Wo die Emanzipation wirklich beginnt












1. September 2008

Claudia Pinl



Von Claudia Pinl

Die These „Es hat immer schon unterschiedliche Feminismen gegeben“ halte ich für falsch.

Nicht überall, wo „Feminismus“ darauf steht, ist auch Feminismus drin. Es gab und gibt leider zahlreiche, sich feministisch nennende Ansätze, die sich bei näherer Betrachtung als Irrwege oder Sackgassen erweisen. Ich erinnere nur an die ontologischen Identitäts- und Weiblichkeitsdiskurse der achtziger Jahre.

Versteht man den Feminismus als Herrschaftskritik, als „Beanspruchung des Rechts auf eigene Würde und Selbstbestimmung des Menschen in Gestalt einer Frau, auf Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Gerechtigkeit“ (Mechtild Jansen), so kann sich feministisch nennen - intellektuelle Redlichkeit vorausgesetzt - immer nur die Kritik an Verhältnissen, in denen Frauen (und allen Menschen) Selbstbestimmung, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit verweigert wird.

Die Ausprägungen, in denen Frauen diese Grundrechte verweigert werden, sind allerdings sehr unterschiedlich und hängen nicht allein vom Faktor „Frau“ ab, sondern sind verwoben mit Ausgrenzungskriterien wie Ethnie, Klasse, Bildung, Minderheiten-Status u.a.

Die Frage ist, ob der viel zitierte Pop-Feminismus das F-Etikett zu Recht trägt. Der feministische Blick nimmt sowohl die Situation, die Bedürfnisse, das Begehren der einzelnen Frau (das Private) ins Visier als auch die Strukturen (das Politische).

Der naive Alphamädchen-Feminismus

Der Blick der „Alphamädchen“ auf die Strukturen ist aber, gelinde gesagt, unscharf. Vor lauter Freude über den eigenen Erfolg, die Coolness, und Sexyness vergessen sie: Es gibt Frauen, die nicht cool, sexy, erfolgreich sind. Vor allem aber: Wer definiert was cool und sexy ist? Wie kommt Erfolg in der Medienwelt zustande?

Man kann den Pop-Feminismus egoistisch schimpfen, weil er beim Streben nach individuellem Glück und Glamour stehen bleibt. Vor allem aber ist er grenzenlos naiv. Und daher wahrscheinlich gesellschaftlich folgenlos.

Wie in der Geschichte von Hase und Igel ist die Kulturindustrie immer schon bereit, aus einem scheinbar noch so aggressiven Aufbegehren einen Medienhype zu machen, der aber einen oder zwei Sommer später bereits vergessen ist. Alles wird vermarktbar, konsumierbar; selbst die aggressive Verweigerung Charlotte Roches, den eigenen Körper so zu präsentieren, dass er glatt, haarlos und wohl odoriert den herrschenden Normen entspricht. Auch dieser Protest wird medial aufbereitet, konsumiert und geschluckt  - und er hat über den Party-Small-Talk hinaus keine gesellschaftliche Relevanz.

Oder wo sind die Charlotte-Roche-Managerinnen und Charlotte-Roche-Sportlerinnen-Netzwerke, die in Stadien und Meetings Bein- und Achselhaare zur Schau stellen?

Das Mainstream-Karusell dreht sich weiter

Der Mainstream betreibt nach wie vor fröhlich und wie selbstverständlich die patriarchale Zurichtung von Frauen - physisch und psychisch. Während sich Charlotte Roche über ihren Bestseller-Erfolg freuen darf, lanciert RTL die Sendereihe „Alt mach neu“, bei der man und frau zuschauen kann, wie Promis aus der B-Reihe (Brigitte Nielsen) sich neue Brüste implantieren, das Fett absaugen und die Gesichtshaut straffen lassen.

Kein Tag vergeht ohne nackte Frauen in eindeutigen Posen auf den Titelblättern der Boulevardpresse in Millionenauflage. Kaum eine Firmenwerbung kommt auf Dauer ohne mindestens halbnackte Frauen aus. Pornografie ist schick. Und sie ist so gut wie immer sexistisch: Frauen sind diejenigen, denen es besorgt wird. Ihre Posen, ihre Gesten sind solche der Unterwerfung.

