Bildung in der Einwanderungsgesellschaft

Handlungsfelder der Arbeitsmarktintegration - Präsentation von Hans-Peter Klös
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Handlungsfelder der Arbeitsmarktintegration. Aus der Präsentation von Hans-Peter Klös

Vom Krisen- in den Integrationsmodus umschalten – diese Aufgabe müssen Schule und Berufsbildung nun bewältigen. Es geht darum, den Geflüchteten eine berufliche Perspektive zu eröffnen und sie so in die Gesellschaft zu integrieren. Ein Bericht zu unserer Gesprächsreihe "Zukunftswerkstatt Deutschland".

„Deutschland ist zur Einwanderungsgesellschaft geworden.“ Mit diesen Worten eröffnete Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, die zweite Veranstaltung der neuen Staffel von Fachgesprächen gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Im vergangenen Jahr sind eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, die zusätzlich zu den netto 400.000 Arbeitsmigranten eine ganz neue Qualität der Zuwanderung bedeuten. Die massive Zuwanderung, so Fücks, bedinge große gesellschaftliche Veränderungen.

Erstes Gebot seien Bildung und Qualifizierung, um den Menschen eine Perspektive in Deutschland zu bieten. Aber nicht nur das: Auch ein neues Einwanderungsgesetz sei notwendig, um die Welle der Menschen, die ins Land geströmt sind und noch strömen, nicht als Naturereignis anzusehen, sondern sinnvoll zu steuern. Deshalb wurden diese beiden Themen – Bildung und Qualifizierung sowie ein neues Einwanderungsgesetz – auf die Tagesordnung gesetzt.

Integration über Arbeitsmarkt

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, legte in seiner kurzen Einführung Wert darauf, Flüchtlingsmigration und Arbeitsmigration nicht zu vermengen. „Die Flüchtlinge kommen nicht, um unsere Probleme zu lösen“, sagte er mit Blick auf die demografische Entwicklung und den sich abzeichnenden Fachkräftemangel. Gleichwohl stelle sich die Frage nach den Integrationsmöglichkeiten, die Deutschland anzubieten habe – auch und vor allem über den Arbeitsmarkt.

 

Qualifikationsstruktur der Asylbewerber

Der erste Impuls kam von Hans-Peter Klös, Bereichsleiter Wissenschaft des IW (hier die Präsentation mit allen Folien als PDF). Er begann mit einem Befund: Die Flüchtlingszahlen schmelzen ab. „Wir befinden uns im Übergang vom Krisen- zum Integrationsmodus“, sagte er. 2016 sei das erste „Echtjahr“ der Integration, in dem Deutschland die Leistungsfähigkeit seiner Institutionen unter Beweis stellen müsse.

Spracherwerb und Qualifizierung im Fokus

Angesichts der vielen jungen Menschen, die bisher in 2015 und 2016 Schutz in Deutschland gesucht haben – knapp 75 Prozent sind jünger als 30 Jahre – bestehe ein enormer Beschulungs- und Qualifizierungsbedarf, der Deutschland angesichts der hohen Varianz in den bereits vorhandenen Qualifikationen vor große Herausforderungen stelle.

Die Hürden für eine sozialversicherungspflichte Beschäftigung der Flüchtlinge und Mig-ranten seien hoch: unzureichenden Deutschkenntnisse, mangelnde Qualifikation, Unsi-cherheit über die mögliche Beschäftigungsdauer auf Seiten der Arbeitgeber und ein enormer bürokratische Aufwand. Hier nahm der Wissenschaftler in erster Linie die Politik in die Pflicht.

Klös nahm für die überwiegend jungen Flüchtlinge die berufliche Bildung in den Blick, auch in der Hoffnung, den sich immer deutlicher abzeichnenden Mangel an Auszubil-denden langfristig mit Hilfe der Zuwanderung zu begrenzen. Doch das braucht Zeit: Vom Eintritt ins Land bis zum möglichen Beginn einer Ausbil-dung würden mindestens 22 Monate vergehen, bis zur Arbeitsmarktreife fünf bis sechs Jahre. „Wir brauchen realistische Erwartungen auf beiden Seiten.“

Integration als Chance

Kerstin Andreae, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, regte an, die gesamte Diskussion um die Integration von Flüchtlingen auch als Chancendebatte zu verstehen. Die gesellschaftliche Akzeptanz der gemeinsamen Aufgabe sei die Basis für das Gelingen. „Die Prosperität in Deutschland hängt von der Offenheit der Gesellschaft ab.
Die Aufgabe der Integration müssen wir als Investition begreifen“, sagte sie.

