Debatte um Klarnamen-Zwang: Gute Gründe für Pseudonyme

Pseudonym – ein fingierter Name, besonders von Künstlern und Schriftstellern genutzt, um eine wahre Identität zu verbergen

Es gibt tausende von Gründen, warum jemand einen anderen Namen benutzen möchte, als seinen Geburtsnamen. Manche Leute haben Sorge, dass ihr Leben oder ihre Existenzgrundlage bedroht werden oder dass politische oder ökonomische Nachteile für sie entstehen. Andere wollen Diskriminierung vermeiden oder einfach einen Namen nehmen, der leichter zu merken oder buchstabieren ist.

Online vervielfachen sich die Gründe für Pseudonymität. Die Netzkultur hat Menschen lange Zeit ermutigt, sich Spitznamen oder Nutzernamen zuzulegen. Das sind Pseudonyme, die manchmal einen Bezug und manchmal keinen Bezug zur echten Person und der Offline-Identität haben. Langjährige Internetnutzer haben teilweise dieselben Spitznamen seit 20 Jahren.

Diskurse brauchen Pseudonyme

Pseudonyme haben auch in der Geschichte eine wichtige Rolle gespielt und das nicht nur in der Literatur von George Eliot und Mark Twain. Explizit politisch wurde zum Beispiel das Pseudonym „Publius“ genutzt, um in den Federalist Papers (einer Artikelserie in New Yorker Zeitungen), die Bevölkerung von der amerikanischen Verfassung zu überzeugen. Und auch im England des 18. Jahrhunderts griff ein „Junius“ im Public Advertiser in die politische Debatte ein. Die Menschen haben also schon immer unter Pseudonymen stark zum politischen Diskurs beigetragen – und sie tun es heute noch.

Eine neue Debatte rund um Pseudonymität auf Online-Plattformen ist nun durch Googles Namens-Policy bei Google+ entstanden. Die Policy verpflichtet den User sich mit dem Namen zu identifizieren, den „deine Freunde, deine Familie und Arbeitskollegen für dich verwenden". Diese Praxis ist der von Facebook sehr ähnlich, die den Nutzer verpflichtet „Echtnamen und echte Informationen“ zu benutzen.

Googles Policy hat in kurzer Zeit sowohl innerhalb der Community wie auch außerhalb für rege Diskussionen gesorgt. Hauptsächlich geht es darum, ob ein Social Network die Möglichkeiten der Identitätswahl begrenzen solle. Einer großen Anzahl von Google+ Nutzern wurde aufgrund dieser Policy bislang der Account deaktiviert. Diese Maßnahmen sind von Kirrily „Skud“ Robert, einer früheren Google-Mitarbeiterin, deren Account betroffen ist, weil sie sich als „Skud“ anmeldete, detailliert dokumentiert.

Diejenigen, die für Realnamen in Social Networks plädieren, haben eine Reihe von Argumenten ins Feld geführt: Echtnamen würden das Nutzerverhalten verbessern und ein zivileres Netz fördern, Klarnamen würden gegen Stalking und Belästigung helfen und die Täter einfacher greifbar machen, außerdem würde die Nutzung derselben davor schützen, dass Strafverfolger oder Behörden unter falschem Namen schnüffeln könnten; und überhaupt mache der echte Name die Menschen verantwortlich für ihre Aktionen im Netz.

Diese Argumente sind nicht ganz von der Hand zu weisen, aber sie treffen nicht den Kern des Problems. Denn die strikten Realnamen-Verfechter müssen nicht zeigen, dass das Bestehen auf der Nutzung von richtigen Namen, einen Vorteil hat. Im Gegenteil: Sie müssen zeigen, dass diese Vorteile gegenüber den ernsten und großen Nachteilen überwiegen.


Echtnamen - gefährlich für Aktivist/innen

Wenn man sich zum Beispiel an Wael Ghonim erinnert, den nun bekannten Ägypter, dessen Facebookseite „We are all Khaled Said“, tausende Menschen inspiriert hat, die Revolte im Januar zu unterstützen. Obwohl die Seite erst im Sommer 2010 ins Netz gestellte wurde – kurz nach dem Tod von Khaled Said durch die Hände der Polizei – entwickelte sie richtig Schwung Ende des Jahres 2010. Doch genau im November 2010 wurde die Seite von Facebook offline genommen, nachdem jemand dort gemeldet hatte, dass der Administrator der Seite ein Pseudonym benutze. Nur durch die guten Beziehungen des Google-Mitarbeiters Wael Ghonim und die Möglichkeit, Kontakt zu Facebookmitarbeiter aufzunehmen, gelang es, die Seite wieder online zu bekommen. Der Trick war, dass jemand anderes mit seinem Echtnamen als Administrator der Seite eingetragen wurde.

Dieser Fall ist eher außergewöhnlich: nicht jeder hat so gute Beziehungen wie Wael Ghonom und kann diese nutzen. Wir wissen nicht, wie viele Leute und ihre Seiten durch die Facebook-Policy in Vergessenheit geraten sind, weil sie nicht wussten, wie sie mit einer Account-Deaktivierung umgehen sollten. In Ghonims Fall hätte die Nutzung seines echten Namens ihn in ernsthafte Schwierigkeiten bringen können. Zwar bringt Pseudonymität keine Garantien mit sich, aber es macht es für Behörden deutlich schwieriger, Aktivisten zu identifizieren.

