Parlamentswahlen 2023 in Thailand: Mögliche Szenarien

Kommentar

Kommenden Sonntag sind die Wahlberechtigten Thailands zum Urnengang aufgerufen. Doch der Geist des Militärs ist allgegenwärtig: Frühere Generäle konkurrieren um die politische Führung des Landes und “legale” Strukturen sichern die militärische Macht.

Bangkok Shutdown February 1, 2014

Die Parlamentswahlen von 2019 brachten Thailand den Wandel von der Militärherrschaft zu einem Wahlautoritarismus. Den Anführern des Putsches von 2014 gelang es, sich an der Macht zu halten, indem sie die staatlichen Organe und Wahlprozesse in einer Weise manipulierten, dass die promilitärischen Parteien begünstigt wurden. Eine 2017 von der Junta eingeführte Interimsverfassung räumte den 250 vom Militärregime ernannten Mitgliedern des Senats das Recht ein, zusammen mit den 500 gewählten Parlamentsabgeordneten den Premierminister (PM) zu wählen. Die Senatsmitglieder stimmten ausnahmslos für General Prayut Chan-o-cha, der sie in den Senat berufen hatte.

Seitdem hat sich die thailändische politische Landschaft drastisch verändert. Fast ein Jahrzehnt Militärherrschaft hat zu Unmut in der Bevölkerung Thailands geführt, vor allem bei der jungen Generation, die 2020 eine Protestbewegung ins Leben rief, die nicht nur eine Rückkehr zur Demokratie, sondern in einer noch nie dagewesenen Weise eine Reform der Monarchie forderte. Im Laufe der letzten Jahre und mit den anstehenden Parlamentswahlen ist deutlich geworden, dass die promilitärischen Parteien und ihre militärischen Handlanger äußerst unbeliebt geworden sind. Gleichzeitig gehen die beiden führenden Putschisten, General Prayut und General Prawit Wongsuwan, jetzt getrennte politische Wege und haben jeweils eine eigene Partei gegründet. Inzwischen deutet fast jede Umfrage darauf hin, dass die Opposition siegreich aus den anstehenden Wahlen hervorgehen könnte.

Allerdings hat das Militär immer noch einen beträchtlichen Einfluss auf die thailändische Politik. Neben den staatlich unterstützten Parteien und der permanent drohenden Gefahr eines Putsches sind auch die folgenden drei institutionellen Mechanismen noch immer intakt, die von der Junta eingeführt wurden, um die letzten Wahlen in ihrem Sinne zu manipulieren.

  1. Die Wahlkommission, deren Mitglieder alle von der Junta ernannt wurden: Mit einer Mischung aus Inkompetenz und absichtlichem Betrug trug sie 2019 dazu bei, General Prayut wieder ins Amt des PM zu hieven. Nach Schließung der Wahllokale veränderten sich die ersten gemeldeten Ergebnisse mit der Zeit auf wunderliche Weise. Und die Wahlkommission änderte auch die Berechnungsformel für die Sitzverteilung zugunsten der promilitärischen Parteien.
     
  2. Das Verfassungsgericht, dessen Mitglieder ebenfalls vom Militärregime ernannt wurden, urteilt traditionell zugunsten des Militärs. Am Vorabend der Wahlen von 2019 löste es die Partei Thai Raksa Chart auf, weil sie die Schwester des Königs als Kandidatin für das Amt des Premiers nominiert hatte, und 2020 löste es eine der wichtigsten Oppositionsparteien auf.
     
  3. Die 250 ernannten Senatsmitglieder haben immer noch das Recht, den Premierminister zu wählen. Sollten sie wieder einen Kandidaten der promilitärischen Parteien wählen, hätte das die Bildung einer Minderheitsregierung im Repräsentantenhaus zur Folge und würde Thailand in eine politische Sackgasse führen.

Die thailändischen Parlamentswahlen 2023 werden ein wichtiger Test sein, um das Land wieder auf einen demokratischen Weg zu bringen.

Die Wahlen von 2023 werden zu einem entscheidenden Test, ob sich Thailand wieder auf einen demokratischen Kurs begibt. Ganz oben auf der politischen Agenda der Parteien stehen neben den Wirtschaftsproblemen unter der gegenwärtigen Regierung die Ausarbeitung einer neuen zivilen Verfassung sowie die Aufhebung oder Änderung wichtiger Gesetze, die derzeit noch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschränken.

