50 Jahre "Die verlorene Ehre der Katharina Blum"

Rezension

Im Jahr 1974 erscheint die lange Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann". Sie erscheint als Vorabdruck im Spiegel. Ein Jahr später kommt Volker Schlöndorffs Verfilmung mit Angela Winkler in der Hauptrolle in die Kinos. Der Film wird zu einer der erfolgreichsten deutschen Produktionen der Nachkriegszeit. Die Geschichte selbst beginnt wie folgt: Am "Mittwoch, dem 20. Februar 1974, am Vorabend von Weiberfastnacht, verläßt in einer Stadt eine junge Frau von siebenundzwanzig Jahren abends gegen 18.45 Uhr ihre Wohnung, um an einem privaten Tanzvergnügen teilzunehmen."

Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge eines Nachworts von Heinrich Böll, das dieser 10 Jahre nach dem Erscheinen der Erzählung verfasst hat und in der er diese als "Liebesgeschichte" mit dem Plot eines "Groschenheftes" beschreibt. Und sich vorzuwerfen habe er nur eins: "daß dieses Buch fast zu harmlos ist". Sehr viele Leserinnen und Leser haben das anders gesehen - und sehen es auch heute noch so. Schließlich geht es auch um Gewalt, vor allem um Mediengewalt. Das macht das Buch auch heute noch so aktuell.

Für dieses Jahr sind weitere Informationen, Publikationen und Veranstaltungen zu "Katharina Blum" geplant.

Szene aus "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" - Paar tanzt in Konfettiregen

1974 erscheint die Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann". Die Erzählung erscheint als Vorabdruck im Spiegel. Ein Jahr später kommt Schlöndorffs Verfilmung mit Angela Winkler in der Hauptrolle in die Kinos. Der Film wird zu einer der erfolgreichsten deutschen Produktionen der Nachkriegszeit.

Nachwort zur Neuausgabe von "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", 1984

Hartnäckig hält sich das Gerücht, diese Erzählung wäre ein Terroristen-Roman; erst kürzlich hat ein angesehener Professor für Informatik das Gerücht fortkolportiert: offenbar scheut auch er es, sich zu informieren; da wäre die Frage zu stellen: wie informiert sich ein Informatiker? [...] Es gibt in dieser Erzählung nicht einen einzigen Terroristen, auch keine Terroristin; was es allerdings gibt, das sind des Terrorismus Verdächtige, und ich bin der bescheidenen Meinung, auch ein Informatiker könnte den Unterschied kennen zwischen einem Verdächtigen und einem Überführten. [...]

Über diese Erzählung ein Wort verlieren? Ich will's versuchen. Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Ich hätte dieses erzählerisch verkleidete Pamphlet längst vergessen, würde ich nicht hin und wieder durch völlig desinformierte Informatiker daran erinnert; ein Pamphlet, eine Streitschrift, war's nämlich, war als solches gedacht, geplant und ausgeführt, und gerade die Abendländer, humanistisch gebildet, wie sie nun einmal sind, hätten doch wissen müssen, daß Pamphlete zur besten abendländischen Tradition gehören; ich bin ja nun auch einer aus dem Abendland und habe sogar andeutungsweise eine gewisse humanistische Bildung. [...] Vorzuwerfen habe ich mir nur eins: daß dieses Buch fast zu harmlos ist.

Es ist ja nicht mehr als eine Liebesgeschichte mit dem »Handlungskern« (englisch und einfacher ausgedrückt, mit dem »plot«) eines Groschenheftes: ein »einfaches Mädchen« [...] verliebt sich in einen Menschen, von dem sich später herausstellt, daß er von der Polizei gesucht wird. Ihrem Charakter nach hätte sie sich sogar in ihn verliebt, wenn sie vorher gewußt hätte, daß er von der Polizei gesucht wird. Das gibt es. Die Liebe ist ja nun einmal eine verflucht merkwürdige Sache. Es gibt Frauen, die Verbrecher lieben, nicht weil, sondern obwohl sie Verbrecher sind. [...]

Eine Hamburger Schulklasse ließ mich neulich durch ihre Lehrerin fragen, was denn »weiter passieren würde«, wenn Katharina und Ludwig »eigentlich« 1982 aus dem Gefängnis kommen müßten. Eine gute Frage, die ich mir noch nie gestellt habe. Nun, da die beiden nie Terroristen waren, werden sie wohl kaum jetzt dazu werden. Katharina würde wahrscheinlich länger sitzen müssen als Ludwig. Sie würde vielleicht zunächst in der Küche, später wohl in der hauswirtschaftlichen Planung des Gefängnisses arbeiten, Ludwig bevollmächtigen, gemeinsam mit dem Anwalt Blorna ihr Vermögen zu versilbern und sich schon einmal nach einem kleinen Hotel umzusehen, das sie gemeinsam betreiben könnten. Ludwig und ein paar Freunden wird sie gestehen, daß sie nicht vorhatte, Tötges zu töten, daß es plötzlich »über sie kam«, als er ihr — in all seiner fürchterlichen Unschuld — kommerziell kam und auch sexuell.

Er war ihr vollkommen fremd — und sie sich selbst. Natürlich weiß sie, daß sie eine Mörderin ist, und das ist der Grund, warum sie keine Kinder haben will. Sie möchte nicht, daß den Kindern einmal nachgesagt und nachgerufen wird, daß ihre Mutter eine Mörderin sei. Ich würde ihr raten, einen anderen Namen anzunehmen, sich das Haar, wenn sie blond ist, schwarz, und wenn sie schwarzhaarig ist, blond zu färben. Je älter sie wird, desto schwerer wird sie's mit sich selbst haben; sie ist eine äußerst gewissenhafte Frau, auch wenn sie einen Mord begangen hat. Das gibt es, und ich hoffe, daß Ludwig ihr ein guter Gefährte ist. [...]