Die ignorierte Expertise

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Frauen müssen im Kampf gegen den Hunger mehr Mitsprache bekommen

8. Oktober 2009
Von Barbara Unmüßig
Von Barbara Unmüßig


Die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) veranstaltet Mitte November in Rom zum dritten Mal seit ihrem Bestehen einen Weltgipfel für Ernährungssicherheit. Dort wollen sich die Regierungschefs der Welt gemeinsam dazu verpflichten, bis 2025 den Hunger abzuschaffen. Das kann nur gelingen, wenn Frauen in der Agrarpolitik künftig eine größere Rolle spielen. Denn ihnen kommt in der Landwirtschaft in armen Ländern eine Schlüsselrolle zu, die aber zu wenig beachtet wird.


Die Beseitigung des Hungers ist ein wünschenswertes Ziel, das allerdings schon häufiger beschlossen wurde, etwa 1974 bei der World Food Conference in Rom. 1996 beim ersten FAO-Weltgipfel fiel das Ziel schon verhaltener aus: Halbierung der Zahl der Hungernden weltweit bis 2015. Noch bescheidener sind die Millennium-Entwicklungsziele aus dem Jahr 2000: Jetzt soll bis 2015 nicht mehr die absolute Zahl der Hungernden halbiert werden, sondern nur noch ihr Anteil an der Weltbevölkerung.

Aber selbst dieses Ziel ist in weiter Ferne. Mit den Nahrungsmittelpreisen ist auch die Zahl der Hungernden in den Jahren 2007 und 2008 wieder gestiegen – laut FAO auf fast eine Milliarde Menschen. Und laut Experten werden die Preise noch geraume Zeit auf einem Niveau bleiben, das für die Armen einfach zu hoch ist. Hinzu kommen die Auswirkungen des Klimawandels sowie das schnelle Wachstum der Weltbevölkerung. All das wird das weltweite Hungerproblem noch verschärfen.

Im UN-System wächst die Erkenntnis, dass es gemeinsame Anstrengungen und einen radikalen Kurswechsel in der Weltagrarpolitik geben muss. Das ist erfreulich, hat aber einen Haken: Die meisten Vorschläge für eine neue Agrarpolitik sind auffallend geschlechterblind und wiederholen damit einen der größten Fehler der internationalen Entwicklungszusammenarbeit. Sie ignorieren, dass Männer und Frauen in ihren jeweiligen Rollen als Produzenten und als Konsumenten auf unterschiedliche Weise von der Krise betroffen sind und unterschiedlich auf die veränderte Situation in der Landwirtschaft reagieren. Entsprechend geschlechterdifferenziert müssten die Antworten auf die Ernährungskrise ausfallen.

Frauen sind besonders stark von den steigenden Nahrungsmittelpreisen betroffen. Sie sind aber nicht nur Opfer der Krise, sondern vor allem einer der Hauptschlüssel zu ihrer Lösung. Die FAO schätzt, dass Frauen in Entwicklungsländern bis zu 80 Prozent der Nahrungsmittel produzieren und für die Versorgung der anderen Haushaltsmitglieder verantwortlich sind. Die Debatten über die politischen Antworten auf die Nahrungsmittelkrise müssen dieser besonderen Rolle von Frauen endlich gerecht werden.

Die Anliegen von Frauen haben keine politische Lobby

Doch leider ignorieren die diskutierten Lösungspakete ihre speziellen Bedürfnisse weitgehend. Frauen sind in lokalen, regionalen und internationalen Interessenvertretungen nur schwach vertreten, ihre Anliegen und Vorschläge haben keine politische Lobby.

Zur Lösung der Krise werden vor allem Investitionen in die Agrarforschung, in landwirtschaftliche Beratung sowie ein besserer Zugang zu Märkten und zu moderner Technik empfohlen. Aber in vielen Entwicklungsländern ziehen Frauen aufgrund traditioneller Geschlechterrollen aus derlei Maßnahmen kaum Nutzen. Häufig dürfen Frauen kein Land erwerben und haben weder Zugang zu Krediten noch zu landwirtschaftlicher Beratung und effizienter Agrartechnik. Die von internationalen Organisationen vorgestellten Ansätze zur Bekämpfung von Hunger sind ein Paradebeispiel dafür, dass die Interessen von Frauen und eine geschlechtergerechte Perspektive zu wenig berücksichtigt werden. Außer einigen Pilotprojekten ist hier kein Perspektivwechsel zu erkennen.

Frauen kommt im Kampf gegen Hunger und Armut eine Schlüsselrolle zu. Die zentrale Frage ist deshalb, wie die landwirtschaftliche Produktivität und die finanzielle Sicherheit von Frauen erhöht werden können. Kurzfristig müssen dazu die bereits angelaufenen Programme zur Bewältigung der Krise auf ihre Wirksamkeit für Frauen überprüft und mittelfristig der Zugang von Frauen zu Produktionsressourcen und Informationen verbessert werden. Das alles wird aber nur passieren, wenn Frauen stärker an Entscheidungen beteiligt werden. Es ist zu hoffen, dass das beim bevorstehenden Gipfel der UN-Welternährungsorganisation in Rom zur Sprache kommt und die Weichen dafür gestellt werden.


Barbara Unmüßig
ist Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung.

Der Beitrag ist zuerst erschienen in: welt-sichten, Ausgabe 10-2009, Seite 11

Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht.