Aus Liebe zur Kultur – Google, das Urheberrecht und unsere Zukunft

Lawrence Lessig (Foto: eschipul)
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13. April 2010
Lawrence Lessig
Von Lawrence Lessig

Wir sind gerade dabei, jeden Zugriff auf unsere Kultur zu einem Fall rechtlicher Reglementierung zu machen – zugunsten von Anwälten und Lizenzen, aber mit Sicherheit zu Lasten auch ziemlich populärer Werke. Mit anderen Worten: Wir sind dabei, einen katastrophalen kulturellen Fehler zu begehen.

Der Guggenheim-Effekt

Zu Beginn des Jahres 2002 beschloss die Filmemacherin Grace Guggenheim – Tochter des verstorbenen Charles Guggenheim, eines der bedeutendsten Dokumentaristen der Vereinigten Staaten, und Schwester des Filmemachers Davis Guggenheim, der An Inconvenient Truth gedreht hatte – etwas zu tun, das den meisten von uns als völlig selbstverständlich erscheinen würde. Mehr als 100 Dokumentarfilme hatte ihr Vater als Produzent bzw. Regisseur hinterlassen. Einige davon waren ziemlich berühmt (Nine from Little Rock), andere kannte man, ohne zu wissen, dass sie von ihm waren (Monument to a Dream etwa, der von der Entstehung der St. Louis Arch handelt). Wieder andere waren in Vergessenheit geraten, obwohl sie für das Verständnis der Geschichte der Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert außerordentlich bedeutsam sind (A Time for Justice). Und weitere sind ganz einfach großartig (D-Day Remembered). Als Kuratorin seines Werkes hatte Grace Guggenheim beschlossen, die Sammlung zu restaurieren und komplett auf DVD verfügbar zu machen – der sich damals etablierenden neuen Plattform für Filme.

Ihrem Vorhaben standen zwei Schwierigkeiten im Wege, eine naheliegende und eine ungeahnte. Die naheliegende Schwierigkeit war technischer Art und bestand darin, Filme aus einem Zeitraum von 50 Jahren zusammenzubringen und zu digitalisieren. Die ungeahnte Schwierigkeit war juristischer Natur: Rechtsfragen mussten geklärt werden, um das Schaffen ihres Vaters auf der neuen Plattform vertreiben zu können. Viele werden sich verwundert fragen, welche Rechtsfragen es denn aufwirft, wenn ein Kind das Lebenswerk des eigenen Vaters wiederherstellt. Wenn wir beschließen, dem alten Schreibtisch unseres Großvaters einen neuen Anstrich zu geben, ihn einem Nachbarn zu verkaufen, als Werkbank zu nutzen oder als Küchentisch zu verwenden, würde letztlich auch niemand auf die Idee kommen, erst einmal einen Anwalt zu konsultieren. Das Eigentum allerdings, das Grace Guggenheim kuratiert, ist von besonderer Art – es ist urheberrechtlich geschützt.

Ich befürchte, nahezu kein Filmemacher hat auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, wie seltsam diese «Zitiererlaubnis» ist. Benötigt denn ein Autor grünes Licht seitens der  New York Times, wenn er in einem Buch über die Weltwirtschaftskrise aus einem Zeitungsartikel zitiert? Ja, bedarf jemand der Zustimmung eines anderen, wenn er öffentliche Verlautbarungen zitiert, vor allen Dingen wenn es sich dabei um eine Arbeit handelt, die diese Verlautbarungen thematisiert? Üblicherweise würde man denken, diese Verwendungsweise wäre «fair use» (angemessene Vergütung, ähnlich der deutschen Schrankenbestimmung*), zumindest den Regeln des Copyrights* nach. Die meisten Dokumentarfilmer aber – in Wirklichkeit die meisten Filmemacher – haben nicht die Absicht, sich durch das Dickicht und die Unwägbarkeiten einer Doktrin wie dem «fair use» durchzuarbeiten. Stattdessen erklären sie sich mit Lizenzen einverstanden, welche die Nutzungsrechte – exklusiv, wie typischerweise behauptet wird – der Zitate im Film regeln. Somit würde die Lizenz den Lizenznehmer z. B. darauf verpflichten, die Lizenz als alleinige Rechtsquelle der Nutzung des Films anzusehen (was kein «fair use» wäre). Zugleich würde sie Umfang und Bedingungen des Rechts festschreiben: Nutzungsrecht für die Dauer von fünf Jahren, Vertrieb in Nordamerika, für Bildungszwecke.

Diese Vereinbarung bedeutet, dass sich der Filmemacher erneut an den ursprünglichen Rechteinhaber mit der Bitte um Erneuerung des Nutzungsrechts zu wenden hätte, falls er den Film auch nach der Frist von fünf Jahren zu vertreiben wünschte. Wenn man dabei an einen Ausschnitt pro Dokumentarfilm denkt, mag das nicht besonders dramatisch klingen. Was aber ist, wenn es um 20, 30 oder mehr Ausschnitte geht?

Aus dem Center for Social Media der American University verlautet: «Der Preis für den Erwerb von Nutzungsrechten ist hoch und in den letzten beiden Jahrzehnten dramatisch angestiegen», wodurch der öffentliche Zugang zu Dokumentarfilmen beschränkt werde. Somit steht Kreativität faktisch unter Rahmenbedingungen, die bewirken, dass die meisten Dokumentarfilme aus dem 20. Jahrhundert legal weder restauriert noch erneut vertrieben werden können. Sie lagern beiseitegelegt in Filmbibliotheken, viele von ihnen im Zustand des Zerfalls, weil es sich um Zelluloidfilme handelt. Viele von ihnen geraten in Vergessenheit, weil weder ein Inhaltelieferant noch sonst jemand etwas mit ihnen anfangen kann. So gesehen sind diese Werke verwaist wegen einer Reihe von Vereinbarungen, die zum Zeitpunkt ihrer Geburt getroffen und – wie bleihaltiges Benzin – in Verkehr gebracht worden sind, ohne dass ihrer unvermeidlichen Toxizität öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt worden wäre.

Das gilt natürlich nicht für jene Werke, für die es eine hingebungsvolle Erbin wie Grace Guggenheim gibt. Sie war nicht bereit, die Niederlage hinzunehmen, sondern widmete sich der außergewöhnlichen Aufgabe, alle für die Aufführung der Werke ihres Vaters notwendigen Rechte einzuholen. Acht Jahre später hat sie ihr Ziel nun nahezu erreicht. Etwa zehn der größeren Arbeiten sind noch zu bewältigen. Erst letztes Jahr ist der berühmteste Dokumentarfilm ihres Vaters durch das Robert F. Kennedy Memorial Center für die DVD-Distribution freigegeben worden: Robert Kennedy Remembered, der im Jahre 1968 in den beiden Monaten zwischen Kennedys Ermordung und dem Nominierungsparteitag der Demokraten gedreht und nur ein einziges Mal ausgestrahlt worden war.

Letzten Herbst habe ich zum ersten Mal den Raum für seltene Bücher der Harvard Law Library betreten. Im hinteren Teil des Elihu-Root-Saals, des Hauptlesesaals, befinden sich Bücherschränke voller alter Bücher, manche älter als die Vereinigten Staaten. Ich wollte einfach sehen, was erforderlich ist, um die ältesten verlegten Werke in Augenschein zu nehmen, die in dieser Bibliothek, einer der führenden des Landes, zur Verfügung stehen. Nichts Besonderes, wie sich herausstellte. Die Bibliothekare führten mich zu einem Tisch, und dort konnte ich nach Belieben in dem uralten Text blättern, was ich mit aller gebotenen Sorgfalt tat.

Bücher – physische Bücher sowie das urheberrechtlich geschützte Werk, das sie enthalten – sind außergewöhnlich robuste Kulturgegenstände. Wir haben Zugang zu praktisch jedem irgendwo veröffentlichten Buch. Man muss kein Harvard-Professor sein, um den Lesesaal für seltene Bücher der Law Library betreten zu dürfen. Man muss seltene Bücher auch nicht berühren, um das Werk, das sie enthalten, zu lesen. Ältere Werke, d. h. in den Vereinigten Staaten vor 1923 publizierte, gehören zur «Public Domain», womit gemeint ist, dass jeder, auch jeder Verleger, das Werk reproduzieren und wiederauflegen kann, ohne Dritte um Erlaubnis zu fragen. Shakespeares Werk bildet keine Vermögensmasse, somit gibt es auch keine Verwalter, die über Anträge auf Neueditionen von Hamlet befinden würden. Gleiches gilt für jeden US-amerikanischen Autor des 19. Jahrhunderts. All ihre Werke sind frei und weithin zugänglich, denn kein Gesetz beschränkt den Zugriff auf sie.

Etwa das Gleiche gilt letztlich für jedes Buch, das noch urheberrechtlich geschützt ist. Zweifellos ist es Verlegern untersagt, den neuesten Roman von Grisham eigenmächtig zu publizieren. Vermöge der außerordentlichen, zweifelsohne übermenschlichen Bemühungen der Bibliotheken sowie mit Hilfe der Antiquariate hat man Zugang zu letztlich allem, für praktisch umsonst. Die Bibliothek kann das fragliche Buch erwerben und einem nahezu gratis vermitteln. Oder das Antiquariat recherchiert und verkauft einem das gesuchte Buch dann für weniger als den Preis eines Kinoabends.

Man bemerke, welcher Unterschied besteht zwischen dem Zugriff auf Bücher und demjenigen auf Dokumentarfilme. Nach einer begrenzten Zeit können beinahe alle publizierten Bücher wieder verlegt und erneut vertrieben werden (dies gilt nicht für Bilderbücher, Dichtungen und, aus noch ersichtlich werdenden Gründen, auch nicht für eine wachsende Anzahl relativ moderner Werke). Kein Erbe von längst verstorbenen Autoren wird uns den Zugang zu dessen publizierten Schriften verwehren (oder zumindest zum Kernbestand dessen – einige werden befinden, dass auf den Einband, das Vorwort und den Index verzichtet werden möge). Der Großteil der Dokumentarfilme des 20. Jahrhunderts hingegen ist für immer im anwaltschaftlichen Wirrwarr verloren – rechtlich unzugänglich aufgrund einer Reihe von Bewilligungen, welche diesen Filmen bereits in die Wiege gelegt worden waren.

Das hätte durchaus anders sein können. Es wäre möglich gewesen, Dokumentarfilme in einer Weise zu schaffen, wie Bücher publiziert werden, indem nämlich Autoren Ausschnitte so nutzen wie Historiker Zitate (d. h. ohne jede Erlaubnis). Gleichermaßen hätten Bücher auf andere Weise verlegt werden können, indem nämlich jedes Zitat durch den Erstverfasser lizensiert und mit der Zusage seitens des Nutzers verbunden worden wäre, das Zitat den Lizenzbedingungen entsprechend zu verwenden. Damit wären heute alle Bücher wie Dokumentarfilme – nicht zugänglich. Oder aller Dokumentarfilme wären heute in dem Zustand, in dem sich gegenwärtig fast alle Bücher befinden – zugänglich.

Aber es ist das Unglück unserer Kulturgeschichte, dass wir jederzeit berechtigt sind zu lesen, aber nicht gleichermaßen berechtigt sind zu sehen. Verursacht haben dies Anwälte, die wie James Boyle, Rechtswissenschaftler an der Duke University, sagt, nicht über die «Auswirkungen auf die kulturelle Umwelt» nachdenken, die ihre Verträge zeitigen. Dieser Gegensatz zwischen Büchern und Dokumentarfilmen ist ein Warnsignal für zukünftige Entwicklungen. Welchen Regeln wird die Kultur in den kommenden 100 Jahren folgen? Werden die Rahmenbedingungen für den Zugang zu ihr bei jeder neu aufgeschlagenen Buchseite einen Anwalt verlangen? Oder werden wir aus dem Schlamassel unseres Umgangs mit den Dokumentarfilmen gelernt haben und Zugangsbedingungen schaffen, die Inhabern von Urheberrechten die Anreize garantieren, die sie brauchen, aber auch der Kultur eine Zukunft sichern?

Zutritt verboten

Enorme Beachtung fand der kürzlich noch einmal überarbeitete Vergleich, auf den sich alle Parteien nach einer Klage der Authors Guild of America und der Association of American Publishers (AAP) gegen Google geeinigt haben (Google Book Settlement*). Im Jahre 2004 hatte Google ein Unterfangen gestartet, das nur Internetidealisten vorschweben konnte – nämlich 18 Millionen Bücher zu digitalisieren und diese über das Internet zugänglich zu machen. In welchem Umfang zugänglich, hing von der Art des Buches ab. War das Buch in der Public Domain (als Gemeingut), dann ermöglichte Google den unbeschränkten Zugang einschließlich der Möglichkeit, eine digitale Kopie des Buches kostenlos herunterzuladen. War das Buch aber vermutlich urheberrechtlich geschützt, gewährte Google zumindest «snippet access», einen Zugang zu Textschnipseln. Man konnte in diesem Falle also einige Zeilen im Umfeld der Suchwörter sehen, verbunden mit Informationen, wo das Buch gekauft oder ausgeliehen werden kann. War das Werk aber noch lieferbar, so konnte der Verleger Google anweisen, so viel von dem Buch (zuzüglich zu den Schnipseln) zugänglich zu machen, wie er wünschte.

Die Authors Guild und AAP behaupteten, dieses Vorhaben verletze das Urheberrecht. Ihr Argument war schlicht und einleuchtend – zumindest in der autistischen Weise, in der das Urheberrecht die Digitaltechnik sieht: Als Google die 18 Millionen Bücher scannte, um seinen Index aufzubauen, habe es von jedem Buch ein «Exemplar» erzeugt. Für noch urheberrechtlich geschützte Werke hätte Google, so die Kläger, vor der Digitalisierung die Genehmigung des Urheberrechteinhabers einholen müssen. Dabei war es nebensächlich, dass Google die Werke scannte, um sie zu verschlagworten; nebensächlich war auch, dass Google niemals ohne Genehmigung ganze und nicht einmal verwertbare Kopien urheberrechtlich geschützter Werke vertreiben würde (ausgenommen der Vertrieb an die ursprünglichen Bibliotheken als Ersatz für verlustig gegangene physische Exemplare). Für die Kläger war die Genehmigung rechtlich gesehen unverzichtbar. Ohne diese war Google in ihren Augen ein Pirat.

Für 16 Prozent der 18 Millionen Bücher waren die Vorwürfe der Kläger gegenstandslos – hierbei handelte es sich um gemeinfreie Werke. Das Gesetz sicherte Google das uneingeschränkte Recht zu, diese zu kopieren. Probleme machten auch nicht die 9 Prozent der noch lieferbaren Bücher: Denn in diesen Fällen war die Identifikation jener relativ einfach, bei denen vor der Digitalisierung die Genehmigung dafür hätte eingeholt werden müssen. Die Verleger waren hocherfreut, diese einfache und kostengünstige Vermarktungstrategie der von ihnen publizierten Werke zu ergreifen (praktisch alle hatten diese Dienstleistung beantragt, ehe Google Book Search angekündigt worden war). Aber für 75 Prozent der 18 Millionen in unseren Bibliotheken befindlichen Bücher wäre die Grundsatzregelung der Kläger das digitale Todesurteil gewesen. Für diese Werke – die vermutlich dem Urheberrecht unterliegen, aber nicht mehr lieferbar sind – eine Genehmigung zu fordern, hieße, ihre Unsichtbarkeit zu garantieren. Weil sie praktisch gesehen verwaist sind, ist es im Grunde unmöglich – zumindest auf Großhandelsebene –, die Erlaubnis für jede Art urheberrechtsrelevanter Nutzung sicherzustellen.

Google behauptete – zu Recht, wie ich glaube –, seine Verwendung dieser urheberrechtlich geschützten Werke (diese zu digitalisieren, um sie zu verschlagworten, so dass schließlich jeder in diesem Index suchen kann) entspreche den «fair use»-Bedingungen. Für die Digitalisierung müsse somit keinerlei Genehmigung eingeholt werden, vorausgesetzt, die Nutzung erfolge in einem formal anderen Kontext. Im Falle des Verlusts dieses Rechtsstreits, und Gerichte sind dafür bekannt, in Fragen des Urheberrechts zu falschen Schlüssen gekommen zu sein, hätten die daran geknüpften Verbindlichkeiten Google schwer getroffen.

So überraschte es nicht, dass Google die Chance zum Vergleich ergriff (Google-Insider behaupten allerdings, die Angst vor Verbindlichkeiten sei kein Beweggrund dafür gewesen). Dem Unternehmen gebührt die große Ehre, von seinem Anspruch nicht abgerückt zu sein, die Verwendungsweise hätte den «fair use»-Bedingungen entsprochen. Es kommt aber noch besser: Google hat zugunsten der Öffentlichkeit mit den Klägern eine Einigung erzielt, die weit besser ist als das, was «fair use» dem Unternehmen und der Öffentlichkeit hätte bringen können. Der Vereinbarung folgend zahlt Google für die Genehmigung, der Öffentlichkeit bis zu 20 Prozent der urheberrechtlich geschützten Bücher, deren Rechteinhaber nicht zu ermitteln sind, kostenlos zur Verfügung zu stellen; über die 20 Prozent hinaus hat die Öffentlichkeit die Möglichkeit, gegen Bezahlung auf das ganze Buch zuzugreifen, wobei die Geldmittel in einen gemeinnützigen Fonds fließen, aus dem Rechteinhabern, sollten sie dies wünschen, Tantiemen gezahlt werden. Wir erhalten somit ein Fünftel aller verwaisten Bücher (bzw. ein Fünftel jedes verwaisten Buches) gratis. Google wiederum erhielt die Möglichkeit, eine 18 Millionen Bücher umfassende digitale Bibliothek zu errichten.