Schutz vor Belästigung und Schikane

Es gibt also unzählige Gründe, warum ein Mensch sich sicherer fühlt, wenn er sich unter unter einem anderen Namen als dem Geburtsnamen anmeldet. Teenager, die Mitglieder der LGBT Community sind, werden zum Beispiel regelmäßig Ziel von Belästigungen und Schikanen. Sie ziehen es deshalb vor, unter einem Pseudonym online zu sein. Ähnlich geht es Menschen, deren (Ehe-)Partner z.B. bei der Regierung arbeiten oder Personen des öffentlichen Lebens sind. Sie möchten ihr Leben und ihren Lebensstil weiterleben und fühlen sich wohler, wenn sie das mit einem anderen Namen online tun können ohne direkt identifiziert zu werden. Ein weiteres Beispiel sind Opfer von häuslicher Gewalt und Vergewaltigung, die nicht vom Täter wiedergefunden werden wollen. Sie können sich mit einem alternativen Namen, einem Pseudonym, besser schützen. Zusätzlich haben alle Menschen mit unpopulären, abweichenden und dissenten politischen Haltungen die Möglichkeit, ihr Leben und ihre Existenzgrundlage zu schützen, indem sie sich eben mit einem Pseudonym anmelden.

Der Supreme Court der USA drückte es im Fall McIntyre v. Ohio Elections Comm’n 514 U.S. 334, 357 (1995) so aus:

Anomymität ist ein Schutzschild gegen die Tyrannei der Mehrheit. Sie veranschaulicht den Sinn des Bill of Rights, und das erste Amendment im Speziellen: unpopuläre Personen vor Vergeltung zu schützen, ihre Ideen vor Unterdrückung zu schützen und vor den Handlungen einer intoleranten Gesellschaft. Das Recht anonym zu bleiben, darf nur dann verletzt werden, wenn es betrügerisches Verhalten schützt. Aber die politische Rede hat von ihrer Natur her manchmal unangenehme Konsequenzen, und im Allgemeinen räumt unsere Gesellschaft dem Wert der freien Rede größeres Gewicht als der Gefahr ihres Missbrauchs ein.

So wie der Gebrauch von echten Namen echte Konsequenzen haben kann, so kann die verpflichtende Nutzung derselben, jeden von der Kommunikation ausschließen, der Vergeltung oder Nachteile für seine (abweichenden) Ansichten fürchten muss. Während ein Vorteil der Realnamenpflicht vielleicht ein zivileres Verhalten im Netz sein könnte, so ist sicher, dass die Realnamenpflicht auf Kosten der Meinungsvielfalt geht.

Die Blogger/innen von Geek Feminism haben in einem Wiki eine lange Liste von Menschen und Gruppen und potenziellen Gefahren für diese durch eine Klarnamenpflicht erstellt. Viele der Gründe auf dieser Liste plädieren für die Nutzung eines Pseudonyms aus Sicherheitsgründen, aber es gibt auch andere wichtige Gründe, warum jemand ein Pseudonym nutzen will.

Nehmen wir das Beispiel von Michael Anti, dem chinesischen Journalisten, der eigentlich Jing Zhao heißt. Anti wurde im Januar 2011 von Facebook geworfen, vermutlich weil jemand dort meldete, dass er einen anderen Namen als seinen Geburtsnamen nutzte. Obwohl er unter dem Pseudonym „Michael Anti“ schon seit zehn Jahren unter anderem in der New York Times publizierte, bestand Facebook auf der strikten Einhaltung seiner Realname-Policy.

Auf Google+ gibt es mittlerweile ähnliche Beispiele; und „False Positives“ haben mittlerweile Google+ dazu bewegt, den Prozess der Deaktivierung geringfügig zu überarbeiten: statt direkt zu deaktivieren, werden die User nun gewarnt und aufgefordert ihren echten Namen einzutragen.


Pseudonyme elementar für Meinungsfreiheit und -vielfalt

Trotzdem sind diese Strategien, die Echtnamen erfordern, fast unmöglich komplett umzusetzen, und wie verschiedene Beispiele gezeigt haben, führt die Durchsetzung dazu, dass gerade Menschen, die bekannt sind oder viele Feinde haben – das ist im Übrigen ein Ergebnis des Community Reportings – in den Fokus solcher Maßnahmen geraten.

Es ist natürlich das Recht von Firmen wie Google, Facebook oder wem auch immer, Strategien und Grundsätze zu entwickeln, von denen sie denken, dass sie besser zu ihren Services passen. Aber es ist kurzsichtig von diesen Firmen, zu sagen, dass die Echtnamen-Pflicht zu einem zivileren Netz führe, wenn der Preis dafür Vielfalt und Meinungsfreiheit sind. Denn in der Tat hat die Echtnamen-Pflicht nur eine ernüchternde Wirkung (chilling effect) auf die freie Rede und die Meinungsfreiheit im Netz.

....
Jillian York ist Leiterin der Abteilung "Internationale Meinungsfreiheit" bei der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation. Als langjährige Bloggerin und Aktivistin interessiert sie sich besonders für das Thema Netzsperren und Internetfilter auf Regierungsebene, digitalen Aktivsmus sowie die Regulierung (Policing) von Inhalten auf unternehmenseigenen Webseiten und Social Networks.

Dieser Artikel steht unter einer CC-BY-Lizenz des EFF.