Charkiwer Bürger verteidigen ihren Stadtpark

Luftansicht des Charkiwer Gorki-Parks.
Foto: Kuvakin Evgeny (Quelle: Wikimedia.org). Dieses Foto steht unter einer Creative Commons Lizenz.

7. Juli 2010
Von Dr. Kyryl Savin
In den letzten Mai-Wochen kam es im Rahmen von Abholzungen im Charkiwer Gorki-Park zu teils massiven und gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Bürgerinitiativen aus Charkiw, der Miliz und Bauarbeitern. Das ganze Land schaut heute auf Charkiw und beobachtet wie und ob die ukrainische Zivilgesellschaft den Härtetest bestehen wird.

Straßenbau quer durch den Park

Am 19. Mai 2010 wurde im Gorki-Park in Charkiw mit Rodungen für den Bau einer Straße mitten durch den 130 ha großen Stadtpark begonnen. Die geplante Straße führe angeblich zu Verkehrsentlastungen in der Innenstadt der ostukrainischen anderthalb Millionen Metropole. Tatsächlich jedoch endet die Straße mitten im Wald. Damit soll der am 27. Februar 2008 (!) vom Stadtrat verabschiedete Bebauungsplan realisiert werden, im Zuge dessen soll der 1907 eingeweihte Stadtpark um bis zu 23 ha für Straßen, Hotels, Vergnügungszentren und Wohnungen verkleinert werden. Umweltschützer sehen in dem Straßenbau nur den Anfang für eine umfangreiche Bebauung entlang der Straße. Das attraktive zentrumsnahe Bauland im Grünen garantiert den Stadtkämmerern besonders hohe Verkaufspreise.

Der Beschluss des Stadtrates 2008 fand denn auch unter der Ägide des für seine Korruptionsanfälligkeit berüchtigten Charkiwer Bürgermeisters Michail Dobkin statt, der den Wahlkampf Janukowytschs als Leiter der Partei der Regionen in Charkiw leitete und nach dem Amtsantritt Wiktor Janukowytschs inzwischen auf den Sessel des Gouverneurs des Charkiwer Gebiets vorrückte. Der Bauplanbeschluss wurde nicht zufällig erst nach dem Machtwechsel in Kiew umgesetzt. Gesetzesübertretungen sind nun auch in Charkiw möglich, übergeordnete Behörden schreiten nicht ein.

Proteste gewaltsam unterbunden

So wurden die Sägearbeiten am 19. Mai zunächst sogar ohne offizielle Genehmigungen von offenbar aus dem Donezker Gebiet herangeschafften Arbeitern begonnen. Herbeigeeilten Umweltaktivisten von der Initiative „Petschenihy/Petschenegen“ wurde erst einmal die Auskunft verweigert. Nachfragen wurden mit Fausthieben beantwortet, denen erst die Miliz ein Ende setzte. Die illegalen Abholzungen wurden an den Folgetagen fortgesetzt, jedoch stellten sich mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger den Arbeiten entgegen.

Die fehlenden Genehmigungen wurden von den Behörden nachträglich ausgestellt, dennoch verstärkte sich der Widerstand der Umweltgruppen mit jedem Tag. Behinderten am ersten Tag nur etwa 30 Menschen die Abholzungsarbeiten, so entstand am dritten Tag ein kleines Zeltlager auf der geplanten Trasse in dem etwa 50 Menschen ständig anwesend waren und die bei Bedarf bis zu 300 Bürger aktivieren konnten. Einige Bäume wurden von mit Klettergurten und Seilen ausgerüsteten Demonstranten besetzt. Hauptargument der Umweltschützer ist, dass der 2008 beschlossene Bebauungsplan gesetzwidrig zustande kam. Weder fanden die in der Ukraine vorgeschriebenen öffentlichen Anhörungen statt noch wurde ein Umweltverträglichkeitsgutachten durchgeführt.

Wie aufgeschreckt die Stadtverwaltung war, lässt sich an der nachfolgend einsetzenden Kampagne ablesen, infolge dessen der derzeit geschäftsführende Bürgermeister von Charkiw, Hennadiy Kernes, die Demonstranten und die sich spontan gebildete Initiative „Selenyj front/Grüne Front“ als von der Opposition (Block Julija Tymoschenko usw.) bezahlt diffamierte. Da sich jedoch der Widerstand gegen die Abholzungsmaßnahmen nicht verringerte, griffen die ausführende Baufirma und die Stadtregierung zur Gewalt.

So wurden zwei Demonstranten bei der Blockade eines herangebrachten Bulldozers absichtlich verletzt und am frühen Morgen des 2. Juni wurde das Zeltlager von einer Gruppe schwarz gekleideter Personen überfallen, die Zelte zerstört, Menschen verprügelt und die anwesenden Menschen aus der Abholzzone weggedrängt. Dabei wurden einige der Aktivisten durch Faustschläge und Tritte verletzt. Eine Frau wurde mit Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert. Die anwesende Miliz zeichnete sich bei dieser Aktion durch Passivität aus und ließ den offenbar bestellten Schlägertrupp gewähren. Dabei kam es auch zu Fällungen von besetzten Bäumen. Nur durch glückliche Umstände wurde niemand ernsthaft verletzt.

