Parallele Workshops: Baustelle Demokratie

Dokumentation

Parallele Workshops: Baustelle Demokratie

 

4. Juni 2013

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Sa, 15. Juni 2013, 10.45 Uhr
Parallele Workshops Reihe A
Ebenen der Beteiligung

 

  • A1 Do-It-Yourself-City » mehr
    Wie können wir uns gestaltend in die Stadt einmischen?
  • A2 Mit den Bürgerinnen und Bürgern planen » mehr
    Wie gelingt gute Beteiligung in Planung und Verwaltung?
  • A3 EU demokratisieren! » mehr
    Wie kommen wir zu mehr Bürgerbeteiligung in Europa?
  • A4 Demokratie lernen » mehr
    Was braucht demokratische Schule?
  • A5 Liberté, Egalité, Parité » mehr
    Wie stärken wir Frauen in der Politik?
  • A6 Zukunft der Parteiendemokratie » mehr
    Wie kommen die Parteien zu mehr Offenheit und Beteiligung
  • A7 Demokratie durch Bewegung » mehr
    Wieviel Initiative und Bewegung braucht Demokratie?

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Sa, 15. Juni 2013, 15.30 Uhr
Parallele Workshops Reihe B
Orte der Beteiligung

  • B1 Energie in Bürgerhand! » mehr
    Wie demokratisieren wir unsere Energieversorgung?
  • B2 Genossenschaften & Co » mehr
    Wie befördern wir alternative Formen der Unternehmensorganisation?
  • B3 Wissenschaft im Dialog » mehr
    Wie kann die Gesellschaft stärker an Forschungsfragen beteiligt werden?
  • B4 Digitale Demokratie » mehr
    Wie kommen wir zu mehr Gerechtigkeit bei der digitalen Beteiligung?
  • B5 Multikulturell, selbstorganisiert, wirksam » mehr
    Wie stärken wir in unserer Demokratie migrantische Perspektiven?
  • B6 Bürger/in oder Pflegefall? » mehr
    Was heißt Mitbestimmung in der Pflege?
  • B7 Unternehmensethik im Kulturbetrieb » mehr
    Wie demokratisch organisieren sich Kultureinrichtungen?
 
 

Workshopreihe A

Ebenen und Querschnitte der Beteiligung

Samstag von 11 – 13 Uhr

A1 Do-It-Yourself-City
Wie können wir uns gestaltend in die Stadt einmischen?

Bericht von Sabine Drewes, Referentin für Kommunalpolitik und Stadtentwicklung der Heinrich-Böll-Stiftung
In diesem Workshop ging es um “Stadt selber machen”, d.h. um räumliche Aneignung, speziell durch junge Leute. Die Idee dahinter war, dass sich über ein konkretes Tun, über eine praktische Aneignung von Raum in der Stadt, bei jüngeren Menschen eventuell ein Interesse an Politik einstellt, denn  die Frage, wer auf welchen Raum etwas tun darf und warum ist eine immens politische Frage. Dort beginnt für viele das „sich einmischen“ in Politik. Dabei geht es nicht nur um öffentliche Räume –  denn viele dieser angeeigneten Räume sind private Räume, die zu halböffentlichen gemacht werden – sondern um Räume für Öffentlichkeit bzw. Gemeinschaft. Do-it-yourself-City ist auch deswegen spannend, weil hier ganz aktuell das Thema der Legitimität des (politischen) Handelns neu auf die Tagesordnung gesetzt wird.

Im Workshop stellten sich drei Projekte vor, die auf unterschiedliche Art und Weise Stadt selber machen: die „Prinzessinnengärten“ aus Berlin, das „Kompott“ aus Chemnitz und das „MachWerk“ aus Berlin. Aus der Perspektive der Politik bzw. Verwaltung kommentierte Hans Panhoff, grüner Bezirksstadtrat aus Kreuzberg für Umwelt, Verkehr, Grünflächen und Immobilienservice. Daran schloss sich eine lebhafte Diskussion unter den ca. 40 Teilnehmenden an.

Svenja Nette präsentierte das bekannte Berliner Urban-gardening-Projekt „Prinzessinnengärten“. Die Prinzessinnengärten wurden 2008 als mobiler Garten auf dem Gelände des ehemaligen  Wertheim-Grundstücks am Moritzplatz gegründet. Mobil deshalb, weil der Boden kontaminiert ist und es unmöglich macht, das Gemüse direkt dort anzupflanzen. Die Pflanzen befinden daher in Kisten und Töpfen. Zunächst als rein gärtnerisches Projekt gestartet, begannen die Prinzessinnengärten bald, ihr Angebot zu diversifizieren, z.B. in Richtung Bildung für Schulklassen und Nachbarn. Auf dem Gelände findet man außerdem ein Café, in dem Gerichte mit im Garten angebautem Gemüse angeboten werden, das 1.500 Besucher/innen jährlich verköstigt.
Die Nutzung des Geländes war möglich, weil sich das kontaminierte Gelände nicht zu konkurrenzfähigen Preisen vermarkten ließ. Es fiel zunächst an den Berliner Liegenschaftsfonds. Mit ihm verhandelten die Aktivisten einen Zwischennutzungsvertrag. Die Zuständigkeit für die Fläche ist inzwischen an den Bezirk übergegangen, kann ihm aber auch wieder entzogen werden. Svenja Nette berichtete über recht unterschiedliche Erfahrungen mit Politik und Verwaltung: So seien ihnen teilweise Steine in den Weg gelegt worden (z.B. Auflagen für sanitäre Anlagen), auf der anderen Seite hätten sie ein gutes Verhältnis zum Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz.

