warteschlangen bei den AnbieterInnen von Integrationskursen, die seit dem 24. Oktober Lernwillige aus Syrien, Irak, Iran oder Eritrea auf Wartelisten aufnehmen dürfen, eine Teilnahme am Kurs ist aber erst nach einer Zulassung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlaubt – und dann beginnt vielerorts das Warten auf einen freien Platz. Für die Betroffenen wäre die bessere Finanzierung eines Systems besser als das heutige nebeneinander von vier Systemen: Willkommenkurse (30 Stunden), Staff-Kurse (100 Stunden), BA-Kurse (330 Stunden) und I-Kurse (660 Stunden).

In Schleswig-Holstein bleiben in vielen Gemeinden nur die ehrenamtlichen Kurse übrig, die fast flächendeckend, aber natürlich in unterschiedlicher Intensität und Qualität angeboten werden und nicht zu einem Zertifikat führen können, das oft erst nach positivem Abschluss des Asylverfahrens im I-Kurs möglich ist. Dann wollen aber viele der Anerkannten eigentlich lieber Arbeit suchen, um ihren Lebensunterhalt ohne öffentliche Hilfe zu finanzieren.

Weitere Beiträge zur Flüchtlingspolitik in Schleswig-Holstein finden Sie auf der Länderseite unseres Dossiers "Wie schaffen die das? Die Flüchtlingspolitik der Länder" (zur Startseite).