Anfang Juni war die Rodung der über 2000 als „krank“ gekennzeichneten Bäume im Wesentlichen abgeschlossen. Die bei den Widerstandsaktionen Verhafteten mussten sich, da die Abholzungen nachträglich teillegalisiert wurden, Schnellverfahren stellen, in denen sie wegen Landfriedensbruch zu Geldstrafen verurteilt wurden. Zur Unterstützung der Proteste gab es am 5. Juni ein gut besuchtes Open-Air-Konzert. Momentan versucht die Protestbewegung, ein Referendum über die Bebauung zu erzwingen, für das jedoch die Unterschriften von 10 Prozent der Einwohner der Stadt notwendig sind.

Nachträgliche öffentliche Anhörung eine Farce

Am 19.06 fand eine öffentliche Anhörung über Straßenbau im Gorki-Park in Charkiw statt. Im Vorfeld der Anhörung haben mehrere ukrainische Umwelt-NGOs eine Kampagne gestartet "Heute ein Baum, morgen - DU!". Aus der ganzen Ukraine kamen am 19.06. etwa 50 Aktivisten nach Charkiw, um für den Erhalt des Gorki-Parks zu demonstrieren - eine für ukrainische Verhältnisse bislang einmalige Mobilisierung.

Die Anhörung wurde jedoch zur Farce. Der von der Verwaltung bereit gestellte Saal war zu 3/4 mit extra rekrutierten und bezahlten (ca. 5 EUR pro Kopf) Leuten gefüllt, die anderen über 2000 Teilnahmewilligen mussten draußen bleiben (siehe einige Bilder hier). Entsprechend fiel das Abstimmungsergebnis der Anhörung aus und Bürgermeister Kernes fühlte sich bestätigt. Seit Anfang Juli werden Bauarbeiten im Park mit umfangreichen Erdarbeiten und weiteren Abholzungen fortgesetzt. Nun wird offensichtlich, dass es bei den Bauarbeiten keineswegs um Verkehrsentlastung durch eine neue Straße, sondern um großflächige Bebauung im Park geht.

Zerstörung von offenbar deutschen Kriegsgräbern durch die Bauarbeiten

Seit Anfang Juli graben Bauarbeiter, die mit Straßenarbeiten im Park beschäftigt sind, zahlreiche alte menschliche Gebeine aus. Es wurden insgesamt ca. 50 einzelne Fragmente gefunden (siehe hier), die vermutlich von deutschen Soldaten stammen, die nach Augenzeugenberichten im Gorki-Park beerdigt wurden. Vertreter des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge versuchten gefundene Leichenreste für die Untersuchung zu bekommen, doch sie wurden von Bauarbeitern und lokaler Miliz von eigenen Untersuchungen und Ausgrabungen abgehalten. Nach inoffizieller Information haben Bauarbeiter eine mündliche Weisung aus der Stadtverwaltung bekommen, alle gefundenen Gebeine und Kleidungsstücke zu vernichten und Stillschweigen darüber zu bewahren. Die Bauarbeiten gehen indes mit hoher Intensität weiter. Nichts scheint den amtierenden Bürgermeister Kernes stoppen zu können!

Gorki-Park als Testfall für ukrainische Demokratie

Die Vorgänge um den Stadtpark von Charkiw lassen erkennen, welche Folgen die Konsolidierung der neuen ukrainischen Machtelite nach dem Amtsantritt von Präsident Wiktor Janukowytsch für die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine hat. Gleichzeitig zeigt die Charkiwer Zivilgesellschaft ihre Fähigkeit, schnell Widerstand mit breiter Unterstützung einfacher Bürgerinnen und Bürger organisieren zu können, wenngleich leider längst nicht sicher ist, ob es gelingen kann, den Regierenden „von unten“ Grenzen zu setzen. Diese Bemühungen der ukrainischen Zivilgesellschaft sollten von europäischer Seite dringend unterstützt werden, um ein Abgleiten der Ukraine in einen Autoritarismus russischer oder belarussischer Prägung zu verhindern.



Dr. Kyryl Savin ist Büroleiter des Länderbüros Ukraine, Kiew der Heinrich-Böll-Stiftung. Er wird unterstützt von Andreas Stein (Praktikant).

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Weiterführende Links:
http://www.greenfront.kh.ua/
http://pechenegy.org.ua/
http://glavnoe.ua/video/p1
http://www.kharkovforest.com/home/news
http://green-front.livejournal.com/?skip=20
http://pechenegy.org.ua/uk/lesoparkmap
http://www.avakov.com/news/?year=2010&news_id=4072#4072

Dossier

Die Ukraine auf dem Weg zur Demokratie

Seit 1991 ist die Ukraine unabhängig. Trotz Reformen hat die Demokratie in der Ukraine immer noch große Defizite. Die Orangene Revolution 2004 hat den Prozess der Demokratisierung beschleunigt, doch ist die Demokratie im Lande weiter instabil und die Zivilgesellschaft zu schwach, um Politiker und Politikerinnen kontrollieren zu können. Ein Schritt zurück zur Autokratie ist bei der andauernden politischen und wirtschaftlichen Krise nicht ausgeschlossen. Das Dossier begleitet die aktuellen Entwicklungen mit Artikeln und Hintergrundberichten.