Die USA vor Wahl: Ein Land im Gasrausch

Die Erwartungen seiner Anhänger waren enorm. Trotz mancher Enttäuschung hat Barack Obama als Präsident geliefert. Er hat den ökonomischen Absturz der Vereinigten Staaten verhindert, den Irakkrieg beendet und das Ende des Afghanistan-Kriegs eingeleitet, und er hat eine Gesundheitsreform durchgesetzt, an der seine Vorgänger gescheitert sind.

Dass Obama beim Klimaschutz die Erwartungen nicht erfüllt hat, lastet die Umweltbewegung zu Recht nicht dem Präsidenten, sondern den Republikanern an. Allen voran ist der große Wurf einer nationalen Klimapolitik ausgeblieben. Ein umfassender Gesetzentwurf wurde im Sommer 2009 nach kontroverser Debatte vom Abgeordnetenhaus verabschiedet. Er hätte verbindliche Klimaziele verankert, Ausbauziele für erneuerbare Energien festgeschrieben und der Wirtschaft endlich Planungssicherheit gegeben. Doch der Gesetzentwurf ist im Nachgang zur Ölkatastrophe um die Deepwater Horizon im Senat verhungert. Die Republikaner tragen die Hauptschuld am Scheitern des Gesetzes. Sie spielen den Klimawandel als Lappalie herunter und verfolgen eine knallharte Klientelpolitik für die Lobby der fossilen Energien. Seit Obamas Amtsantritt boykottieren sie nahezu jeden Politikvorschlag und verweigern sich der parteiübergreifenden Kooperation, auf die die Regeln des politischen Systems der USA ausgelegt sind.

Doch Obama kann auf der Habenseite etliche Pluspunkte verbuchen. Mit dem Konjunkturpaket wurden Investitionen von ca. 80 Milliarden Dollar in „grüne“ Projekte wie Energieeffizienz, den Ausbau der Stromnetze und die erneuerbaren Energien gelenkt. Mit strengeren Effizienzvorgaben für PKW und erstmals auch für LKW setzt die Administration wichtige Anreize für den Kauf sparsamerer Fahrzeuge. In 2020 sollen neue PKW im Schnitt nur noch 113 Gramm CO2 pro Kilometer emittieren, in der EU 95 Gramm CO2 pro Kilometer. Die wichtigste Errungenschaft sind die Abgasstandards für Industrieanlagen und Kraftwerke. Trotz des geballten Widerstands der Industrie und der Republikaner schreibt die Umweltagentur erstmals CO2-Grenzwerte vor, die den Neubau von Kohlekraftwerken ohne CO2-Abscheidung unterbinden. Schärfere Grenzwerte für Quecksilber, Stickoxide und andere klassische Luftschadstoffe sorgen dafür, dass alte Kohlekraftwerke nachgerüstet oder in den Ruhestand geschickt werden.

Kein Klimagesetzt und trotzdem sinken die Emissionen

Trotz fehlenden Klimagesetzes sinkt der Ausstoß von Treibhausgasen landesweit. Eine Studie des Think Tanks Resources for the Future (RFF) prognostiziert, dass die USA selbst ohne weitere Politiken bis 2020 ihre Emissionen um mehr als 16 Prozent gegenüber 2005 verringern. Damit käme das Land sehr nah an die von Obama auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen zugesagten 17 Prozent heran. Dieser Rückgang wird vor allem auf die neuen Standards für Kraftwerke und Autos zurückgeführt. Daneben spielt auch der Ausbau der erneuerbaren Energien, das billige Erdgas und die Wirtschaftskrise eine Rolle.

Progressive Bundesstaaten treiben die Energiewende voran

Wer klimapolitische Fortschritte in den USA finden will, muss über den Washingtoner Beltway hinausblicken. Die Vorreiterrolle beim Ausbau der erneuerbaren Energien nehmen die Bundesstaaten ein. Seit 2008 ist deren Anteil im Stromsektor von 10 auf 13 Prozent gestiegen. Inzwischen haben sich drei Dutzend Bundesstaaten eigene Ziele für den Ausbau von Windkraft, Fotovoltaik, Geothermie und Biomasse gesetzt. So wollen beispielsweise Kalifornien und Colorado bis 2020 etwa ein Drittel ihres Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugen. Iowa im mittleren Westen produziert derzeit etwa 20 Prozent seines Stroms aus der Windkraft. Im letzten Jahr wurden US$51 Milliarden in den Ausbau der erneuerbaren Energien investiert. Damit lagen die USA vor Deutschland und nur knapp hinter Spitzenreiter China. Anfang 2013 startet Kalifornien mit einem regionalen Emissionshandel. Er umfasst Kraftwerke, Raffinerien und andere Industrieanlagen und setzt - anders als der EU Emissionshandel - einen Grundpreis von 10 $ pro Tonne CO2 fest.

