Fake News: Worum es geht und was wir tun können

"Fake News“ sind weder neu, noch lassen sie sich alleine mit medialen Eingreiftrupps bekämpfen. Hoaxmap-Gründerin Karolin Schwarz über die Entwicklung von Gerüchten im Internet und die aktuellen Initiativen zu deren Eindämmung. ➢ Podcast zum Digitalen Wahlkampf - vier Folgen zu Filterbubble, Social Bots, Trollen und Microtargeting. Jetzt anhören!

Fake News - Gerüchte
Teaser Bild Untertitel
Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt

Die Geschichte der Falschmeldung im Netz ist fast so alt wie das Netz selbst. Bereits 1984 verbreitete sich am 1. April in mehreren Usenet-Groups die Meldung, der Kreml sei nun auch Teil des Usenet. Der Absender: angeblich ein gewisser K. Chernenko, damals Generalsekretär der KPdSU. Wie schon das Datum der Veröffentlichung verrät, handelte es sich um einen Aprilscherz.

Zehn Jahre später verbreitete sich die Meldung, Microsoft hätte die katholische Kirche gekauft und sich so auch die digitalen Rechte an der Bibel gesichert. Während die Meldung vielfach als Scherz erkannt wurde, sah sich Microsoft genötigt, eine Gegendarstellung zu veröffentlichen.

Im Laufe der Jahre verbreiteten sich unzählige solcher Hoaxes über Mailinglisten und Message-Boards. Während die meisten Meldungen vergleichsweise wenig Schaden anrichteten, sorgte die Geschichte der Bonsai Kitten, die angeblich in Japan in Gläsern herangezogen wurden, über Jahre für Proteststürme entrüsteter Tierschützer.


Falschmeldungen über Geflüchtete

Schon im unmittelbaren Vorfeld der aktuellen Fake-News-Debatte spielten Internetfalschmeldungen eine Rolle. Im Sommer 2015 erreichten zahlreiche Geflüchtete die deutsche Grenze. Sie hatten zuvor lange Zeit auf der Balkanroute, vor allem in Ungarn, fest gesessen. In den Folgemonaten wurden unzählige Falschmeldungen über Geflüchtete in den sozialen Netzwerken gestreut. Vor allem auf Facebook verbreiteten sie sich zum Teil rasant. Falschmeldungen über Geflüchtete oder Muslime sind keineswegs etwas Neues: seit Jahren kursieren beispielsweise pünktlich zur Weihnachtszeit Meldungen, dass Weihnachtsmärkte aus Rücksicht auf Muslime zu Wintermärkten umbenannt würden. Die Quantität falscher Erzählungen über Geflüchtete oder nicht-weiße Personen (die ab Sommer 2015 vielfach als Geflüchtete wahrgenommen wurden) allein war in diesen Monaten jedoch besorgniserregend.

Gerüchte nach Monaten

Auf hoaxmap.org sammeln wir widerlegte Falschmeldungen über Geflüchtete. Aus der Entwicklung ab September 2015 lässt sich ein deutlicher Trend ablesen, der im Monat nach den Ereignissen zur Kölner Silvesternacht seinen Höhepunkt erreicht hatte. Mit der Schließung der Balkanroute wiederum nahm die Zahl der widerlegten Meldungen deutlich ab.

Leider bedeutet das nicht unbedingt, dass Falschmeldungen in sozialen Medien keine Rolle mehr spielen. Vielmehr ist auch ein Negativtrend im Lokaljournalismus zu beobachten: nur noch selten werden vielfach geteilte Schilderungen überprüft und gegebenenfalls widerlegt. Dabei erscheint das gerade im Hinblick auf die Bundestagswahlen 2017 nötiger denn je.

Eine erhebliche Zahl von Falschmeldungen wird von rassistischen und rechtspopulistischen Facebook-Pages und Medien ungeprüft verteilt, in einigen Fällen auch ausgeschmückt oder erfunden. Das Motiv: durch die genaue lokale Verortung erfundener Übergriffe soll suggeriert werden, dass die Gefahr überall lauert, die Bevölkerung soll gezielt verunsichert werden. Betrachtet man die Entwicklung der Vergabe kleiner Waffenscheine, liegt die Mutmaßung nahe, dass auch Falschmeldungen einen Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet haben.

Thematisch lassen sich die meisten Falschmeldungen drei Kategorien zuordnen: Diebstahl bzw. Raub, Geld- und Sachleistungen sowie sexualisierte Gewalt. Dass die Bedrohung des Eigentums und der Angriff auf die Selbstbestimmung über den eigenen Körper sehr populär sind, verwundert nicht. Über Meldungen zu angeblich exzessiven Sozialleistungen soll Neid geschürt und marginalisierte Gruppen - nämlich jene, die staatliche Leistungen erhalten - gegeneinander ausgespielt werden.