Ines Knöfel stellte „Kompott“ vor, das Begegnungszentrum für junge Leute aus Chemnitz. Kompott ist ein selbstverwaltetes Projekt mit Wohnungen, Ateliers und Veranstaltungsräumen, u.a. ein Lesecafé, am Rande der Stadt. Knöfel äußerte sich sehr kritisch dazu, dass Projekte dieser Art häufig als  Standortfaktoren betrachtet werden. „Wir wollen ein Gegenentwurf zur Verwertungslogik sein, wir wollen eine andere Stadt,“ machte sie das Motiv der Gruppe klar. Chemnitz sei von Schrumpfung, Wegzug und Verfall gekennzeichnet. Dennoch mache die Stadt in Form der Wohnungsbaugesellschaft GGG Chemnitz  die Nutzung leerstehender Immobilien schwer. Die Gruppe besetzte zunächst eine zentrumsnahe Immobilie in der Innenstadt  („experimentelles Karree“; ExKa), wurde dort aber nach erfolgreicher Aufwertung vertrieben. In Verhandlungen mit der Stadt wurde dann eine unattraktivere Ersatzimmobilie gefunden. Die Gruppe fand aufgrund ihrer hartnäckigen Arbeit Unterstützer in der Politik, u.a. durch die Oberbürgermeisterin von Chemnitz. Dennoch sei ein Stadtratsbeschluss für den Erhalt des Exka nicht umgesetzt worden. Derzeit habe die Gruppe einen Überlassungsvertrag mit der GGG, wodurch letztere die laufenden Kosten übernehme. Es werde über einen Mietvertrag verhandelt. Knöfel betonte, wie wichtig es sei, über den Status der „Zwischennutzung“ hinwegzukommen.

Georg Rettner gab Einblicke in das „MachWerk“ in Berlin-Wedding. Das MachWerk ist eine Mit- und Selbstmach-Werkstatt: Dort können interessierte Anwohner/innen, meist auch jüngere Leute, ihre Fahrräder reparieren oder „Tretmobile“ selbst bauen; es gibt eine Siebdruck- und eine Elektrowerkstatt. Die informelle Gruppe, die das MachWerk betreibt, hatte institutionelle Unterstützung durch den Jugend-Kultur-Projekteträger Schlesische 27. Der Träger vermittelte den Raum und das Zustandekommen eines langfristigen Mietvertrags mit einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft zu günstigen  Konditionen. Gegenwärtig sei der Standort nicht in Gefahr, da der Wohnungsmarkt in der Gegend entspannt ist, aber das könne sich auch ändern, so Rettner.

Hans Panhoff kommentierte, die anwesenden Projekte hätten sich sehr zielsicher an die Politik gewandt; die sei auch der richtige Ansprechpartner und nicht die Verwaltung. Verwaltung müsse Vorschriften umsetzen, Politik könne sie kreativ interpretierten. Der Bezirksstadtrat lobte, die Projekte seien „toll, weil sie etwas tun.“ Gleichzeitig stellte er die etwas provokante Frage in den Raum, was denn eigentlich der Beitrag dieser Projekte zur Stadtgesellschaft sei.

Von dort aus entwickelte sich eine spannende Diskussion über die Legitimität räumlicher Aneignungen und wie sie politisch vermittelt werden können. Viele dieser Projekte eignen sich privaten bzw. privatisierten Raum an und üben dann Druck aus, diesen dauerhaft nutzen zu können. Ein Teilnehmer thematisierte anhand eines neuen Nachbarschaftsgartens in Berlin-Kreuzberg, wie integrativ diese Projekte eigentlich seien: Der Raum sei vorher von türkischen und arabischen Jugendlichen zum Fußballspielen genutzt worden. Der Raum steht ihnen nun nicht mehr zur Verfügung, weil die Gartengruppe besser Druck auf die politischen und privaten Entscheider ausüben kann. Ein anderer Teilnehmer rief ins Gedächtnis, dass einige der Flächen, über die debattiert werde, erst kürzlich enteignet oder von den Kommunen privaten Gesellschaften wie der BSR geschenkt worden seien, also privatisierte öffentliche Räume seien, die nun dem Zwang zur meistbietenden Verwertung unterlägen. Insofern sei die Aneignung quasi eine „Wieder-Aneignung“ ehemals öffentlicher Räume. Die Diskussion lieferte sehr viel Anschauungsmaterial und Hinweise darauf, wie spannend und lohnend die Diskussion über „Wem gehört der Boden/Wem gehört die Stadt?“ ist, das an anderer Stelle weitergeführt werden muss.

> Forderungen aus dem Workshop

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A2 Mit den Bürgerinnen und Bürgern planen
Wie gelingt gute Beteiligung in Planung und Verwaltung?

Mit:
Petra Patz-Drüke, Bezirksamt Berlin-Mitte
Stephan Ertner, Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg
Matthew Griffin, Agentur deadline und Initiative Stadt NeuDenken, Berlin

Moderation: Susanne Walz, L.I.S.T. Lösungen im Stadtteil GmbH

> Forderungen aus dem Workshop

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A3 EU demokratisieren!
Wie kommen wir zu mehr Bürgerbeteiligung in Europa?

 

Bericht von Christian Schwöbel, Projektmanager "Zukunft der EU" der Heinrich-Böll-Stiftung
Nicht nur die Wirtschafts- und Finanzkrise macht der EU seit einigen Jahren zu schaffen, sondern sie kämpft seit Ausbruch dieser Krisen auch verstärkt mit einer Legitimationskrise. Bereits zuvor war die Entwicklung zu beobachten, dass die gewachsene politische Bedeutung der Europäischen Union nicht einherging mit einer Stärkung der europäischen Demokratie. Im Gegenteil, die Distanz der Bürgerinnen und Bürger zur EU ist eher noch größer geworden. Eine stärkere Beteiligung der europäischen Bürgergesellschaft an europäischen Entscheidungsprozessen ist daher unerlässlich. Doch wie verhält es sich mit der demokratischen Teilhabe in der EU, insbesondere seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags? Welche Möglichkeiten der demokratischen Teilhabe gibt es überhaupt? Welche Vorteile bringt die neu eingeführte Europäische Bürgerinitiative?

Diesen Fragen ging der Workshop „EU demokratisieren!“ nach, der am 15. Juni im Rahmen der Konferenz „Baustelle Demokratie“ in der Heinrich-Böll-Stiftung stattfand. Dazu wurden zwei Thementische gebildet, an denen während des ersten Teils des Workshops konkrete Maßnahmen und politische Forderungen erarbeitet wurden, wie man zu mehr Bürgerbeteiligung in der Europa kommen kann. Der erste Thementisch beschäftigte sich mit den Bedingungen für transnationalen Protest und hatte den Europaabgeordneten Jan Philipp Albrecht (Bündnis 90/Die Grünen) als Experten zur Seite, der maßgeblich am Protest gegen das Anti- Produktpiraterie-Handelsabkommen ACTA beteiligt war. Am zweiten Thementisch wurden die Erfolgskriterien und Hürden einer Europäischen Bürgerinitiative (EBI) zusammen mit Clivia Conrad von der Dienstleistungsgewerkschaft „ver.di“ diskutiert. Conrad gehört zu den Mitinitiator/innen der Europäischen Bürgerinitiative „right to water“, die die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten auffordert, Wasser als Menschenrecht zu behandeln und von der Liberalisierungsagenda auszuschließen.