Vieles an dieser Einigung ist lobenswert. Gerichtsverfahren sind teuer, ihr Ausgang ist ungewiss und bis zum rechtsgültigen Urteil können Jahre vergehen. Die von Google ausgehandelte Vereinbarung bietet der Öffentlichkeit einen offeneren Zugang zu freien Inhalten, als «fair use» es möglich gemacht hätte. 20 Prozent sind besser als Textschnipsel. Ferner wird ein System, das den Rechteinhabern Gelder zukommen lässt, eher akzeptiert werden als eines, das dies nicht tut. (Ganz davon abgesehen, dass die Abmachung so elegant und intelligent ist, dass ein Professor für Vertragsrecht vor Neid erblasst.)

Dennoch haben sich mittlerweile eine Vielzahl von Unternehmen und eine Schar guter Menschen zusammengetan, um gemeinsam den Vergleich mit Google anzugreifen. Einige sprechen von Verletzung des Kartellrechts. Andere befürchten, Google werde ausspähen, wer was liest, und damit die Privatsphäre der Leser verletzen. Und es gibt jene, die darüber froh sind, gegen den Digitalgiganten dieses Jahrzehnts kämpfen zu können (wie auch gegen jenen des vergangenen Jahrzehnts, Microsoft). Die Hauptstoßrichtung nahezu all dieser Attacken verkennt jedoch den wahren Grund für die Furcht vor der Zukunft, welche dieser Vergleich uns bescheren wird. Denn das Problem ist nicht eigentlich kartellrechtlicher Natur, es geht nicht nur um die Privatsphäre und auch nicht einmal um die Macht, welche diese (sehr gewichtige) freie Bibliothek dem ohnehin bereits marktbeherrschenden Internetunternehmen verschaffen wird. Das Problem mit Google Book Settlement* ist in der Tat nicht die Vereinbarung selbst. Problematisch sind die kulturellen Rahmenbedingungen, welche durch sie zementiert werden. Der Vergleich garantiert praktisch, dass wir die Fehler wiederholen, die unserem kulturellen Leben schon geschadet haben. Wir machen jetzt Bücher zu Dokumentarfilmen.

Wie immer man auch darüber denkt, man sollte erst einmal zur Kenntnis nehmen, wie anders die Zukunft zu werden verspricht. In realen Bibliotheken, in realen Räumen wird Zugang nicht per Seite gemessen (oder per Darstellung auf der Seite). Zugang wird per Buch gemessen (oder per Magazin oder CD oder DVD). Man durchstöbert kostenlos die gesamte Bibliothek. Man entleiht kostenlos die Bücher, die man lesen möchte. Die in realen Räumen befindliche Bibliothek ist ein Refugium jenseits der Be- und Vermessungsabsichten des Marktes. Natürlich steht sie innerhalb eines Marktes. Aber wie Kinder in einem Spielzimmer ignorieren wir in der Bibliothek den Markt draußen.

Diese Freiheit schenkte uns etwas Reales – nämlich die Freiheit unabhängig von der eigenen Vermögenslage zu forschen und im weiten Umfang oder fachspezifisch zu lesen. Auf diese Weise war unsere gesamte Kultur verfügbar und greifbar – nicht nur jener Teil, der zufälligerweise für das Aktienkapital gewinnbringend ist. Dies sicherte uns die Möglichkeit, aus unserer Vergangenheit zu lernen, auch wenn uns der Wille fehlte, dies zu tun. Die Struktur des Zugangs zu realen Räumen hat ein bedeutsames und wertvolles Gleichgewicht zwischen dem Teil der Kultur erzeugt, der praktischer- und sinnvollerweise vom Urheberrecht reguliert wird, und jenem Teil, für den dies nicht gilt. Unsere frühere Welt der realen Räume war eine Welt, in die das Urheberrecht nur selten eindrang, und wenn dies geschah, so war ihr Verhältnis zu den Zielen des Urheberrechts ziemlich klar und verständlich.

Heutzutage ist das alles vergessen. Mit der aufs Urheberrecht gebannten Aufmerksamkeit gerät uns aus dem Sinn, dass es eine Zeit gab, in der dieses bei weitem nicht so wichtig dafür war, wie gewöhnliche Menschen sich Kultur erschlossen und diese nutzten. Damit meine ich nicht, das Urheberrecht sei für Autoren und Verleger belanglos gewesen. Natürlich war es das nicht. Ich meine nur, dass es für die Art, wie die meisten Menschen Kultur nutzten, sich an ihr erfreuten, auf sie bauten und sie kritisierten, keine Rolle spielte. Jessica Litman, Rechtswissenschaftlerin an der Wayne State University, hat es folgendermaßen ausgedrückt:

«Um die Jahrhundertwende war das Urheberrecht der Vereinigten Staaten abstrakt, inkonsistent und schwer verständlich. Es hatte für sehr viele Menschen und Dinge aber auch keine Relevanz. Für Autoren oder Verleger von Büchern, Karten, Schaubildern, Partituren, für Maler, Bildhauer, Fotografen, Komponisten und Kunsthändler, für Dramatiker, Dramaturgen und Buchdrucker war das Urheberrecht allerdings relevant. Buchhändler und Vertreiber von mechanischen Notenrollen und Grammophonplatten, Filmproduzenten, Musiker, Lehrer, Kongressabgeordnete und gewöhnliche Konsumenten konnten hingegen ihren Geschäften nachgehen, ohne jemals mit einem Urheberrechtsproblem konfrontiert zu werden.

