Rechts und Links gegen die Revolution

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"Freedom Graffiti" in Damascus, Syrien
Noch gelingt eine Mobilisierung der westlichen Zivilgesellschaft für die syrische Revolution nicht. Foto: Rami Alhames Lizenz: Creative Commons 2.0 Original: Flickr

28. Mai 2013
Dr. Ziad Majed

Weshalb stimmen einige rechte und linke Gruppierungen zahlreicher westlicher Staaten in ihrer Feindseligkeit gegenüber der syrischen Revolution überein? Bereits seit einiger Zeit beschäftigt diese Frage viele Syrerinnen und Syrer, die von der Haltung und den Kommentaren etlicher Journalisten und Schriftsteller, die alle der Revolution offenkundig feindlich gesonnen sind oder gar das Regime verteidigen, schockiert waren.

Wir dürfen sogar noch weiter gehen: Weshalb scheitert die syrische Revolution daran, Aktivistenkreise innerhalb der globalen (oder „westlichen“) Zivilgesellschaft zu mobilisieren?
Und das trotz der nahezu konstanten Berichterstattung über Ereignisse und der daraus resultierenden Tatsache, dass tausende Bilder und Filme existieren, die die Tragödien der syrischen Bevölkerung wiederspiegeln?

Die Antwort auf diese Frage ist komplex und hängt von mehreren Faktoren ab: Zum einen von Aspekten einer politischen und kulturellen Perspektive auf die arabische Welt, zum anderen von politischen und ethischen Normen, die die Meinungen und Haltungen zu den Vorgängen in der Region leiten. Hierdurch bleiben Sympathie oder Solidarität mit der Revolution sehr verhalten, zumindest verglichen mit dem Eifer, mit dem die Revolution angegriffen wird.

Die Angst vor einer klaren Position zu den Konflikten im Nahen Osten

Einer dieser Faktoren ist die Tatsache, dass viele politische Parteien und Bewegungen sich davor fürchten, eine klare Position zu „Konflikten“ im Nahen Osten einzunehmen. Sie umgehen das Thema, indem sie sich auf dessen „Komplexität“ berufen: zu viele Kriege und Konflikte und eine sich immer mehr vertiefende konfessionelle Spaltung gebe es, deren Auswirkungen sich über das Mittelmeer hinweg zu den nördlichen Küstengebieten ausbreiten könne.

Ein weiterer Faktor ist der kulturalistische Ansatz, der von der Wissenschaft herangezogen wird. Dessen Aufgabe es ist, globale Themen und Konflikte zu vergleichen und zu kategorisieren – vor allem diejenigen, die mit Arabern oder arabischen Ländern in Verbindung gebracht werden. Diesen Kulturalisten erscheinen die Araber als ein Volk, das „Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung bevorzugt“. Aus diesem Blickwinkel betrachtet erscheint die mit der Revolution einhergehende Gewalt nicht außergewöhnlich, zumal sie nicht in einem weiteren Kontext von andauerndem Bürgerkrieg steht und deshalb auch nicht Entrüstung oder akutes Handeln fordert.

Ein noch wichtigerer Punkt ist die Islamophobie, die von Rechtsextremen aus rassistischen Gründen vorgebracht wird und von manchen linksgerichteten Gruppen unter dem Vorwand des Säkularismus eingesetzt wird. So kommt es, dass Rechtsextreme Gemeinsamkeiten mit gewissen Individuen der Linksextremen teilen und den Assad-Clan unterstützen, wobei erstere ihre Motivation in der Feindseligkeit gegenüber „Islamisten“ finden, während letztere durch ihren „Säkularisierungs- und Modernisierungsdiskurs“ angetrieben werden.

Diesen können wir jene hinzufügen, die konstant die Bedrohung durch die „Mehrheit“ beklagen. Alle hingegen rechtfertigen den Mord an Syrerinnen und Syrern damit, dass diese sozial-konservative Islamisten seien und Mehrheiten unterdrücken, um Minderheiten zu schützen. Hierin liegt ihr grosser Fehler, weil sie religiösem Rassismus und ausgewählten Stereotypen eine Stimme verleihen, die in krassem Gegensatz zu den Menschenrechten und fortschrittlichen Werten stehen, die sie zu respektieren behaupten.

Verborgene Wahrheiten und herablassender Paternalismus

Eine weitere Schwäche, der viele politische Aktivistinnen und Aktivisten erliegen, sind Verschwörungstheorien. Durch solche Vorstellungen bestärkt, fällt es vielen schwer, das syrische Volk mit seinen Hoffnungen und seinem Leiden anzuerkennen und ohne stattdessen mit klischeehaften Behauptungen über internationale Beziehungen und regionale Konflikte vorlieb zu nehmen.

Was weiterhin auffällt, ist eine "herablassenden Haltung", die bei einigen fortschrittlichen Autoren und Meinungsbildnern bei der Analyse von Themen innerhalb der arabischen Welt zutage tritt. Manchmal scheint es, als ob Themenfelder wie Menschenwürde und individuelle Freiheit außer Acht gelassen und soziopolitische Aspekte in ihren Analysen nur selten erwähnt werden. Was sie weitaus mehr zu beschäftigten scheint sind Fragen um Grenzen, Öl, Geostrategie, die einflussreiche Rolle der Regionalstaaten oder die „Entscheidungen“ des Westens über sie. Manche blicken in der Hoffnung auf eine Rückkehr zum Kalten Krieg nach China und Russland. Dabei stehen Positionen über die „Interessen der arabischen Welt“ gegenüber einem „westlichen Imperialismus“. Nicht selten behandeln sie ganze Staaten dabei so, als handele es sich bei ihnen um abstrakte Gebilde ohne Menschen aus Fleisch und Blut. Oder um stumpfsinnige, stumme Bevölkerungen, deren Entwicklung ständig für sie vorgezeichnet werden müsste, damit sie nicht von den Gefahren und Lügen des Westens verleitet werden.