Die USA erleben einen neuen Öl- und Gasrausch

Vor wenigen Jahren noch rätselten US-Energieexperten darüber, wie die immer stärkere Abhängigkeit von Energieimporten gedrosselt werden könnte. Doch während Obamas Amtszeit ist eine Trendwende sichtbar geworden, die einer Revolution des Energiemarktes gleichkommt. Neue Bohrtechniken ermöglichen die Förderung von Rohöl in der Tiefsee. Der hohe Ölpreis sorgt dafür, dass sich diese kostspieligen und technisch extrem schwierigen Verfahren auch wirtschaftlich lohnen. Die Folge ist, dass die USA ihre heimische Ölförderung seit 2008 stetig ausweiten. In 2012 werden die USA täglich mehr als 300 Millionen Liter Öl produzieren – 20 Prozent mehr als noch vor vier Jahren. Erstmals seit den 1950er Jahren exportieren die USA damit mehr Öl als sie importieren. Schon bald könnten die USA Saudi-Arabien als weltweit größten Ölproduzent überholen.

Auch die Gasindustrie durchläuft einen fundamentalen Wandel. Auch hier sind es neue Fördertechniken wie das Fracking, die die Branche revolutionieren und die Akteure in einen regelrechten Gasrausch stürzen. Mit Fracking wird unkonventionelles Erdgas aus Schiefergesteinen gewonnen; ein Prozess, der vor Ort gravierende Umweltschäden verursacht und enorm viel Wasser verbraucht. Im dürregeplagten Hitzesommer 2012 sahen sich einige Bundesstaaten bereits gezwungen, den Bohrunternehmen das Wasser abzudrehen, um Ernteausfälle in der Landwirtschaft zu vermeiden.

Schon heute sind die USA nach Russland zweitgrößter Gasproduzent der Welt und decken fast 90 Prozent ihres Eigenbedarfs ab. Die Ausweitung der Produktion hat die Preise für Erdgas in den Keller sacken lassen, was in der Branche bereits zu ersten Insolvenzen führt. Anders als beim Öl gibt es keinen Weltmarkt für Erdgas. In keinem Land der Welt ist Erdgas so billig wie in den USA. Der niedrige Preis sorgt dafür, dass Erdgas die klimaschädliche Kohle in der Stromerzeugung verdrängt. Viele alte Kohlekraftwerke werden auf Gas umgerüstet. Damit befindet sich die Kohle in einem dramatischen Sinkflug. Ihr Anteil an der Stromerzeugung ist in den letzten fünf Jahren von 51 auf 32 Prozent gefallen. Auch der Atomkraft macht das billige Erdgas zu schaffen. AKW-Neubauten lohnen sich trotz üppiger staatlicher Subventionen nicht mehr. Mancher bestehende Altmeiler wird inzwischen trotz geltender Laufzeitverlängerung vorzeitig abgeschaltet, weil der Betrieb sich nicht mehr rechnet.

Die USA sind auf dem Weg zum Energieexporteur

Amerika reduziert die Öl- und Gasimporte aus dem Ausland. Anders als Europa entwickeln sich die USA zum Energieexporteur. Dem Förderboom von Öl und Gas folgt der Ausbau der Infrastruktur, allen voran für den Export. Die großen Terminals, die in den 90er Jahren an den amerikanischen Küsten für Gasimporte aus Russland und Nahost gebaut wurden, werden für den Export umgerüstet. Neue Pipelines werden durch das Land verlegt. Der Bau der umstrittenen Pipeline Keystone XL, die kanadische Teersande zu den texanischen Raffinieren am Golf von Mexiko pumpen soll, könnte schon bald nach der Wahl genehmigt werden. Auch Obama dürfte bei einer geänderten Routenführung dem Projekt zustimmen. Der rückläufige Absatz von Kohle in der Stromerzeugung führt zu steigenden Exporten, auch nach Europa. Der amerikanischen Energieagentur EIA zufolge haben sich die Kohleexporte seit 2008 bereits verdoppelt. In 2012 werden mehr als 125 Millionen Tonnen Kohle von US-Häfen in alle Welt verschifft, vor allem nach China. Dem Klima ist damit wenig geholfen. Für die US-Umweltbewegung wird deshalb der Kampf gegen die Infrastrukturen zum Export fossiler Energien – Pipelines, Bahnstrecken und Verladehäfen – zu einem zentralen Schlachtfeld des Klimaschutzes.