90 Jahre später ist das Urheberrecht der Vereinigten Staaten noch abstrakter, noch inkonsistenter und noch schwerer verständlich – wichtiger jedoch: Es ergreift nunmehr alles und jeden. In der Zwischenzeit hat sich das Urheberrecht immer weiter vorgearbeitet und reguliert nun einen Großteil der alltäglichen Dinge der modernen Gesellschaft. Das gegenwärtige Copyright Act umfasst 142 Seiten. Die technologische Entwicklung, dem Gesetz gegenüber eher unachtsam, hat Gebrauchsweisen hervorgebracht, die multiple Reproduktions- und Übertragungstechniken – potenziell urheberrechtlich justiziable Dinge also – in alltägliche Geschäftsvorgänge einbringen. Den meisten von uns ist keine Stunde vergönnt, in der sie nicht mit dem Urheberrecht in Konflikt geraten.»

Selbst für Autoren war das Urheberrecht, als eine praktische Angelegenheit, nicht besonders wichtig. Die Bücher eines erfolgreichen Autors haben zwei ereignisreiche Leben. In ihrem ersten Leben ist das exklusive Recht des Urhebers von Bedeutung, im zweiten Leben nicht. Im ersten Leben ist es von Bedeutung, weil der Verleger, um das Buch vorrätig zu halten, das ausschließliche Recht haben muss (das jedenfalls glaubt er), das Buch zu publizieren. Ist das Buch aber erst einmal vergriffen, ist es, zumindest aus dem Blickwinkel des Autors gesehen, im Grunde frei verfügbar. Sicherlich verdienen Antiquariate an dem Buch, wenn sie es verkaufen (eher wenig). Bibliotheken wiederum erheben Gebühren für den Verleih in andere Teile des Landes. Wird ein gebrauchtes Buch verkauft, erhält der Autor jedoch nichts, wie er auch nichts bekommt, wenn ein Nutzer einer (amerikanischen) Bibliothek ein Buch ausleiht. Die Geschäftsaktivitäten von Antiquariaten und die nicht-geschäftlichen der Bibliotheken erfolgen ohne die Erlaubnis eines Autors (oder dessen Anwalts) wie auch ohne jede Vergütung des Autors. Denn keine der mit dem Verkauf eines gebrauchten Buches oder dem Verleih eines Bibliotheksbuches verbundenen Tätigkeiten sind urheberrechtsrelevant. Kein neues Exemplar wird erzeugt, kein neues Werk geschaffen. Auch findet keine öffentliche Aufführung statt. Keines der exklusiven Urheberrechte tangiert diese geschäftlichen und nicht-geschäftlichen Praktiken. Die Inhaber dieser Exklusivrechte – manche von ihnen Autoren – erhalten also nichts.

Autoren mögen darüber nicht besonders glücklich sein. Ich habe gehört, wie Schriftsteller aus anderen Ländern sich der 2,50 $ brüsten, die sie jährlich von der Steuer erhalten, welche Bibliotheken zu entrichten haben, wenn sie die Bücher ihren Leser gebührenfrei zur Verfügung stellen. Ob Autoren nun glücklich sind oder nicht, entscheidend ist die Erkenntnis, dass der freie Zugang, der diese Welt geschaffen hat, ein wesentlicher Aspekt dessen war, wie wir unsere Kultur weitergaben. Wer die eigenen Kinder für eine Hausarbeit in die Bibliothek schickt, möchte nicht, dass sie nur zu 20 Prozent jedes Buches Zugang haben, das sie lesen müssen. Er möchte, dass sie die Möglichkeit haben, das ganze Buch zu lesen. Sie sollten nicht nur die Bücher lesen, für deren Zugang sie zu zahlen bereit wären. Sie sollten stöbern können, recherchieren, neugierig sein und Fragen stellen – genauso wie jene, die Google oder Wikipedia nutzen, recherchieren, ihrer Neugierde folgen und Fragen stellen. Ein enormer Teil unseres kulturellen Lebens wurde vermehrt und geteilt – und kaum jemand schaltete einen Anwalt für Urheberrecht ein. Ob dies nun Autoren (oder, mit größerer Wahrscheinlichkeit, Verleger) mögen oder nicht: Dies war unsere glückliche Vergangenheit.

Wir sind gerade dabei, uns von dieser Vergangenheit radikal abzuwenden. Die Prämisse dieser Abkehr ist ein zufälliges Merkmal der Struktur des Urheberrechtsgesetzes: dass es die Herstellung von «Exemplaren» (Abzügen) regelt. In der physischen Welt bedeutet dies die Reglementierung einer geringen Zahl möglicher Gebrauchsweisen eines urheberrechtlich geschützten Werks. In der digitalen Welt bedeutet dies die Reglementierung von allem. Denn mit jeder Einzelnutzung eines Produkts kreativer Arbeit in der digitalen Welt wird ein Abzug, eine Kopie, erstellt. Folglich sei, so behauptet der Anwalt, jede Einzelnutzung in einer bestimmten Weise zu lizenzieren. Selbst die Digitalisierung eines Buches zwecks Verschlagwortung – also das, was den juristischen Fall von Google Book im Wesentlichen ausgemacht hat – sei urheberrechtsrelevant. Denn Digitalisierung bedeute ja die Erstellung einer digitalen Kopie.

Das läuft, wie ich befürchte, darauf hinaus, dass wir Bücher wie Dokumentarfilme behandeln. Der rechtliche Rahmen, den wir uns für den Zugang zu Büchern vorstellen, ist noch verwickelter als jener, der den Zugang zu Filmen bereits regelt. Oder noch einfacher gesagt: Wir sind gerade damit beschäftigt, jeden Zugriff auf unsere Kultur zu einem Fall rechtlicher Reglementierung zu machen – zugunsten von Anwälten und Lizenzen, aber mit Sicherheit zu Lasten auch ziemlich populärer Werke. Um es nochmals zu sagen: Wir sind dabei, einen katastrophalen kulturellen Fehler zu begehen.

