„Privatschulen: Chance oder Sargnagel für das Bildungssystem?“

Von l.n.r.: Özcan Multu, Jacqueline Boysen, Christian Füller, Margret Rasfeld. Foto: David Handwerker. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

9. Juni 2010
Von Stephan Ertner
Die Deutschen pflegen eine Art Hassliebe zur Privatschule. Viele wollen ihre Kinder gerne auf die vermeintlich besseren Schulen schicken, in der Öffentlichkeit reden sie aber nicht so gerne darüber. Das ist ein wenig so wie mit privaten Krankenversicherungen. Man will die beste Versorgung, fühlt sich jedoch ein bisschen unsolidarisch. Aber ist dieser Vergleich überhaupt zulässig?

Privatschulen sind ein weitgehend unbekanntes Wesen. Schnell hat man sehr teure, elitäre Schulen vor Augen, Internate für die oberen Zehntausend. Diese Schulen gibt es, aber die Landschaft der Privatschulen, oder besser, der Schulen in freier Trägerschaft, ist deutlich vielfältiger: Sie umfasst die konfessionellen Schulen, die Reformschulen wie die Waldorf-Schulen und Schulen, die auf Elterninitiativen zurückgehen, die die Schule nicht dem Staat überlassen wollen.

Die von Jacquline Boysen (Deutschlandradio) moderierte Veranstaltung „Privatschulen: Chance oder Sargnagel für das Bildungssystem?“ gab einen Überblick über die Vielfalt an Schulen in freier Trägerschaft und diskutierte wichtige Themen, die sich mit Ihnen verbinden. Vor allem ging sie der Frage nach, ob Schulen in freier Trägerschaft Motoren der Schulreform sind, die wichtige Impulse auch für das staatliche System geben. Oder schaden sie im Gegenteil dem öffentlichen Gut Bildung, in dem sie die soziale Entmischung vorantreiben und das Schulsystem noch ungerechter machen als es bereits ist?

Privatschule – ein irreführender Bergriff

Christian Füller, taz-Journalist und Autor des Buches „Ausweg Privatschulen?“ rückte zu Beginn der Diskussion das verbreitete Bild, Privatschulen seien elitäre „Schnöselschulen“, zurecht. Nur rund 3% aller Privatschüler besucht Schulen, die kommerziell betrieben werden und beträchtliche Schulgelder in Höhe von 10.000 bis 30.000 EUR fordern. Der weit überwiegende Teil verteilt sich auf konfessionelle Einrichtungen oder Reformschulen, die von Eltern nur moderate oder häufig gar keine Beiträge verlangen. Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, schlug daher vor, nicht von Privatschulen, sondern von freien Schulen zu sprechen, um eine sachlichere Diskussion zu ermöglichen.

Private sind auch öffentlich

Ohnehin sind Privatschulen fast immer auch öffentlich. Zum einen sind sie es in dem Sinne, dass sie offen für alle Schüler sind. Das schreibt schon das sogenannte Sonderungsverbot des Grundgesetzes vor. Die Verfassung erhebt die Gründung von nicht-staatlichen Schulen zum Grundrecht, verbietet aber, dass sich diese Einrichtungen abschotten. In der Praxis bleiben private Schulen den Nachweis, dass sie auch für wenig betuchte Familien zugänglich sind, jedoch oft schuldig. Christian Füller kritisierte, dass viele private Schulen nicht Rechenschaft darüber ablegen können, wie viele ihrer Schüler aus einkommensschwachen Familien kommen. Klar sei, dass Privatschulen in erster Linie die Elternhäuser ansprechen, die sich aktiv um eine gute Schule für ihre Kinder bemühten. Daraus alleine resultiere eine bestimmte soziale Auswahl in der Schülerschaft – auf die im Übrigen zu einem Teil, die guten Leistungsergebnisse freier Schulen zurück zu führen seien.

Freie Schulen sind auch in einem zweiten Sinne keine reine Privatsache. Zu einem großen Teil werden sie staatlich finanziert. Margret Rasfeld, die Leiterin der privaten evangelischen Schule Berlin Zentrum, gewährte einen Einblick in die Finanzierung ihrer Schule. Wie bundesweit üblich, deckt hier der öffentliche Zuschuss nur einen Teil der laufenden Kosten. Im Fall der evangelischen Schule werden 72% des Personaletats finanziert, für Miet- und Sachkosten erhält die Schule keine öffentlichen Mittel. Schulgelder bewegen sich einkommensgestaffelt zwischen monatlich 45 und 315 EUR. Ein Viertel ihrer Schüler ist schulgeldbefreit. Ein großes Hindernis für private Schulgründungen liege vor allem darin, dass neue Initiativen zunächst vier Jahre lang alleine zurecht kommen müssen, bevor die staatliche Kofinanzierung einsetze. Özcan Multu griff die Forderung der Berliner Volksinitiative „Schule in Freiheit“ auf. Freie Schulen sollten von den Ländern im Idealfall im gleichen Umfang finanziert werden wie staatliche Einrichtungen. Dann würden hohe Schulgelder überflüssig – im Prinzip, denn wie er zugleich einschränkte, sind viele Eltern gerade auf eine bessere Ausstattung und eine ausgewählte Schülerschaft aus, die durch hohe private Beiträge gewährleistet werden.

Was können Schulen in freier Trägerschaft besser?

