Das deutsch-französische Verhältnis: Die Angst vor dem ewigen Hegemon

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Der Umgang mit dem politischen Ungleichgewicht ist eine der großen Herausforderungen Europas

Europa braucht ein stabiles deutsch-französisches Verhältnis. Doch in der Schulden- und Flüchtlingskrise vertreten Paris und Berlin nicht nur unterschiedliche Positionen - die Debatten in beiden Ländern sind geprägt von Stereotypen über den Nachbarn.

Eine Analyse der Deutschland- und Frankreichbilder zeigt in frappierender Weise, wie viele Wahrnehmungsmuster im Laufe der Zeit trotz intensiver Zusammenarbeit und vielfältiger Berichterstattung unverändert geblieben sind. Deutschland gilt in Frankreich als starkes und dynamisches Land mit ausgeprägter Sozialpartnerschaft, während Frankreich als schwach und verkrustet, etatistisch und verschwenderisch erscheint. Im Kern geht es dabei um das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Nachbarländern und die in Frankreich omnipräsente Frage um Deutschlands Rolle in Europa.

In Deutschland war die Verwunderung groß, als im Zuge der Eurokrise in Frankreich – wie auch in anderen europäischen Ländern – die Bezüge aus den dunkelsten Phasen deutscher Vergangenheit aufkamen und plötzlich wieder vom hässlichen Deutschen die Rede war. Allenthalben waren Begriffe wie „deutsches Europa“, „deutsches Diktat“, „deutscher Blitzkrieg“ zu lesen und zu hören. Dass solch überwunden geglaubte Ressentiments wieder aufbrechen könnten – damit hatte kaum jemand gerechnet. Die Reaktionen darauf waren zweierlei. Bei den einen war es die Sorge, dass das deutsch-französische Verhältnis Schaden nehmen und ein Riss durch Europa gehen könne. Bei den anderen herrschte Unverständnis angesichts der enormen finanziellen und politischen Verantwortung, die Deutschland übernommen hatte.


Christine Pütz hat im Nomos Verlag soeben das Buch "Frankreich und Deutschland - Bilder, Stereotype, Spiegelungen: Warnehmung des Nachbarns in Zeiten der Krise" mitherausgegeben. Als Leseprobe finden Sie hier die Einleitung (PDF).

Das Buch erscheint im Juli als kostenlose Publikation der Heinrich-Böll-Stiftung und wird im Rahmen einer Abenddebatte öffentlich vorgestellt.

 

 


Was vielen als einmaliger Rückfall in die Rhetorik der deutsch-französischen „Erbfeindschaft“ erscheint, ist indes keine Besonderheit. Umbruchphasen und Krisen haben auch nach der deutsch-französischen Aussöhnung, als beide Staaten bereits als unzertrennliches Führungstandem Europas galten, dazu geführt, dass die öffentliche Debatte über das Nachbarland von Polemik geprägt wurde.
Französische Deutschlandpolitik basiert bis heute darauf, eine Symmetrie zum deutschen Nachbarn aufrechtzuerhalten bzw. den Abstand nicht zu groß werden zu lassen. Die Europäische Einigung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutete für Frankreich in erster Linie die Einbindung Deutschlands in eine neue internationale Friedensordnung und entsprach einem vitalen Sicherheitsbedürfnis. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert.

Immer wenn sich im Kräfteverhältnis zwischen Deutschland und Frankreich etwas verändert und die deutsch-französischen Beziehungen einer Neujustierung bedürfen, wird in Frankreich die alte Angst vor einer deutschen Hegemonie herauf beschworen. So war es schon in den 1970er Jahren als nach den Jahren der Ölkrise Deutschland wirtschaftlich besser da stand, so war es auch als Deutschland nach dem Mauerfall die Wiedervereinigung anstrebte und als die Osterweiterung der EU anstand.

Zahlmeister Europas

In Deutschland ist für viele diese Angst – nach Jahrzehnten der Europäischen Integration, in denen sich die BRD als verlässlicher Partner bewährt hat – nur schwer nachvollziehbar. Zumal das deutsche Selbstbild ein ganz anderes. Es ist bis heute noch von dem Bild des „ökonomischen Riesen und politischen Zwergs“ geprägt. Im wiedervereinigten Deutschland hat sich das zugrundeliegende Motiv des Zahlmeister Europas, dessen ökonomisches Gewicht nicht mit dem entsprechenden europapolitischen Einfluss einhergeht, weiter verfestigt.

Der Glaube, dass sich mit der engen deutsch-französischen Partnerschaft alte Stereotype auflösen würden, war ein Irrglaube. Die unterschiedlichen Leitmotive und Muster der Fremd- und Selbstwahrnehmung prägen auch heute die Debatte über die Rolle Deutschlands in der Eurokrise und nun auch in der Flüchtlingskrise. Alte Stereotype überlagern oft die Sachdebatte und führen zu gegenseitigem Unverständnis.

Der Umgang mit dem Ungleichgewicht

Umfragen zeigen, dass Deutsche und Franzosen – trotz der Konflikte der letzten Jahre – mehrheitlich ein gutes Bild voneinander haben und das Nachbarland nach wie vor als den wichtigsten Partner ansehen. Auch legt eine große Mehrheit Wert auf eine gute deutsch-französische Zusammenarbeit. Doch schaut man genauer hin, werden kleine Risse sichtbar. So bewerten weitaus weniger Franzosen und Französinnen den Zustand der deutsch-französischen Beziehungen als ausgeglichen. Auch verwenden die französischen Befragten doppelt so häufig die Begriffe Rivalität und Misstrauen, um die deutsch-französischen Beziehungen zu charakterisieren, während die deutschen Befragte die Begriffe Freundschaft, Vertrauen und Solidarität deutlich häufiger nennen.

Stereotype spitzen zu, verkürzen – und sprechen einen wahren Kern an. Deutschland hat sich seit der Wiedervereinigung gewandelt. Es ist wirtschaftlich gestärkt aus der Eurokrise hervorgegangen und die deutsche Stärke weckt Misstrauen – nicht nur in Frankreich. Deutschland ist die neue mitteleuropäische Zentralmacht, die (nicht nur) Frankreich Missbehagen auslöst. Der Umgang mit diesem Ungleichgewicht ist eine der großen politischen Herausforderungen für die Zukunft Europas. Um handlungsfähig zu sein, war das vereinte Europa bislang auf ein funktionierendes deutsch-französisches Führungstandem angewiesen.