Jan Albrecht plädierte an dem Thementisch „Transnationaler Protest“ dafür, nicht primär über politische Forderungen etwa eine erneute Änderung der EU-Verträge erwirken zu wollen. Vielmehr sollte die Zivilgesellschaft sich Gedanken machen, wie sie die aktuell vorhandenen Möglichkeiten am effektivsten nutzen kann. Hier wurde als ein Vorschlag in der Gruppe die Nutzung des Expertenwissens diskutiert, das in der breiten Bevölkerung vorhanden ist und nur abgerufen werden müsse. Als weitere Erfolgsfaktoren für transnationalen Protest wurden insbesondere Polarisierung und Erklärungsleistungen genannt, mit denen die Akteur/innen des Protests die Öffentlichkeit informieren und überzeugen müssen. Für transnationalen, also auch sprachliche Grenzen überschreitenden Protest sind außerdem Übersetzungsleistungen zentral – sowohl sprachlicher als auch kultureller Art. Zur Überwindung der rein sprachlichen Hürden wurde an dem Thementisch vorgeschlagen, Dokumente, die in den EU-Institutionen übersetzt werden, einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Die kulturelle Übersetzung haben vor allem die Protest-Akteur/innen selbst zu leisten. Darüber hinaus müssten auch deren Kompetenzen für die sprachliche Übersetzung genutzt werden, was im Kampf gegen ACTA zum Beispiel hervorragend dezentral funktionierte und laut Jan Albrecht wesentlich zum Erfolg des Protests beitrug.

Der zweite Thementisch zur Europäischen Bürgerinitiative mit Clivia Conrad erarbeitete politische Forderungen, um das Mittel der Europäischen Bürgerinitiative schlagkräftiger zu machen. So wurde beispielsweise gefordert, die derzeit sehr hohen bürokratischen Hürden und Quoten, die eine Europäische Bürgerinitiative erfüllen muss, um zugelassen werden, zu gesenkt. Auch sollte eine EBI für mehr Themenbereiche zugelassen werden, als dies bisher der Fall ist. Themen, die für die Bürgerinnen und Bürger Europas von besonderem Interesse sind und wo sie mitunter einen Handlungsbedarf der europäischen Politik sehen, dürfen nach heutigem Recht oftmals gerade nicht Gegenstand einer Europäischen Bürgerinitiative sein. Eine weitere Kernforderung des Thementisches war, dass eine erfolgreiche EBI rechtlich bindend sein sollte, dass also die EU-Kommission dazu aufgefordert werden müsste, das Ansinnen der Bürgerinitiative umzusetzen. Derzeit ist die Kommission lediglich dazu verpflichtet, an einer Anhörung im Europäischen Parlament teilzunehmen und eine Stellungnahme zu der erfolgreichen EBI abzugeben.

In der zweiten Hälfte des Workshops diskutierten Clivia Conrad und Jan Philipp Albrecht auf dem Podium über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Europäischer Bürgerinitiative und transnationalem Protest. Als wesentliche Unterschiede wurden hier genannt, dass es für eine EBI formal festgelegte Hürden gibt, während transnationaler Protest aus formaler Sicht ungebunden ist. Außerdem können zivilgesellschaftliche Akteur/innen über das Instrument EBI eher positives, politikgestaltendes Agenda-Setting betreiben, was mithilfe von Protestformen wesentlich schwieriger ist. Diese richten sich zumeist gegen etwas. Gemeinsam ist den beiden im Workshop behandelten konkreten Aktionen der Bürgerbeteiligung, dass sie sich um existentielle Güter und Rechte drehen. Beim transnationalen Protest gegen ACTA ging es um die Verteidigung der Informations- und Meinungsfreiheit, während sich die Europäische Bürgerinitiative „right to water“ für Wasser als Menschenrecht einsetzt. Die mögliche Beeinträchtigung dieser zentralen Rechte, die alle Menschen betreffen, war laut der beiden Expert/innen ein entscheidendes Kriterium dafür, dass die beiden Aktionen  hohe öffentliche Aufmerksamkeit und viel Zuspruch erhielten.

Als Fazit des Workshops lässt sich sagen: Auch wenn noch einiges verbessert werden muss, um die Bürgerbeteiligung in Europa zu stärken (siehe zu diesem Themenkomplex auch die hbs-Studie „Die Zukunft der Europäischen Demokratie“), zeigen die beiden in diesem Workshop diskutierten Beispiele – sowohl der erfolgreiche transnationale Protest gegen ACTA als auch die laufende Europäische Bürgerinitiative „right to water“, die große Aussichten auf Erfolg hat –, dass es auch in einem großen, supranationalen politischen Gebilde wie der EU mit ihren über 500 Millionen Einwohnern für die einzelne Bürgerin bzw. den einzelnen Bürger möglich ist, sich politisch einzubringen. Dies ist für die kriselnde Europäische Union sicherlich ein gutes und wichtiges Zeichen.

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A4 Demokratie lernen
Was braucht demokratische Schule?

Erlebnisbericht von Shirin Saber, Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung:
Wenn man sich ein ganzes Wochenende lang im Rahmen einer Konferenz mit dem Thema „Demokratie“ beschäftigt, dann ist es meiner Meinung nach unerlässlich, sich auch mit der Frage auseinanderzusetzen, ob bzw. wie Demokratie zu erlernen ist. Die Teilnahme am Workshop „Demokratie lernen“ bot dafür die perfekte Gelegenheit.

