City Tax: Legitimation durch Aktion

Demonstration
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Demonstration der Koalition der Freien Szene im Herbst 2013 in Berlin

Versprochen, verschoben, vollendet: nach mehrjährigem Ringen wird die Freie Szene Berlins nun tatsächlich dauerhaft von der City Tax profitieren. Ein Erfolg, den sich vor allem die Koalition der Freien Szene auf die Fahne schreiben darf. Bleibt die Frage: Was folgt?

Am 19. September 2012 fand in den Sophiensälen die erste große Diskussionsrunde zur City Tax statt. Damals noch mit Fragezeichen versehen: „City Tax for the arts?“. Im April 2016 tagt nun eine vom Kultursenat berufene Jury, um über die Vergabe von 3,5 Millionen Euro zu entscheiden, die aus der Übernachtungssteuer vorwiegend der Freien Szene zufließen sollen.

Stoff für eine Veteranenerzählung aus den Schützengräben des Kulturmittelkampfes also? Ende gut, alles gut?

Kein Zweifel: die Geschichte der City Tax ist trotz aller Brüche, Volten und falschen Versprechungen eine Erfolgsgeschichte.

Vor allem für die Koalition der Freien Szene, der es über Jahre hinweg gelungen ist, durch Kampagnen, Aktionen und Lobbyarbeit das Thema City Tax viral zu halten. Und die es geschafft hat – worin man den eigentlichen Sieg ihrer Beharrlichkeit sehen kann – einen Bewusstseinswandel auf breiter Basis herbeizuführen: „In der Politik ist angekommen, dass auch außerhalb von Institutionen professionelle Kunst produziert wird“, zieht Sprecher Christophe Knoch Bilanz. „Hochkultur ist kein Gegenbegriff mehr zur Freien Szene“.

Was als Kampf ums Geld begann, hat Kreise gezogen. Eine Freie Szene, die über Jahre gebetsmühlenhaft auf ihren Wert nicht zuletzt als Wirtschaftsfaktor für Berlin gepocht hat, erfährt Wertschätzung. „Die unzähligen Aktiven der sogenannten Freien Szene leisten viel für die Kultur der Stadt“ – so klingt das in einer Pressemitteilung der Senatskanzlei Kulturelle Angelegenheiten vom Dezember 2015.

Wo das Geld fließt

Klar könnte man mit nüchternem Blick auf die Zahlen auch festhalten: es hätte mehr sein können. Schließlich lautete die Forderung der vereinigten City-Tax-Streiter ursprünglich: 50 Prozent der Einnahmen für die Freie Szene. Das wäre – angesichts einer offiziellen Einnahmen-Schätzung von 35 bis 38 Millionen Euro im Jahr – fast exakt die Summe, die im 10-Punkte-Plan der Koalition der Freien Szene von Anfang an als Fehlbedarf ausgewiesen wurde, 18 Millionen Euro nämlich. 

Es ist ja auch nicht vergessen, dass Finanzsenator Ulrich Nußbaum im November 2013 im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses zur allgemeinen Verblüffung die 25-Millionen-Bremse zog. Will heißen: nur die Einnahmen, die 25 Millionen Euro übersteigen, sollten zu je einem Drittel Kultur, Sport und touristischen Zwecken zufließen. Was abermals revidiert wurde, als das wahre Ausmaß des Geldsegens aus der Bettensteuer absehbar wurde. Was neben anderen Akteuren auch Christophe Knoch „Die zweite City-Tax-Lüge“ nennt.

