„Purpose“ statt „Purchase“

Liane Schalatek, Foto: © Victor Holt

Obama versucht die Transformation der US-Gesellschaft vom Konsumismus zum Kommunitarismus

26. Januar 2009
Von Liane Schalatek
Von Liane Schalatek

In seinen Warnungen war Barack Obama bereits seit einigen Monaten konsequent und, für die USA, ungewöhnlich realistisch bis düster: Es würde noch schlimmer kommen, bevor es mit der amerikanischen Wirtschaft wieder aufwärts gehen könne. Und so hat der neue Präsident seine Antrittsrede auch genutzt, seine Mitbürger auf schwierige Zeiten einzuschwören: „Today I say to you that the challenges we face are real. They are serious and they are many. They will not be met easily or in a short span of time.”

Das Platzen des amerikanischen Traums

Die schlimmste Rezession seit der Großen Depression, längst global, trifft mit voller Härte ins Herz des amerikanischen Bürgertums. Geboren aus dem Laissez faire der Wall Street, das den US-Häuserboom erst möglich machte, droht jetzt nach der Immobilienblase auch der amerikanische Traum zu platzen. Schließlich war das Eigenheim in den Vereinigten Staaten, mehr noch wie irgendwo sonst in der westlichen Welt, nicht nur Symbol der Mittelklasse, ein Zeichen, es geschafft zu haben, sondern eben auch Alterssparbüchse und finanzieller Notnagel, weil die Reallöhne über mehr als ein Jahrzehnt nicht stiegen, der Realkonsum aber explodierte. Das ist jetzt - wahrscheinlich für immer - vorbei. Mehr als 2,6 Millionen Arbeitsplätze gingen seit 2008 in den USA verloren, die Arbeitslosenzahl könnte in wenigen Monaten erstmals seit mehr als dreißig Jahren zweistellige Prozentzahlen erreichen; sogar Microsoft kündet Stellenstreichungen an. Es wird weiter munter zwangsversteigert, aber die vielen Häuser kann keiner kaufen, weil Kredit plötzlich knapp, und weite Teile der US-Gesellschaft nicht mehr kreditwürdig sind. Die Konsumenten in den USA haben das Vertrauen ins Konsumieren auf Teufel komm raus als Strategie für ein solides Wirtschaftswachstum (bislang fast 70 Prozent des Bruttosozialprodukts der USA) verloren. In den letzten Monaten kollabierte ein gutes Dutzend nationaler Einkaufsketten.

Obamas riskante Gratwanderung

Ob es Barack Obama gelingt, die US-Wirtschaft wiederzubeleben wird in einer solchen nationalen Notlage für ihn zur Frage von Sein oder Nichtsein. Immerhin kann er sich auf ein beeindruckendes Wirtschaftsteam voller Pragmatiker und krisenerfahrener Experten stützen - das allerdings kühne Visionäre vermissen lässt. Die Vision kommt von Obama. Viel wird davon abhängen, ob ihm in der direkten Kommunikation mit der US-Wählerschaft die riskante Gratwanderung gelingt. Seine Eloquenz wird er dabei gebrauchen können. Denn Obama muss als „Communicator-in-Chief“ zwar den Ernst der Finanz- und Wirtschaftslage vermitteln und an die Opferbereitschaft und das Verständnis der Mitbürger für harte Entscheidungen appellieren. Gleichzeitig aber wird er auch den „Can-Do“-Geist, die Vaterlandsliebe und die Widerstandsfähigkeit der US-Gesellschaft beschwören und zum Handeln und zur Teilnahme auffordern. In seiner Einführungsrede vor 1,8 Millionen Zuhörern auf der National Mall in Washington und vor Hunderten Millionen in aller Welt hat Präsident Obama das sehr plakativ getan: “Starting today, we must pick ourselves up, dust ourselves off, and begin again the work of remaking America.”