Obama und Romney schweigen zum Klimawandel

Aus deutscher Sicht mag es verblüffen, dass weder Obama noch Romney den Klimawandel im Wahlkampf thematisieren. Schließlich vertreten beide sehr unterschiedliche Positionen und könnten sich mit dem Thema bei ihrer jeweiligen Anhängerschaft profilieren. Doch sie schweigen zum Klimawandel. Stattdessen wetteifern beide Kandidaten darum, wer mehr Öl-Pipelines bauen, mehr Gas fördern und mehr Kohle verstromen würde.

Der Grund liegt in den umkämpften Swing States wie Ohio, Pennsylvania und West Virginia. Denn dort wird die Wahl des Präsidenten entschieden. Ohio bezieht 78 Prozent seines Stroms aus Kohle – auch deshalb versucht sich Obama als der bessere Kohle-Politiker zu profilieren. Schon Anfang des Jahres reklamierte der US-Präsident in der Rede zur Lage der Nation den (vormals republikanischen!) Slogan des „all-of-the-above“ für seine Energiepolitik: Er stünde für den sauberen Ausbau aller Energieträger, Romney und die Republikaner hingegen nur für die fossilen Energien. Romney hält dagegen, dass Obama und die Umweltagentur einen Krieg gegen die Kohle führten.

Obama kommt gelegen, dass die Ölproduktion in seiner Amtszeit gestiegen ist. Das lag weniger an seiner Politik, als an der seines Vorgängers. Denn neue Ölbohrungen haben fünf und mehr Jahre Vorlauf. Doch so kann sich Obama gegen den Vorwurf immunisieren, er würde die Ölindustrie drangsalieren – und trotzdem auf seine Forderung bestehen, die Subventionen der Ölindustrie zu streichen, die Romney schützen will. Umgekehrt will Romney die Steueranreize für die Windkraft zum Jahresende auslaufen lassen, die Obama verlängern will. Die monatelange Hängepartie wird erst nach der Wahl entschieden. Der Schaden ist allerdings angerichtet. Wegen der steuerlichen Ungewissheit sind die Auftragsbücher der Branche leer. Siemens USA hat bereits 600 Mitarbeitern seiner Windsparte gekündigt.

Auch in den Bundesstaaten steht der Klimaschutz zur Wahl

Am 6. November wird neben dem Präsidenten nicht nur der Kongress neu gewählt. In vielen Bundesstaaten stimmen die Wählerinnen und Wähler über Landesparlamente, Gouverneure und Volksbegehren ab. Dabei gibt es mehrere Wahlen, deren Ausgang über die weitere Klima- und Energiepolitik in den USA maßgeblich mitentscheiden. So kandidiert im Bundesstaat Washington im Nordwesten der USA Jay Inslee für das Amt des Gouverneurs. Der Demokrat war als Abgeordneter im Kongress eine der treibenden Kräfte für mehr Klimaschutz in den USA und hat u.a. einen Gesetzentwurf in den Kongress gebracht, der das deutsche EEG zum Vorbild hatte.In Kalifornien kämpft Fran Pavley um den Wiedereinzug ins Landesparlament. Die Demokratin ist seit mehr als zehn Jahren eine treibende Kraft für den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Architektin von Kaliforniens Klimagesetz AB32. Damit wurde Pavley zur Schrittmacherin der progressiven Bundesstaaten, denn viele andere übernehmen die kalifornischen Umweltstandards in die eigene Gesetzgebung. Ölfirmen wie Chevron und Koch-Industries wollen die Wiederwahl der Demokratin verhindern und spenden Millionen an ihren republikanischen Herausforderer.

In Michigan steht das Referendum Proposal 3 zum Ausbau der erneuerbaren Energien zur Abstimmung. Bislang hat der örtliche Energieversorger erfolgreich Mehrheiten gegen Gesetzesinitiativen organisiert, die ihn zu einem ambitionierten Ausbau von Wind und Sonne verpflichtet hätten. Auch deshalb dümpeln die erneuerbaren Energien in Michigan bei nur 8 Prozent. Mit dem Referendum soll das Ziel in der Landesverfassung verankert werden, die erneuerbaren Energien auf 25 Prozent bis zum Jahr 2025 auszubauen. Es wird von einer Allianz der Umweltverbände und Auto-Gewerkschaften vorangetrieben.