Fake-News-Alarmismus

Obwohl zuvor schon über Monate zahlreiche Falschmeldungen genutzt wurden, um das Diskussionsklima im Netz zu vergiften und Vorurteile zu schüren, sind Falschmeldungen im Internet erst seit Winter 2016 ein Politikum geworden: Falschmeldungen, nun nach Übernahme des Begriffs aus den USA als Fake News bezeichnet, sollen zum Wahlsieg Donald Trumps beigetragen haben. Eine Behauptung, die sich bis heute nicht belegen lässt. Tatsächlich können sich einer aktuellen Studie (PDF) zufolge nur wenige Wahlberechtigte in den USA an Falschmeldungen aus dem Wahlkampf erinnern. 

Überhaupt ist die Benutzung des Begriffs “Fake News” ungenau. Im US-Kontext sind vor allem Websites gemeint, die zu Propaganda-Zwecken oder aus rein finanziellen Interessen Falschmeldungen zu politischen Themen verbreiten. Dabei gibt es zahlreiche Methoden der Fehl- und Desinfomation. Claire Wardle identifiziert für die USA sieben unterschiedliche Formen:

  • irreführende Titel oder Bilder,
  • falsche Kontexte,
  • manipulierte Inhalte,
  • Satire bzw. Parodien,
  • irreführende Inhalte,
  • imitierte Quellen oder
  • fabrizierte Inhalte. 

In Deutschland bedient man sich zahlreicher Techniken, um Falschmeldungen zu verbreiten: Einzelpersonen, Facebook-Pages oder Websites können beispielsweise vermeintliche Augenzeugenberichte wiedergeben oder Fotos und Videos völlig abseits ihres eigentlichen Kontextes verwenden. Zudem werden immer wieder gefälschte Dokumente oder Scherzartikel verbreitet. Immer wieder werden Falschaussagen bei der Polizei getroffen, die zur Folge haben, dass eine Falschmeldung sich über den Presseverteiler der Polizei verteilt. In diesen Fällen müssen nicht immer rassistische Motive eine Rolle spielen, aber fast jede dieser Meldungen wird von Rassist/innen instrumentalisiert.

Spricht man von Fake News, sind also oft eine Reihe unterschiedlicher Methoden und Intentionen gemeint. Zudem haben sich auch Rechtspopulist/innen, allen voran der amtierende Präsident der USA, die Bezeichnung angeeignet, um unbequeme Journalisten und Medien zu diskreditieren. Der einzige Vorteil des Begriffs “Fake News”: er fasst den Zeitgeist und eine vage Idee dieses aktuellen Phänomens in den sozialen Medien zusammen.

Nur kurz nach Trumps Wahlsieg stellte Renate Künast Anzeige gegen die Urheber eines Bildes, auf dem ihr ein falsches Zitat zugeschrieben wurde. Nun handelte es sich keineswegs um das erste falsch zugeschriebene Zitat eines Bundespolitikers - oder grünen Bundespolitikerin - in sozialen Netzwerken. Dennoch wurde zu diesem Anlass die Debatte um Fake News und mögliche neue Gesetze ausgelöst.

Gesetzesinitiativen gegen Fake News

In den vergangenen Wochen forderten zahlreiche politische Akteur/innen gesetzliche Regelungen zum Vorgehen gegen Falschmeldungen. Gefordert wurde unter anderem, Twitter, Facebook und Co gesetzlich zur Einrichtung einer Rechtsschutzstelle zu verpflichten, die für Nutzer/innen im Falle falscher Tatsachenbehauptungen oder gezieltem Hass rund um die Uhr erreichbar ist und innerhalb von 24 Stunden auf Rechtsverstöße reagiert. Zudem forderte man, Plattformbetreiber sollten innerhalb von 48 Stunden Gegendarstellungen ausspielen, die ebenso viele User/innen erreichen wie die Originalmeldung. Innenminister de Maizière liebäugelte gar mit der Einrichtung eines staatlichen Fake-News-Abwehrzentrums. Ein Vorschlag, der aktuell schon in Tschechien umgesetzt wird. In den Reihen der CSU konnte man sich gar mit der Forderung nach Einführung eines neuen Straftatbestandes anfreunden.

