„So wahr mir Gott helfe“ - Obama interpretiert die Unabhängigkeitserklärung neu

26. Januar 2009
Von Michael Werz

Viermal hat Barack Obama Gott in seiner Antrittsrede erwähnt. Gegen Ende hin sprach er davon, dass „die Quelle unserer Zuversicht ― das Wissen [sei], dass Gott sich an uns wendet und ein ungewisses Schicksal gestaltet“. Eine merkwürdige Formulierung, aber nicht weiter tragisch.

Neuentdeckung des Religiösen

Dann folgten schöne Passagen zum religiösen Pluralismus, in denen die vielen Herkunftstraditionen in den Vereinigten Staaten als Stärke beschrieben wurden, die dazu beitrugen, dass die Gesellschaft, die die „bittere Erfahrung des Bürgerkriegs und der Rassentrennung gemacht“ hat, aus „diesen dunklen Kapiteln“ gestärkt und in größerer Einheit hervorgegangen sei. Später wurde es vor fast zwei Millionen Zuhörern auf der Washington Mall noch einmal übersinnlich: Die USA hätten „den Horizont fest im Blick und mit Gottes Gnade das großartige Geschenk der Freiheit weiter getragen“.

George Bush wäre mit solch einer Formulierung nicht ohne Weiteres davongekommen. Die beunruhigende Verknüpfung von Religion und Freiheitsversprechen hatte Barack Obama bereits zu Beginn seiner Ansprache postuliert. Es gehe darum, so der gerade eingeschworene Präsident, „diese großartige Idee weiter zu tragen, die von Generation zu Generation weitergegeben worden ist: das gottgegebene Versprechen, dass alle Menschen gleich sind, frei sind ― und ein Recht darauf haben, ihr Glück zu versuchen.“
Diese Formulierungen beziehen sich auf die berühmten Passagen aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli des Jahres 1776: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.”

Von der deutschsprachigen Zeitung Pennsylvanischer Staatsbote wurde diese Passage am folgenden Tag übersetzt: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, worunter Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit sind.“

Diese von Thomas Jefferson geschriebenen Sätze sind so wichtig, weil sie die Besonderheit der amerikanischen Revolution spiegeln: Im absolutistischen Frankreich wurde vor allem égalite, also „Gleichheit“, versprochen, in Amerika - ein Anspruch auf Freiheit und Glück. Diese jedem Menschen zustehenden Rechtstitel speisten sich aus ihrer Freiheitsfähigkeit, das wird in der Unabhängigkeitserklärung als „self-evident“, als offensichtlich oder eben als „ausgemacht“ angesehen, wie der Pennsylvanische Staatsbote damals schrieb.

Die transzendentale Rückversicherung

Obama spricht allerdings nicht davon, dass Menschen mit diesen Ansprüchen von Natur aus versehen sind – für deren Durchsetzung ist der Schöpfer dann nicht mehr nötig – sondern er beschreibt sie als Versprechen Gottes. Etwas ganz anderes, wenn man an das Kapitol denkt, dessen Kuppel eine Statue schmückt, die Freiheit für alle verspricht, ganz ohne spirituelle Zutaten.

Abgerundet wurde diese religiöse Interpretation politischer Freiheits- und Glückansprüche durch das Bittgebet von Rick Warren. Der umstrittene evangelikale Pastor ist Chef der Saddleback Church, die in Kalifornien über 20.000 Mitglieder zählt. Sein in 21 Sprachen übersetztes Buch „The Purpose Driven Life“ ist ein globaler Bestseller, nur von der Bibel wurden mehr Exemplare gedruckt. Warren vertritt offene Positionen, was Aids-Vorsorge und Armutsbekämpfung angeht, ist aber auch ein erbitterter Abtreibungsgegner und wettert gegen Schwulenehe und Stammzellenforschung. Trotz vieler Anmahnungen im Vorfeld benutzte er in seiner Predigt nicht die Universalformel „Gott“, sondern sprach von „Jesus“ - ein kleiner, aber feiner Affront gegen alle anderen Glaubensgruppen, von Atheisten ganz zu schweigen.

Die Verteidiger Obamas erklären diese Dehnungsübungen als besonders geschickte Strategie eines Politikers, der sich um die Stimmen von Linken und Liberalen nicht zu sorgen braucht und versucht, konservative Wählergruppen zu binden. Die vielen Gottesverweise und die Entscheidung für Warren brechen mit den amerikanischen Traditionen aus der Emanzipationsepoche, aus der Obama so viele seiner politischen Anleihen bezieht. Selbst das optionale „So wahr mir Gott helfe“ das er nach dem Amtseid sprach, wurde erst 1881 eingeführt. George Washington und seine Nachfolger regierten ohne diese transzendentale Rückversicherung.

Die Renaissance religiöser Bekenntnisse erinnert an die frühen fünfziger Jahre. Damals zitierte die New York Times Präsident Eisenhower mit der denkwürdigen Bemerkung, dass „unsere Regierung keinen Sinn macht, solange sie nicht auf einen tief empfundenen religiösen Glauben gründet – und mir ist es egal, was das ist“. Der Präsident, der sich im Weißen Haus hatte taufen lassen und auf Initiative seines Pfarrers dem Kongress 1954 vorschlug, die Worte „Under God“ in den Fahneneid aufzunehmen, regierte ein Land, in dem die Kirchenmitgliedschaft gegen Ende seiner Amtszeit auf das Allzeithoch von 69 Prozent stieg.

Entdogmatisierung der Religion

Die allgemeine Stimmung mag mit der Verunsicherung in einer Epoche zusammengehängt haben, in der das Überleben von der Wasserstoffbombe abzuhängen und die Welt einer unlösbaren Konfrontation entgegen zu blicken schien. Ab Mitte der fünfziger Jahre wurde in alle amerikanischen Münzen die Phrase „In God We Trust“ eingraviert und es war eine paradoxe Situation entstanden, in der sich die Mitglieder einer zunehmend aufgeklärten Gesellschaft immer mehr der Religion zuwandten. Diese Tendenz schlug sich auch an den Universitäten nieder, wo Religionsfachbereiche gegründet wurden und wachsendes Interesse an Soren Kierkegaard, Paul Tillich, Martin Buber und Simone Weil zu beobachten war.

Zugleich wurden Differenzen neutralisiert und besonders die christlichen Kirchengemeinden standen sich nicht mehr so unversöhnlich gegenüber wie noch in der Zwischenkriegszeit. Katholiken hatten inzwischen in zwei Weltkriegen gekämpft und der Protestantismus war in der New Deal-Ära fortschrittlicher und liberaler geworden, seit viele Pfarrer sozialpolitische Führungsrollen übernahmen. Diese Offenheit war notwendig, weil die neuen amerikanischen Kirchen ohne die herkömmlichen Einkommen aus Staatszuwendungen, Landbesitz oder Gebühren auskommen mussten und vollständig von der Loyalität ihrer Gemeindemitglieder abhingen. Diese Entdogmatisierung der Religion war wichtig für die politische Bewegungen der sechziger Jahre und auch die Offenheit der amerikanischen Gesellschaft gegenüber den Einwanderern, die nach der Migrationsreform des Jahres 1965 in größeren Zahlen in den USA eintrafen. Dass Barack Obama in Kauf nimmt, hinter diese Errungenschaften zurückzufallen – und sei es aus taktischen Gründen – ist eine der vielen Ironien seines Erfolges.

Michael Werz ist Transatlantic Fellow des German Marshall Fund of the United States und Adjunct Professor am BMW Center for German and European Studies an der Universität von Georgetown in Washington DC.