Ein erstes Fazit konnte recht schnell gezogen werden: Ja, Demokratie ist definitiv erlernbar. Die Meinungen, auf welche Weisen dies geschehen könnte oder sollte, fielen jedoch sehr unterschiedlich aus. Getreu dem Motto „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hanna nimmermehr“ ist es auch für das Verständnis von Demokratie und demokratischen Konzepten förderlich, sich bereits in möglichst jungen Jahren damit auseinanderzusetzen. Daher stand im Mittelpunkt des Workshops die sogenannte „Demokratie-Pädagogik“, genauer gesagt: das Erlernen von Demokratie und demokratischen Abläufen an den Schulen. Der Fokus dabei lag auf den Konzepten des Klassenrates und des sogenannten „Service-learning“.

Der Klassenrat, der sich bereits an vielen deutschen Schulen etablieren konnte, soll dazu dienen, dass Kinder lernen, Konflikte durch Austausch und Kommunikation zu lösen und gleichzeitig Verantwortung zu übernehmen. In der Regel ist es angedacht, dass der Klassenrat einmal pro Woche für 45 Minuten tagt. Das Besondere dabei: Die Schülerinnen und Schüler treffen sich ohne Anwesenheit eines Lehrers. In der Regel versammeln sie sich in einem Stuhlkreis und verteilen dann folgende Ämter: Das Amt des Zeitwächters, der darauf achtet, dass die einzelnen Schüler ihre Redezeit einhalten; das Amt der Regelwächterin, die auf faires Verhalten während der Gespräche achtet (die Regeln wurden im Voraus von der gesamten Klasse festgelegt); das Amt der Vorsitzenden, die die Sitzung leitet; und das Amt des Protokollanten, welcher die Ergebnisse schriftlich festhält. Der Ablauf beinhaltet zunächst die Begrüßung, das Verlesen des letzten Protokolls sowie das Erstellen einer Tagesordnung. Im Anschluss werden die entsprechenden Anliegen (in der Regel individuelle Streitigkeiten und Probleme im Klassenverband) besprochen. In einem abschließenden Schritt werden Beschlüsse gefasst, welche die Anliegen „lösen“ sollen. Durch den Klassenrat lernen Schülerinnen und Schüler also, sich gegenseitig auszutauschen, zuzuhören, ernst zu nehmen, gemeinsam Probleme anzugehen, Mehrheitsbeschlüsse zu fassen… kurz: demokratische Abläufe. Der Klassenrat eignet sich im Grunde für jede Klassenstufe und ermöglicht es bereits jungen Menschen, Demokratie zu erfahren.

Auch das Konzept des „Service-learning“ ist für Schüler/innen jeden Alters und jeder Schulform geeignet. Es handelt sich dabei um eine Kombination aus Unterricht in der Schule und sozialem Engagement außerhalb der Schule, also um eine sogenannte „Lehr- und Lernform“. Die Formen, in denen Service-learning stattfindet sind dabei überaus vielfältig: In Hamburg beschäftigt sich ein Klassenverband beispielsweise mit dem Thema "Altersarmut in Deutschland" im Rahmen eines fächerübergreifenden Profilfachs, das Gesellschaftskunde, Politik und Erdkunde verbindet. Im Anschluss werden von den Schülerinnen und Schülern selbstständig entsprechende soziale Projekte geplant; die Aufgaben der Schüler reichen von der Recherche über die Vorbereitung bis hin zum sozialen Engagement selbst. Die Schüler/innen können etwa Lesepaten für Kindergartenkinder werden, im Altenheim helfen oder alleinstehende Rentnerinnen und Rentner zu Hause besuchen. Wichtig bei „Service-learning“ ist, dass die Inhalte, die an der Schule gelernt werden, „draußen in der Welt“ (in Form von sozialem Engagement) umgesetzt werden können. Bei den Projekten lernen die Schülerinnen und Schüler wichtige demokratische Prinzipien wie gemeinsame Abstimmung, Planung und Gestaltung sowie das Sich-Einbringen und die Partizipation innerhalb der Gesellschaft. „Service-learning“ weicht die traditionellen Hierarchien an der Schule auf und führt zu einem bewussteren Umgang der Schüler/innen untereinander, indem es ein gewisses gemeinsames Verantwortungsbewusstsein vermittelt.

In Kleingruppen wurden die beiden Konzepte im Anschluss diskutiert. Dabei wurde unter anderem erörtert, welche Motivation, Visionen, soziale Kompetenzen, welches Wissen und Handwerkszeug junge Menschen brauchen, um sich demokratisch einzubringen und welche (positiven) Effekte Konzepte der Demokratie-Pädagogik auf Schülerinnen und Schüler haben können.

Insgesamt halte ich beide Konzepte für sehr gut und einfach umsetzbar innerhalb des Klassenverbands. Vor allem die Idee des „Service-learning“ empfinde ich als sehr gelungen, da ich es wichtig finde, dass jungen Menschen abseits des omnipräsenten Leistungsdrucks mitbekommen, wie zentral und wertvoll es sein kann, auch etwas für andere zu tun und sich im Team für andere einzusetzen.

 

> Forderungen aus dem Workshop

Workshop mit:
Franziska Nagy, Freudenberg Stiftung, Netzwerk Service-learning, Lernen durch Engagement
Moderation: David Weigend, SV Bildungswerk

Kontakt: Philipp Antony, antony@boell.de; Solveig Negelen, negelen@boell-thueringen.de

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A5 Liberté, Egalité, Parité?
Wie stärken wir Frauen in der Politik?

Mit:
Anja Kofbinger, MdA, Bündnis 90 /Die Grünen, Berlin
Elke Wiechmann, FernUniversität Hagen
Annette Görlich, Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg

Moderation: Kathrin Bastet, Weiterdenken-Heinrich Böll Stiftung Sachsen

> Forderungen aus dem Workshop

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A6 Zukunft der Parteiendemokratie
Wie kommen die Parteien zu mehr Offenheit und Beteiligung?

