Dossier: Hintergrund Tibet

Das Dorf Shuzheng im Jiǔzhàigōu Naturschutzgebiet in der chinesischen Provinz Sichuan

Vom 26. bis zum 31. Januar 2010 besuchten nach fünfzehnmonatiger Pause wieder Gesandte des Dalai Lamas China, um die 9. Gesprächsrunde mit Vertretern der chinesischen Regierung abzuhalten. Bei den vorangegangenen Gesprächen hatte die chinesische Seite Kritik am von tibetischer Seite aufgesetzten "Memorandum über echte Autonomie des tibetischen Volkes" (2008) geübt. Dieses würde die Souveränität Chinas verletzen, der territorialen Integrität und der Verfassung Chinas zuwiderlaufen und verdeckt das Streben nach Unabhängigkeit propagieren. In der Einsicht der Schwierigkeit der Umsetzung der gesamten Forderungen der tibetischen Seite einigten sich beide Seiten zunächst darauf, sich auf die Themen Sprache, Bildung und Umwelt zu konzentrieren. Die bilateralen Gespräche sollen auch in Zukunft fortgeführt werden. Ein neuer Termin steht jedoch noch nicht fest.

Im Jahr 2008 gingen Bilder von Unruhen in Tibet um die Welt. Die Art der Darstellung dieser Ereignisse trug wesentlich zur öffentlichen Meinungsbildung gegenüber China bei. Nicht nur die chinesische Regierung, sondern auch die chinesische Öffentlichkeit reagierten empört auf diese ihrer Meinung nach einseitige Darstellung.

Die Heinrich Böll Stiftung als eine zu Tibet arbeitende Organisation versucht mithilfe verschiedener Ansätze, Raum für Dialoge und Debatten zum Thema Tibet zur Verfügung zu stellen. In diesem Sinne ist auch das hier vorgestellte, neu überarbeitete Tibet-Dossier zu verstehen. Es verfolgt das Ziel, die Komplexität der Tibet-Problematik in verschiedene thematische Bereiche unterteilt und aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet zu beleuchten.

Die Artikel sind Ausdruck der Meinungen der jeweiligen Autoren und spiegeln nicht unbedingt die Haltung der Heinrich-Böll-Stiftung wider!

Informationen zu Tibet

Tibet als weitgehend autonomer bzw. eigenständiger Staat oder Tibet als Teil Chinas? Beide Seiten – die tibetische wie auch die chinesische – führen jeweils aus ihrer Sicht überzeugende Argumente aus der gemeinsamen Geschichte ins Feld, die ihren Standpunkt belegen sollen. Zwei Artikel dieses Abschnitts (PDF) untersuchen die geschichtlichen Argumente beider Seiten kritisch und leiten Schlussfolgerungen für den heutigen Status Tibets ab. Ein weiterer Beitrag ist ein Auszug aus einer ausführlichen Analyse der wirtschaftlichen, politischen, religiösen und sozialen Verhältnisse in Tibet.

 

Der rechtliche Status Tibets vor 1950

In diesem geschichtlich-politischen Überblick stellt Thomas Heberer anschaulich dar, welche Faktoren und Ereignisse zu der heutigen Lage Tibets führten und worauf die Ressentiments basieren, die 2008 zu den Unruhen in Tibet führten.

Chinesisch-Tibetische Verhandlungen

Was macht die Verhandlungen zwischen der tibetischen und der chinesischen Seite so schwierig? Wie sehen die Erfolgsaussichten aus? Die in diesem Abschnitt vertretenen Autoren untersuchen die auf beiden Seiten vorherrschenden Vorstellungen, Herangehensweisen und das Konfliktpotential der Themen Autonomie und Hoheitsgewalt.

 

Minderheitenpolitik Chinas

China ist ein Vielvölkerstaat, der 56 Nationalitäten umfasst. Während die Han-Chinesen ca. 92 Prozent der Bevölkerung Chinas repräsentieren, nehmen die anderen 55 Minderheiten zusammen etwa 8 Prozent ein. Vor dem Hintergrund der Unruhen in tibetischen und uygurischen Gebieten im Jahre 2008 kam die chinesische Minderheitenpolitik vermehrt in die Kritik der westlichen Öffentlichkeit. Die Beiträge dieses Abschnitts geben Aufschluss über die unterschiedliche Rezeption der Minderheitenpolitik durch die verschiedenen Ethnien, über in China selbst diuskutierte Themen der Minderheitenproblematik sowie der offiziellen chinesischen Erhaltungsstrategie der tibetischen Kultur.

 

Umweltpolitik Chinas

Während die Folgen der Erderwärmung und des Klimawandels in der Arktis und der Antarktis inzwischen ins öffentlliche Bewusstsein vorgedrungen sind, findet die große Gletscherschmelze auf dem tibetischen Plateau weniger Beachtung. Die Gletscher dieses Gebietes - von Experten auch als "dritter Pol" bezeichnet - schrumpfen in alarmierender Geschwindigkeit. Überschwemmungen und Schlammlawinen bezeugen diese dramatischen Entwicklungen schon heute. Langfristig gesehen sind die Gletscher lebensnotwendig für den Wasserhaushalt der wichtigsten Flüsse Südostasiens. Ihr Verschwinden wird die Wasserversorgung in der gesamten Region gefährden. Die hydroelektrischen Großprojekte Chinas sind nicht zuletzt vor diesem Hintergund kritisch zu betrachten.

 

Internationale Perspektive

Wie sehr entspricht die westliche Wahrnehmung Tibets und der Tibeter der Realität? Woher kommen unsere Vorstellungen von Tibet? Wie gehen die Medien mit dem Thema um? Wie berichten sie über die aufstrebende Weltmacht China? Dieser Abschnitt enthält Beiträge zur Berichterstattung und Wahrnehmung Chinas und Tibets in der internationalen Öffentlichkeit, zur Interpretation der jüngsten Ereignisse in Tibet und zu den Strukturen der exiltibetischen Regierung.

 

Die China-Berichterstattung in den deutschen Medien

Die vorliegende umfangreiche Studie von Carola Richter und Sebastian Gebauer liefert anhand von sieben Leitmedien eine Bestandsaufnahme und eine Analyse der China-Berichterstattung in Deutschland. Entstanden ist eine Aufnahme publizistischer Vielfalt, in der Präferenzen und Diskursmuster deutlich werden. 

Zur Autorin des Dossiers

Tanja Plötz

Das Dossier "Hintergrund Tibet" wurde zusammengestellt von der Sinologin Tanja Plötz. Frau Plötz arbeitete von März 2002 bis Februar 2008 im Rahmen der deutsch-chinesischen Entwicklungszusammenarbeit zum Thema Umwelterziehung und -aufklärung in Peking. In dieser Zeit führte Sie auch eine Reihe von Projekten in Kooperation mit dem China-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung durch. Seit März 2008 ist Frau Plötz freischaffend tätig.
Kontakt: tangjia[at]gmx.net