Aber sind Schulen in freier Trägerschaft überhaupt besser als ihre staatlichen Gegenüber? Einig war sich das Podium, dass das nicht zwangsläufig der Fall sein muss. Nicht zuletzt gebe es auch hervorragende staatliche Schulen. Dennoch fiele es freien Schulen häufig leichter, neue Wege zu gehen. Obwohl auch sie, wie die staatlichen Schulen, an Rahmenvorgaben gebunden sind, schafften es private häufiger, sich von der reinen Faktenvermittlung zu entfernen und sich den für Margret Rasfeld zentralen Aufgaben zu widmen: den Erwerb von Motivation und Kompetenzen.

Wichtigster Vorteil der freien Schulen: Sie können sich das Kollegium selbst zusammenstellen. Sie dürfen also das, was in Unternehmen und Organisation selbstverständlich ist. Wer würde sich dort sein Team fremd bestimmen lassen, fragte Christian Füller. Schulleiterin Rasfeld ergänzte weitere Erfolgsfaktoren, die neben der Personalauswahl entscheidend für das Gelingen von Schule seien: Die Etablierung einer Wertschätzungskultur und echtes Teamwork – das gelte selbstverständlich auch für staatliche Schulen und sei dort auch umsetzbar.

Eine wichtige Rolle spielten hier wie dort charismatische SchulleiterInnen, die eine Vision von Schule haben und ein Kollegium, das sich davon begeistern lässt. Auch die Eltern müssten für neue pädagogische Wege gewonnen werden. Das sei teilweise bei der Klientel von Privatschulen leichter als bei der staatlicher Schulen.

Gute Schulen erkennt man am Hausmeister

Unisono forderte das Podium, dass in erster Linie den staatlichen Schulen mehr Freiheit gewährt werden müsse. Özcan Mutlu forderte eine Ausweitung der Freiräume. Der Staat müsse seinen Schulen mehr Eigenverantwortung zutrauen, anstatt durch übermäßige Kontrollen ständiges Misstrauen zu signalisieren.
Ein Symptom der Beschränkungen der staatlichen Schule ist für Christian Füller das was er „Hausmeistersyndrom“ nennt. An staatlichen Schulen seien Hausmeister die unumschränkten Herrscher, ausgestattet mit der Schlüsselgewalt, Aktivitäten an der Schule nach eigenem Ermessen zu unterbinden. Es könne nicht angehen, dass Schulen noch nicht einmal ihre Hausmeister auswählen dürften.

Was tun Schulen in freier Trägerschaft für die schwächsten Schüler?

Zum Schluss kehrte die Debatte zur Ausgangsfrage der Diskussion zurück. Sind freie Schulen Motoren der Schulreform, die wichtige Impulse in das staatliche Schulsystem senden? Margret Rasfeld sieht genau darin eine wichtige Aufgabe, der sich freie Schulen stellen müssen. Wichtig sei der intensive Austausch von privaten und staatlichen Schulen – vor allem auf der Ebene der Schüler. Das setze aktive Bemühungen voraus und in etwa vergleichbare Bedingungen zwischen den beiden Seiten (z.B. ähnliche Klassengrößen). So habe die evangelische Schule Zentrum Partnerklassen mit der staatlichen Rütli-Schule in Berlin-Neukölln eingerichtet, die gemeinsame Projekte durchführen. Und die SchülerInnen ihrer Schule haben ein außergewöhnliches Projekt begonnen: Sie führen weitgehend eigenständig Lehrerfortbildungen für freies Lernen an. Mit ihrem Seminarangebot haben sie bereits 400 LehrerInnen erreicht – und viele davon begeistert.

Doch welchen Beitrag können Privatschulen für die sogenannten Risikoschüler leisten, für die rund 20 Prozent, die Gefahr laufen, die Schule ohne grundlegende Fertigkeiten zu verlassen?

Christian Füller forderte, über eine Quote für Schüler aus einkommensschwachen Haushalten nachzudenken. Özcan Mutlu hält einen solchen Weg hingegen für zu dirigistisch und unrealistisch. Er forderte vielmehr, dass die Finanzierung der staatlichen Schulen umgestellt werden müsste: Das Gießkannenprinzip, wonach alle Schulen im Wesentlichen das Gleiche bekommen, müsste durch Schwerpunktsetzungen abgelöst werden. Schulen in sozialen Brennpunkten bräuchten mehr Geld für Personal und Ausstattung. Dann müssten auch in diesen Stadtteilen Privatschulen nicht mehr als Bedrohung angesehen werden. Sie könnten dann in der wichtigen Funktion anerkannt werden, dass sie bildungsnahe Familien Anreize geben, im Kiez zu bleiben und nicht abzuwandern, wie es heute oft zu beklagen sei.

Margret Rasfeld sieht den wesentlichen Beitrag der Privatschulen in der Veränderung der Schulkultur. Das deutsche Schulsystem sei, wie PISA eindrucksvoll nachgewiesen hat, hoch sozial selektiv. Die Reformimpulse von Schulen in privater Trägerschaft seien notwenig, um die Ungerechtigkeiten anzugehen. Für Christian Füller kann der Ausweg aus dem ungerechten Schulsystem nur gelingen, wenn man den zahlreichen Akteuren, die an Bildung beteiligt sind, mehr Verantwortung zutraut. Man müsse private Schulen zulassen und ihre staatlichen Gegenstücke in die Lage versetzen, im Wettbewerb mit ihnen mitzuhalten.