Gemeinschaftlicher Konsum: Nachbarschaftsauto

 

 

11. Dezember 2012

Es gibt einen neuen Trend, der nicht nur in Deutschland sondern weltweit Einzug hält: Er heißt „Collaborative Consumption“ oder gemeinschaftlicher Konsum. Mit der Verbreitung digitaler Leih-, Miet- und Tauschmodelle entstehen neue Geschäftsformen, die sich auf einer neuen „Währung“ gründen: Vertrauen. Und so sprießen weltweit Startups und private Initiativen aus dem Boden, die Leute mit gleichen Interessen zusammenführen, die leihen, tauschen, teilen oder schenken wollen. Das Time Magazin hat diese neue Konsumform sogar zu einer der zehn großen Ideen erkoren, die die Welt verändern werden.


Am 22. November 2012 wurde die Internet-Community Nachbarschaftsauto für privates Carsharing vom Bundesumweltminister Peter Altmeier mit dem renommierten Bundespreis Ecodesign ausgezeichnet. Im Interview berichtet Mitgründer und Geschäftsführer Christian Piepenbrock über die Idee, Hürden und Zukunftspläne und wie „grün“ das Projekt tatsächlich ist.


Was ist Nachbarschaftsauto?

Nachbarschaftsauto ist eine Internetcommunity, in der Leute Mitglied werden können, um ihr privates Auto dem Nachbar zu verleihen. Wenn sie kein Auto besitzen, haben sie die Möglichkeit sich beim Nachbarn eins auszuleihen.

Trotz der großen Konkurrenz wie Car2Go oder DriveNow, was war Ihre Motivation Nachbarschaftsauto zu gründen?

2010 haben wir Gründer zusammen gesessen und uns über genau diese Trends in der Mobilität Gedanken gemacht. Wir haben uns überlegt, was eigentlich noch fehlt und wie man Ressourcen besser nutzen kann. Es ist uns aufgefallen, dass noch keiner auf die Idee gekommen ist, die Autos zu nutzen, die den ganzen Tag am Straßenrand herumstehen. Ein Auto wird im Schnitt eine Stunde am Tag genutzt und das bei  38 Millionen Privatautos in Deutschland.  Wir haben uns gefragt, wie wir die Hürden senken können, einander das eigene Auto anzuvertrauen.

Wie wird das Projekt angenommen?

Wir sind im Frühjahr 2011 gestartet und es hat großen Anklang gefunden. Wir haben inzwischen 10.000 aktive Mitglieder, die Nachbarschaftsauto nutzen und zwar in ganz Deutschland.

Wer nutzt das Angebot?

Es wird ein größeres Klientel angesprochen. Was wir feststellen ist, dass altersmäßig unsere Teilnehmer sehr gemischt sind, mit dem Schwerpunkt bei den 30 bis 40-Jährigen. Aber es machen auch Menschen von Anfang 20 bis zum Rentenalter mit.
Wir wissen, dass viele aus zwei Hauptgründen zu uns kommen. Zum einen, weil sie Mobilität nachhaltiger gestalten möchten und sich Gedanken darüber machen, wie Auto und Umwelt in Zukunft besser zusammen passen können. Die zweite Motivation ist, dass Auto und Automobilität extrem teuer sind, also eine der größten Geldausgaben im Haushalt darstellen. Unsere Mitglieder möchten es für sich günstiger gestalten, das gilt sowohl für Autobesitzer als auch für diejenigen ohne eigenes Auto.

Würden Sie sagen, dass „Nutzen statt Besitzen“-Initiativen ein Ergebnis eines eintretenden Kulturwandels sind?

Ich glaube, das ist ein wenig die Wiederkehr von etwas, was wir früher schon ohne das Internet hatten. Unsere Initiative heißt Nachbarschaftsauto, weil es um Nachbarschaftshilfe geht. Wir leben in Zeiten, wo sich Nachbarn in Städten nicht mehr selbstverständlich kennen und  beieinander anklopfen, um sich mal was auszuleihen. Das finden wir schade. Wenn man das heute wieder einführen möchte, dann muss man Menschen die Möglichkeit geben sich zu finden  und zu erfahren, was der andere bereit ist zu teilen. Desweiteren ist die Frage des Vertrauens von großer Bedeutung, also wie man so einen Vorgang sicher gestalten kann. Das machen wir heute mit modernen Internetmethoden.

