Deutschlands unerschöpfliche Gasquellen

Das US-Repräsentantenhaus hat für eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland gestimmt. Ein Teil der Strafmaßnahmen richtet sich dabei gegen Unternehmen auch aus Deutschland, die mit Russland im Energiesektor zusammenarbeiten. Eine aktuelle Chance, endlich entschlossen umzusteuern.

Nord Stream Offshore-Rohr in Lubmin

Die Aufregung ist groß: Das US-Repräsentantenhaus hatte am Dienstag einen Gesetzentwurf verabschiedet, der Sanktionen gegen Russland verschärft. Die Begründung: die Annexion der Krim, die Unterstützung von Präsident Baschar al-Assad im syrischen Bürgerkrieg und eine mutmaßliche Einflussnahme auf die US-Präsidentschaftswahl. In dem Gesetzentwurf wird die Nord Stream 2 Pipeline ausdrücklich abgelehnt, die von Russland durch die Ostsee nach Deutschland führt – unter Umgehung der zwischen beiden Ländern liegenden Staaten wie Polen und die Ukraine. Ein Teil der Strafmaßnahmen richtet sich dabei gegen Unternehmen auch aus Deutschland, die mit Russland im Energiesektor zusammenarbeiten.

Man darf zu Recht unterstellen, dass diese Sanktionen wesentlich auch durch Exportinteressen der US- Gasindustrie motiviert sind. An der US-Ostküste wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Terminals zur Verflüssigung von Erdgas gebaut, um das durch Fracking im Überschuss vorhandene US-Gas unter anderem nach Europa zu exportieren.

Dennoch sollten die US-Sanktionen ein Anlass sein, die bisherige europäische Unterstützung milliardenschwerer Investitionen in Gaspipelines aus Eurasien zu überdenken. Denn diese Investitionen amortisieren sich nur, wenn Europa über Jahrzehnte Erdgas im großen Umfang importiert. Sie schaffen zugleich gefährliche Pfad-Abhängigkeiten einer Erdgas-lastigen Energiepolitik, die mit den Zielen des Klimaabkommens von Paris nicht vereinbar ist.

Eine Studie des Konsortiums Climate Action Tracker vom Januar 2017 weist nach: in ganz Europa stellen langfristig angelegte Erdgasprojekte die Weichen in die falsche Richtung. Um das in Paris vereinbarte 1,5-Grad-Limit einzuhalten, darf Erdgas nicht so lange verbrannt werden, wie aktuell geplant.

Zugleich stützt der massive Import fossiler Energien aus Eurasien autoritäre Regime und deren Rentenökonomien. Das gilt natürlich in erster Linie für Russland, das in den letzten Jahren seine Bereitschaft sehr deutlich gemacht hat, Gas als außenpolitische Waffe einzusetzen, vor allem im Konflikt mit der Ukraine. Es gilt aber ebenso für die autoritären Gasexporteure in Zentralasien und dem Südkaukasus (Turkmenistan, Aserbaidschan) oder das wichtigste Transitland für die Südrouten – die Türkei unter Erdogan. Der dringend notwendigen wirtschaftlichen und politischen Modernisierung dieser Länder leisten langfristige Investitionen in fossile Ressourcen einen Bärendienst.

Dabei gibt es Alternativen: Schon 2014 errechnete das Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) in einer Kurzstudie, dass eine forcierte Energiewende große Mengen an Erdgas ersetzen kann. Durch Wärmedämmung und den raschen Ausbau erneuerbarer Energien können die heutigen Importe von Erdgas aus Russland um 21 Prozent bis 2020, 51 Prozent bis 2030, 92 Prozent bis 2040 und 108 Prozent bis 2050 reduziert werden. Dank des durch die Große Koalition zu verantwortenden Stillstands in der deutschen Energiepolitik mag man den Zeitraum ein wenig strecken müssen, doch sind die Ergebnisse im Grundsatz auch heute noch gültig.

Ebenfalls 2014 zeigte eine weitere Studie der Beratungsfirma ecofys für die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz DENEFF, dass innerhalb von 10 Jahren allein durch Energieeffizienzmaßnahmen im Wärmebereich die Abhängigkeit vom russischen Gas halbiert werden kann.

Die aktuelle Krise der deutschen Automobilindustrie zeigt: Das Festhalten an alten, fossilen Technologien rächt sich - früher oder später. Weder das sture Festhalten an Nordstream 2 noch der Import von US-Fracking-Gas sind die zeitgemäße Antwort auf unsere Herausforderungen. Wir sitzen auf großen, unerschöpflichen „Gasquellen“ – dem Erdgas, das wir nicht verbrennen müssen, wenn wir die Energiewende beschleunigen. Die aktuelle außenpolitische Krise um die US-Sanktionen bietet die Chance, endlich entschlossen umzusteuern.