Judentum: Was Sie schon immer wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten

Die Veranstaltung bildet den Abschluss der dreiteiligen Reihe "Was Sie schon immer über Judentum wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten". Sie wurde im Rahmen der Jüdischen Kulturtage Berlin in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt.

Sehr geehrte Damen und Herrn,

herzlich Willkommen zu dieser Sonntagsmatinee in der Heinrich-Böll-Stiftung. Wir hoffen, dass Sie von Ihrem Wahlrecht, dem Königsrecht der Demokratie, bereits Gebrauch gemacht und Ihr Kreuz an der richtigen Stelle gesetzt haben – oder das im Anschluss an diese Veranstaltung noch tun werden.  Das Thema des Vormittags lautet: "Was Sie schon immer über Judentum wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten."

Ralf Fücks ist Gründer und geschäfts­füh­ren­der Gesell­schaf­ter des Zen­trums Libe­rale Moderne in Berlin. Zuvor war er 21 Jahre lang Vor­stand der Hein­rich-Böll-Stif­tung, in denen er sich für die Inlands­ar­beit der Stif­tung sowie für Außen- und Sicher­heits­po­li­tik, Europa und Nord­ame­rika ver­ant­wort­lich zeich­nete. 

➢ Sämtliche Texte und Reden von Ralf Fücks

Eine Bildungsveranstaltung, gewiss, aber keine wie jede andere. Das Wissen über das Judentum ist in Deutschland mit den Juden untergegangen. Jüdisches Leben, das über ein Jahrtausend die europäische Kultur mit geprägt hat, wurde in wenigen Jahren des entfesselten Antisemitismus zertreten. Es war nicht das Fremde, das mit den Juden vernichtet wurde – es war die Blüte der deutschen Literatur, Kunst, Wissenschaft.  Ich war erst vor kurzem in der Liebermann-Villa am Wannsee: ein Denkmal der Katastrophe, die der Nationalsozialismus nicht nur für die deutschen Juden bedeutete. Bevor er sie physisch vernichtete, zerstörte er die Illusion der Dazugehörigkeit, aus der auch Max Liebermann schmerzlich erwachen musste.

Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland

Dass wir heute eine Renaissance jüdischen Lebens in Deutschland erleben, grenzt an ein Wunder. Die jüdische Gemeinschaft ist wieder im geistigen, politischen und gesellschaftlichen Leben unseres Landes präsent. Aber die Polizeiposten vor den jüdischen Einrichtungen machen deutlich, dass wir von „Normalität“ noch ziemlich weit entfernt sind.

Zugleich durchläuft die jüdische Gemeinschaft einen Wandlungsprozess, der wie in einem Vergrößerungsglas die Wandlung Deutschlands zu einer Einwanderungsgesellschaft spiegelt. Die jüdischen Gemeinden bestehen heute zu 90 Prozent aus Neueinwanderern, die in den letzten zwanzig Jahren vornehmlich aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen sind. Die Integrationsleistung, die von den jüdischen Gemeinden vollbracht wird, ist bewundernswert.

Nicht allein die Einwanderung verändert das Selbstverständnis der jüdischen Gemeinschaft. Eine junge Generation definiert neu, was es heißt, jüdischer Deutscher zu sein (oder, vorsichtiger gesagt, als Jude in Deutschland zu leben). Auch die sichtbare Präsenz von Muslimen in Deutschland trägt dazu bei, dass Fragen der Zugehörigkeit in der Einwanderungsgesellschaft neu verhandelt werden müssen. Dazu gehört auch die Frage nach dem Verhältnis von Religion und Politik. Die bevorstehende Rede des Papstes im Bundestag wird dieser Debatte neuen Sauerstoff zuführen.

Begrüßung Tuvia Ben-Chorin

Das Zusammenleben in multikulturellen Gesellschaften erfordert Wissen über kulturelle Traditionen, Religionen eingeschlossen. Wissen ist immer noch das beste Gegengift gegen Vorurteile und Ressentiments. Ich freue mich deshalb sehr, dass wir heute, am letzten Tag der 25. Jüdischen Kulturtage in Berlin, Rabbiner Tuvia Ben-Chorin zu Gast haben. Ich habe mit Interesse vermerkt, dass im Titel seines Vortrags von jüdischer „Zivilisation und Schicksalsgemeinschaft“ die Rede ist – also von mehr als Religion. Das wäre schon ein erster Akt der Aufklärung.  

Rabbiner Ben-Chorin wurde 1936 in Jerusalem geboren. Er erhielt 1960 einen B.A. an der Hebrew University of Jerusalem im Fach Bibel und jüdische Geschichte und wurde 1964 am Jewish Institute of Religion in Cincinnati (USA) zum Rabbiner ordiniert. In den darauf folgenden Jahren amtierte er als Rabbiner in progressiven Gemeinden in den USA, Südafrika, England, Jerusalem und Zürich.

Seit April 2009 ist Rabbiner Ben-Chorin Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Darüber hinaus hatte er zwei Mal den Vorsitz des Israel Council of Progressive Rabbis inne. Er doziert am Abraham Geiger Kolleg und engagiert sich im jüdisch-christlichen, israelisch-palästinensischen und deutsch-jüdischen Dialog.

Neben Rabbiner Tuvia Ben-Chorin bedanken wir uns herzlich bei Sophie Mahlo, der Koordinatorin der Jüdischen Kulturtage, sowie bei Martin Kranz, dem Intendanten, für die partnerschaftliche Zusammenarbeit.

Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit und gebe das Wort an Sophie Mahlo, die sie im Namen der Jüdischen Kulturtage 2011 begrüßen wird.