 

Deckung des Personalbedarfs

Andreae brachte darüber hinaus demografische Gründe an, warum die Zuwanderung mehr Chance als Risiko sei. Es gebe keine Alternative zur Integration. Für die Ausbildung der Flüchtlinge rechnen die Grünen mit „Investitionen“ von zwei Milliarden Euro jährlich – veranschlagt auf die nächsten zehn Jahre. Spielraum sieht die Politikerin allerdings nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch in der Verwaltungsstruktur und ihrer Unübersichtlichkeit. „Hier gibt es Chancen auf staatliches Handeln, die Prozesse einfacher, schneller, einheitlicher und transparenter zu gestalten.“ Dazu forderte sie ein Ende der Vorrangprüfung. Diese müsse fallen, sie sende das falsche Signal.

Bildungsniveau oft gering

In dem sich anschließenden Gespräch mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Roundtable fiel mehr Schatten als Licht auf die Lage und die Herausforderungen, die die neue Form der Zuwanderung mit sich bringt. Berichte von Personen, die im direkten Kontakt mit Flüchtlingen stehen, zeigten, wie wenig die Kompetenzen der Geflüchteten den Erwartungen der Wirtschaft entsprechen, nicht nur, weil das Bildungsniveau niedriger ist, sondern weil in den Ländern zum Teil schon seit Jahren Krieg herrscht und alle wirtschaftlichen Strukturen zerfallen sind. Die Unterschiedlichkeit in der Bildungsstruktur der einzelnen Länder ist hoch.

Spracherwerb, berufliche und schulische Bildung gerieten in den Fokus. Dabei wurde deutlich, wie wenig Flüchtlinge bereits „ausbildungsreif“ seien. Der Spracherwerb erfordere viel Zeit und bringe vor allem hohe Kosten mit sich, hieß es. Ein sehr kritisches Bild über die Angebote zum Spracherwerb ergibt sich offenbar in vielen Notunterkünften. Die Kurse sind nicht passgenau und vielfach ineffizient. Vor allem sind die Sprachlehrkräfte so schlecht bezahlt, dass sie allzu schnell wieder aussteigen. Als Problem wurde zudem die fehlende Evaluation der Maßnahmen zur sprachlichen Qualifizierung angesprochen.

 

Hürden für die Einstellung von Flüchtlingen

Doch noch anderes steht einer Qualifizierung im Wege: die unzureichenden Informationen über vorhandene Qualifikation und Kompetenzen der Flüchtlinge einerseits, sowie ihre zum Teil geringe Bereitschaft, sich auf den langwierigen und mühsamen Weg einer Berufsausbildung zu machen – auch weil die Familie in der Heimat auf Geldtransfers wartet.

Erwartungen erden

Mehr Tempo – das forderten die Diskussionsteilnehmer/innen, die unmittelbar mit Flüchtlingen zu tun haben. Die Beschleunigung der Prozesse erschien ihnen ebenso wichtig wie eine flexible Handhabe der Anerkennung von Kompetenzen seitens der Sozialpartner im allzu zertifikatsgläubigen Deutschland.

Die Hoffnung, dass Flüchtlinge sowohl das demografische Problem hierzulande lösten als auch die Ausbildungsbewerberlücke in näherer Zukunft füllen würden, erwies nach Berichten von Expertinnen und Experten „vor Ort“ als Illusion. Mehrere Diskussionsteilnehmer/innen forderten zudem ein besseres Erwartungsmanagement auf Seiten der Geflüchteten. Bei den erwachsenen Migranten seien die Hoffnungen in Bezug auf Verdienst und Karriere völlig überzogen.

 

 

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Version des Berichts "Einwanderungsgesellschaft als Gestaltungsaufgabe" aus unserer Gesprächsreihe "Zukunftswerkstatt Deutschland".