Dabei gibt es bereits eine Reihe von Gesetzen, die gegen Verbreiter/innen von Falschmeldungen eingesetzt werden könnten - wenn sie nur konsequent angewendet würden und Betroffene Anzeige erstatten würden. Ein nicht unerheblicher Teil dürfte unter Verleumdung oder üble Nachrede fallen. Bereits der Fall von Anas Modamani, dem syrischen Geflüchteten, dessen Selfie mit Angela Merkel häufig genutzt wird, um ihn mit terroristischen Angriffen oder Gewaltakten in Verbindung zu bringen, zeigt: auch an deutschen Gerichten gibt es noch deutlichen Aufholbedarf in Sachen digitale Kompetenz - der Kammer fehlte es an Erfahrungswerten in Sachen Facebook. Es ist daher unabdingbar, dass Polizei und Justiz diffamierende Falschmeldungen im Netz ernst nehmen und sich das notwendige Wissen aneignen.

Fake News: Zivilgesellschaftliche Initiativen und Ausblick

Etablierte Medien müssen sich, ebenso wie Politik, Polizei, Justiz und Bildung, im Umgang mit Falschbehauptungen und darauf beruhender Meinungsmache im Internet positionieren. Eigene Faktencheck-Abteilungen sind in den großen Medien eher selten und fallen hinsichtlich größerer Unternehmungen in diesem Bereich eher zu bestimmten Anlässen, zum Beispiel im Vorfeld der Bundestagswahlen, auf. Das ZDF hat in diesem Zusammenhang eine crossmediale Factchecking-Initiative angekündigt.

Facebook hat angekündigt, als Plattformbetreiber gegen Falschmeldungen vorzugehen und plant, hierfür mit mehreren Medien zu kooperieren. Das Recherchebüro Correctiv gab als erstes deutsches Medium bekannt, sich dieser Aufgabe zu stellen und von User/innen gemeldete Beiträge zu überprüfen. Bislang ist noch nicht zu erkennen, ob und wie diese Kooperation und die damit einhergehende Kennzeichnung falscher Informationen auf Facebook Wirkung zeigen. Correctiv sah sich jedoch nicht nur mit zahlreicher Kritik, sondern auch massenhaften Anfeindungen und dem absurden Vorwurf, Zensur zu betreiben, konfrontiert. Ob Facebooks Initiative funktioniert oder die Dichotomie zwischen etablierten und “alternativen” Medien verschärft, bleibt abzuwarten. 

Eine Reihe weiterer Projekte widmen sich seit einiger Zeit dem Factchecking und der Aufklärung über manipulierte Nachrichten. Bereits vor einigen Jahren erfanden zwei in Berlin lebende Künstler eine Hardware-Lösung, um zu zeigen, wie einfach es ist, Benutzern manipulierte Nachrichten-Websites unterzuschieben. Sie tauften ihr Projekt Newstweek. Allen Warnungen zum trotz sind Falschmeldungen im Netz populär wie eh und je und politischer als je zuvor. Die österreichische Plattform Mimikama greift allerlei Meldungen auf und prüft sie.

Auf Hoaxmap.org werden seit Februar 2016 Falschmeldungen über Geflüchtete und nicht-weiße Personen gesammelt und widerlegt. Über die Suchmaschine Hoaxy können Falschmeldungen nachverfolgt werden. Das funktioniert bislang nur in englischer Sprache, aber auch Fake-News-Riesen wie Breitbart haben in jüngster Vergangenheit falsche Fakten über den deutschsprachigen Raum gestreut. Die Washington Post hat ein hilfreiches Browser-Addon veröffentlicht, das Faktenchecks zu Donald Trumps Tweets veröffentlicht.

Der richtige Umgang mit falschen Informationen im Netz bedarf, besonders im Wahljahr 2017, einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung. Und der Erkenntnis: das Internet und seine vielfältigen seriösen wie unseriösen Medien sind da, und wir müssen lernen, damit umzugehen. Nachdem Generationen von Schülern gelernt haben, Wikipedia zu misstrauen, nicht aber den bisweilen höchst unseriösen Links, die auf der ersten Seite der Google-Suchergebnisse auftauchen, müssen wir uns mit Informationen im Netz, ihren Verbreitungswegen und ihrer Überprüfung auseinandersetzen. Alle.


Karolin Schwarz arbeitet als Social-Media-Redakteurin und Journalistin in Berlin. Im Februar 2016 initiierte sie das Projekt hoaxmap.org, das sich der Aufklärung über viral verbreitete Falschmeldungen und Gerüchte über Geflüchtete widmet. Gemeinsam mit Lutz Helm war sie deshalb 2016 für den Grimme Online Award nominiert. Sie ist auch Expertin in unserer Podcast-Serie zum digitalen Wahlkampf.