Die „guten“ alten Rollenbilder sind noch da

Entpersonalisierung von Frauen geht einher mit der Loslösung sexueller Vorstellung von personalen Bezügen: Vaginale oder anale Penetration („Ficken“) als entpersonalisierte Herrschaftsgeste des Mannes; „gefickt werden“ bedeutet dagegen Ohnmacht und Unterwerfung.

„Das Ordnungsamt hat mich gefickt“ klagen im Kölner Karneval wegen Trunkenheit aufgegriffene Jugendliche. In der Frankfurter Diskothek „Apartment“ sind die Urinale auf dem Männer-WC als sperrangelweit offene rote Frauenmünder geformt (abgebildet in der Kundenzeitschrift der Deutschen Bahn „mobil“, Nr. 6/2008, S. 22).

Kritik an der ubiqitären frauenverachtenden Pornografisierung wird als „unsexy“ abgetan. „Sexy“ ist dagegen die Präsentation des weiblichen Körpers als jederzeit verfügbares Objekt. Junge Mädchen inszenieren ihre Geschlechtlichkeit freizügig und modebewusst und sind der festen Überzeugung, dass sie selbstbestimmt über ihre Körperpräsentation entscheiden. Ebenso wie erwachsene Frauen. Von hohen Absätzen über Brustimplantationen, Fettabsaugungen, Gesichtsstraffungen bis hin zu Magersucht.

Frauen immer wieder an ihre, im Patriarchat primäre Funktion als Fotze zu erinnern, ist möglicherweise der Preis, der eingefordert wird für die vielen anderen Freiheiten, die Frauen sich heraus nehmen (dürfen) und für ihre beruflichen Erfolge. Dominanz und Unterordnung sollen wenigstens auf diesem primären Gebiet stabilisiert werden!

Dazu passend ein schönes Zitat von Pierre Bourdieu: „Die männliche Herrschaft, die die Frau als symbolisches Objekt konstituiert, dessen Sinn (esse) ein Wahrgenommen-Sein (percipi) ist, hat den Effekt, dass die Frauen in einem Zustand ständiger körperlicher Unsicherheit oder besser symbolischer Entfremdung versetzt sind. Ihr Sein ist ein Erscheinen, und so werden sie ohne explizite Aufforderung dazu gebracht, sich mit der Art, wie sie ihren Körper halten und präsentieren (Aufmachung, Kleidung, Kosmetik usf.) den Männern gegenüber als disponibel (in vergeschlechtlichter und eventuell sexueller Hinsicht) zu zeigen... Vom Mann aus gesehen werden diejenigen, die sich in gewisser Weise ihr Körperbild wieder aneignen (z. B. durch Sport) und die unterstellte Disponibilitätsbeschreibung zerstören, als nicht „feminin“, ja als lesbisch wahrgenommen. Die Behauptung der intellektuellen Unabhängigkeit, die sich ja auch körperlich manifestiert, ist von ähnlicher Wirkung.“ (Pierre Bourdieu in es 732 n. F., S. 229)

Zur Quadratur des feministischen Kreises

Christina Obergföll, Silbermedaillengewinnerin im Speerwurf bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2007 und bei den Olympischen Spielen 2008 hadert mit der Tatsache, dass ihre Freundinnen in Tops der Größe S oder XS passen, während sie selbst dank ihres durch Leistungssport breiteren Kreuzes die Größen L oder gar XL tragen muss. „Sie will sportlichen Erfolg, aber auch als Frau wahrgenommen werden“, kommentiert der männliche Sportreporter des „Kölner Stadt-Anzeiger“, und gibt im nächsten Satz der Sportlerin zu verstehen, dass sie sich damit „an der Quadratur des Kreises“ versuche...

Hoffentlich täusche ich mich und der enorme Erfolg von Charlotte Roches „Feuchtgebiete“ - 430 000 verkaufte Exemplare bis Anfang April - zeigt den Willen einer Mehrheit von Frauen nach selbstbestimmter lustvoller Aneignung des eigenen Körpers außerhalb der heterosexistischen Norm. Damit fängt die Emanzipation schließlich an.

 


Claudia Pinl, geboren 1941, studierte Politologin, war aktiv in der Frauenbewegung der siebziger und achtziger Jahre. Sie lebt und arbeitet als Journalistin und Publizistin in Köln. Jüngste Veröffentlichung: "Das Biedermeier-Komplott. Wie Neokonservative Deutschland retten wollen", Hamburg 2007.