Ausblick: Der Kongress bleibt gespalten

Wie geht es nach der Wahl in Washington weiter? Den letzten Prognosen zufolge wird auch nach dem 6. November keine der beiden Parteien eine klare Mehrheit im Kongress haben. Auf beiden Seiten scheiden moderate Politiker, die zwischen den Lagern vermitteln könnten, aus. Die ideologischen Gräben werden tiefer. Die aggressiv auftretende Tea-Party-Bewegung der letzten Jahre ist zwar weniger sichtbar, doch ihre Fraktion wird gestärkt aus den Wahlen hervorgehen und die Republikaner im Kongress auf dem strammen Kurs der niedrigen Steuern und des Kahlschlags von Sozialprogrammen halten. Das politische Patt zwischen Demokraten und Republikanern führt dazu, dass großen Gesetzgebungsverfahren keine Chancen eingeräumt werden. Ein neuer Vorstoß für ein umfassendes Klima- und Energiepaket ist in den nächsten Jahren nicht zu erwarten.

Allenfalls könnte der zum Jahresende anstehende Showdown zur Reform der Staatsschulden dazu führen, dass umweltschädliche Subventionen auf die Streichliste rücken. Der Einführung einer CO2-Steuer, an der eine ungewöhnliche Koalition quer durchs politische Spektrum arbeitet, werden nur minimale Chancen eingeräumt.

Angesichts der zu erwartenden Blockade im Kongress können bundespolitische Impulse für mehr Klimaschutz nur vom Präsidenten und der Regierung ausgehen. Neue Konjunkturprogramme sind wegen der klammen Haushaltslage nicht zu erwarten. Falls Barack Obama für eine zweite Amtszeit gewählt wird, dürfte er die Regulierung über die Umweltagentur EPA fortsetzen und in der Forschung mehr Akzente auf erneuerbare Energien und Effizienz setzen. Ein Präsidenten Romney dürfte die Rolle der Umweltagentur hingegen zurückdrängen und die für die Zukunft beschlossenen schärferen Abgasstandards für Autos und Kraftwerke aufweichen oder gar aufschieben. Die erneuerbaren Energien hätten wenig Aussicht auf Unterstützung. Im Gegenzug dürften etliche Manager aus der Industrie und den Energiekonzernen in Top-Positionen der Regierung und den Bundesbehörden aufrücken und dort daran wirken, dass Umweltstandards zurückgedrängt werden.

Transatlantischer Drift in der Energie- und Klimapolitik

Europa muss sich darauf gefasst machen, dass die energie- und klimapolitischen Differenzen mit den USA verschärfen. Denn die Energiemodelle beider Kontinente driften auseinander. Die EU forciert den Umbau hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft, die auf erneuerbare Energien und Effizienztechnologien setzt. In den USA hingegen wird die Geschichte der billigen fossilen Energie fortgeschrieben, die ihre wahren Kosten versteckt oder auf kommende Generationen abwälzt. Diese Differenz wird zu transatlantischen Konflikten in Handelsfragen führen, wie schon beim Emissionshandel im Luftverkehr oder der EU Richtlinie zur Kraftstoffqualität, die klimaschädliche Teersande aus Nordamerika abstrafen würde. Die amerikanische Industrie weiß darum, dass die Umwelt-, Klima- und Verbraucherschutzstandards der Europäer Vorbildfunktion für andere Märkte weltweit haben. Die EU muss sich deshalb auf wachsenden Druck aus den USA einstellen, europäische Klima- und Umweltstandards abzuschwächen.

Für Europa ist das eine Chance. Aus Sicht der USA gilt die EU anders als in außen- und sicherheitspolitischen Fragen in der Industrie- und Handelspolitik als Schwergewicht. Diesen Trumpf sollte die EU ausspielen, um ihre klimapolitischen Interessen durchzusetzen. Zudem kann sie zeigen, dass eine Politik der ökologischen Modernisierung auch kurz- wie langfristig wirtschaftlich erfolgreich ist. Gelingt dies, stärkt es die Kräfte in den USA, die ihrerseits für eine Wende hin zu Effizienz und den erneuerbaren Energien streiten. Europa wird damit zum Modell einer zukunftsfähigen, sauberen und leistungsstarken Energieversorgung, die Ausstrahlungskraft auf Länder in anderen Regionen der Welt ausübt.