Zuletzt gibt es jene Intellektuelle, die sich geweigert haben, die syrische Revolution zu unterstützen. Sie wenden ein, dass Syrien zerfallen und sich Chaos ausbreiten könne: eine Situation, die in ihren Worten „Israel und Amerika in die Hände spielen“ würde.

Publikumsmüdigkeit und Langeweile

Zuletzt gibt es noch jene westlichen Autoren, deren Glaubwürdigkeit darauf beruht, dass sie Jahrzehnte in arabischen Ländern verbracht haben und die Politik ihrer Heimatländer in Bezug auf die Region kritisiert haben und die nun dazu bereit sind, zu täuschen, nur um ihren Platz im Rampenlicht zu erhalten, Kontroversen anzustoßen und eine Gegenposition zu dem zu beziehen, was sie selbstgefällig als „Mainstream“-Haltungen in ihren Medien abstrafen. Nun stehen diese Mainstream-Haltungen natürlich nicht länger in Konflikt mit den „humanistischen“ Werten, von denen sie stets behaupteten, sie zu achten.

Wir könnten natürlich noch weitere Faktoren hinzufügen: die Publikumsmüdigkeit und Langeweile, die der Westen in seiner öffentlichen Meinung gegenüber den arabischen Revolutionen zur Schau stellt, insbesondere nach den Wahlsiegen der Muslimbruderschaft in Ägypten und Tunesien, dem Krieg in Libyen und der langwierigen Natur der syrischen Revolution selbst. Wir könnten die geografische Lage der Levante erwähnen, das Versäumnis der USA in der Post-Saddam-Phase im Irak, die (legitimen) Zweifel über die Rolle, die Saudi-Arabien und Katar in Syrien und der Region spielen und Bedenken über den Einfluss der syrischen Instabilität auf die gesamte Region (zumeist und in erster Linie auf Israel). Wir sollten auch nicht die Bestrebungen des syrischen Regimes und seiner Verbündeten (libanesisch und arabisch, plus einige europäische „Experten“) vergessen, die Artikel und Informationen über die Revolutionäre verbreitet haben, über ihr Handeln und die Gräuel, denen Christen in Syrien und der gesamten Levante gegenüberstünden (manchmal frei erfunden und manchmal wahr, aber aus dem Kontext gerissen).

Das Recht der syrischen Bevölkerung, gegen die Tyrannei zu kämpfen

All diese Faktoren zusammen löschen die darunterliegende Wahrheit aus, die unkompliziert ist und es ohne große Mühe ermöglicht, eine vernünftige moralische und politische Position zu ihr einzunehmen: Die Mehrheit der Bevölkerung befindet sich in einer Revolte gegen ein Regime, das Syrien seit 1970 regiert und in der Zwischenzeit bewiesen hat, dass es nicht im Geringsten zögert, Massaker anzurichten, Bürgerinnen und Bürger in Gefangschaft zu nehmen, sie zu bestehlen und ins Exil zu verbannen. Und das alles mit dem Zweck, an (dynastischer) Macht und (mafiaartigen) Privilegien festzuhalten. Was die Diskussion über regionale und internationale Konflikte, über Interessen und politische Manifeste und Allianzen und Ängste betrifft, so hat diese sicherlich ihre Berechtigung (ob auf Seiten der Rechten oder der Linken) und sollte zum Ausdruck gebracht werden – jedoch erst nachdem man eine solide Position zu der ursprünglichen Sache klargestellt hat: das Recht des syrischen Volks, zu kämpfen bis das Kapitel einer 43 Jahre lang andauernden Tyrannei beendet ist.

Abschließend sollte festgehalten werden: Die syrische Revolution bekämpft heute nicht nur ein brutales Regime wie das Assad-Regime, sondern kämpft auch gegen die Verbündeten dieses Regimes – insbesondere gegen Russland und den Iran –  und befasst sich zudem mit entweder rassistischen, gleichgültigen oder unmoralischen, verdorbenen Konzepten, die von mehreren Linken und „Anti-Imperialisten“ verbreitet werden. Bis jetzt – und das sollte aus zahlreichen Gründen analysiert werden – hat die Revolution weder eine politische Führung innegehabt noch über ein Medienbüro verfügt, das in regelmäßigen Abständen allen Feinden entgegentritt und deren Argumente aufgreift. Um diesen bisherigen Mangel auszugleichen, zählt sie auf Mut und Beharrlichkeit, auf außergewöhnlich tapfere und kreative Intellektuelle, Künstler und Aktivisten und auf einen großen Vorrat an Geduld und Hoffnung, der es ihr erlaubt hat, weiterzumachen. Ein Vorrat, der sich nicht so leicht erschöpfen wird, selbst angesichts des wachsenden Drucks und der zunehmenden Schwierigkeiten – in Syrien und in seiner Umgebung.

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Dr. Ziad Majed ist Professor und politischer Autor aus dem Libanon. Er lehrt Internationale Beziehungen an der Amerikanischen Universität Paris. Dieser Artikel wurde zuerst auf Arabisch auf seinem Blog veröffentlicht; der Autor hat ihn für die Webseite der hbs überarbeitet.

Übersetzt aus dem Englischen von Christine F. G. Kollmar.


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