Eine europäische Wirtschaftsregierung?

Daniel Schwarzer

Es ist nicht so dass Daniela Schwarzer dass Abflauen der Krise in der Eurozone bedauern würde. Was sie aber bedauert ist, dass mit dem Krisendruck auch die Bereitschaft zur Neuausrichtung der europäischen Wirtschaftspolitik nachgelassen hat, und dass notwendige Entscheidungen auf die lange Bank geschoben werden.

Zu Beginn ihres Vortrags zum Für und Wider einer „Europäischen Wirtschaftsregierung“ betonte Schwarzer, Leiterin der Forschungsgruppe EU-Integration bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, warum es so problematisch ist, dass Europa sich seit mehr als drei Jahren im „Krisenmodus“ befindet: Entscheidungen werden mit Alternativlosigkeit begründet, es ist „integration at gunpoint“, Abstimmungen über Europa mit der Pistole auf der Brust. Die getroffenen Entscheidungen findet Schwarzer größtenteils „technisch richtig“, sie kritisiert aber den intergouvernementalen und häufig intransparenten Charakter des Krisenmanagements, der dem Europäischen Parlament kaum Raum zur Beteiligung gibt und das Gewicht der großen Staaten deutlich erhöht. Umso mehr demokratisches Regieren durch die Anwendung scheinbar alternativloser Regeln ersetzt wird, umso schwerer dürfte es der Bevölkerung zu vermitteln sein, wenn aus den in der Krise gewährten Hilfskredite irgendwann reale Verluste werden.

Ausstieg aus dem Krisenmodus

Es gäbe also gute Gründe, die derzeitige Atempause für einen Ausstieg aus dem Krisenmodus zu nutzen, zumal die Zustimmung zur EU in den vergangenen Jahren in fast allen Ländern stark gelitten hat. Was grundsätzlich keine Überraschung ist – die EU verliert in Zeiten wirtschaftlicher Krisen regelmäßig an Zustimmung – wird deshalb zum Problem, weil es sich diesmal nicht nur um einzelne Staaten handelt und nicht absehbar ist, dass der Vertrauensverlust nur temporär ist.

Mut machen könnte ein anderer Teil der Umfragen: Die EU-BürgerInnen sprechen sich dafür aus, dass die EU-Staaten zur Lösung der Krise enger zusammenarbeiten, und sie wünschen sich, dass sich die EU-Ebene stärker um die Themen Soziales und Wachstum kümmert.

Große Schritte in diese Richtung hält auch Schwarzer derzeit für eher unwahrscheinlich. Sie schlägt deshalb vor, dass die Regierungen erst einmal die Parlamente bei den in den Krisenjahren geschaffenen Instrumenten stärker mit einbeziehen, sei es auch erst einmal nur konsultativ – in vielen Fällen wäre das per Beschluss des Europäischen Rates möglich.

Eine Wirtschaftsregierung für die Euro-Zone

Längerfristig hält sie aber weiterhin eine Wirtschaftsregierung für die Eurozone für notwendig. Im ersten Schritt müssten dazu die Mitgliedsstaaten entscheiden, welche haushalts- und wirtschaftspolitischen Angelegenheiten wirklich europäisch entschieden werden müssen. Für Schwarzer ist das dreierlei: Erstens, ein mutiger Schritt hin zur Fiskalunion, in der nationale Defizit-Obergrenzen weniger technokratisch und stärker demokratisch festgelegt werden als bisher. Zweitens ein Budget für die Eurozone, das vorerst vor allem den Strukturwandel in den Krisenländern begleiten sollte, das aber auch eine Komponente mit einer automatischen Stabilisierungswirkung enthält. Und drittens müsste aus systematischer Sicht auch eine eigene Steuererhebungskapazität der EU hinzukommen – dieser Teil, das weiß auch Schwarzer, ist im Moment nicht mehr als ferne Zukunftsmusik.

Vorläufig könnte der Wirtschafts- und Finanzkommissar die Aufgaben einer Wirtschaftsregierung übernehmen. Langfristig sollte sie aber zu einer richtigen Regierung weiterentwickelt werden, also Wahlergebnisse widerspiegeln und einem Parlament verantwortlich sein.