Aber 3,5 Millionen Euro pro Jahr – als fester Haushaltstitel eingestellt – sind auch nicht nichts. Zu zwei Dritteln werden damit Projekte der Freien Szene gefördert. Zu einem Drittel Projekte von Institutionen, insbesondere Kooperationen mit der Freien Szene. Zudem wächst der Kulturetat nicht unerheblich. Die Freie Szene bekommt 7,5 Millionen Euro mehr in 2016, 9,5 Millionen 2017. Wovon eine Reihe von lange erhobenen Forderungen aus dem 10-Punkte-Programm erfüllt werden. Darunter:

  • Honoraruntergrenzen in der Darstellenden Kunst (450.000 in 2016; 1,2 Millionen Euro in 2017)
  • Einführung von Ausstellungshonoraren in der Bildenden Kunst (300.000 p.a.)
  • Erhöhung der Mittel für Arbeits- und Recherchestipendien (1,5 Millionen Euro p.a.)
  • Ausbau und Aufbau der Arbeitsraumförderung (2,4 Millionen Euro in 2016; 3,5 Millionen Euro in 2017)
  • zusätzliche Mittel für die Neue Musik (120.000 p.a.)
  • Erhöhung der Förderung der sogenannten Ankerpositionen wie dem HAU und den Kunst Werken (900.000 in 2016 und 1,15 Millionen in 2017) sowie der Projekträume und -initiativen aller Sparten (445.000 p.a.)

Quelle: Senatskanzlei Kulturelle Angelegenheiten

Alles in allem weit mehr, als man selbst bei optimistischer Einschätzung hätte erwarten dürfen.

Koalition der Freien Szene revisited

Als sich die spartenübergreifende Koalition der Freien Szene Anfang 2012 formierte – als Verband von rund 70 Institutionen, Verbänden und Einzelpersonen – herrschten noch ganz andere Zeiten für die Kultur. Im März 2012 erschien das berüchtigte Werk „Der Kulturinfarkt“ von Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stephan Opitz, das die Schließung der Hälfte aller deutschen Theater und Museen nahelegte und die Privatisierung von Konzertbühnen vorschlug.

Etwa zur selben Zeit brachte der Kultur-Pirat Christopher Lauer die Streichung der kompletten Subventionen der Deutschen Oper ins Spiel, um stattdessen „kleinere Projekte“ zu fördern.

Und für einigen Unmut hatte gerade die Entscheidung gesorgt, Jürgen Flimms Luigi-Nono-Produktion „Al gran sole carico d’amore“ mit 215.000 Euro aus dem Hauptstadtkulturfond (HKF) zu fördern. Bloß noch 60 Prozent des HKF, so monierte ihrerzeit die Koalition, kämen der Freien Szene zugute. Ein großes Krisengemenge aus Kahlschlagsgeschrei und groteskem Robin-Hood-Aktionismus.

Von nennenswerten Mittelerhöhungen konnte entsprechend keine Rede sein. Im Doppelhaushalt 2012/2013 wurden der Freien Szene 510.000 Euro mehr pro Jahr zugebilligt, gleichzeitig erhielten die Boulevardbühnen Kudamm- und Schlosspark-Theater 460.000 Euro. Dazu gab’s noch mal 100.000 Euro für das Grips-Theater. Die dazugehörige Meldung auf der Seite des kulturpolitischen Sprechers der CDU-Fraktion Stefan Schlede – „Berlin unterstreicht die immense Bedeutung von Kunst und Kultur“ – klang da seltsam euphorisch.

Kampagne mit Nachhall

In dieser Situation nahm die Koalition der Freien Szene ihren Kampf um die City Tax auf. Und war klug genug, sich mit ihrem in der Folge verschiedentlich upgedateten 10-Punkte-Plan gleich ein konkretes Programm zu geben, das Expertise und Perspektive beglaubigen konnte.

Ab August 2013 folgte die breit angelegte und medial widerhallende Kampagne unter dem Titel „Geist ist noch flüchtiger als Kapital – haltet ihn fest“.

Grundsteine für die Sichtbarkeit einer dem Selbstverständnis gemäß offenen Aktionsplattform, die „Ansprechbarkeit erzeugt hat, wo vorher der Eindruck einer hermetischen Szene bestand und Kontakte zur Politik zufällig blieben“, so Christophe Knoch. In bahnbrechenden Erfolgen hinsichtlich der City-Tax-Verteilung schlugen sich die Aktionen zwar zunächst nicht nieder. Siehe die bereits erwähnte Nußbaum-Volte von November 2103. Immerhin aber wurde die Freie Szene im Doppelhaushalt 2014/15 mit 3,2 Millionen Euro mehr bedacht. Wovon eine Million in den Etat der Einzelprojekt-, Basis- und Spielstättenförderung floss – 400.000 Euro davon für einen Eigenmittelfonds, 300.000 für einen Wiederaufnahmefonds gedacht.