Kommunitarismus statt Konsumismus

Die Gründe für die Wirtschaftsmisere der Vereinigten Staaten liegen, wie Obama in dieser Rede betonte, in „the greed and irresponsibility on the part of some, but also our collective failure to make hard choices and prepare the nation for a new age.” Anders als sein Vorgänger George W. Bush, der nach den Terroranschlägen des 11. September seine Landsleute zum Konsum als patriotischer Pflicht aufrief, will Obama „purpose”, nicht „purchase“. Dem Konsumismus setzt er die Vision des Kommunitarismus entgegen, in dem der sich seiner Pflichten bewusste Bürger (citizen), nicht der Verbraucher (consumer) gesellschaftliches Leitbild ist und politisches Handeln bestimmt.

Auf den Ruinen des unverantwortlichen Konsumismus, des leichten Kredits und wirtschaftlichen Individualismus’ der letzten Dekade(n) möchte die Regierung Obamas jetzt den Wiederaufbau Amerikas vorantreiben. Schnell, aber umfassend und langfristig wirkungsvoll: eine Gratwanderung im besten Fall, ein Oxymoron im schlimmsten. Wichtigstes Instrument dafür soll ein gigantisches Paket sein, rund 825 Milliarden US-Dollar stark, unter das Obama bis zum 19. Februar, dem amerikanischen Feiertag, der dem Andenken seiner wichtigsten Präsidenten gewidmet ist, seine Unterschrift setzen will. Der Amerikanische Re-Investitions- und Wirtschaftsaufschwungsplan (American Reinvestment and Recovery Plan, PDF) wie das Gesetzeswerk vom Weißen Haus genannt wird, ist der erste wichtige Test für Obamas politische Führungs- und Überzeugungskraft.

Gewaltiger Plan für den Aufschwung der Wirtschaft

Der Plan, der in den letzten Wochen von Obamas Wirtschaftsteam mit dem demokratischen Kongress ausgehandelt wurde, versucht - muss es wohl - die fiskalpolitische Quadratur des Kreises, will sowohl kurzfristig stimulieren als auch langfristig transformieren. Rund drei Viertel der massiven Investitionen sollen in den nächsten 18 Monaten erfolgen, darunter ein nicht unerheblicher Brocken (275 Milliarden US-Dollar) in Form von Steuerrabatten für Arbeitnehmerfamilien - ein Zugeständnis an die Republikaner im Kongress. Auf deren Unterstützung kann und will Obama, der im Wahlkampf zur Überwindung parteipolitischer Grabenkämpfe aufgerufen hatte, nicht komplett verzichten.

Doch der Anspruch des Pakets reicht weit über kurzfristige Maßnahmen hinaus. Obamas Wirtschaftsteam will mit dem Plan durch gezielte, massive Investitionen in saubere Energiequellen, das Gesundheitssystem, Erziehungswesen und die Infrastruktur die US-Wirtschaft verwandeln und auf den Weg in eine neue Zeit bringen. Die Schaffung von rund vier Million neuer Jobs, die Verdopplung des Anteils erneuerbarer Energien innerhalb von drei Jahren, die Ausweitung von Krankenversicherung auf Millionen bislang unversichterter Amerikaner oder die Erleichterung des Zugangs zu Universitäten für Einkommensschwache dienen mehr als nur der Fähigkeit eines Landes, global stärkste Wirtschaftsmacht und international wettbewerbsfähig zu sein. Im Sinne des Kommunitarismus geht es dabei um die Tatsache, dass, wie Obama in seiner Antrittsrede sagte: „a nation cannot prosper long when it favors only the prosperous.”

Es ist diese Vision eines gerechteren Wirtschafts- und Finanzsystems in den USA und weltweit, in dem die amerikanische Regierung unverhohlen, mit selbstbewusster Transparenz die Rolle als Regulator, Stimulator und Gerechtigkeitsgarant einnimmt, von der Obama hofft, dass seine Mitbürger sie auch dann noch teilen und unterstützen werden, wenn in den nächsten Monaten Wirtschaftsstatistiken und Börsen fast unvermeidlich weitere Hiobsbotschaften verkünden werden. Die Hoffnungen und Erwartungen auf die Erfüllung dieser Vision sind einfach – um im alten Jargon der Wall Street zu bleiben – „too big to fail.“


Liane Schalatek ist Stellvertretende Büroleiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington, DC und dort unter anderem für globale Wirtschafts- und Finanzpolitikthemen zuständig.