Neue Spielregeln

Wie ließe sich die Lage ändern? Wie könnte eine Lösung dieses vertrackten Problems aussehen, eine Lösung, die unsere Kultur nicht in einem Sumpf juristischer und technischer Kodifizierungen versenkte? Das Kernproblem hat nicht Google geschaffen, und wir können dessen Lösung auch nicht von Google oder irgendeinem anderen Privatunternehmen erwarten. Google ist in dem besagten Vergleich ziemlich weit gegangen, um das Problem zu entschärfen, welches das Gesetz (unter den Bedingungen der Digitaltechnologie) oktroyiert: Die Vereinbarung beinhaltet eine Sonderregelung für Bibliotheken und für Universitäten, sie enthält darüber hinaus die Möglichkeit einer Sonderregelung für Wissenschaftler. Google und die Kläger haben zweifellos versucht, durch Vergabe bestimmter Zugangsvergünstigungen die Besorgnis zu entkräften, die ich hier artikuliere. Ferner ist der Vergleich sicherlich eine Art Experiment, das uns eine Menge darüber lehrt, wie Kultur nachgefragt wird und welche Zugangsweisen zu sichern sind.

Aber wir können uns nicht auf spezielle Vergünstigungen verlassen, die Privatunternehmen (und quasi monopolistische Registriergesellschaften) gewähren, um unseren Zugang zur Kultur zu bestimmen – auch wenn, zumindest anfangs, diese Vergünstigungen generös sein sollten. Wir sollten uns stattdessen dem zugrundeliegenden Dilemma zuwenden, das allererst den Anlass gegeben hat, dieses ausgeklügelte Regulierungsschema für den Zugang zur Kultur zu schaffen. Wie schlau die Vereinbarung, wie elegant die Verfahrensweise auch immer ist, wir sollten an Peter Druckers Worte denken: «Nichts ist so unnütz, wie etwas effizient zu tun, das man überhaupt nicht tun sollte.»

Das Problem, das sich uns stellt, ist einem Gesetz geschuldet, das durch neue Technologien hoffnungslos anachronistisch geworden ist. Die Lösung besteht in der Umarbeitung dieses Gesetzes, um das schätzenswerte Ziel – den Autoren Anreize zu verschaffen – so zu realisieren, dass der Kultur keine sie zerstörende Bürde entsteht. Die Einzelheiten dieser Umarbeitung lassen sich noch nicht absehen. Wir alle haben zu viel Zeit mit «Copyright Wars» verschwendet, um zu wissen, wie ein vernünftiger Frieden aussehen könnte. Und dennoch zeichnen sich die ersten in diese Richtung führenden Schritte deutlich ab. Es gibt zwei offensichtliche Änderungen, die an dem bestehenden Gesetz vorgenommen werden sollten. Und es gibt eine dritte, der sich das Gesetz entgegenstellen wird und die eine diffizile Werteabwägung verlangt.

Die erste Änderung müsste darin bestehen, das Eigentumssystem effizienter zu gestalten. Eigentumssysteme werden von Regierungen eingerichtet. Die Minimalverpflichtung einer Regierung besteht darin, ihrem jeweiligen System Effizienz zu verleihen. Das Copyright* ist ein von der amerikanischen Bundesregierung eingerichtetes Eigentumssystem. Allerdings hat die Bundesregierung ihre Minimalverpflichtung hinsichtlich dieses Eigentumssystems verletzt. Das Copyright ist eines der am wenigsten effizienten Eigentumssysteme überhaupt. Für die große Mehrzahl der durch unser Urheberrechtssystem regulierten Arbeit ist es praktisch unmöglich zu bestimmen, wer was besitzt – wenn man Kosten vermeiden will, die das System selber zum Einsturz bringen würden.

Teilweise sucht die mit Google getroffene Vereinbarung dieses Problem zu lösen. Das zu errichtende System fordert die Schaffung eines Urheberschaftsregisters auf Basis der Freiwilligkeit. Ist aber niemand dazu verpflichtet, sich in dieses Register einzuschreiben, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, wem was gehört. Eine bessere Lösung würde darin bestehen, die Copyright-Inhaber selber einen Teil der Bürde tragen zu lassen, um das Urheberrechtssystem auf den neuesten Stand zu bringen. Sie wären in diesem Falle, zumindest nach einer bestimmten Frist, strikt verpflichtet, ihr Werk registrieren zu lassen. So könnte beispielsweise von einem einheimischen Rechteinhaber zwecks Aufrechterhaltung des Urheberrechts verlangt werden, sein Werk fünf Jahre nach der Veröffentlichung registrieren zu lassen. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, gelangt das betreffende Werk in die Public Domain. Auf dem einfachen Weg der erfolgreichen Registrierung könnte man feststellen, wem was gehört. Aus komplexen, mit internationalen Verbindlichkeiten verbundenen Gründen ist dieses Erfordernis nur auf einheimische Rechteinhaber anwendbar. Dem gleichen Grundsatz könnte aber innerhalb dieses internationalen Systems jeder Staat folgen.

Diese Register sollten nicht von der Regierung betrieben werden. Das sind Dinge, die in die Hände der Googles und Microsofts dieser Welt gehören. Die Regierung hätte stattdessen die Aufgabe, Grundregeln für diese Register zu entwerfen, und müsste Registraren erlauben, um deren Betrieb zu konkurrieren. Analog zum System der Internet-Domains würden diese untereinander im Wettbewerb stehenden Registrare die Kosten niedrig halten. Ferner hätten sie, um in der Wertsteigerung die Konkurrenz zu übertreffen, einen permanenten Anreiz zur Innovation.

Anfangs hätte dieses Verwaltungssystem nur für Bücher zu gelten. Denn es gibt verschiedene und sehr komplizierte Probleme mit anderen Arten schöpferischer Arbeit, speziell mit Fotografien – insbesondere nachdem die frühere Rechtsprechung den Schöpfern bedeutet hatte, dass sie für den Rundumschutz ihrer Arbeit nichts zu tun bräuchten. Ziel sollte es aber sein, diese anderen Werke sobald als machbar zu integrieren. Damit wäre dem ersten und fundamentalen Anspruch an ein Eigentumssystem entsprochen: dass es nämlich allen mitteilt, wem was gehört.

