Syrien: Europäische Abgeordnete fordern humanitäre Versorgung aus der Luft

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Zerstörte Wohngegend in Aleppo, Syrien

In einem offenen Brief fordern zahlreiche Parlamentarier/innen aus Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich und Deutschland ihre Regierungen auf, die von Versorgungsblockaden betroffenen Menschen aus der Luft zu versorgen.


Hunderttausende Syrerinnen und Syrer leben seit Jahren unter Belagerung, mehrheitlich durch das syrische Regime. Dutzende Menschen sind schon verhungert, Mangelernährung ist weitverbreitet, und insbesondere die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft, alte Menschen und Kinder, sind gefährdet. Hungerblockaden richten sich gegen Zivilisten und sind daher völkerrechtswidrig. In diversen Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zu Syrien fordern die Großmächte daher einen unbeschränkten Zugang für humanitäre Hilfe. Dem hat das syrische Regime „im Prinzip“ auch zugestimmt. De facto genehmigt es jedoch nur äußerst punktuell Hilfskonvois, bestimmte Güter zu liefern.


In einem diese Woche veröffentlichten offenen Brief fordern Parlamentarier/innen aus Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich und Deutschland daher die jeweiligen Regierungen auf, die Menschen aus der Luft zu versorgen. Zu den Unterzeichnern aus Deutschland zählen Franziska Brantner, Marieluise Beck, Uwe Kekeritz und Roderich Kiesewetter.


Darin heißt es: „Schon seit zwei Monaten hätte Hunger als Kriegswaffe in Syrien kein Thema mehr sein sollen. Innerhalb von Tagen nach Beginn der teilweisen Waffenruhe hätten die dringend benötigten Nahrungsmittel und Medikamente an die verzweifelten Gemeinden geliefert werden und eine Vereinbarung getroffen werden sollen, die die Blockaden aufhebt. Doch jetzt, zwei Monate später, stehen viele Menschen noch immer knapp vor dem Verhungern. Die meisten haben noch nicht einen einzigen Versorgungs-LKW zu Gesicht bekommen.“


Ein Beispiel von vielen ist Daraya, eine Stadt im Südwesten von Damaskus, die seit November 2012 belagert ist. Daraya machte sich früh einen Namen im Aufstand gegen Assad, weil sie mit kreativen Mitteln den explizit gewaltfreien Widerstand praktizierte. In Daraya führte der syrische Aktivist Ghiath Mattar eine Kampagne an, die sich an die syrische Armee richtete. An einem Tag begrüßten die Menschen das Militär mit Rosen, an einem anderen stellten sie ihnen Wasser hin. „Wir sind alle Syrer, wendet keine Gewalt gegen uns an,“ war die Botschaft. Das beantwortete das syrische Regime, in dem es Mattar im September 2011 verhaftete, zu Tode folterte und wenige Tage später der Familie seinen geschundenen Körper überstellte.


Im August 2012 verübten Regime-Truppen ein Massaker in Daraya. Hind Kabawat, eine Christin aus Daraya schreibt in Foreign Policy darüber: „Die staatlichen Medien initiierten eine aggressive Propagandakampagne, die behauptete, Muslime würden Christen massakrieren, und hofften damit, in der christlichen Gemeinde Angst vor der Opposition zu schüren. Während Regimesoldaten auf der Suche nach Leuten, die sie ermorden könnten, von Haus zu Haus gingen, war es die christliche Gemeinde in Daraya, die ihre Türen öffnete, um denjenigen, die vor den Gräueltaten flohen, Schutz zu gewähren. Eine katholische Kirche behandelte die Verwundeten und bereitete Essen für sie zu.“


Nach dem Massaker gingen die Einwohner von Daraya mit Plakaten auf die Straße, auf denen zu lesen war: “Was immer ihr auch tut, ihr werdet uns nicht von unserem Weg abbringen. In einem freien Syrien werden wir euch alle vor Gericht stellen.“ Gerechtigkeit, nicht Rache. Genau das machte Daraya zu so einem Dorn im Auge des Regimes, weil es seinem Narrativ, die Aufständischen seinen gewaltbereite Terroristen, entgegenstand.


Der UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien beschreibt die Situation in Daraya als verheerend. Trotz „unablässiger Anfragen“ gestatte das Regime keine Hilfslieferungen nach Daraya. An Bildern aus der Stadt, deren Einwohner/innen mit Gras und Wassersuppe überleben, mangelt es nicht, an Augenzeugen, an Aussagen von Aktivist/innen, Journalist/innen und syrischen Organisationen wie Women Now. Umso bittererer für die verbleibenden 8.000 Einwohner/innen also, dass eine UN-Delegation Daraya Anfang April besuchte – ohne Hilfsgüter – um  „sich ein Bild der Lage zu machen.“


Am 25. April gab es eine Demonstration der Frauen in Daraya, auf deren Spruchbändern zu lesen war: „Die Frauen von Daraya fordern ein Ende der Belagerung.“ Die Journalistin Rafaf Habboub aus der Stadt mahnte: „Helft uns, ein weiteres Madaya zu verhindern.“ Sie bezieht sich dabei auf eine weitere Stadt, die erst internationale Aufmerksamkeit erhielt, als schon Dutzende Menschen verhungert waren.


Versorgung aus der Luft ist kompliziert und teuer, deswegen wird sie allenfalls als letztes Mittel in Betracht gezogen. Angesichts der fortgesetzten Belagerungen und angesichts dessen, dass das Regime weiterhin kaum Versorgung auf dem Landweg zulässt, ist dieser Punkt jedoch erreicht. Auch ist Neutralität ein Grundsatz humanitärer Hilfe. Bislang hat das Regime der Luftversorgung lediglich eines Ortes zugestimmt: Deir ez-Zor, das von ISIS eingeschlossen ist. Insofern wäre dringend geboten, sich auch um andere Gegenden zu kümmern. Russland, Mit-Initiator der Genf-Gespräche, hat den UN-Resolutionen zu unbeschränkter humanitärer Versorgung zugestimmt. Insofern sollte es dazu beitragen, diese zu ermöglichen, und sei es aus der Luft.


Die Abgeordneten, die sich für eine Versorgung aus der Luft einsetzen, kommen aus den Staaten, deren Luftwaffe im Kampf gegen ISIS involviert ist. So heißt es in dem Brief: „Wenn es der UN an Möglichkeiten gebricht, Hilfe auszuliefern, können wir dies ermöglichen und sind vor Ort. Abwürfe aus großer Höhe würden dafür sorgen, dass unsere Piloten nicht gefährdet würden.“


 


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