"Verbindliche Klimavorgaben für die Industrie"

Airbus-Vorstand Tom Enders

Im Gespräch: Böll-Vorstand Ralf Fücks und der Vorstandsvorsitzende der Airbus Group Tom Enders.
 

Herr Enders, Herr Fücks, setzt die Klimadebatte die Luftfahrtbranche unter Druck?

Ralf Fücks: Zu Recht! Das Flugzeug ist das schmutzigste Transportmittel.

Das sagen ausgerechnet Sie, Herr Fücks! Auf Facebook kann jeder verfolgen, wie Sie um die Welt jetten.

Fücks: Ich lebe in derselben Schizophrenie wie ein guter Teil der grünen Wählerschaft. Wir wissen um die schädlichen Folgen des Fliegens, und wir tun es trotzdem. Unsere Stiftung hat Partner und Projekte in aller Welt. Also bin ich viel unterwegs. Alles ist heute global: Politik und Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur – selbst die Liebe. Ich will deshalb die Fliegerei so umweltfreundlich wie möglich machen und zugleich überflüssige Flüge reduzieren.

Was meinen Sie damit?

Fücks: Ich finde es dekadent, mal eben zum Shoppen nach London zu fliegen. Und im innerdeutschen Flugverkehr können wir die meisten Flüge durch Zugfahrten ersetzen.

Tom Enders: Es gibt Untersuchungen, die sagen: Niemand ist so viel in der Luft wie die Anhänger der Grünen. Zugleich sind die Grünen diejenigen, die allen anderen das Fliegen untersagen wollen. Wein trinken und Wasser predigen, das ist Ihre Devise!

Fücks: Einspruch: Wir wollen den Leuten das Fliegen nicht austreiben. Ich setze nicht auf Moralpredigten und Verbote, sondern auf den Erfindungsgeist von Wissenschaft und Industrie.

Enders: Bill Gates hat einmal gesagt, das Fliegen war das erste World Wide Web, das die Menschen global miteinander verbunden hat. Und das ist heute wichtiger denn je.

 

Ralf Fücks und Tom Enders diskutieren die Zukunft des Fliegens

Aber Fliegen ist eben auch wesentlich umweltfeindlicher als das Internet.

Enders: Wir sind schon viel länger ökoeffizient, als es dieses Wort überhaupt gibt. Unsere Kunden, die Airlines, waren schon aus Kostengründen immer an sparsamen Flugzeugen interessiert. Das kommt auch der Umwelt zugute. Die Motoren benötigen heute 70 Prozent weniger Kerosin als vor 40 Jahren.

Fücks: Reden Sie die Dinge nicht schön. Der Flugverkehr wächst weltweit um fünf Prozent im Jahr. So viel Kerosin können Sie durch mehr Effizienz bei konventioneller Technik gar nicht einsparen. Allein das Fliegen trägt heute fünf Prozent zum Klimawandel bei.

Enders: Nun mal halblang! Wenn man den Ausstoß von Kohlendioxid betrachtet, sind es gerade mal zwei Prozent.

Fücks: Sie müssen auch Stickoxide, Rußpartikel und Wasserdampf einbeziehen. Die steigern den CO2-Effekt erheblich.

Enders: Die Abholzung von Regenwäldern trägt im Schnitt 25 Prozent zum Klimawandel bei. Würden die Grünen sich mit der gleichen Intensität um die Regenwälder kümmern wie um den Luftverkehr, wäre uns mehr geholfen.

Enders: Tun wir doch. Wir sind die einzige Industrie, die sich harte Klimaziele gesetzt hat. Vom Jahr 2020 an werden wir CO2neutral wachsen, obwohl der Luftverkehr weiter zunimmt. Bis 2050 senken wir den CO2-Ausstoß um 75 Prozent, die Stickoxide sogar um 90 Prozent. Die Flugzeuge verursachen dann 60 Prozent weniger Lärm. Fast unsere komplett en Forschungsgelder geben wir für Ökoeffizienz aus. Da muss ich mir nicht vorwerfen lassen, dass wir zu wenig tun.