Die zweite naheliegende Änderung bestände darin, eine Art Rasenmäher zu konstruieren, um dem Wildwuchs von Gesetzen zu begegnen. Der Großteil der Probleme, denen wir gegenwärtig beim Versuch der Wahrung und Sicherung des Zugangs zur Geschichte unserer Kultur gegenüberstehen, sind dem Unvermögen geschuldet, dass man in der Vergangenheit nicht das enorme Potenzial antizipieren konnte, das die Technologie zukünftig besitzen würde. Der Vergangenheit kann man dies verzeihen. Auch die Pioniere des Internets waren nicht in der Lage, dessen Ausmaß oder Bedeutung vorherzusehen. Unsere Reaktion auf diese Unübersichtlichkeit sollte jedoch nicht darin bestehen, sie zu erdulden. Das Dickicht juristischer Verbindlichkeiten, in dem Filme, Musikwerke und alle übrigen Erzeugnisse kreativer Arbeit (ausgenommen Bücher) verschwinden, sollte durch die Implementierung einer Vorschrift gelichtet werden, die gegenwärtigen Rechteinhabern Rechtssicherheit ermöglicht. Diese Aufgabe sollte eine Clearingstelle übernehmen, die uns den Zwang endlosen Aushandelns nähme, uns stattdessen in eine Situation versetzte, in welcher einfache Eigentumsregeln einfach funktionieren.

Die Einzelheiten einer solchen Regelung würden den Rahmen dieses Essays sprengen. Die Grundidee ist jedoch leicht zu umreißen: Für ein kompiliertes Werk (einen Film oder einen Mitschnitt z. B.), das älter als 14 Jahre ist (womit ich der Schutzfristentscheidung unserer Verfassungsväter zustimme), sollte das absolute Recht gesetzlich gesichert sein, dieses zu erhalten, ohne den gegenwärtigen Eigentümer dadurch zu belasten. Grace Guggenheim und anderen – wie auch Filmarchiven und Filmstudios – stünde es also frei, Filme zu restaurieren, ohne sich um die Klärung von Rechten welcher Art auch immer kümmern zu müssen. Ob nun Kopien hergestellt werden oder nicht – der Erhalt eines Werkes sollte frei von juristischer Restriktion sein.

Jenseits der Frage des Erhalts wird die Vorschrift jedoch komplexer sein. Das Gesetz sollte eine einfache Möglichkeit eröffnen, fortwährende Rechte für das kompilierte Werk als Ganzes zu klären, so dass es für alle Zeiten (auch kommerziell) verfügbar ist. Das aber bedeutet, das Urheberrecht zu überdenken. Wir hätten die Vorstellung zu verabschieden, dass die Elemente eines kompilierten Werkes – Filmmusik z. B. – die bleibende Macht besitzen, den Zugang zu diesem Werk oder dessen Vertrieb zu verhindern. Wir sollten hingegen anerkennen, dass das Werk, wenn es erst einmal existiert, innerhalb unserer Kultur ein Eigenrecht besitzt. Vorausgesetzt, dass die für die Schöpfung des Werkes notwendigen Genehmigungen ursprünglich eingeholt worden sind, sollten ab einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt (sagen wir auch hier: 14 Jahre nach der Schöpfung) die Teile die Macht verlieren, über das Ganze zu herrschen.

Zweifellos hat ein Komponist das Recht, darüber zu entscheiden, ob sein Song in J. J. Abrams’ neuem Film gespielt wird. Aber wir müssen von einem System Abstand nehmen, demzufolge dieser Komponist auch berechtigt ist, den Vertrieb von Abrams’ Film 30 Jahre nach dessen Produktion zu unterbinden. Ein derartiges Rechtssystem ist viel zu komplex, befördert nicht das Gemeinwohl und sollte folglich gesetzlich nicht gestützt werden. Hingegen sollte dem Inhaber des Urheberrechts an dem kompilierten Werk nach Ablauf einer bestimmten Frist zugesichert sein, das Werk zu vertreiben – auf welcher Distributionsplattform dies zukünftig auch immer geschehen mag.

Gewiss, die US-Verfassung schränkt die Möglichkeiten des Kongresses ein, zugesicherte Rechte zurückzunehmen.(1) Der Kongress kann nicht einfach festlegen, dass Rechte an kreativer Arbeit nicht mehr existieren. Allerdings hat diese Einschränkung durch die Verfassung selbst ihre Schranken. Eigentumsrechtlich ist seit langem anerkannt, dass Regierungen berechtigt sind, einfache Mechanismen zur Rechtsklärung einzuführen. So könnte man Inhabern von Filmurheberrechten erlauben, sich für ein System zu entscheiden, das 20 Prozent der Tantiemen einer Registriergesellschaft zwecks Verteilung an betroffene Rechteinhaber überließe. Dieser Grundsatz würde das gegenwärtige Dickicht lichten, andererseits aber erlauben, Rechteinhaber zu kompensieren, die zumindest theoretisch einen Anspruch auf Einnahmen haben.

Warum aber sollte es Inhabern von Urheberrechten nicht freistehen, jeder Zugangsregelung ihre Zustimmung zu geben, ganz gleich wie kompliziert diese auch immer sei? Geht es schließlich nicht um ihr Eigentum? Diese Fragen bringen uns zu einigen grundlegenden eigentumstheoretischen Bemerkungen. Schon immer hat das Gesetz der Allokationsfreiheit der Eigentümer Grenzen gesetzt. So wollten Briten die Verteilung der Vermögensmasse über den Stammbaum ihrer Familien bestimmen. An einem bestimmten Punkt konnte diesem Wunsch der Komplexität wegen nicht mehr entsprochen werden. Die Antwort darauf waren Grundsatzentscheidungen – z. B. die «Rule Against Perpetuities». Dieser sollte die Effizienz des Marktes steigern, indem Eigentümern die Freiheit beschnitten wird, Bedingungen an ihr Eigentum zu knüpfen. Eigentum wurde dadurch beweglicher. Genau diese Anregung möchte ich hier geben: Wir sollten die Freiheit der Anwälte beschränken, unendlich komplizierte Abmachungen zwecks Regelung unseres kulturellen Lebens zu fabrizieren. So ließe sich der Zugang zu unserer Kultur sichern.