 

Erlebnisbericht von Ole Meinefeld, Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung

 i.           Inputs

 Die Referent_innen gaben aus ihrer jeweiligen Perspektive vor dem Beginn einer Diskussion einen input. Den Anfang machte Ulrike Winkelmann, die aus ihrer Erfahrung der Parlamentsberichterstattung der taz ein Schlaglicht auf die Situation der Parteien-demokratie warf. Sie betonte vor allem die konkreten Anliegen der Bürger_innen vor Ort (z.B. ein Baugebiet, die Rettung eines Naherholungsgebietes etc.), die sich an die Parteien wenden und nicht immer ohne weiteres an die Organisationsformen von Parteien anschließen können. Zudem führte Ulrike Winkelmann aus, wie schwierig es auch unter Journalist_innen sei, die Relevanz der Parteiendemokratie als einer zentralen Institution der Bundesrepublik in die Aufmerksamkeit des politisch interessierten Publikums zu erheben. Als Konsequenz aus dieser Analyse bekundete Ulrike Winkelmann eine Sympathie für das amerikanische Parteiensystem mit schlanken Organisationapparaten und hoher Kampagnenfähigkeit, durch die Bürger_innen auch für kürzere Zeiten bei hoher Intensität eingebunden werden könnten.

Konstantin von Notz vertrat die Ansicht, dass die Parteien als solche grundsätzlich Strukturen der Beteiligung in einem ausreichenden Maße böten, wenn auch in dieser Hinsicht immer Optimierungen der Organisationsformen möglich seien. Jenseits der Parteien bestünden schließlich auch noch andere Formen der bürgerschaftlichen Organisation wie in z.B. Bürgerinitiativen, die wiederum anderen Anforderungen der Partizipation entsprechen könnten. Insgesamt sollte jeder partizipativ orientierte Politikprozess vor allem durch die verschiedenen Phasen der Information, Debatte und Entscheidung seine volle Legitimation erlangen.

Bei den zentralen Funktionen der Parteien setzte der input von Thomas Biebricher an. Die politikwissenschaftliche Perspektive auf Parteien brachte drei Funktionen ins Gespräch ein:  die Mobilisierungs-, Rekrutierungs- und Wahlfunktion. Zum ersten haben also Parteien die Funktion Bürger_innen für Wahlen und Abstimmungen zu mobilisieren, z.B. in Wahlkämpfen. Zum zweiten rekrutieren sie Bürger_innen als Funktionäre und Mandatsträger_innen. Zum dritten ermöglichen Parteien die Wahl ihrer Mitglieder in repräsentative Organe. Darüberhinaus betonte Thomas Biebricher den Anspruch der Parteien gegenüber partikularen Einzelinteressen grundsätzlich Politik im Sinne eines pluralistisch verstandenen Gemeinwohls zu verstehen.

 ii.         Debatte

Es wurde vor allem die Öffnung der Parteien durch neue Verfahren der Beteiligung ausgiebig diskutiert. In welcher Weise die Parteien dies erreichen könnten, blieb allerdings umstritten, wenn sich auch eine Reihe von Aspekten und Verfahren als häufig genannte Punkte herauskristallisierten. Die Frage nach der Demokratie in den Parteien und einer Demokratie mit Parteien führte an vielen Stellen die öffentlich geführte Diskussionen fort, wie viel direkte Beteiligung von Bürger_innen und wie viel Repräsentation in einem politischen System realisiert werden können und sollen. Es scheint im Allgemeinen im Alltag der Parteiendemokratie schwierig, die Politisierung fester Strukturen einerseits zu ermöglichen und die Stabilität von Institutionen andererseits, die Wege zur Beteiligung eröffnen sollen, miteinander zu vereinbaren. Insgesamt ergab die Debatte neben den Kontroversen einige in der Gruppe geteilte Positionen dazu, was für die Zukunft der Parteiendemokratie entscheidend sei:

 - Es wurde diskutiert, inwieweit Parteien eine bestimmte eigene Kompetenz für die Bürger_innen darstellen müssen, um sich zu Advokaten bürgerschaftlicher Interessen zu machen. Diese Erwartung an Parteien ist aber dahingehend widersprüchlich bzw. steht zumindest in einem Spannungsverhältnis dazu, dass in einem zunehmenden Maße den Parteien auch die Rolle der Moderation zukommt, für die sie sich selbst in der Setzung eigener Inhalte zurücknehmen müssen. Durch eine solche Zurücknahme könnte eine größere Glaubwürdigkeit der Parteien entstehen. Im Spektrum der Positionen wurden von den Teilnehmer_innen hier verschiedene Akzente gesetzt.

- Im Anschluss an die Frage der Glaubwürdigkeit kam zur Sprache, dass die Versprechen der Parteien zu oft gebrochen würden. Das liege an einem Spannungsverhältnis zwischen den häufig mangelnden Möglichkeiten, eine Forderung, wie z.B. den Atomausstieg, umzusetzen, weil dafür die Mehrheiten fehlten, auf der einen Seite und der Notwendigkeiten in Wahlkämpfen die Parteiprogramme auf plakative Forderungen zu reduzieren, damit Positionen für alle Bürger_innen klar zu unterscheiden seien, auf der anderen Seite.

- Dies leitet über zur Thematisierung eines wohlverstandenen Populismus. Parteien müssen auf diese Weise die von ihnen vertretenen Inhalte für ein möglichst breites Publikum zugänglich machen.

- Damit steht die Forderung nach der sozialen Durchlässigkeit von Parteien im Vordergrund, deren Mitgliedschaft sich vorwiegend aus Akademiker_innen zusammensetzt. Diese Problematik wurde darauf zurückgeführt, dass die Spielregeln der Parteipolitik von vielen Bürger_innen nicht durchschaut werden und sich Politik einer Sprache bediene, die von vielen Menschen nicht verstanden werde.

- An die mangelnde Transparenz parteipolitischer Verfahren schloss sich eine Kritik der Parteienfinanzierung an. Hier wurde verdeutlicht, dass die Abhängigkeit der Parteien durch Spenden von privater Seite, insbesondere aus der Wirtschaft, problematisch ist. Diese untergräbt den Vertretungsanspruch der Interessen von Bürger_innen im Sinne des Gemeinwohls.

- Um diesen und anderen Prozessen der Verfestigung der Parteienstruktur zu begegnen, wurden verschiedenen Wege debattiert. Instrumente dieses Prozesses könnten z.B. Rotationen in den Parteiämtern sein, wie auch Mitgliederentscheide in politischen Grundsatzfragen. Hier war auch umstritten, inwieweit sich Formen und Inhalte in politischen Entscheidungen trennen lassen.