Vorschläge aus der Freien Szene. Und erste deutliche Signale, dass die Forderungen der Koalition auf politischer Seite Gehör fanden.

Dass zugleich auch an allen Fördergremien vorbei ein eigener Titel für die Kompanie Toula Limnaios (250.000 Euro pro Jahr) geschaffen wurde, war wiederum Ausweis der althergebrachten, intransparenten Klientel-Kulturpolitik Marke Klaus Wowereit und André Schmitz.

Verhandeln unter Partnern

In der Rückschau zählt es aus Sicht der Koalition der Freien Szene sicherlich zu den glücklichen Fügungen des Politbetriebs, dass Kulturstaatssekretär André Schmitz Anfang 2014 über eine Steueraffäre stolperte. Jener Schmitz, der noch im Sommer des Vorjahres der BZ diktiert hatte: „So katastrophal können die Arbeitsbedingungen für junge Künstler in Berlin nicht sein, sie würden sonst wohl nicht in die Stadt kommen“.

Mit der Amtsübernahme von Tim Renner hielt – bei allem, was man dem Kreativwirtschaftsfan auch vorwerfen kann – ein anderes Verständnis von Augenhöhe Einzug. Sprich: die Koalition der Freien Szene wurde in die entscheidenden Verhandlungen stets einbezogen. Als Renner im August 2015 sein Konzept für die City Tax vorstellte, war neben Andreas Altenhof als Sprecher des Rates für die Künste auch selbstverständlich Christophe Knoch geladen. Sowohl die Beratungen über die Verteilung der City-Tax-Gelder aus 2014 (1,37 Millionen Euro für die Freie Szene), als auch die Überlegungen zur Verwendung der jetzt festgeschriebenen 3,5 Millionen Euro fanden unter Beteiligung der Koalition der Freien Szene statt. „Wir sind übereingekommen, dass die Legislative, also die Parlamentarier, die Exekutive in Gestalt der Kultursenatsverwaltung und wir – die organisierte Bürgerschaft – gemeinsam den Prozess gestalten“, beschreibt Knoch die Beratungen, die er „wie Tarifverhandlungen“ erlebt hat. Die kulturpolitischen Sprecher/innen der Regierungsfraktionen, Stefan Schlede (CDU) und Brigitte Lange (SPD), Tim Renner oder Sabine Koehncke von der Kultursenatsverwaltung und Vertreter/innen der Freien Szene wie Simone Willeit, Moritz Malsch und eben Knoch handelten in kleinem Kreis Details über den Förderbedarf von Projekten, Stipendien, Produktions- und Präsentationsorten aus.

„Dass dieser partizipative Prozess notwendig wurde, ist ein Zeichen für die Katastrophe der bisherigen Kulturpolitik“, so Knoch. „Dass er möglich wurde, ist ein Zeichen für die Öffnung neuer Horizonte“.

Qualität nach Geld?

Bleibt die Frage: was folgt auf den gewonnenen Kampf um die City Tax?

Natürlich wird weiter um Details gestritten werden. Selbstredend ist – was die Forderungen der Freien Szene betrifft – auch finanziell noch Luft nach oben. Aber das wird kaum die Agenda füllen.

Die Koalition der Freien Szene versteht sich, wie gesagt, als offene Aktionsplattform. „Wir sind nicht gewählt“, sagt Knoch, „also ist unsere Legitimation die Aktion“. Was Druck zur Präsenz erzeugt.

Andererseits: an kulturpolitischen Themen herrscht kein Mangel. Zum Beispiel könnte auf die Mitteldebatte auf ebenso breiter Front eine ganz neue Diskussion folgen. Die um Qualität nämlich.