Die dritte Änderung ist die schwierigste. Denn sie beinhaltet nicht nur bereits bekannte Aufgaben, sie erfordert auch, Neuland zu betreten. Es geht nicht nur um den Kampf der Anwälte, sondern um Entscheidungen hinsichtlich der Frage, wie unsere Kultur geschaffen wird. Dennoch ist auch dieses Problem zügig zu lösen.

Das Urheberrechtsgesetz ist gespickt mit Ausgleichsbestimmungen zum Schutz und zur Begrenzung der Märkte. 200 Jahre Gesetzgebung belegen die beharrliche Anstrengung, die Bereiche zu bestimmen und festzuschreiben, in denen kommerzielle Werte dominieren und jene, in denen deren Relevanz eingeschränkt werden sollten. Manchmal war diese Grenze das zwangsläufige Nebenprodukt der Produktionstechnik urheberrechtlich geschützter Werke. So war es keine Absicht, die Lektüre eines Buches vom Urheberrecht zu befreien. Es ging, zumindest was die physische Welt anbelangt, einfach nicht anders. Zuweilen war diese Grenze aber auch der ausdrückliche Wille des Kongresses – wie im Falle der explizit vorteilhaften Bedingungen, die dem öffentlichen Rundfunk gewährt wurden.

Neuerliche Anstrengungen sind erforderlich, um einen Ausgleich im Interesse beider Seiten auszuhandeln. Es wäre ein Fehler, neue Märkte durch die Beseitigung des Urheberrechtsschutzes dort zu zerstören, wo er Sinn macht. Gleichfalls wäre es ein Irrtum anzunehmen, jeder Zugang zur Kultur müsse durch Märkte reguliert werden, ohne Rücksicht auf die Auswirkungen, die dies für den Zugriff auf unsere Vergangenheit hätte. Wir haben, ganz allgemein gesagt, zu entscheiden, welche Zugangswege frei sein sollten. Entsprechend müssen wir dann das Gesetz verfassen, das uns diese Freiheit sicherstellt.

Einiges davon scheint durch einfache Übersetzungsarbeit realisierbar. So hatte der «Copyright Act» aus dem Jahre 1976 dem öffentlichen Rundfunk bedeutende Vergünstigungen verschafft. Er sicherte z. B. den Zugriff auf Musik unter extrem vorteilhaften Bedingungen. Aber anscheinend lässt sich dieses Recht nicht auf die neuen Formen der Internetdistribution ausdehnen, die zunehmend bestimmen, wie wir auf Kultur zugreifen. Die einfachste Antwort wäre, diese früheren Freiheiten zu aktualisieren und die neuen Medien miteinzubeziehen. Zumindest ließe sich das bisherige System in das neue technologische Umfeld übersetzen.

Übersetzung setzt jedoch voraus, dass die ursprüngliche Bedeutung intendiert war. In manchen Fällen war sie das nicht. Möglicherweise hatte man – das Werk politischer Entscheidungsträger – den freien Zugang zu Bibliotheken beabsichtigt. Vielleicht ist er aber auch nur das unvermeidliche Nebenprodukt beschränkter Gesetzeswirksamkeit in einem Umfeld gewesen, das für die effektive Exekution des Gesetzes nicht geeignet war. Obwohl die ursprüngliche Bedeutung zweideutig ist, war die Zweideutigkeit latent. Mittlerweile ist sie jedoch manifest, und so haben wir festzulegen, wie weit der freie Zugang reichen soll.

Ich habe keine eindeutige Meinung. Allerdings weiß ich, dass jede der beiden Extrempositionen für sich genommen eine Katastrophe für unsere Kultur wäre. Die eine, von den Abolitionisten des Urheberrechts forcierte Extremposition, die freien Zugang zu jeder Art Kultur erzwingen möchte, würde die Kultur ihrem Umfang und ihrer Vielfalt nach verarmen. Ich bin gegen den Abolitionismus. Aber ich sehe auch keinen Grund, die andere, von der Content-Industrie forcierte Extremposition zu unterstützen, die bestrebt ist, jeden Einzelzugriff auf die Kultur, unabhängig vom Kontext, zu lizensieren. Dieser Extremismus würde den Zugang zu unserer Vergangenheit drastisch reduzieren.

Erforderlich wäre stattdessen ein Zugang, der die Fehler auf beiden Seiten erkennt und einen Ausgleich herzustellen vermag, den jede Kultur benötigt: der einerseits Anreize zur Beförderung breitgefächerter Kreativität bietet, andererseits gewährleistet, dass diese Kreativität zukünftigen Generationen verfügbar und verständlich ist. Das mag zu viel verlangt zu sein. Die Idee einer ausgewogenen öffentlichen Regelung in diesem Bereich wird vielen als Widerspruch in sich erscheinen. So nimmt es vielleicht auch nicht Wunder, dass Leute wie die von Google den Fortschritt nicht auf dem Weg der Verbesserung der Gesetzgebung suchten, sondern in einem cleveren, durch geniale Techniker ermöglichten Trick. Indes handelt es sich hierbei um eine so bedeutende Angelegenheit, dass sie nicht Privatunternehmern und privaten Abmachungen überlassen werden  darf. Privatabmachungen und anachronistische Gesetze haben uns allererst dieses Fiasko beschert. Ob eine vernünftige Politik möglich ist oder nicht, sie ist dringend vonnöten.

(1) Marbury v. Madison, Urteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten, 1803 (A. d. Ü.).

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Veit Friemert


Der Beitrag von Lawrence Lessig steht unter einer Creative Commons Lizenz (CC-BY-NC-ND).
Er ist dem Reader "Copy.Right.Now! Plädoyers für ein zukunftstaugliches Urheberrecht" (Band 4 der "Schriftenreihe zu Bildung und Kultur") entnommen.