Frauenbewegung in der Türkei: Darüber entscheide ich!

Tausende Türkinnen und Türken lichten sich derzeit mit der Parole "Benim Bedenim! Benim Kararim!" (Finger weg von meinem Körper! Darüber entscheide ich!) ab, um gegen ein mögliches Abtreibungsverbot zu protestieren. Dieses Bild stammt von einer der aus dem Boden schießenden Facebook-Kampagnenseiten.

8. Juni 2012
Ulrike Dufner
Ministerpräsident Erdogan fand wochenlang keinen Ausweg aus der politischen Sackgasse, in welche die Regierung nach dem Bombenangriff am 28. Dezember vergangenen Jahres geraten war, bei dem 34 Jugendliche in Uludere an der Grenze zum Irak ihr Leben verloren. Die Jugendlichen schmuggelten Benzin und andere Waren im bergigen Grenzgebiet. Sie wurden vom Radar von nicht-bemannten Flugzeugen erfasst und dann in drei Wellen bombardiert und getötet. Noch bevor der dritte Bombenangriff erfolgte, waren die Sicherheitskräfte von den Eltern der Jugendlichen alarmiert worden. Diese versicherten den Angehörigen, dass die Angriffe nicht den zivilen Jugendlichen, sondern Einheiten der PKK gelten würden. Dem war jedoch nicht so.

Die Regierung hoffte mit Entschädigungszahlungen und öffentlichen Bekundungen des Bedauerns die Geschichte aus der Welt zu schaffen. Die Angehörigen wollten sich aber nicht mit Geld abspeisen lassen. Sie lehnten die Entschädigungen ab und forderten stattdessen, dass die Hintergründe aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Doch die einberufene Untersuchungskommission bringt auch nach fünf Monaten noch keinerlei Licht in das Dunkel der Ereignisse. Erdogan zeigt sich zunehmend genervt über die nicht aufhörenden Rufe nach Aufklärung. Wie kann es sein, so Erdogan, dass sich diese Jugendlichen in diesem verminten Gebiet bewegen können. Für ihn ist die Antwort eindeutig: es waren nicht „harmlose“ Schmuggler, sondern Jugendliche, die mit der PKK unter einer Decke stecken. Und so Erdogan schließlich, wären diese nicht bombardiert worden, so wären sie inhaftiert worden. Schmuggel ist schließlich strafbar.

Nachdem auch Ministerpräsident Erdogan begriffen hatte, dass er mit derartigen Äußerungen zu weit gegangen war und die Forderungen nach Aufklärung so ganz sicher nicht abklingen würden, überraschte er die Öffentlichkeit mit einer weiteren verbalen Entgleisung:

Abtreibung, so Erdogan, ist ein Verbrechen und Mord, so wie die Vorgänge in Uludere. Die Regierung werde in vier Wochen ein Gesetz verabschieden, das die Abtreibung verbietet. Erdogan bezeichnete sogar die Abtreibung nach einer durch Vergewaltigung erfolgten Schwangerschaft als Verbrechen. Der Staat werde sich um diese Kinder kümmern.

Erdogan hat damit zwar indirekt eingestanden, dass die Bombardierungen in Uludere ein Verbrechen darstellen. Aber er hat es damit auch geschafft, vom Thema Uludere abzulenken. Eine Feministin bezeichnete das Dilemma folgendermaßen: uns ist vollkommen klar, dass Erdogan von Uludere ablenken will. Aber wir können uns auch nicht sicher sein, dass er nicht ernst macht und unser erst 1983 eingeräumtes Recht auf Abtreibung tatsächlich abschafft.

Erdogan macht damit in doppelter Weise Politik mit dem Körper der Frauen: er benutzt diesen erstens, um ein Ablenkungsmanöver zu inszenieren. Zweitens, versucht er mit der Politik über den Körper der Frauen die konservative Klientel erneut hinter sich zu scharen. Frauen sollen mindestens drei Kinder gebären. Dies sei notwendig für das Wirtschaftswachstum. Wir wollen nur hoffen, dass das Gebären von drei Kindern – wie der Kriegsdienst für Männer - nicht zu einer Pflicht der Frauen am Vaterland erklärt wird und sich die Frauen, die sich gegen drei Kinder entscheiden, damit auch noch strafbar machen. Noch sind sie „nur“ sozial unter Druck geraten.

Dennoch deutet alles darauf hin, dass Erdogans erneute Entgleisungen wie ein Bumerang auf ihn zurück fallen. Er hat offensichtlich auch die Frauen seiner Klientel falsch eingeschätzt: Frauen und Männer aus allen politischen Spektren entfalteten innerhalb weniger Tagen eine unglaublich starke Protestwelle gegen Erdogan. „Das ist mein Körper. Darüber entscheide ich“ – „Meine Tochter/Frau entscheidet über ihren Körper“ mit diesem und zahlreichen Slogans, aufgemalt auf den Bauch, die Arme, die Brust lassen sich Frauen und auch Männer fotografieren. Diese sind in zahlreichen Websites publiziert. Mit Unterschriftenaktionen, Demonstrationen und vielfältigen Aktionen ist die Gesellschaft in Aufbruch.

Das Team des Türkeibüros der hbs schließt sich diesem Protest an. Für die Dauer der Protestaktionen sehen Sie daher unsere Fotos mit Sprüchen wie: Finger weg von meinem Körper. Darüber entscheide ich!