Mehr Europa wagen. Eine Intervention

 Daniela Schwarzer und André Glucksman. Foto: Stephan Röhl Lizenz: CC-BY-SA Original: Flickr

12. März 2012
Christian Schwöbel
Die Krise in Europa ist schon seit längerem weit mehr als nur eine ökonomische Krise. Das europäische Projekt als Ganzes steht auf dem Spiel, wenn gegenseitige Schuldzuweisungen unter den Mitgliedstaaten grassieren, populistische Strömungen in Europa vermehrt an Zuwachs gewinnen und europäische Solidarität in Frage gestellt wird.

Die Eurokrise im engeren Sinne lässt sich unter Umständen durch lange Nächte an Brüsseler Verhandlungstischen überwinden, auch wenn die zurückliegenden Gipfeltreffen keinen allzu großen Anlass zur Hoffnung geben. Die im Zuge der Eurokrise immer deutlicher zu Tage tretende Legitimationskrise der EU jedoch ist nicht durch intergouvernementales Krisenmanagement lösbar. Und sie könnte die Europäische Union mittel- und langfristig noch vor viel größere Probleme stellen, als dies aufgrund der Schuldenkrise der Fall ist.

Jüngste Umfrageergebnisse von Infratest dimap zeigen, dass eine deutliche Mehrheit der Deutschen sich grundsätzlich eine stärkere gemeinsame europäische Politik wünscht. Allerdings sehen nur knapp zehn Prozent der Befragten gute politische Beteiligungsmöglichkeiten auf EU-Ebene (siehe PDF). Was dadurch zum Ausdruck kommt, ist eine politische Ohnmacht der Bürgerinnen und Bürger. „Mehr Europa“ wird derzeit gleichgesetzt mit „weniger Demokratie“.

In der Legitimationskrise

Wie nun lässt sich diese Legitimationskrise überwinden? Auf der einen Seite sind sicher institutionelle Reformen notwendig, wie etwa ein durch ein Initiativrecht aufgewertetes Europäisches Parlament oder die Einführung transnationaler Listen bei Europawahlen. Auf der anderen Seite bedarf es jedoch auch eines europäischen Diskurses der Bürgerinnen und Bürger, der dem Durchregieren der Staats- und Regierungschefs und dem nach wie vor als undurchsichtig empfundenen Wirken des Brüsseler Beamtenapparats zivilgesellschaftliches Engagement entgegensetzt.

Wie dieses Engagement zu realisieren ist und was sich in der EU ändern muss, darüber diskutierten der französische Philosoph André Glucksmann, der polnische Publizist und ehemalige antikommunistische Dissident Adam Michnik, der deutsche Schriftsteller Peter Schneider und Daniela Schwarzer von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) auf der Podiumsdiskussion „Mehr Europa wagen. Eine Intervention“, die am 15. Februar 2012 in der Heinrich-Böll-Stiftung stattfand. Die Podiumsteilnehmer/innen konstatierten dabei insbesondere ein massives Glaubwürdigkeitsproblem der Europäischen Union, das unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass die EU oftmals nur tatenlos zusieht, wenn sich in einzelnen Mitgliedstaaten, wie zum Beispiel in Italien unter Silvio Berlusconi oder derzeit in Ungarn, antidemokratische Tendenzen abzeichnen, so Adam Michnik. Auch die jahrelange Unterstützung der nordafrikanischen Despoten durch europäische Staatschefs habe laut Peter Schneider und André Glucksmann der Glaubwürdigkeit Europas nachhaltig geschadet.

Daniela Schwarzer sieht die EU in einer Solidaritätskrise, da die nationalen Regierungen in erster Linie den Schutz ihrer eigenen Wählerschaft im Blick haben und sich die Schuld an der Krise oftmals gegenseitig zuweisen. Vor diesem Hintergrund bestünde die Gefahr einer Renationalisierung in Europa. Peter Schneider stimmt dem zu: Angela Merkel sei bei der deutschen Bevölkerung derzeit vor allem deswegen so beliebt, weil die Deutschen das Gefühl haben, die Kanzlerin beschütze ihr Geld.

Hoffnung machen Daniela Schwarzer die zahlreichen Nichtregierungsorganisationen, die sich für Europa einsetzen, wie beispielsweise die Europäische Bewegung Deutschland oder die Union der Europäischen Föderalisten. Allerdings fände die Leiterin der SWP-Forschungsgruppe „EU-Integration“ es auch wichtig, wenn diese Bewegungen als Partei wählbar wären.

Mehr Zivilgesellschaft und engagierte Bürger nötig

Peter Schneider unterstützte die Idee, dass Europa mehr Zivilgesellschaft und mehr engagierte europäische Bürger braucht und verwies bei dieser Gelegenheit auf den mit seinem Schriftstellerkollegen Hans Christoph Buch verfassten Europa-Appell, auf den die Veranstaltung zurückging. In dem Appell fordern die Initiatoren ein stärkeres und demokratischeres Europa: „Europa muss sich nicht ‚gesund schrumpfen‘, es darf nicht klein geredet und abgewickelt werden. Europa ist nicht am Ende - es steckt in einem schwierigen Transformationsprozess. Die EU muss an Haupt und Gliedern reformiert, die Integration weiter vorangetrieben werden! Verstärkte Integration aber ist nur zu rechtfertigen und durchzusetzen, wenn sie einhergeht mit mehr demokratischer Kontrolle und Transparenz in den Institutionen der EU.“

Der Appell soll nun auf Veranstaltungen in verschiedenen europäischen Ländern vorgestellt werden mit dem Ziel, zu einer europaweiten zivilgesellschaftlichen Debatte über die Zukunft der Europäischen Union beizutragen. Denn ohne engagierte Bürgerinnen und Bürger, die, wie der Moderator der Diskussion und Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, es ausdrückte, die Regierenden zu politischer Selbstverantwortung zwingen, kann die EU auf Dauer nicht funktionieren.

.....
Der Autor Christian Schwöbel ist Projektmanager im EU / Nordamerika-Referat der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.

Fotogalerie "Mehr Europa wagen. Eine Intervention."