Fücks: Da müssen Sie die Innovationsgeschwindigkeit aber noch enorm steigern. Durch Verbesserungen der vorhandenen Technologien werden Sie diese Ziele nie und nimmer schaffen. Dafür brauchen wir Sprunginnovationen bei Antrieb, Kraftstoffen und Material. Schließlich wird sich die Zahl der Flugzeuge bis Mitte der 2030er-Jahre weltweit verdoppeln. Da gibt es einen Zielkonflikt: Die Industrie scheut den Wechsel in neue Technologien, weil sie erst alte Investitionen amortisieren will.

Die Antwort von Herrn Enders befriedigt Sie nicht, Herr Fücks?

Fücks: Nein. Man muss der Industrie verbindliche Klimavorgaben machen. Und ihr endlich die Privilegien und Subventionen streichen.

Welche?

Fücks: Die Flugzeugindustrie ist bisher vom Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten ausgenommen, Kerosin wird nicht besteuert, und auf internationalen Flügen fällt keine Mehrwertsteuer an. In der Summe sind das Subventionen von zehn Milliarden Euro, ohne dass Gegenleistungen für die Umwelt erbracht werden müssen. Da braucht es dringend verbindliche Vorgaben.

Enders: Dieses Argument geht ins Leere! Der Luftverkehr ist der einzige Verkehrsträger, der sich selbst finanziert. Außerdem wäre schon viel gewonnen, würde die Politik ihre Hausaufgaben machen. Die europäische Kleinstaaterei etwa bei der Luftüberwachung kostet viele Tonnen Kerosin, weil die Flugzeuge Umwege und Warteschleifen fliegen müssen.

Fücks: Ich bleibe dabei: Ohne politische Regulierung geht es nicht. Von alleine passiert zu wenig. Ambitionierte Umweltauflagen wirken als Innovationstreiber der Industrie. Sie befördern also nicht nur den ökologischen, sondern auch den technischen Fortschritt.

Zwischenbilanz: Sie, Herr Enders, sagen: Wir sind aus Wettbewerbsgründen ökologisch innovativ. Sie, Herr Fücks, bestehen auf Regulierung.

Fücks: Ja. Wer als Erster ein Flugzeug auf den Markt bringt, das mit einer Kombination von Elektroantrieb und Algensprit fliegt, wird auch wirtschaftlich die Nase vorn haben.

Enders: Einspruch! Regulierung produziert keinen Fortschritt. Innovationsschübe sind auch nicht das Ergebnis von Regulierung, sonst wäre die DDR doch ein Hightech-Staat gewesen. Und Tatsache ist: Wir arbeiten an Elektroflugzeugen, alternativen Antrieben, leichteren Materialien und vielem mehr.

Fücks: Am Beispiel VW kann man sehen, wohin es führt, zu lange an alten Technologien festzuhalten.

Enders: Alles Geld, das die Airlines für Regulierung zahlen, können sie nicht in Forschung oder Produkte für mehr Ökoeffizienz investieren. Ich bin nicht grundsätzlich gegen jede Regulierung. Aber wenn sie erfolgt, dann bitte nicht einseitig, sondern auf globaler Ebene. Denn unsere Industrie ist global.

Der extrem niedrige Kerosinpreis macht die Airlines träge?

Enders: Nein, denn die Spritpreise können sich rasch wieder verteuern. Das wissen unsere Kunden; sie planen immer langfristig. Es gibt keine Abbestellungen. Die Leute fliegen lieber mit modernen Maschinen um die Welt.

Wann werden wir mit einem geräuschlosen, batteriebetriebenen Airbus von Frankfurt nach New York fliegen?

Enders: Wir haben eine klare technologische Vision: Wir wollen in 20 Jahren ein Flugzeug mit rund 90 bis 100 Sitzen elektrisch fliegen lassen, fast geräuschlos und emissionsfrei. In solchen Themen liegt die Zukunft, auch wenn hier – zugegeben – noch viel Arbeit vor uns liegt.

Das Gespräch führten Ralph Bollmann und Rainer Hank. Es erschien am 22. November 2015 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.