Green Innovation

Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung
Foto: Ludwig Rauch

Eröffnung der Konferenz „Innovationen für die ökologische Wende“

10. Mai 2012
Ralf Fücks

9/10. Mai 2012

Im Zentrum dieser Tagung sollen nicht die Krisenszenarien, Risiken und bedrohlichen Entwicklungen stehen, die tagein, tagaus auf uns niederprasseln:

Klimawandel, Artensterben, Verlust fruchtbarer Böden, Abholzen der Primärwälder, Wasserkrise, Überfischung der Meere, Verkehrskollaps, eine Milliarde hungernde Menschen – all das setzen wir als bekannt voraus.
Der Club of Rome hat in seiner jüngsten Neuauflage seiner berühmten Studie „Limits to Growth“ ein weiteres düsteres Szenario von der Zukunft der Menschheit entworfen, das schon fast einen fatalistischen Ton anschlägt: der Klimawandel gerät außer Kontrolle, der fortgesetzte Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen führt  zu schweren ökologischen und sozialen Verwerfen, die Folgekosten des Wirtschaftswachstums fressen seinen Nutzen auf.
Das ist ein durchaus realistisches Szenario, wenn man die vorherrschenden Trends in die Zukunft verlängert. Es ist wohl auch notwendig, uns immer wieder die Gefahren eines „weiter so“ vor Augen  zu führen. Aber man sollte Szenarien nicht mit Prognosen verwechseln, wie die Zukunft aussehen wird. Sie sind Aufforderungen zum Handeln, zum Eingreifen in den Selbstlauf der Dinge. Auch die komplexesten Computersimulationen rechnen nicht mit dem Erfindungsreichtum, der Lernfähigkeit, dem Engagement, dem Unternehmergeist von Millionen und Abermillionen Menschen.

Wir brauchen nüchternen Realismus im Hinblick auf die Krisen, denen wir entgegensehen. Aber zugleich brauchen wir die Zuversicht, dass die menschliche Zivilisation fähig ist, Lösungen für die selbst produzierten Gefahren zu finden. Um es mit Hölderlin zu sagen: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.

Deshalb beschäftigt sich diese Tagung mit dem großen Thema „Innovation“ in seinen verschiedenen Dimensionen: es geht um nachhaltige  Technologien und Produktionsverfahren, um Ressourceneffizienz und erneuerbare Energien, neue Mobilitätskonzepte, ökologisches Design und urbane Landwirtschaft, um die Rolle von Unternehmen und Bürgerinitiativen bis zu den politischen Weichenstellungen für Forschung und Entwicklung.
Wir sind überzeugt, dass die bloße Optimierung bestehender Strukturen und Verfahren nicht ausreichen wird, um die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen: wie schaffen wir es, die wachsenden Ansprüche einer wachsenden Weltbevölkerung mit einer drastischen Reduzierung ökologischer Belastungen in Einklang zu bringen?

Verdreifachung der Weltwirtschaft bis zur Mitte des Jahrhunderts bei Halbierung der Treibhausgas-Emissionen: damit ist in einer Kurzformel die Aufgabe beschrieben, vor der wir stehen. Sie erfordert nichts weniger als eine grüne industrielle Revolution, eine Transformation der Industriegesellschaft entlang zweier großer Grundlinien:
  • Massive Steigerung der Ressourceneffizienz  (aus weniger Material ein mehr an Wohlstand erzeugen)
  • Übergang zu erneuerbaren Energien und nachwachsenden Rohstoffen als Basis künftigen Wirtschaftens.

Die Zukunft hat bereits begonnen. Nie haben so viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Welt von morgen gearbeitet, noch nie wurden so viele Ingenieure ausgebildet, noch nie so viele neue Unternehmen gegründet. Gleichzeitig liefert das Internet die Infrastruktur für die weltweite Verbreitung von neuen Erkenntnissen und erfolgreichen Projekten. Das Potential für eine grüne Revolution ist da; es kommt darauf an, es in die richtige Richtung zu lenken.

Der erste Report über die „Grenzen des Wachstums“ erschien vor 40 Jahren. Damals stand die Computerrevolution noch ganz am Anfang, das Internet war ebenso unbekannt wie Mobiltelefone. Biochemie,   Hirnforschung, Entschlüsselung der Erbsubstanz des Lebens (DNS) steckten allenfalls in den Kinderschuhen. Atomenergie galt als das Nonplusultra, erneuerbare Energien waren noch eine futuristische Idee, ebenso wie Elektromobilität, Biokunststoffe und Plus-Energie-Häuser. Politisch war die Welt zwischen zwei scheinbar festgefügten Lagern geteilt. Im Bundestag waren drei Parteien vertreten, die in wechselnden Kombinationen die Republik regierten. Der Anteil der Studienanfänger an einem Jahrgang lag bei 18% (heute sind es 45%). Homosexualität war ein Straftatbestand, Politik und Medien waren fast vollständig von Männern geprägt.
Merke: So wie es ist wird es nicht bleiben. Das technische und kulturelle Innovationstempo wird sich in den kommenden Jahrzehnten noch beschleunigen. Das ist keine bedrohliche, sondern eine gute Nachricht. Denn nur  eine massenhafte Freisetzung von Kreativität kann uns ans rettende Ufer bringen.

Wir wollen mit dieser Tagung einige zukunftsweisende Trends genauer beleuchten. Zugleich fragen wir, wie eine zeitgemäße Innovationspolitik aussehen muss und welche Barrieren aus dem Weg geräumt werden müssen, damit das Neue in die Welt kommt. Wir vertrauen weder auf den Selbstlauf der Märkte noch auf die Eigendynamik der Wissenschaft oder die weise Vorausschau der Politik. Vielmehr geht es darum, wie die verschiedenen Akteure zusammenwirken müssen, um die Weichen Richtung Zukunft zu stellen.

Naiver Technikoptimismus ist fehl am Platz. Aber Mut zur Zukunft, den können wir gut gebrauchen.

Abschließend möchte ich Sie noch auf eine kleine, aber feine Ausstellung aufmerksam machen, die unsere Konferenz ergänzt:  In einem Teil der Konferenzetage präsentiert sich das „green lab“ der Kunsthochschule Berlin Weißensee, ein Laboratorium für nachhaltiges Design. Anhand von Beispielen aus Mode, Produktentwicklung und Oberflächengestaltung wird gezeigt, wie Design die Ökobilanz von Produkten über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg verbessern und gleichzeitig einen sozialen Mehrwert stiften kann. Wir bedanken uns sehr bei den Professorinnen und Studentinnen des green lab für diese Demonstration, wie sich Ökologie und Schönheit verbinden lassen.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.