Manuel Sarrazin, europapolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, konnte Schwarzer in der anschließenden Diskussion in fast allen Punkten zustimmen. Das gilt für die Kritik an den zunehmend technokratischen Entscheidungsprozessen in der EU genauso wie für die Forderung, die bisherigen Reformschritte transparenter und der öffentlichen Debatte zugänglich zu machen.

Nur ihre Schlussfolgerung, die auf eine Teilung zwischen der EU und der Eurozone hinauslaufe, findet er „richtig, richtig falsch“. Das würde nämlich bedeuten, einige der pro-europäischsten Länder aus dem Vertiefungsprojekt auszuschließen, beispielsweise Dänemark, und umgekehrt sind neben den Krisenstaaten der Eurozone auch andere EU-Länder massiv von der Wirtschaftskrise betroffen. Sarrazin ist aufgeschlossen für Vertiefungsschritte wie eine europäische Arbeitslosenversicherung, und er wünscht sich einen europäischen Konvent, der die Debatte um die richtigen wirtschafts- und fiskalpolitischen Antworten auf die Krise öffentlich diskutiert – in beiden Fällen sieht er keinen Grund, warum nicht auch die Nicht-Eurozonen-Ländern dabei sein sollten.

Die Antwort ist aus Sicht von Daniela Schwarzer ganz einfach: Weil sie es momentan gar nicht wollen. Wenn das in Einzelfällen doch der Fall sein sollte und diese Länder die Konvergenzkriterien erfüllen, dann sollte die EU ihnen die Teilnahme nicht verwehren. Umgekehrt sollte sich die Euro-Zone aber auch bei der vertieften Integration nicht aufhalten lassen, und den übrigen Staaten die Tür für eine spätere Teilnahme offen halten. Zwar teilt Schwarzer Sarrazin´s Sorge vor einer Entkopplung zwischen der Eurozone und den anderen Mitgliedsstaaten, insbesondere im Bereich des Binnenmarktes. Genau das könnte aber passieren, wenn ein Konvent weitere Vertiefungsschritte verspricht, und Staaten wie Großbritannien daraufhin weitere Ausnahmen oder gar einen teilweisen Rückbau der EU fordern.

Dieser Einwand überzeugt Sarrazin nicht: Ziel sei es ja gerade, über den Binnenmarkt weitere Länder an den Euro heran zu führen. Anstatt auf die Vertiefung der EU als Ganzes zu verzichten, sollte man eher überlegen, in welchem Bereichen man den Britten entgegen kommen und sie so von einer Teilnahme überzeugen kann.

Stärkere Einbindung der Parlamentarier

Sarrazin liegt ein Konvent aber noch auch aus einem weiteren Grund am Herzen: Ein Konvent könnte die Parlamentarier in der EU zurück ins Spiel bringen. Würden sich die Parlamente auf Vorschläge für Vertiefungsschritte einigen, dann müsste sich auch der Europäische Rat damit auseinandersetzen.

Auch hinsichtlich der Frage, wie kurzfristig eine stärkere Einbindung der Parlamentarier in der Regierung der Eurozone gelingen soll, sind sich die beiden Diskutanten nicht einig. Schwarzer favorisiert eine Unterformation des Europäischen Parlamentes, so wie es die Finanzminister mit dem Ecofin und der Eurogruppe vormachen, damit nicht Parlamentarier aus 28 Staaten über Dinge mitentscheiden, die ihre Länder zum Teil gar nicht betreffen. Eine solche Teilung des Parlamentes kommt für Sarrazin nicht in Frage. Möglich sei es, innerhalb des Parlamentes einen Ausschuss für Eurozonen-Angelegenheiten einzurichten, abstimmen sollte am Ende aber das ganze Parlament – einschließlich der Euro-skeptischen Briten.

Hinweis: Die nächste Veranstaltung in der Reihe Jenseits der Krise fragt am 26. November 2013: „Wohin mit den Schuldenbergen?
 

Diese Veranstaltung fand statt mit Unterstützung der Europäischen Union - Programm "Europa für Bürgerinnen und Bürger": Strukturförderung für zivilgesellschaftliche Organisationen auf europäischer Ebene.

 

 

 

 

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