Die Wiederherstellung des Glaubens

29. Januar 2009
Von Marcia Pally

Von Marcia Pally

Eine der unerwarteten Folgen von Obamas Wahl ist die Wiederherstellung des Glaubens. Selbst der strengste Säkularist ist plötzlich wieder gläubig. Das mag man als Bonus oder als Kollateralschaden sehen. Aber auch, wenn sich die Menschen bemühen, nicht naiv zu erscheinen – auch wenn sie hinter der vorgehaltenen Hand murmeln, Obama könne natürlich nicht sämtliche Probleme der Welt lösen, natürlich müsse man vernünftige Erwartungen hegen, und natürlich sei er nicht der Retter der Welt – tatsächlich ist er es.

Die Menschen schütteln erstaunt den Kopf und bekommen leuchtende Augen, wenn sie ihn sehen. Sie lauschen jeder neuen Erklärung, als käme sie vom heiligen Berg. Er bewilligt uns ein 825 Milliarden Dollar starkes Wirtschaftsprogramm, was ungefähr so ist, als würde Gott uns Mammon geben. Er beendet die Folter und schließt Guantanamo, so wie Gott den Lastern von Sodom und Gomorrha ein Ende setzte. Er erlegt den Staaten Regeln bezüglich des Kraftstoffverbrauchs und der Umweltverschmutzung auf, die strenger sind als die nationale Norm.

Guter Gott, schon in seinem Wahlkampf ging er - über Parteigrenzen hinweg - von der Aussöhnung mit dem Feind aus. Und dann sagte er in seiner Antrittsrede: „Jene, die an der Macht festhalten durch Korruption, Betrug und indem sie Andersdenkende zum Schweigen bringen, sollten wissen, dass sie auf der falschen Seite der Geschichte stehen, dass wir ihnen jedoch die Hand reichen werden, wenn sie gewillt sind, ihre geballte Faust zu öffnen.“ Hat Jesus jemals so gut geklungen?

Obama - der Erlöser

In der Zeit nannte der britische Philosoph Terry Eagleton, dessen Kritik des Kapitalismus nur jener an den USA nachsteht, Obama den „Erlöser“. Eagleton hat sich den Aposteln angeschlossen, was in etwa so ist, als würden die Pharisäer am Abendmahl teilhaben.

Die Republikaner verpassen natürlich den Spaß am Glauben. Diese Zweifler behaupten, die 275 Milliarden Dollar Steuersenkungen seien ein ungenügendes ökonomisches Stimulans, und es mache keinen Sinn, Guantanamo zu schließen, wenn man keine Ahnung habe, was mit den Gefangenen geschehen soll. Damit haben sie nicht ganz Unrecht. Sie sagen, Obamas Stimulusplan stelle Gelder für Maßnahmen bereit, die die Wirtschaft nicht stimulieren, sei also eine Art Verhütungsmittel. Dann wurden sie daran erinnert, dass sie Teil des Pakets für das Gesundheitswesen sind. Oh ja! Obama gibt uns auch eine vernünftige Krankenversicherung. Gepriesen sei er.

„Glauben“ bedeutet, etwas anzunehmen, das nicht beweisbar ist. Sie mögen daran glauben, dass ich Ihren Rasenmäher repariere, obwohl ich gerade noch mit einem Dosenöffner umgehen kann. Religiöser Glaube ist jedoch noch ein wenig mehr: nämlich der Glaube an eine Kraft, die nicht nur eindeutige Lebensbereiche verwandeln kann - Rasenmäher oder Umweltschutzstandards – sondern das Lebensgefühl selbst.

Was den Glauben an Obama ausmacht, ist nicht ein Stimuluspaket hier und ein Plan für das Gesundheitswesen dort. Hillary hätte dasselbe oder Ähnliches getan, aber sie hätte keinen Glauben inspiriert. Glaube entspringt dem Gefühl, dass eine Gospel, eine frohe Botschaft, angekommen ist, die „auch den kleinsten Spatz“ erreicht.

Die Obama-Gospel hat zwei Themen: den Aufstieg aus der Obskurität und die Überwindung des Rassismus. Zuerst der Rassismus. Sklaverei und Rassendiskriminierung sind die uramerikanische Krise in einer Art und Weise, in der es die Geschlechterdiskriminierung nicht ist (aus Gründen, über die ich schreiben werde, wenn eine Frau zum Präsidenten gewählt wird). Doch nun hat sogar diese Geschichte ein glückliches Ende. Dass wir uns unserer Vergangenheit wegen so schlecht gefühlt haben, gibt uns jetzt ein umso besseres Gefühl.

Und wir sind jetzt nicht mehr schlecht

Wir können uns jetzt etwas weniger schuldig fühlen wegen der 25 Prozent schwarzer Kinder, die in Armut aufwachsen, und der elf Prozent schwarzer Männer zwischen 20 und 34, die im Gefängnis sitzen. Wieder einmal haben wir etwas Unrechtes berichtigt. Obama hat den Glauben an die Ur-Lösung wiederhergestellt: Can-do-ism.

Zweitens, die Obskurität: Obamas Vater verließ die Mutter, und sie lebte mit ihrem Kind eine Zeitlang von Sozialhilfe. Durch harte Arbeit und ohne je sein Ziel aus den Augen zu verlieren, kämpfte er sich nach oben, bis in die beste Universität des Landes, ins Jurastudium, in die Politik und schließlich ins höchste Staatsamt.