- An Parteien wurde zudem der Anspruch formuliert, sie sollten zum einen lokalen Kampagnen eine Plattform zur Artikulation von politischen Belangen bieten, zum anderen politische Grundsatzfragen diskutieren, wie z.B. die Gerechtigkeitsfrage, und auf diesem Wege einem Bedürfnis nach politischer Orientierung entsprechen. Von diesen Funktionen hängt die Bindungsfähigkeit der Parteien für die Bürger_innen ab.

iii.       Resümee

Die Atmosphäre des Workshops ist aus meiner Sicht sehr positiv zu bewerten. Dasselbe gilt für das ausgewogene Maß zwischen dem input durch „Expert_innnen“ und der Expertise aller Teilnehmer_innen des Workshops. Vor allem die nicht zu knapp bemessene Zeit und eine gute Mischung sehr verschiedener Hintergründe der Teilnehmer_innen dürften den Erfolg des Workshops unterstützt haben. Hervorzuheben ist hier auch die Moderation des Workshops, die eine Balance zwischen der Strukturierung der Debatte und der möglichst großen Beteiligung sicherstellte.

Das positive Resümee findet seinen Widerhall darin, dass Peter Siller als Moderator ankündigte, dieselbe Runde noch einmal zu einer Fortsetzung des Workshops in die Heinrich-Böll-Stiftung einzuladen.

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A7 Demokratie durch Bewegung
Wie viel Initiative und Bewegung braucht Demokratie?

Mit:
Ulrike Fink von Wiesenau und Gerlinde Schermer, Berliner Wassertisch
Felix Herzog, 100% Tempelhofer Feld
Julia Brilling, Hollaback!
Tobias Trommer, Aktionsbündnis A100 stoppen! u.a.

Moderation: Svenja Bergt, taz

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Workshopreihe B

Orte der Beteiligung

Samstag von 15.30 -17.30 Uhr

B1 Energie in Bürgerhand!
Wie demokratisieren wir unsere Energieversorgung?

Mit:
Arwen Colell, BürgerEnergie Berlin e.G.
Andreas Wieg, Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V.
Moderation: Nora Löhle, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin

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B2 Genossenschaften & Co
Wie befördern wir alternative Formen der Unternehmensorganisation?

Mit:
Werner Landwehr, GLS Bank, Berlin
Mario Husten, Genossenschaft für urbane Kreativität eG
Thomas Gambke, MdB, Bündnis 90/Die Grünen
Frank Dietsche, Elektrizitätswerke Schönau
Winfried Haas, Elektrizitätswerke Schönau
Moderation: Simon Wolf, Heinrich-Böll-Stiftung

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B3 Wissenschaft im Dialog
Wie kann die Gesellschaft stärker an Forschungsfragen beteiligt werden?

Erlebnisbericht von Ariane Neumann, Promotionsstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung:
Zentrale Frage des von Thomas Korbuhn moderierten Workshops am Samstagnachmittag war, wie die Gesellschaft stärker an Forschungsfragen beteiligt werden kann und damit verbunden, ob diese gesellschaftliche Beteiligung relevant ist und was sie für Wissenschaft und Gesellschaft bedeutet. Diese Fragen wurden zunächst auf dem Podium von Krista Sager (MdB), Gerd Stadermann (IÖW) und Sonja Bolenius (DGB) und später gemeinsam mit dem Publikum diskutiert.

Wie schwierig diese Fragen zu beantworten sind, zeigte sich bereits in der Diskussion auf dem Podium. Krista Sager machte auf die Schwierigkeiten von Wissenschaftspolitik als Strukturpolitik aufmerksam, da z.B. (parlamentarische) Entscheidungen über das nächste Forschungsrahmenprogramm immer auch Entscheidungen über (als relevant erachtete) Forschungsthemen und –schwerpunkte gesehen werden müssen. Angesichts eines Bedeutungszuwachses von Wissenschaft in der Gesellschaft, argumentierte sie zurecht, bekommt diese wissenschaftspolitische Debatte eine viel zu geringe Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit: Warum wird was gefördert (statt nur: „Wissenschaft wird gefördert“), und wie werden diese forschungspolitischen Entscheidungen über große Mittelvergaben und Rahmenprogramme in den Gremien gefällt? Ihr zweites Argument, dass der Legitimationsdruck der Politik in vielen fachlichen Fragen einerseits zu mehr wissenschaftlichen Gutachten und Studien führt und andererseits die Erwartungen der Gesellschaft an wissenschaftliche  Ergebnisse, z.B. für Lösungen zum Thema Klimawandel, groß sind, machte deutlich, wie wichtig die Diskussion zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft über Forschungsfragen ist und wie viel Abstimmungsbedarf, aber auch Bedarf an fachlicher Expertise auf Seiten der Beteiligten hier noch besteht.

Sonja Bolenius betonte, dass der Einfluss der Gewerkschaften in vielen wissenschafts- oder hochschulpolitischen Gremien nicht groß sei, was an deren Besetzung einerseits und andererseits an der Komplexität der diskutierten Fachthemen liege. Beteiligung sei hier „eher legitimatorisch als tatsächlich wirksam“. Ein Problem sei zudem, dass Gewerkschaften Wissenschaft und Hochschulen „nicht unbedingt als ihre Kernthemen“ ansehen, was u.a. daran erkennbar sei, dass der DGB erst kürzlich zum ersten Mal seit Anfang der 1980er Jahre wieder ein hochschulpolitisches Leitbild veröffentlicht habe. Da inzwischen mehr Menschen Abitur machen würden, forderte sie, dass sich die Beteiligung der Zivilgesellschaft an forschungspolitischen Fragen unbedingt verbessern müsse.

Gerd Stadermann kritisierte vor allem, dass die Wissenschaft selbst gesellschaftlich problematische Forschung autonom verfolgen könne, und die Frage der Verantwortung dafür nicht klar sei, während den Abgeordneten die Expertise und das Fachwissen fehlen würde, zu diesen Themen überhaupt kompetent zu entscheiden. Er forderte deshalb, dass die Abgeordneten – auch angesichts externer Lobbygruppen, die durch gezielt eingesetzte Fachexpertise Einfluss suchen – stärker in die Lage versetzt werden müssten, auf der Basis von Fachwissen zu entscheiden, da sie letztlich über Forschungsprogramme entscheiden würden, die dann von den Ministerien umgesetzt und verantwortet werden.

