Experimentieren mit der Architektur

Piet Eckert von eckert + eckert, Architekten des Stiftungshauses
Foto: Manuela Schneider

29. September 2008
Piet Eckert, Architektenbüro e2a in Zürich
Sehr verehrter Herr Bundespräsident
Sehr verehrter Herr Fücks
Sehr verehrte Frau Unmüssig
Sehr verehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Heinrich Böll Stiftung

Sehr verehrte Damen und Herren

Ende 2005 entstand im Rahmen des Wettbewerbes der Heinrich Böll Stiftung eine Bildmontage, die Sie hier projiziert sehen. Wir experimentierten mit der Architektur von Mies van der Rohe und kombinierten das New Yorker Seagram Gebäude mit der horizontalen und lyrischen Anmutung des Farnsworth House.

Die Gegenüberstellung und Kombination dieser beiden gegensätzlichen Typologien lieferte das Konzept der Heinrich-Böll-Stiftung. Kompakt und günstig repetiert stehen da die grossen Büroflächen einer weit ausladenden, transparenten Stadtbühne entgegen. 

Die stringente Gegensätzlichkeit dieser beiden „Raumprotagonisten“ war während des Planungsprozesses und der Realisierung sehr resistent und konnte in der Folge nicht unterlaufen werden. Mit dem grossen Hebeleffekt der Büroflächen könnten wir vieles während des Planungs- und Bauprozesses kompensieren und gezielt in der Beletage einsetzen. Als wären es zwei unterschiedliche Architekturen in Einem, mussten wir lernen, bei der einen präzise loszulassen, um beim anderen stetig fordern zu können. 

Die in dem Konzept eingeschriebene räumliche Polarität lässt sich als Metapher für viele Episoden und Erfahrungen der Folgezeit heranziehen. Als unser erster Bau in Deutschland, durften wir die vielen kleinen Unterschiede zu unserem Schweizer Umfeld sukzessive kennen lernen.

So haben wir hier gelernt, stetig während der Planung und der Realisierung, Architektur zu verhandeln. Nicht alleine die Fähigkeit der Definition war gefragt, sondern das strategische Antizipieren, das Wissen, wie man sich das verloren Geglaubte zurückholt und was man hierfür in die Waagschale legen kann.

Wir sind heute stolz mit Ihnen, mein Damen und Herren, ein Gebäude einzuweihen, bei dem wir zeigen konnten, dass eine ambitionierte architektonische Konzeption mit höchsten ökologischen Standards kein ökonomischer Widerspruch darstellt. In diesem Sinn ist der Neubau der Heinrich Böll Stiftung wortwörtlich eine maximale Architektur.

In einer Zeit, in der allmählich gesellschaftlich die Einsicht entsteht, dass die Technik mit der rasanten Geschwindigkeit katastrophaler Umweltphänomene, unwiderstehlichem Wachstums und Verbrauchs kaum mehr Schritt zu halten vermag, ist ein Moment erreicht, der Konstruktion der Technologie etwas mehr Relevanz zuzuweisen als der Technologie der Konstruktion.

Die heutige technologische Entwicklung, die Technik mehr und mehr vom Individuum zu entrücken, sie als automatisierte Atmosphäre zu konzipieren, birgt ein immer grösser werdendes Risiko, die Handlung des Menschen von der Leistungsfähigkeit der Technik zu entkoppeln.

Das Erreichen einer 2000 Watt Gesellschaft impliziert nicht nur kommende und notwendige technische Weiterentwicklungen, sondern auch eine rückkoppelbare Form der Selbstverantwortung, einer massvollen Reduktion im Umgang mit Energie und Ressourcen, hin zur einer intelligent recyklierten, postfossilen Verbrauchskonzeption.

Innovation steht also vor dem grossen Dilemma, eine fortschreitende Sophistisierung der technologischen Möglichkeiten und gleichzeitig eine einschneidende, selbstverantwortbare Reduktion der Mittel und Möglichkeiten leisten zu müssen.

Effizienz, Effektivität und Suffizienz bilden dabei die Kriterien der Innovation. Neben der technischen Leistungsfähigkeit der ersten beiden Kriterien, wird die bis heute kaum umgesetzte und wohl auch unpopuläre Genügsamkeit die grosse Herausforderung der Zukunft.

Wir haben mit der Heinrich Böll Stiftung einen Partner kennen gelernt, der bereit ist, eine solche Form der Selbstverantwortung einzugehen. In diesem Haus wird Technik hoch effektiv und effizient, aber auch sehr sparsam und mit grosser Selbstverantwortung eingesetzt. 

Unsere Ambition ist es, den „wahren“ Bedarf“ notwendiger Leistungen, Bedürfnisse, Funktionen und Sicherheiten mit einer Angemessenheit und Originalität zu begegnen, dass aus dem alten Dualismus von Leistung und Selbstverantwortung ein duales Prinzip entsteht.

Eine gute Architektur, meine Damen und Herren, braucht einen guten Auftraggeber. Sie bleibt aber sensibel und sehr zerbrechlich. Sie ist das Resultat eines partnerschaftlichen Denkens, eines kulturellen Bewusstseins und Handelns und stellt als solche eine grosse Herausforderung dar.

Ich möchte die Gelegenheit benutzen, mich beim Vorstand, der Geschäftsleitung und den vielen mitwirkenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung für das entgegengebrachte Vertrauen und die tolle Zusammenarbeit herzlich zu bedanken. 

Weiter möchte ich auch unseren Mitarbeitern für ihr grosses und unermüdliches Engagement danken, allen voran, meinem Bruder Wim Eckert für die kontinuierliche Hilfe und Allgegenwärtigkeit, Marc Drewes für die hervorragende Projektleitung und Daniel Bock für die erfolgreiche Leitung des Wettbewerbsteams und die präzise Ausschreibung.

Lieber Herr Fücks, liebe Frau Unmüssig, ich möchte Ihnen offiziell dieses Haus übergeben.
Als Geste überreichen wir Ihnen, für jede Mitarbeiterin und für jeden Mitarbeiter der Heinrich Böll Stiftung, einzelne gewidmete Planausschnitte des Hauses und verbinde damit die Hoffnung, dass Sie alle auch in Zukunft die vielen einzelnen Blätter zum einem Ganzen zusammen legen. 

 

Vielen Dank