Eine bessere Wiedergutmachung könnte sich Amerika nicht wünschen. So wie er aufstieg, werden auch wir aufsteigen. Denn auch wir sind Amerikaner. Wie er können auch wir es immer noch schaffen. Wenn wir unsere rassistische Gesellschaft dahingehend verändern können, dass ein Schwarzer es nach oben schafft, wenn wir uns so weit wandeln können, dass wir einen schwarzen Präsidenten wählen, was können wir dann nicht? Obama hat unseren Glauben daran wiederhergestellt, dass Amerika sich erneuern kann.

Nicht zu sehen ist bei dieser Frohbotschaft allerdings der Weg in die Hölle. Jene unserer Eigenschaften, die Obamas Geschichte ermöglichten, haben nämlich auch zu Amerikas Tragödien geführt. Selbstvertrauen, Individualismus und eine Zukunftsorientiertheit dort, wo die Vergangenheit noch überwunden und das Leben noch verbessert werden kann – diese Züge sind es, die Amerika glauben lassen, dass Geschichten wie die Obamas geschehen können.

Aber sie verleihen uns auch einen geradezu anmaßenden Glauben an uns selbst, den Glauben, dass alles, was für Amerika gut ist, für die ganze Welt von Vorteil ist. Sogar unser Glaube an liberale Märkte kommt von der Liebe zu unternehmerischer, optimistischer Risikobereitschaft. Wir glauben in der Tat so sehr an unsere liberale „Gospel“, dass wir uns verpflichtet fühlen, sie zu unserem und zum Vorteil der Welt zu exportieren.

Das besondere Selbstvertrauen Amerikas

Häufig sehen wir nicht, wo dieses Durchsetzen dessen, was wir für das Beste halten – mit aller Energie unseres Can-do-ism – die anderen zugrunderichtet.

Es gibt nicht zwei Amerikas – das gute und das schlechte, das Amerika Obamas und das Bushs. Es gibt nicht das Amerika, das nach dem Zweiten Weltkrieg Europa mit Luftbrücken und Marshallplänen „rettete“, und das schlechte, das Südostasien und Lateinamerika mit Napalm und Todesschwadronen „rettete“. Wir versuchten an beiden Orten, dasselbe zu tun: liberale Ökonomien aufzubauen und sie vor dem illiberalen Kommunismus zu schützen.

Doch in unserem Glauben, es am besten zu wissen, übersahen wir, dass Europa und die Entwicklungsländer unterschiedlich sind. Der Historiker Melvyn Leffler sprach in diesem Zusammenhang davon, dass es uns an „Feinanalyse“ mangele. Europa mit seinen Traditionen liberaler Politik und Wirtschaft konnte diese wieder aufbauen. Auf die Entwicklungsländer traf dies nicht zu, doch das haben wir nicht recht gesehen.

In seiner Antrittsrede nannte Obama vier inspirierende Schlachtschauplätze: Concord, Gettysburg, die Normandie und Khe Sanh – die Schlacht, mit der die amerikanische Revolution begann, ein entscheidendes Gefecht des amerikanischen Bürgerkriegs, den Ort, an dem im Zweiten Weltkrieg die US-Truppen in Europa landeten, und eine der blutigeren Schlachten in Vietnam.

Man kann hoffen, dass er die Normandie und Khe Sanh aus politischen Gründen zusammen nannte, um moderate Republikaner zur Kooperation mit ihm zu gewinnen. Aber womöglich offenbart er eine tiefere Wahrheit: dass die Normandie und Khe Sanh von derselben Nation kommen und dasselbe Ziel ausdrücken, nämlich unseren energischen Liberalismus überall funktionieren zu lassen, denn schließlich hat er ja in Amerika so gut funktioniert.

Amerikanische Ideale - Risiken und Nebenwikungen

Sicherlich hatte jener Bush, der eben das Weiße Haus räumte, kein gutes Gehör für Dinge, die Amerika so gerne hochhält: dass wir fair spielen und Gutes tun, und zwar effektiv. Obama andererseits hat ein Ohr dafür, wie Amerikas Ideale klingen. Seine Wahlkampfslogans „Yes, we can“ und “Change” waren klassische Ausdrucksweisen selbstbewussten amerikanischen Strebens und optimistischen Can-do-isms. Seine Biografie verkörpert sie, mit allen Vorteilen und Risiken für die US-Politik.

Obama hat vorgeschlagen, mit der iranischen Regierung über deren Nuklearprogramm zu sprechen, aber er hat auch erklärt, dass die Nuklearoption der USA „auf dem Tisch“ bleibt – und positionierte sich damit nur unweit von Bush, der letzten Sommer ebenfalls diplomatische Bemühungen startete.

Obama hat seine Bereitschaft angekündigt, in Pakistan unilaterale Streitkräfte gegen Taliban und Al-Khaida einzusetzen. Er versprach, mehr Truppen und mehr Hilfe nach Afghanistan und Pakistan zu schicken. Das hat übrigens auch McCain getan.

Obama versprach den Rückzug aus dem Irak innerhalb von 16, McCain innerhalb von 24 Monaten. Obama sagte auch, er werde dort „Reststreitkräfte“ zurücklassen – was etwas unheimlich an die „US-Berater“ in Vietnam erinnert.

Nicht, dass Obama kein „Erlöser“ wäre. Aber das, was ihn als einen solchen erscheinen lässt, hat auch schon zu Verdammung geführt.

Marcia Pally, Professorin an der New York University, veröffentlichte zuletzt das Buch"Die hintergründige Religion" über den Einfluss der evangelikalen Bewegung auf die US-Politik (Berlin University Press, 2008).

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Heinz Tophinke