Beim Wiederaufbau in Afghanistan fehlt eine Strategie

Auf den Straßen Kabuls. Foto:  Koldo Hormaza
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7. Oktober 2008
Von Barbara Unmüßig

Von Barbara Unmüßig

In Afghanistan kommt der Wiederaufbau nur enttäuschend langsam voran. Das liegt zum einen an der Schwäche der afghanischen Regierung, zum anderen aber auch daran, dass die Geber sich über den richtigen Ansatz nicht einig sind und sich zu wenig untereinander abstimmen. Das Problem ist erkannt, wird aber nicht behoben. Stattdessen wälzen die Geber die Verantwortung auf die Vereinten Nationen ab, die damit überfordert sind.

Können in Afghanistan der Kampf gegen Aufständische und der zivile Aufbau Hand in Hand gehen? Bis zur Bundestagsdebatte im Oktober über die Verlängerung des Bundeswehrmandats wird einmal mehr heftig diskutiert werden über die Frage, ob Afghanistan überhaupt von außen befriedet werden kann. In kaum einer Stellungnahme dazu fehlt der Hinweis, wie wichtig der zivile Aufbau ist. Seit geraumer Zeit wird zudem intensiv über die Erfolgsbedingungen für den Wiederaufbau debattiert. Der Mangel an Sicherheit sowie Korruption und die schwachen staatlichen Institutionen in Afghanistan zählen zu den größten Hindernissen.

Auch die Rolle der externen Geber gerät zunehmend in den Blick. Aber es werden keine Konsequenzen gezogen: Die politischen und institutionellen Eigeninteressen der wichtigsten Geberländer und der mehr als 80 internationalen Organisationen stehen der Einsicht in mehr gemeinsames Handeln entgegen. Dieses Scheitern ist für ein Kriegsland wie Afghanistan fatal.

Alle Jahre wieder, zuletzt bei der Geberkonferenz in Paris im Juni, zieht die Staatengemeinschaft Bilanz, welche Fortschritte es gibt und welche Aufgaben noch bewältigt werden müssen. Mit den immer gleichen Formeln wird beschworen, dass der zivile Aufbau in jedem afghanischen Bezirk, in jedem Dorf Wirkung entfalten soll. Jahr für Jahr werden die mangelnde Absprache der Geber untereinander, die fehlende Abstimmung der Geber mit der Regierung in Kabul, die Doppelarbeit und die Verschwendung von Hilfsmitteln beklagt. Auch in Paris haben die Geber wieder gelobt, das zu ändern. Aber die seit 2006 im Rahmen des Afghan Compact aufgebauten Koordinierungsmechanismen scheinen nur ansatzweise zu greifen.

Die Geber lassen keinen politischen Willen erkennen, ihre Interessen zurückzustellen und an einer gemeinsamen Aufbaupolitik zu arbeiten.

Der Beschluss der Konferenz von Paris, der UN-Mission in Afghanistan (UNAMA) eine stärkere Rolle bei der Leitung und der Koordinierung des zivilen Wiederaufbaus zu geben, stimmt nicht gerade zuversichtlich. Es spricht einiges dagegen, dass die UNAMA diese Rolle erfüllen kann. Denn auch die UN-Mission ist auf den guten Willen der großen Geberländer angewiesen. Die aber enthalten ihr die notwendige personelle und institutionelle Ausstattung für die neuen Aufgaben vor. Die UNAMA soll das Unmögliche möglich machen, wird aber im Stich gelassen und verheizt. So verfestigt sich der Eindruck von den Vereinten Nationen als überforderter Lückenbüßerin. 

Die Deklaration von Paris wimmelt wieder einmal von wohlfeilen Absichtserklärungen. Nichts wird konkretisiert. Kein Wort dazu, wie der Mangel an gemeinsamer strategischer Politik und Abstimmung überwunden werden soll – das Hauptmanko aller Bemühungen von außen. Wann endlich gibt es eine gemeinsame Strategie für die Entwicklung des ländlichen Raums, die so wichtig wäre für die Ernährungssicherheit, die Armutsbekämpfung und den Kampf gegen den Opiumanbau? Wo bleibt der gemeinsame Ansatz für den Aufbau der Polizei und des Justizapparats? Der AfghanCompact – das 2006 beschlossene Strategiepapier der afghanischen Regierung und der internationalen Geber – enthält 77 Zielvorgaben für die Regierung in Kabul, für die Geber dagegen keine einzige.

Es bleibt dabei: Die wichtigsten Geber lassen keinen echten politischen Willen erkennen, ihre sich widersprechenden Interessen und Ziele zurückzustellen und stattdessen an einer gemeinsamen Aufbaupolitik mit entsprechenden Prioritäten zu arbeiten. Das aber ist längst überfällig. Stattdessen die UNAMA mit einer erweiterten Koordinierungsfunktion auszustatten, ist keine Lösung, sondern vertagt diese Grundsatzentscheidung lediglich. Zugegeben: Die Geber stehen in Afghanistan vor gewaltigen Aufgaben. Auch die notwendige Koordination untereinander, ohne die der Wiederaufbau nicht gelingen kann, erfordert eine enorme Leistung. Aber bislang hat es nicht den Anschein, als wollten die Geber diese Leistung erbringen. Damit werden sie ihrer Verantwortung für 30 Millionen Afghanen, deren überwältigende Mehrheit sich nichts sehnlicher wünscht als Frieden und die Befriedigung der wichtigsten Grundbedürfnisse, nicht gerecht. Und der internationalen Entwicklungszusammenarbeit stellen sie ein Armutszeugnis aus.

Der Artikel ist erschienen in: welt-sichten, Ausgabe 9/2008, S. 11

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