Vertrauen als neue Währung?
 
Bei uns wird das private Auto verliehen und dafür ist die Hürde sicherlich sehr hoch. Es handelt sich um eines der teuersten Besitztümer im privaten Haushalt und wir stellen zwei Dinge fest: Zum einen müssen wir das Thema Vertrauen an der Stelle mit technischen Lösungen angehen, die man mit Geld kaufen kann. Dazu haben wir eine Versicherung geschaffen. Wenn wirklich etwas passiert, zahlt der Vollkaskoschutz den Schaden. Darüber hinaus gibt es das, was ich die weichen Faktoren nenne: Was gibt mir ein gutes Gefühl, dass ich meinem Nachbarn das Auto verleihen darf? Wir machen das in unserem Fall über unsere Internetcommunity mit Bewertungsfunktionen, in der sich Personen kennenlernen können, ihre Motivation beschreiben, sich gegenseitig bewerten, um damit den anderen ein besseres und sicheres Gefühl geben.

Damit „Nutzen statt Besitzen“-Modelle Teil unserer Alltagskultur werden, müssen unsere täglichen eigentumsorienteierten Gewohnheiten aufgebrochen werden. Können Sie einen stärker werdenden Bedeutungsverlust des Statussymbols beobachten?

Auf jeden Fall. Diejenigen Autobesitzer, die das Auto als Statussymbol ansehen, sind weniger bereit bei Nachbarschaftsauto mitzumachen. Wir selber haben Nutzerbefragungen durchgeführt und es gibt auch Marktforschungen, die zeigen, dass inzwischen über 40% der Deutschen Autos als sehr pragmatisch ansehen. Sie begreifen es als Fortbewegungsmittel und nicht als Statussymbol. Sie sind prinzipiell bereit, ihr Auto zu teilen, wenn sie wüssten wie es funktioniert und ihnen die Möglichkeit dazu gegeben wird.

Reduziert Nachbarschaftsauto den  Ressourcenverbrauch tatsächlich?

Ja. Unsere Ziele sind nicht mal sehr hoch gesteckt. Wir würden gerne in fünf Jahren 2 % Prozent der Autos in Deutschland auf unserer Plattform wieder finden und das alleine wären schon mehrere hunderttausend Autos. Unsere Rechnung dabei ist, dass bei ungefähr 8 Nachbarschaftsautos bei irgendeinem Nachbarn die Anschaffung eines neuen Autos überflüssig wird. Und das ist ein enormes und direktes Einsparungspotenzial.

Wünschen Sie sich in Bezug auf die Kommunikation eine übergreifende Kommunikationsstrategie, also eine gemeinsame Dachbotschaft der Initiativen, um aus dem Nischendasein herauszutreten?

Das stelle ich mir sehr sinnvoll vor, denn viele Themen sind für alle Initiativen sehr wichtig: Wie kann ich Bewusstsein dafür schaffen, dass alle zusammen in der Gesellschaft am Ende mehr Wohlstand haben? Wenn also die Güter, die wir sowieso schon erworben haben, besser und effizienter genutzt werden können. Wenn wir gemeinsam Bewusstsein dafür schaffen, wie in einer  Gesellschaft der Vereinzelung und Verstädterung wieder Vertrauen gewonnen werden kann, um unsere Sachen tatsächlich teilen zu können. Ein weiterer Grund warum so etwas gemeinsam getan werden sollte ist, dass es rechtliche und politische Fragen gibt, für die man gemeinsam in der Initiative werben kann.

Wie geht es weiter?

Wir haben Nachbarschaftauto  in anderthalb Jahren so verfeinert, dass es in der Praxis wirklich funktioniert. Wir wollen an einem Bewusstseinswandel mitarbeiten: Autoverleih, moderne Mobilität und Mobilitätsgewohnheiten können verändert werden  mit den Möglichkeiten, die wir heute haben. Das ist ein großes Bildungsprogramm und deshalb freue ich mich über Vernetzung und jede Möglichkeit unser Programm an verschiedenen Orten lokal  zu verankern um noch mehr Menschen davon zu erzählen und Lust darauf zu machen.

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Das Gespräch führte Nevin Ekinci, Heinrich-Böll-Stiftung.
Foto: Autorin