In der Diskussion mit dem Publikum wurde insgesamt klar, dass 1) Forschung das Gemeinwohl stärker berücksichtigen soll, dass es aber 2) für die Beteiligung der Zivilgesellschaft an Forschungsfragen noch geeigneter Konzepte bedarf, da die bestehenden (Bürgerdialoge – und -beteiligungsverfahren) theoretisch-methodisch in vielen Fällen noch nicht gut genug entwickelt sind, und dass auf jeden Fall 3) fachliches „capacity building“ als Basis für die Beteiligung der Zivilgesellschaft und für die Diskussion zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft (bei beiden Akteuren) notwendig ist. Die Diskussion machte jedoch deutlich, dass diese drei Fragen nur über einen längeren Zeitraum hinweg beantwortet werden können, weil sowohl eine stärkere Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure in forschungspolitischen Entscheidungsgremien (außer als Vertreter/innen in Expertenanhörungen), als auch eine Sensibilisierung von fachwissenschaftlichen Experten für gesellschaftspolitische Fragen konfliktreiche Aushandlungsprozesse sein werden. Aus dem Publikum wurde dabei auch das Problem angesprochen, wie schwierig es für zivilgesellschaftliche Initiativen ist, Kontakt zu wissenschaftlichen Experten an Universitäten oder Forschungseinrichtungen herzustellen, um Fachwissen zu bekommen und ggf. „Gegengutachten“ in Beteiligungsverfahren oder bei Klagen vorlegen zu können, zumal dies hohe Kosten verursacht, die häufig nur mühsam gedeckt werden können. Für das Enabling grüner zivilgesellschaftlicher Initiativen ist dies ein äußerst wichtiger Punkt, hier könnte m.E. ggf. auch die Heinrich-Böll-Stiftung aufgrund ihres wissenschaftlichen Netzwerks als Vermittlerin und Ansprechpartnerin für Initiativen auftreten.

Für mich wurde in diesem Workshop deutlich, dass die Forderung nach „Transparenz“ der Forschung zwar aus politischer und zivilgesellschaftlicher Perspektive richtig ist, dass aber zugleich die Funktionsweise von Wissenschaft als System so komplex ist, dass nur durch sehr konkrete Vorgaben des Gesetzgebers eine Verständigung zwischen Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft möglich ist. Wenn dies in Bürgerdialogforen stattfinden soll, so bedarf es – und hier steckt selbst die sozialwissenschaftliche Anwendungsforschung derzeit noch in den Kinderschuhen – eines Rahmens, der tatsächlich allen Stimmen und Fragen auch Raum gibt gerade weil in solchen Beteiligungsverfahren Macht und fachliche Expertise ungleich verteilt sind, was – methodisch gesprochen – immer zu verzerrten Ergebnissen führen muss. Damit verbunden ist jedoch die Frage: Was soll auf diese Weise über Wissenschaft entschieden werden, und wer soll ihm Streitfall entscheiden, das Parlament? Den Einwand von Krista Sager, dass Bürgerinnen und Bürger bestimmte Forschungsthemen tendenziell als unwichtig ansehen, obwohl diese aus anderen Gründen sehr wichtig und förderungswürdig ist, halte ich hier für sehr zutreffend.

Im Ergebnis heißt das für mich, dass die eingangs gestellte Frage, wie Gesellschaft stärker an Forschungsfragen beteiligt werden kann, im Kern auch eine rechtliche Frage ist, über die wir diskutieren müssen: Könnte es ratsam sein, 1) eine gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, dass bei aktuellen forschungspolitischen Entscheidungen immer bestimmte Beteiligungsverfahren (Expert/innen, Zivilgesellschaft) vorgesehen werden müssen (statt wie bisher als Feigenblatt) und dass für spezifische (z.B. ethisch schwierige) Forschungsthemen, die zugleich zentrale gesellschaftliche Themen sind, neue und andere Gremien als bisher, mit stärkerer Beteiligung der Zivilgesellschaft eingesetzt werden? Ich würde gern weiter darüber diskutieren, vielleicht auf einem nächsten, an diesen anschließenden Workshop?

> Forderungen aus dem Workshop

 

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B4 Digitale Demokratie
Wie kommen wir zu mehr Gerechtigkeit bei der digitalen Beteiligung?

Erlebnisbericht von Anna Lena Müller, Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung:
Ziel des Workshops war die Diskussion der Grundfrage, wie man mehr Gerechtigkeit bei der digitalen Beteiligung herstellen könne. Primär sollte keine Beschäftigung mit den technischen Möglichkeiten und Grenzen der digitalen Demokratie erfolgen. Entsprechend richtete sich der Workshop nicht an völlige Neulinge auf dem Gebiet der digitalen Demokratie sondern an Personen, die sich schon mit der „technischen“ Seite des Themas beschäftigt haben und nun einen Schritt weiter gehen und die Konsequenzen dieser Technologie diskutieren wollen. Der Ablauf des Workshops orientierte sich also an der Nennung von Barrieren und Problematiken der digitalen Demokratie und zielte auf die
Formulierung von politischen Forderungen zur Überschreitung oder Beseitigung dieser Barrieren. Jeder Workshop sollte am Ende der Veranstaltung 3-4 kurze Forderungen oder Handlungsanweisungen erarbeitet haben.

Die Referent/innen Jennifer Paetsch (Vorstandsmitglied von Liquid Democracy e.V.) und Jan Philipp Albrecht (EUParlamentarier für Bündnis 90/ Die Grünen) hielten hintereinander kurze Referate zur Frage der Verbesserung von Zugangsmöglichkeiten zu digitalen Beteiligungsformaten. Besonders interessant war die Darstellung von Jennifer Paetsch, der auch mehr Zeit eingeräumt wurde, da der andere Referent nicht die gesamte Zeit anwesend sein konnte.

Hier sollen einige Punkte aus dem Vortrag von Frau Paetsch genannt werden, da sie grundsätzliche Gesprächsaspekte auch in der daran anschließenden Diskussion darstellten.

