Brasiliens Umweltpolitik nach Marina

6. Juni 2008
Von Thomas Fatheuer

Von Thomas Fatheuer, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Rio de Janeiro

Obwohl sich während der UN-Naturschutzkonferenz in Bonn viel Aufmerksamkeit auf Brasilien gerichtet hat, fand die Konferenz in Brasilien kaum Beachtung. Zu turbulent waren die letzten Wochen hier. Rücktritt der Umweltministerin Marina da Silva, massive Konflikte um Indianergebiete in Amazonien und laute Stimmen der Militärs zur Amazonaspolitik bieten mehr Stoff als zähe Verhandlungen. Am 27. Mai hat der neue Umweltminister Carlos Minc sein Amt angetreten. Dazu erklärte Präsident Lula, die Umweltpolitik werde sich nicht ändern, schließlich habe er damit zwei Wahlen gewonnen. Aber ist das ein Versprechen oder eine Drohung?

Der bisherige Staatssekretär im Umweltministerium und Interimsminister João Paulo Capobianco zog zur Amtsübergabe eine kritische Bilanz. „Teile der Regierung sehen das Umweltministerium als einen Vergeber von Umweltlizenzen und nicht als ein strategisches Ministerium, das Lösungen vorschlägt. Deshalb verlassen wir das Minsterium.”  Damit trifft Capobianco den entscheidenden Punkt. Die Richtlinien der Politik werden in anderen Ministerien entwickelt und entschieden – den Umweltbehörden kommt die Aufgabe zu, die entsprechenden Genehmigungen zu liefern. Nehmen sie wenigstens diese Aufgabe ernst, dann stehen sie als Blockierer einer Entwicklung da, die sie nicht mitgestaltet haben.

Der neue Umweltminister ist ein „Asphaltgrüner”

Der neue Minister, Carlos Minc, hat sich in Rio de Janeiro den Ruf erworben, Umweltlizenzen schnell und unbürokratisch zu vergeben. Dies soll der entscheidende Grund sein, warum Lula auf die Ernennung Mincs insistierte. Der Gouverneur von Rio lobt Minc in höchsten Tönen: „Das Engagement für die Umwelt, das sein ganzes Leben begleitet, verbindet Minc mit Pragmatismus, Objektivität und Effizienz. Er ist ein Vorbild als Umweltmanager.” Dieser muss sich jetzt schon gegen den Ruf weh-ren, ein bloßer Absegner zu sein. Minc ist ein erfahrener Umweltpolitiker, er war Mitbegründer der Grünen Partei Brasiliens bis er 1980 zur Partei Lulas wechselte. Er ist offensichtlich ein „Asphaltgrüner”, der die Strände Rios besser kennt als Amazonien.

Das ist in der aktuellen Situation nicht gerade ein Vorteil. Denn Amazonien ist sowohl national wie international das dominierende Thema. Dass zum Amtsantritt Mincs kein Gouverneur aus Amazonien anreiste, ist wohl ein deutliches politisches Signal. Die Gouverneure Amazoniens wollen sich nicht durch Umweltpolitik bremsen lassen – allen voran der Sojabaron Blairo Maggi, der den Amazonasstaat Mato Grosso regiert und sich bereits die ersten Wortgefechte mit Minc lieferte.

Streit um Entwaldungsraten

Amazonien ist wieder in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, als im Januar klar wurde, dass die ersten vorläufigen Zahlen der Entwaldungssaison 2007/2008 auf einen deutlich Anstieg der Regenwaldvernichtung hinweisen. Gouverneur Maggi kritisiert seitdem das brasilianische Institut für Weltraumforschung (INPE), das für die Auswertung der Satellitenbilder verantwortlich ist. Die Veröffentlichung der neuesten Abholzungszahlen für April ist erstmal verschoben worden, wohl auch um den Amtsantritt Mincs nicht zu überschatten. Für Carlos Nobre, INPE-Forscher und brasilianisches Mitglied des IPCC, hingegen ist der Fall klar. „Die Entwaldung ist hoch.”
Die Entwaldungsraten sind aber nur ein Indikator für neue Entwicklungen in Amazonien. Die Region steht heute viel mehr im Mittelpunkt der nationalen Entwicklungspolitik als noch vor etwa 10 Jahren. Die Landwirtschaft ist nicht mehr allein durch extensive Viehwirtschaft geprägt, sondern auch durch ein dynamisches Agrobusiness (Soja), das aufgrund der steigenden Weltmarktpreise einen ungeahnten Boom erlebt. Die brasilianische Bundesregierung hat in ihrem Investitionsprogamm PAC Amazonien entdeckt und will massiv in den Ausbau der Infrastruktur investieren. Der Energiesektor nimmt nach fast zwanzigjähriger Pause seine Investitionen in Großstaudämme wieder auf. Etwa 70% des bisher nicht genutzten Wasserenergiepotentials sollen sich in Amazonien befinden. In einer Zeit, in der natürliche Ressourcen, Land und Wasser immer knapper werden, erscheint Amazonien als ein neues El Dorado.

