Die EU als Vorreiter einer globalen Energiewende

15. März 2010
Von Ralf Fücks
Von Ralf Fücks

Energiepolitik ist Zukunftspolitik. Die Alternativen liegen auf der Hand: Entweder das Ende des fossilen Zeitalters wird rasch eingeläutet, oder der Klimawandel nimmt Ausmaße an, die das Leben auf der Erde dramatisch verändern werden.

Technisch ist der Abschied von Kohle, Öl, Gas und Atomkraft machbar. Jetzt muss der Übergang ins Zeitalter der Erneuerbaren Energien politisch vorangetrieben werden. Energiepolitik ist Querschnittspolitik. Es geht um Investitionsanreize und Zukunftsmärkte, um Energiesicherheit und Machtfragen, um technologische Innovationen und gesellschaftliches Umdenken.

Das Scheitern des Kopenhagener Weltklimagipfels sollte niemanden täuschen: der ökologische Strukturwandel ist unvermeidlich. Nicht ob er stattfinden wird, ist die Frage, sondern ob er schnell genug stattfindet, um große Krisen zu vermeiden.

Und die nächste Frage lautet, wer bei der „Decarbonisierung“ der Industriegesellschaft die Nase vorn haben wird. Europa hat kein Monopol auf ressourceneffiziente und umweltfreundliche Technologien. China hat die Bundesrepublik inzwischen als weltgrößter Produzent von Solartechnik abgelöst, und auch bei der Windenergie spielt die Musik längst nicht mehr nur in Old Europe. Auch die USA sind aus ihrem ökologischen Winterschlaf aufgewacht; wenn die Weichen im Kongress endlich auf grün gestellt werden, wird dort der Öko-Boom erst richtig losgehen.

Wenn die EU Vorreiter einer globalen Energiewende bleiben will, brauchen wir mehr Kooperation auf allen Feldern, von Forschung und Entwicklung bis zu transnationalen Stromnetzen. Europa braucht dringend eine gemeinsame Energiepolitik nach innen und nach außen.

Davon kann bisher keine Rede sein. So findet die Entwicklung alternativer Energien bisher nur im nationalen Rahmen statt, obwohl gerade die grenzübergreifende Integration regenerativer Energien große Vorteile bietet. Wenn man die jetzigen nationalen Aktionspläne zugrunde legt, wird bis zum Jahr 2020 nur etwa 2 Prozent der erzeugten erneuerbaren Energie in der EU grenzübergreifend produziert und verteilt. Das mag für die nächsten 10 Jahre noch angehen, reicht aber für die nächste Etappe nicht aus, wenn es um eine rasche Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien in Richtung 100 Prozent geht. 

Zugleich schwächt die nationale Zersplitterung auch die Interessenvertretung der EU gegenüber den großen Energielieferanten, insbesondere gegenüber Russland.

Der große Nachbar im Osten hat es bisher meisterlich verstanden, die europäischen Regierungen gegeneinander auszuspielen und seine marktbeherrschende Position durch Sondergeschäfte zu festigen. Das jüngste Kapitel in diesem Trauerspiel schrieb Frankreich mit einem Überkreuzgeschäft: Lieferung schneller Kriegsschiffe, die bestens für Invasionen im Ostseeraum oder im Schwarzen Meer geeignet sind, gegen Beteiligung an den North- und Southstream-Pipelines.

Damit wird die Realisierung von „Nabucco“ wieder ein Stück unwahrscheinlicher – genau der Pipeline, die Europas Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen verringern soll.

Der im Vertrag von Lissabon verankerte Grundsatz der "Energiesolidarität" steht bisher nur auf dem Papier. Aus unserer Sicht heißt Energiesolidarität auch und vor allem, die von fossilen Energieträgern besonders abhängigen Staaten auf dem Weg zu mehr Energieeffizienz zu unterstützen und sie in eine „Europäische Gemeinschaft für Erneuerbare Energien“ einzubinden.

Wir haben dazu eine Konzeptstudie vorgelegt, verfasst von der ehemaligen EU-Kommissarin Michaele Schreyer und dem Energiewissenschaftler Lutz Mez, die international bereits auf viel Resonanz gestoßen ist.

Zukunftsweisende Projekte wie der Aufbau eines Windenergie-Verbunds rund um die Nordsee, eine Energieallianz zwischen Skandinavien und den baltischen Staaten oder ein Solarenergieverbund zwischen Nordafrika und Europa brauchen eine gemeinsame Koordinations- und Regulierungsinstanz auf europäischer Ebene. Genau diese Aufgaben soll die von uns vorgeschlagene „Europäische Gemeinschaft für Erneuerbare Energien“ übernehmen.

Eine ehrgeizige ökologische Innovations- und Modernisierungsstrategie Europas erfordert ein Mehr an strategischer Planung und Koordination auf europäischer Ebene: von gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsprojekten über kompatible Fördersysteme bis zum Aufbau eines europaweiten Super Smart Grid und grenzübergreifender Speichersysteme für Regenerativstrom. 

Am Beginn der europäischen Vereinigung stand die „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“. Die Entwicklung einer gemeinschaftlichen Energiepolitik ist der Treibsatz für die nächste Stufe der europäischen Integration. In der Vision einer europäischen Gemeinschaft für erneuerbare Energien verbinden sich Energiesicherheit, Klimaschutz, ökonomische Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltige Prosperität. Dafür wollen wir mit dieser Tagung einen Beitrag leisten.

Ich freue mich sehr, dass wir mit diesem Thema auf so große Resonanz gestoßen sind. Wir werten das als Zeichen, dass die Zukunft der europäischen Energiepolitik nicht nur von uns als ökologische und ökonomische Schlüsselfrage gesehen wird – und vielleicht auch ein wenig als Bestätigung der Arbeit, die wir in den letzten Jahren auf diesem Feld geleistet haben.

Die Tagung ist ein Gemeinschaftswerk unseres EU-Referats und der europäischen Auslandsbüros der Stiftung. Ich möchte mich namentlich bei unserer EU-Referentin Christine Pütz sowie bei Melanie Sorge als externer Konferenzmanagerin für die gute Vorbereitung
bedanken. Das Tagungsbüro der Stiftung der Stiftung ist wie immer für den praktischen Ablauf verantwortlich, auch dafür vielen Dank.

Ich hoffe, dass Sie sich alle als Gäste der Heinrich Böll Stiftung wohl fühlen und freue mich auf einen interessanten Austausch.


Ralf Fücks ist Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

Dossier

Europäische Energiepolitik

Der Abschied von Kohle, Öl, Gas und Atomkraft ist machbar. Der Übergang ins Zeitalter der Erneuerbaren Energien muss politisch vorangetrieben werden. Es geht um Investitionsanreize und Zukunftsmärkte, um Energiesicherheit und Machtfragen, um technische Innovationen und gesellschaftliches Umdenken.



Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert.
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