Mindestens drei Faktoren weisen darauf hin, dass die anstehenden Wahlen noch immer streng vom alten Regime kontrolliert werden, das möglicherweise Mittel und Wege finden wird, an der Macht zu bleiben. Folgende Anzeichen machen deutlich, dass die Situation sehr besorgniserregend ist:

  1. Das Parlament wurde am 20. März vorzeitig aufgelöst, obwohl die Legislaturperiode ohnehin am 23. März 2023 zu Ende gewesen wäre. Das ist kein Versuch, dem Volk durch eine Neuwahl wieder die Macht zu übertragen, sondern vielmehr eine legale Taktik, die Wahl um 7 bis 12 Tage zu verschieben, damit die Parlamentsabgeordneten und Kandidierenden mehr Zeit haben, sich anderen Parteien anzuschließen.
     
  2. Als Wahltermin wurde der 14. Mai 2023 anberaumt. Damit finden die Wahlen genau in der Zeit der Abschlussexamen an den Universitäten statt. Zudem liegt dieses Datum am Ende einer Woche mit mehreren gesetzlichen Feiertagen, sodass viele Leute noch unterwegs sind und es vielleicht lästig finden, nach Hause zu fahren (wo sie als Wahlberechtigte registriert sind), um ihre Stimme abzugeben. Dieses Datum ist viel ungünstiger als der 7. Mai, der einzig mögliche Wahltermin, wenn das Parlament nicht vorzeitig aufgelöst worden wäre.
     
  3. Kürzlich veröffentlichten Umfragewerten zufolge sinken General Prayut und General Prawit in der Wählergunst, während ihre politischen Gegner vermutlich Sitze dazugewinnen werden. Deshalb ist zu erwarten, dass das alte Regime bei freien und gerechten Wahlen nur Verluste erleiden kann.

 

Im Folgenden werden mögliche Szenarien nach Wahlergebnissen aufgezeigt. Bei allen Szenarien droht jedoch die Gefahr einer Intervention von außerparlamentarischen Kräften, weshalb keines der möglichen Szenarien wirklich zu einer demokratischen Verbesserung führen wird, wenn das Militär und seine Anhänger nach wie vor versuchen, das Land unter ihre Kontrolle zu bringen.

Vom schlimmsten zum besten: Mögliche Szenarien

Worst-Case-Szenario #1:
Die prodemokratischen Parteien gewinnen mehr als 250 Sitze, aber weniger als die für eine qualifizierte Mehrheit nötigen 376 Sitze und die Senatsmitglieder beharren auf einem Kandidaten von den promilitärischen Parteien für das Amt des Premiers, der dann eine Minderheitsregierung im Repräsentantenhaus bilden würde.

Der fast sofortige Zusammenbruch der neugebildeten Regierung würde zu einem politischen Vakuum führen und einen Vorwand für ein verfassungswidriges und undemokratisches Eingreifen liefern, wie beispielsweise, dass das Verfassungsgericht die Wahlen für ungültig erklären könnte. Das würde die prodemokratische Bewegung wieder auf die Straße bringen – oder schlimmer – zu einem erneuten Militärputsch führen.

Worst-Case-Szenario #2:
Die promilitärischen Parteien gewinnen mehr als 250 Sitze und erhalten breite Unterstützung vom Senat für eine Regierungsbildung.

Oder die prodemokratischen Parteien gewinnen über 250 Sitze, aber weniger als die nötigen 376 Sitze und sind zu Kompromissen mit der promilitärischen Fraktion gezwungen.

In diesem Szenario könnten die Militärs den Status quo des Wahlautoritarismus wahren und ihren Griff nach der Macht noch weiter stärken, was der Demokratie in Thailand schaden würde.

Best-Case-Szenario:
Die prodemokratischen Parteien gewinnen mehr als 250 Sitze und bilden eine gemeinsame Regierungskoalition. Der Senat beugt sich dem Willen des Volkes und stimmt für einen PM-Kandidaten aus einer der prodemokratischen Parteien, um die nötige Mehrheit von 376 Stimmen aus beiden Häusern zu sichern.

Oder den prodemokratischen Parteien gelingt ein Erdrutschsieg, bei dem sie mindestens 376 Sitze gewinnen und nicht mehr auf die Stimmen der Senatsmitglieder angewiesen sind.

In diesem Szenario wäre Thailand wieder auf dem Weg zu einer Demokratie, aber die neue Zivilregierung läuft Gefahr, die Streitkräfte und die konservative Elite gegen sich aufzubringen. In dem Fall droht ein erneutes undemokratisches Eingreifen.


Übersetzung: Ina Goertz.