Amazonien nicht den Umweltpolitikern überlassen!

Oder anders gesagt: die Amazonaspolitik, die noch vor wenigen Jahren etwas für Umweltpolitiker und indigene Völker schien – und deshalb auch einer sympathischen und integren Marina überantwortet werden konnte - ist in kürzester Zeit in den politischen Mainstream gerissen worden. Insofern war es eine wohlbedachte Entscheidung Lulas, die Durchführung des neuen Programms „Nachhaltiges Amazonien” nicht Marina Silva, sondern dem Minister für strategische Fragen, Mangabeira Unger, zu übertragen. Dies war wohl der Auslöser für den Rücktritt Marinas. „Es ist ein grundlegender Fehler zu denken, Amazonien sei nur eine Umweltfrage oder eine Angelegenheit des Umweltministeriums. Amazonien ist nicht nur ein Fall für Umweltschützer”, erklärte Unger. Damit gibt er die Denkweise der Regierung wider – und hat ja durchaus recht. Aber es steht zu befürchten, dass nicht Nachhaltigkeitsstrategien die Amazonaspolitik strukturieren, sondern der auf Wirtschaftswachstum fixierte politische Mainstream die Umweltpolitik mitreißt und bedeutungslos bleiben lässt.

Die Militärs fürchten um die nationale Souveränität

Auch die Militärs haben sich wieder zu Amazonien geäußert. Im Konflikt um die Demarkierung des Gebiets Raposa Serra Do Sol haben führende Militärs deutlich die Indigenenpolitik der Regierung kritsiert. Raposa Serra do Sol ist das letzte große Indigenengebiet, dessen Demarkierung nicht abgeschlossen ist. Die Miiltärs sehen in den indigenen Gebieten eine potentielle Gefahr für die nationale Souveränität Brasiliens. Dabei kritisieren sie auch das Agieren zahlreicher ausländischer NGOs im Amazonasgebiet. Tatsächlich trifft die Intensivierung der Wachstumspolitik in Amazonien zunehmend auf den Widerstand indigener Völker. In einem Treffen in Altamira haben sich indigene Gruppen deutlich gegen den Bau eines Staudamms am Rio Xingu ausgesprochen. Etwa 20% der Fläche Amazoniens sind indigene Gebiete, das Konfliktpotential ist also offensichtlich. Das Ergebnis einer vorläufigen Erhebung, wonach sich 55% des Landbesitzes von Ausländern in Amazonien konzentriert, ist Wasser auf die Mühlen der Befürchtungen der Militärs.

Damit befindet sich die künftige Umwelt- und Amazonaspolitik in einer schwierigen Lage. Der Druck kommt sowohl von den Entwicklungsprojekten (Straßen und Staudämmen), von den Gouverneuren, die mit den Interessen des Agrobusiness verbunden sind als auch von den Militärs, die um die nationale Integrität des Landes fürchten. Bereits Marina hat diesem Druck immer dann wenig entgegensetzen können, wenn es zu Interessenskonflikten kam. An den Rahmenbedingungen, die zum Scheitern Marinas geführt haben, hat sich nichts geändert. Eher verschärft sich das Konfliktpotential wegen der steigenden Preise für Agrarprodukte. Minc scheint zu diesem Zeitpunkt der richtige Mann zu sein. Er bringt die notwendige Flexibilität mit, um Umweltpolitik nicht zum Wachstumshindernis zu machen und ausreichende Glaubwürdigkeit, um wenigstens einige Zugeständnisse (Geld für Schutzgebiete) zu verhandeln. So gesehen ist die Aussage Lulas, die Umweltpolitik der Regierung werde sich nicht ändern, doch eher als Drohung zu bewerten.