INTEGRATIVE ELEMENTE DER DIGITALEN DEMOKRATIE:
• zeit- und ortsunabhängig
• gerinere Hemmschwelle (zumindest beijüngeren Menschen)
• offnener Zugang zu Dokumenten
• nachvollziehbare Kommunikationsprozesse
• Schaffung von Resonanzräumen:Rückmeldungen für Beteiligte

BARRIEREN DER BETEILIGUNG:
Zugangsdifferenzen
• gleichmäßige Internetabdeckung
• Versorgung der Bevölkerung mit entsprechenden technischen Geräten
  (differenziert nach sozialer Lage und Altersgruppe)

Nutzungsdifferenzen
• Wissen zur Nutzung der Tools
• Medienkompetenz in einem umfassenden Sinne
• Sprachkompetenz

Die Diskussion drehte sich vor allem um Medienkompetenz im weiteren Sinne. Es wurde hinterfragt, welche Beurteilungs- und Handlungsfähigkeiten zur Nutzung digitaler Beteiligungsinstrumente benötigt würden. Zur Sicherstellung dieser Grundfähigkeiten wurde eine verbesserte schulische Bearbeitung des Themas in den Fächern Informatik und Sozialkunde gefordert. Dabei wurde vor allem die finanzielle Situation der Kommunen kritisiert, welche nicht in der Lage seien, die technische Grundausstattung zu bezahlen. In diesem Zusammenhang wurde auf die Bildungshoheit der Länder verwiesen. Problematisiert wurde aber auch die mangelnde Kenntnis digitaler Beteiligungsformate bei MultiplikatorInnen aller Art. Gemeint sind hier vor allem LehrerInnen aber auch Menschen in Entscheidungspositionen unterschiedlichster Organisationen.

Die Forderungen, die im Workshop formuliert wurden waren:
1. Soziale Ungleichheit muss verkleinert werden (da dadurch auch die Beteiligungschancen steigen)
2. Aufbau/ Förderung einer digitalen Beteiligungskultur
3. Förderung von zielgruppenspezifischen Unterstützungsangeboten
4. Förderung der Forschung zur Verbesserung der Nutzungsmöglichkeiten
5. Verzahnung von offline und online Beteiligungsformaten
6. Online-Verbraucherschutz stärken

Da zu Beginn des Workshops von einigen TeilnehmerInnen die Erwartung geäußert wurde zumindest ein geringem Umfang über die technischen Möglichkeiten der digitalen Demokratie informiert zu werden, ermöglichte die Referentin Jennifer Paetsch am Ende des Workshops spontan eine Einführung in eine Beteiligungsplattform.

> Forderungen aus dem Workshop

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B5 Multikulturell, selbstorganisiert, wirksam
Wie stärken wir in unserer Demokratie Perspektiven der Vielfalt?

Mit:
Jamie Schearer, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland eV., Hamburg
Kazım Erdoğan, Türkische Vätergruppe Berlin-Neukölln, Neuköllner Sprachwoche
Christiane Schraml, Bürgerplattform Wedding/Moabit
Moderation: Mekonnen Mesghena, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin

> Forderungen aus dem Workshop

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B6 Bürger/in oder Pflegefall?
Was heißt Mitbestimmung in der Pflege?

Mit:
Johannes Bruns, Evangelisches Krankenhaus Hubertus, Marburger Bund
Stefan Etgeton, Bertelsmann Stiftung
Alexandra Gerken, Betreuungsverein-Mitte des Humanistischen Verbandes
Moderation: Peter Sellin, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin

> Forderungen aus dem Workshop

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B7 Unternehmensethik im Kulturbetrieb
Wie demokratisch organisieren sich Kultureinrichtungen?

Zu Gast im Workshop waren:
Daniel Ris, freier Regisseur und Verfasser der Masterarbeit "Unternehmensethik für den Kulturbetrieb - Perspektiven am Beispiel öffentlich-rechtlicher Theater" und Sören Fenner, Gründer und Leiter des Onlinestellenmarkts www.theaterjobs.de
 

Nachtkritik.de fasste die Beiträge bereits am folgenden Tag auf dieser Seite zusammen:

Dem Impulsvortrag von Daniel Ris folgte ein Gespräch in dem das Fehlen unternehmensethischer Leitbilder an deutschen Stadtheatern als grundlegender Mangel einer demokratischen Verfasstheit konstatiert wurde. In oft krassem Gegensatz zu den politischen Postulaten nach mehr Partizipation auf deutschen Bühnen konnte keiner der von Ris für seine Masterarbeit interviewten Intendantinnen und Intendanten in seinem aktuellen Engagement auf ein im demokratischen Prozess am eigenen Theater entwickeltes Leitbild verweisen.
Ein Raum für demokratisches Handeln in der darstellenden Kunst entsteht vorrangig im Netz. Sören Fenner beschrieb die Vorteile des Onlinestellenmarkts theaterjobs.de so: Durch die Mitgliederfinanzierung kann theaterjobs den Inserenten Regeln setzen, die Inserate der Theater also wie Nachrichten behandeln, der Kunde ist der potentielle Arbeitnehmer, nicht der Inserent, wie im klassischen Anzeigengeschäft des Print. Der Inserent muss ebenfalls Gagenhöhen nennen. Unvergütete Angebote werden nicht veröffentlicht.
Dieser permanente Einblick in die Gagensitiuation im "Maschinenraum Kultur" hat theaterjobs.de veranlasst, eine Umfrage zu diesen Verhältnissen zu starten, um ein Lagebild einzuholen. Gleichzeitig haben sich die Iintiativen artbutfair und die Facebookseite zum Thema der furchtbarsten Erlebnisse bei Auditions und Gagenverhandlungen gegründet.

Siehe auch:
http://artbutfair.org
https://www.facebook.com/Kuenstlergagen

Bezugnehmend auf den skandalösen Umstand, daß die Salzburgerfestspiele ihren Solisten keine Probengagen zahlen (und dafür erhöhte Aufführungsgagen), engagierte sich die bekannte Opernsängerin Elisabeth Kulman als Mitinitiatorin von Artbutfair und der "Revolution der Künstler" und nahm Alexander Pereira in der vergangenen Woche öffentlich in die Mangel. Siehe das dazugehörige Gesprächsprotokoll.

> Forderungen aus dem Workshop

 

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